Nachtvorstellung - Nach(t)gedanken - Nach 36 Jahren.

Wenn sich nun das Jahr 2011 dem Ende neigt, dann sind in den bereits jetzt von der Medienmeute angedrohten " Bilder des Jahres ", den "  Rückblicken des Jahres " und sonstigen retrospektivischen Brimborium, auch jene Daten enthalten, die über den Tod einiger bekannter Menschen erinnern. Politiker sind unter diesen Namen, auch viele Künstler. Vor einigen Tagen verstarb beispielsweise Georg Kreisler, der Österreicher mit dem typischen Wiener Schmäh und dem Hang zur Nestbeschmutzung. Zuvor war Franz Josef Degenhardt im Alter von 79 Jahren verstorben. Ein "Liedermacher" der alten Schule. Ein einst ätzender Künstler, der in den 60er und 70er Jahren der Gesellschaft aufs Maul schaute und so manchen Seitenhieb an Alle und Jeden verteilte.
Dafür wude er einst von seinen Anhängern geliebt; von den Gegner gehasst.

Bei der Nachricht zu dem Tod des " Liedermachers" Franz Josef Degenhardt kamen mir auch einige Gedanken an dessen Auftritte in den 60er Jahen bei den jährlichen Treffen der einstigen Größen im Genre des politischen Liedes auf der Burg Waldeck in Hessen. Damals zu den bewegten Zeiten hatte das politische Lied wesentlich mehr Gewicht. Die es vertretenden "Liedermacher", wie Hannes Wader, Dieter Süverkrüp oder auch Reinhard Mey hatten hier ihre ersten Gehversuche. Aufgetreten ist auch einst Hanns Dieter Hüsch. Er, eher als Kleinkünstler und Kabarettist einzuordnen, sollte sich 1968 vor einem so genannten Lied-Tribunal wegen seiner Texte rechtfertigen. Das war bereits der Anfang vom Ende eines bis dato aufstrebenden Festivals. Nun, Hanns Dieter Hüsch trat zwar noch auf, sein Vortrag wurde aber durch Polit-Chaoten gestört. Es reichte ihm danach endgültig und er beschloss, mit der einstigen Musikszene zunächst zu brechen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Burg-Waldeck-Festivals

Später versöhnte er sich mit der gesamten linken Bewegung und trat auch wieder öffentlich auf. So zu seiner lengendären " Nachtvorstellung " am 7. März 1975 im Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Hüsch spielte im Anschluß an eine Premiere von Molieres " Misantrope". Diese, mit äußerst positiven Kritiken bedachte Vorstellung begann an jenem Freitagabend um 19.00 Uhr und endete um 22.00 Uhr mit donnerdem Applaus.
Nach einer Stunde, exakter gesagt um 23.07 Uhr betrat Hanns Dieter Hüsch die Bühne und gab die " Nachtvorstellung ". Auf der Doppel-Langspielpaltte finden sich 20 Stücke. Dazu eine exakte Beschreibung über deren Inhalt sowie der besonderen Gegebenheiten bei dieser "Nachtvorstellung" gefertigt von einem Walter Haas; dem Produzenten des Albums.

Was Walter Haas zu den einzelnen Titeln des Kabarettisten, Entertainers und Liedermachers Hanns Dieter Hüsch zu sagen hatte, schrieb er auf und befindet sich in synoptischer Form abgedruckt auf der Rückseite des Plattencovers.

" LP- Seite 1:

1. Heiterkeit

HDH gibt zu bedenken, daß alles, was die allgemeine Neigung zum Weinen bremst, bereits als Heiterkeit definiert werden sollte.

2. Obduktion

Da klingt wie eine fröhlich verzwickte Modenschau-Nummer und ist doch ein makaberes Poem: Obduktion im Cafe´ Größenwahn.

3. Ich möchte mir

Ein Playback, das eine Woche zuvor mit der Jazz-Rock-Gruppe " Altona " aufgenommen wurde.

4. Nachrichten

Das ganz gewisse Rundfunkdeutsch: Information, Kommentar,Feature,Werbung.
Nicht nur Hüsch, auch das Mikrophon spielt gelegentlich verrückt.

5. Knoblauch

Und wieder ein " Altona "-Playback. Das Publikum singt streckenweise mit. Kein Wunder: " Es soll schon einige geben, die knoblauchabhängig sind."


LP-Seite 2:

6. Befund

Wir befinden uns in der Hand von Kaufleuten" befindet Hüsch ( und befürchtet,daß ein Sänger fortan kein Sänger mehr sein kann ).

7. An Liegen

"Woran liegt es?", grollt Hüsch an der Orgel. An uns selbst, oder..?

8. "Nicht Kinskopf, sondern Kunstkopf.!"

ruft Günter Hübner. Leiter des Tonstudios im Hamburger Schauspielhaus... und Hüsch stellt daraufhin den " schwarzen Gast" an der Rampe vor: den Kunstkopf.

9. Suite

An der kleinen storchenbeinigen Elektro_Barock-Orgel sitzt Hüsch ohne Allonge-Perücke und sieht trotzdem wie Rameau´s Neffe aus.

10. Lothar Trappmann

" Was ist eigentlich aus ihm geworden?", fragt Hüsch und dabei swingt in ihm die niederrheinische Volksseele.


LP-Seite 3:

11. Das Wort zum Montag

Eine Litanei mit Orgel, Apfel und Gebrauchsanweisung. Nonsence für Beischläfer.

12. Requiem

Und jetzt wird´s ruhig im Theater ( und auf der Platte ). Hüsch, der Literat, sorgt dafür, daß die Stille hundert Pfund wiegt.

13. Abendlied

Ausatmen. Besänftigen, Streben zur Stallwärme. " Ameise rast nach Haus. Die Lampen leuchten, der Tag ist aus." Die NACHTVORSTELLUNG aber geht weiter.

14. Szenenwechsel

Mitternacht! Nachdem Hüsch über 50 Minuten an lang immer nur an der Orgel saß, steht er jetzt auf und dreht das Mikrophon hoch. Und provoziert damit (Geisterstunde) die Rache der Technik.

15. Vortrag

Exzellenz..,Gnädige Frau...!Ich möchte doch wohl meinen, daß Sie mich kennen. Wer sonst wohl hält eine Rede und sagt nichts?


LP-Seite 4:

16. Nünkteplein

Ein reizvolles Stück Katzenmusik (Playback) wird hörbar.

17. das Wort zum Sonntag

Der immer bewährte ( und vom Publikum stürmisch herbeigeklatschte ) Hüsch-Sermon in neuer Variante - kurzsichtig und weitsichtig zugleich.

18. Liedermacher

Zu einer Zeit, als "Liedermacher" noch nicht "in" waren,trat Hüsch als erster Liedrmacher in Deutschland an. Inzwischen inflationiert sich die Gattung. Und wie äußert sich heute "Klassiker" Hüsch dazu?

19. Weltende

Der Schlußtitel...wahrhaftig: danach kann nix mehr kommen. Finale.Aus.

20. Liedermacher

1:07 Uhr Schluß der NACHTVORSTELLUNG. Während 2000 Menschen ebenso animiert wie nachdenklich das Schauspielhaus verlassen, tönt über die Saal-Lautsprecher noch einmal deutsches Liedgut: das Playback zum " Liedermacher"-Lied von Hanns Dieter Hüsch. "

- Zitatende -



Das ist nun mehr als 36 Jahre her.

HDH ist am 6. Dezember 2005 im Alter von 80 Jahren verstorben. Er hinterließ eine Fülle von Tonträgern, Büchern und Schriften. Längst haben sich eine Reihe seiner damaligen Anhänger im Netz verewigt; mit einer " Hüsch"-Seite usw. usf. Einem wirklich namhaften Exponenten seines Genres, nämlich der Kleinkunst, kann auch nach seinem Tod gehuldigt werden, ohne dass dieses kitschig wirkt; so, wie es bei anderen Künstlern oft der Fall war.

" Ein letzter Applaus für den Künstler.", forderte ein langjähriger Weggefährte des Entertainers am Grab bei dessen Beerdigung und die Anwesenden taten im den Gefallen und klatschten wie in alten Zeiten, als HDH auf der Bühne stand, die für ihn die Bühne zur Welt darstellte. Widersprüchlich und doch harmonisch, laut und leise, ernsthaft oder auch lustig. HDH hat nicht nur Nonsens in oder mit seinen Liedern gemacht. Hüsch war der Künstler vom Niederrhein, einer Landschaft, deren knorrige Menschen quasi ein Ebenbild der Landschaft sind. Erdverbunden, heimattreu und mit Traditionen verwurzelt. Einst galten diese Attribute als deutsch. Der Niederrhein ist dennoch nicht die deutscheste Region in Deutschland. Dieses hat HDH nicht nur zu Lebzeiten betont, sondern mit seinem Werken auch umgesetzt.

HDH war ein politischer Künstler,er war ein Kritiker der Gesellschaft. Er stellte diese aber nie radikal in Frage. Er hatte keine andere Vision von einem Staat. Er war aber nicht staatstragend. Ein Kleinod in Mitten der bewegten 60er und 70er Jahren. Er hat sich mit den einstigen Polit-Protagonisten, den Dogmatikern und Krawallos von einst nicht angelegt; er ist von ihnen einfach in eine unpolitische Ecke gedrängt und dort stehen gelassen worden.

Lange habe ich HDH zur Kenntnis genommen: mehr nicht! Nach vielen Jahren stellte sich dann ein Sinneswandel ein. Vielleicht deshalb, weil eben Künstler wie HDH einmalig sind. Einmalig in ihrem Vermögen durch ihr Wirken mehr zu Bewirken als es so viele Politiker zu Lebzeiten vermögen.

Die Zahl der " Liedermacher" ist in den letzten 3 Dekaden geschrumpft. Die Anzahl derjenigen mit Format ist deshalb längst überschaubar geworden. Das Genre der " Liedermacher " war einst neben dem unspektakulären Alltäglichen vor allem das Politische. Das kritische, das gesellschaftskritische Lied war vor mehr als 40 Jahren und bis 2 Dekaden danach " in ". Es gehörte zum guten Ton wie der Parka, die Jeans und das Palästinensertuch. Jeder, der sich als kritisch und links sah, trug diese Kleidung. Dieses war natürlich auf das Klientel für eben jene " Liedermacher ", die Hanns Dieter Hüsch selbst kritisch ( er zählte in gewisser Weise ja auch dazu ) besingt.
Also, dann:

Einleitung:

Es gibt ja zurzeit, dass wissen Sie ja all Liedermacher, die Hülle und die Fülle. Man kann schon fast von Liederkäuern sprechen. Es gibt davon gute, es gibt aber natürlich weniger gute und so weiter.
Ich habe mich nun daran gemacht, die eigene Szene - ein wenig zähle ich mich ja auch dazu - äh, die eigene Szene ein wenig zu beschreiben.

Ich will mich noch ein wenig auf die eigene Lautstärke einpegeln, obwohl wir gleich das Play-Back dazu einspielen. Nöh, öh! Damit ich später das Kätschente auch hinkriege. Das ist mir schon ein paar Mal daneben gegangen.

- Dezentes Gelächter, während Hüsch auf seiner Orgel einige Takte spielt -

Für einige Sekunden lang herrscht absolute Stille. Hüsch legt los:

Karl-Gustav macht polit-gynäkologische Lieder.
Fritz-Otmar macht emanzipierte, protestantische Lieder.
Heinz-Detlev macht sado - poetische Bekenntnis-Lieder.
Und ich, mach'dummes Zeug.

Klaus-Kuno macht elisabethanisch - erotische Aufklärungslieder.
Hans-Axel macht pathologisch, hintergründig, utopische Lieder.
Franz-Güther macht para - psychologische Horror-Lieder.
Und ich, mach'dummes Zeug.

Jakob und Emmy sind mit ihren Liedern wieder engagierter geworden
und bekommen dafür demnächst den " Erkenn' - Dich - doch - selbst - mal "-
Orden.
Anita und Josef wurden leider schnulzig, unverbindlich neutral.
Und erhalten in diesem Jahr nicht den " Lach'- über - Dich - selbst - mal "- Pokal.

Dagegen sind Anton und Carmen sehr viel konkreter geworden.
Und erhalten dafür den " Gebratenen - Pekinger - Enten " - Orden.
Auch Ines und Peter sind politisch total transparenter inzwischen.
Und wollen, zusammen mit Susi und Saul, bei jeder Bewusstmachung mitmischen.

Auch Kai und Hannelore sind dialektisch enorm relevanter.
Und erhalten demnächst für ihren Drogensong von Radio Cuxhaven den " Silbernen Panther ".
Selbst Uwe und Petra haben jetzt wieder diesen opponiert - geschulten, alternativen Touch.
Und ich, mach' nur noch Quatsch.

Paul- Erich hat jetzt endlich mit seinen Balladen die Schallmauer der Wirklichkeit durchstoßen.
Claas - Volker gehört jetzt mit mit seinen Knast - und Kinderopern zu den wirklich ganz Großen.
Und Willibald hat jetzt mit seinen Aktionsstrophen der Gesellschaft mal wieder aufs Maul geschlagen.
Dagobert dagegen, will mit seinen ökumenischen Liedern das Christentum hinterfragen.

Eckehard lebt in Bottrop und entlarvt zurzeit die Bolivianische Krise.
Christopher lebt in Kassel und entlarvt zurzeit die Analyse dieser Krise.
Gunther lebt in Hünnecken und entlarvt zurzeit die Krise dieser Analyse.
Und ich, mach' dummes Zeug.

Die Songgruppe " Sägespäne " macht jetzt eine Tournee durch die Manschurei.
Die Songgruppe " Maback und Michel " sind beim Songfest in Budapest auch dabei.
Die Songgruppe " Stachelbeere " will jetzt von der Fabrik wieder auf die Straße geh'n.
Ich kann das versteh'n, ich kann das versteh'n, ich kann das versteh'n!

Ich hoffe doch, ihr behaltet mich a bisser'l noch lieb.
Denn marketingmäßig, wie ich erfuhr, bin ich ein Langzeit-Typ.
Doch pfeif'ich auf die Erkenntnis und ich prophezeie Euch.
Ich mach'halt, damit es sich's reimt, dummes Zeuch.
 
Delirium, Delarium, Dilirium, Dilarium, Löffelstiel.
Ja, die Weltgeschichte ist doch ein äußerst schöpferisches Spiel.
Mal Folter, mal Frohsinn, mal Folter, auf jedem Gebiet.
Und dazu, meine Damen und Herren, das passende Lied.

.. Refrain ...

Und dazu, wie man auch hier sieht, das passende Lied!

Schnabadi, schnabadu, dabadab,
schnabadi, schnabadu, dabadabadab!
Dabadab, dabadi, didididi....
Schbadabdab, schbadabu, schnabdadadab....

Tosender Applaus! Das Lied über die " Liedermacher " hat jeder der 2.000 Hamburger Gäste verstanden. Zeigte es zur damaligen Zeit den Realzustand der Szene. Jeder, der was zu sagen hatte, sang ein politischen Lied. Hüsch auch, aber nicht nur. Er hatte mehr aus dem Leben zu erzählen als jene Künstler, die ihre Kunst als Agitation verstanden.

Mehr als 40 Jahre später und 36 Jahre nach der Hüsch'schen einmaligen " Nachtvorstellung ", kamen mir eben diese Nachgedanken.

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