" CAN " kennt keiner!

Der Deutschlandfunk galt einst für mich - auch wenn er inzwischen sein 50jähriges Dasein begeht - als Ausgeburt des westdeutschen CDU-Michelstaats. Daran hat sich bis zum heutigen Tage nicht sehr viel geändert; auch wenn der Sender sich - dem Zeitgeist gemäß - längst eine angepasstere Programmstruktur und ein neues Logo sowie eine umfängliche Internetpräsenz gegeben hat.Selbst wenn die inneren Feinde der Demokratie, die 68er, die K - Grüppler und Salon - Linken, gegen die der CDU - Vasallensender einst tatkräftig mittels Wort und und Musik zu Felde gezogen war, zum  überwiegenden Teil bereits den Vorruhestand oder die Pensionierung und Verrentung genießen, so sind deren Einflüsse auf das gesamt gesellschaftliche Gefüge zeitweise noch präsent.

Ob nun in in Wort, Bild und Schrift oder auf den ungezählten Tonträgern, die Ära der Wilden 60er und Nach - 68er ist zumindest hier für immer und ewig sowie bei Bedarf griffbereit und kann den apolitischen Generationen nach ihnen sodann um die Ohren gehauen werden. Immer getreu der Devise: Seht her, dass waren die Feinde der Demokratie gegen die wir erfolgreich gekämpft haben.

In jene Zeit des nicht nur gesellschaftlichen Umbruchs gehört auch eine Musikrichtung, die stylistisch betrachtet, ihre Auswirkungen in der heutigen Wegwerf - und Vergiß-Dekade jenen Musikmüll zwar nicht verkaufsträchtig bestimmt, jedoch an dessen Rändern durchaus durchklingen lässt:  der " Krautrock ".

Auch wenn einst nur vage Aussagen darüber, was " Krautrock " eigentlich ist, in der damaligen Szene getroffen werden konnten, so lässt sich im Umkehrschluss zumindest klar definieren, was diese Musik nicht war: Hitparaden - Schlagerscheiße!

http://de.wikipedia.org/wiki/Krautrock

Zum Genre der hierunter zu subsumierenden Vertreter des Elektro - Rock zählten vormals die Musiker der Kölner Gruppe " CAN ".  Diese Formation gründete sich 1968 und stach durch eine Vermischung von hämmernden Beats mit elektronischen Klängen hervor; womit das in Vinyl gepresste Produkt manchmal so gar tanzbar wurde. Jedoch nicht in Form des Disco - Fox oder anderer noch zur Beat - und Pop - Musik - Zeit aktueller Tanzstile, sondern vielmehr als wildes, ektasisch vorgetragenes Umherspringen, mit schlagenden Extremitäten und unkoordinierten Kopf - und Haarschopfschütteln ( neudeutsch: Headbanging ).


" CAN " spielten Stücke, die oft epische Längen einnahmen oder sich im Gegensatz dazu nicht mehr als ein Lückenfüller anhörten. " CAN ", das war solider, rhythmischer, aber auch a-rhytmischer Prog - Rock mit sphärischen Zwischentönen, das waren Gitarrensoli und Percussionseinlagen, das war ein eunuchenhafter Gesang des japanischen Vocalisten Damo Suzuki, ein knallharter Schlagrhythmus des Jaki Liebezeit, ein wummernder oder brummender Kontrabass von Holger Czukay, eine alles zerfetzende Gitarre von Michael Karoli und die von Irmin Schmidt flirrend, zirpenden Töne aus den elektronischen Utensilien, einschließlich der Orgel, was alleinallem ein instrumentales Tohuwabohu von diversen Klangkörpern ergab.

http://de.wikipedia.org/wiki/Can_(Band)

Der ganze Musik-Spuk endete dann nach einer Dekade irgendwann im Jahre 1978, als sich die Gruppe endgültig auflöste. " CAN " war auch viele Jahre nach dem Ende der gemeinsamen Schaffenszeit, Kult unter den " Krautmusikliebhabern ". Längst hatten die vielen Jahre nach dem Erwerb des " CAN " - Albums " Soundtracks ", bei mir jene fünf Musikantennamen in Vergessenheit geraten lassen.
Bis ich am 29.05.2012 - eher zufällig während des Fensterputzens - die Sendung " Corso " von eben jenem - von mir seit jeher mit einer kritischen Distanz besehenen - DLF anschaltete und darin ein Interview mit dem Ex - Gitarristen und Mitbegründer der Formation, Irmin Schmidt, hörte, der an diesem Dienstag sage und schreibe 75 Jahre alt wurde. 75 Jahre sind aller Ehren wert, denn Irmin Schmidt war auch nach dem Abgesang von " CAN " weiterhin im Musikbereich aktiv. Er komponierte nicht nur für " CAN ", sondern auch für andere Künstler; so auch klassische Stücke.

http://de.wikipedia.org/wiki/Irmin_Schmidt

Irmin Schmidt arbeitete häufig auch mit dem deutschen Filmemacher Wim Wenders zusammen
Seine kreativste Zeit aber, verbrachte er bei oder zusammen mit den weiteren " CAN " - Musikern, wozu zeitweise auch:

Malcolm Mooney - Gesang

Rosko Ghee - Bass

Reebop Kwaku Baah - Schlaginstrumente

zählten.


" CAN " war eigentlich keine herkömmliche Musikgruppe, sondern wohl eher ein Experiment, dass dann 1978 beendet wurde.
An diesem Versuch schieden sich bereits bei dessen Beginn die Geister. So kommt es nicht von ungefähr, dass in der Anmoderation des DLF-Redakteurs vor dem Interview mit Irmin Schmidt, ein damaligen Musikkritiker aus der Schweiz zitiert wird, der über " CAN " einen Kübel voller billiger Polemik ausgoß und sein faschistoides Gedankengut in Formulierungen wie: " Sie sitzen auf Stühlen, dabei wäre der Elektrische Stuhl für diese Musiker eher angebracht ", auskotzte. Selbst wenn Musik immer noch eine Frage des individuellen Geschmacks sein sollte, wäre es für den DLF - Freischaffenden angebrachter gewesen, diese, aus dem eigenen Archiv ans Tageslicht gezogene Uralt-Kritik an der Kölner Gruppe " CAN ", zumindest inhaltlich gerade zu rücken, damit nämlich jenes Häuflein an Zuhörern, die zu jener Zeit als die Musik von " CAN " populär wurde, noch Quark im Schaufenster waren, ein unverzerrteres Bild zu dem Realzustand der BRD - Gesellschaft erhalten können. Da reicht es nicht, im Anschluss an jenes Zitat eines intellektuell Umnachteten, eine positive Kritik zum Schaffen von " CAN " einzuflechten.

Das typische Verblödende an den Wortbeiträgen des einstigen, westdeutschen Propagandasenders DLF wird, mehr als zwei Dekaden nach dem Fortfall dessen eigentlicher Existenzberechtigung über deutlich: In dem Wahn der Programmverantwortlichen, dem Postulat der Ausgewogenheit vollends zu entsprechen, verschieben sich die hierzu erforderlichen Koordinaten des politischen Blickfelds, wie von langer Hand geleitet, ständig nach rechts. Sei´s drum!


http://www.dradio.de/dlf/sendungen/corso/1768969/

Irmin Schmidt indes feierte seinen 75. und  erinnerte sich vielleicht an jene 10 Jahre " CAN ", die er entscheidend mit geprägt hatte. Da waren zum Beispiel:

" !9.10 Uhr Natürlich ist´s ausverkauft. War´s schon Tage vorher. Im vollbesetzten Saal ist es so andächtig still, wie beim sonntäglichen Gottesdienst, wenn die Heilige Wandlung zelebriert wird. Obwohl sich hier mindestens 400 Menschen tummeln, und sich in ihren Sitzen räkeln, rauchen, mitgebrachtes Bier trinken und vor allem: kiffen. Trotzdem ist es andächtig still. "

- Zitatende -
Aus: " Die Angst der Feuerwehr vor der Unberechenbarkeit der Sprinkleranlage. Was bei einem Konzert von CAN passieren konnte in: Ulli Engelbrecht / Jürgen Boebers: Licht aus - Spot an! Schlaglichter auf die Musik der 70er Jahre, Essen 1995, S. 39.

Und während der Konzertrezensent sich noch über weitere Besonderheiten zu diesem " CAN " - Auftritt im Herbst 1973 auslässt, die von Haschisch - Wolken versüßte Raumluft beschreibt, den alsbaldigen Abschied des japanischen Sängers Damo Suzuki, der zu den Verbrechern der Sekte " Zeugen Jehovas " konvertierte, bedauert und die technischen Finessen im Zusammenhang mit der musikalischen Darbietung des Kölner Quintetts unter die Lupe nimmt, ohne dabei nicht unerwähnt zu lassen, dass " CAN " inzwischen einen kommerziellen Erfolg verbuchen konnte, als die Formation mit der Titelmusik des verfilmten Krimis von Francis Durbridge " Das Messer ", einen Hit landeten, erinnere ich mich beim Lesen jenes, aus einem Protokoll erstellten Aufsatzes zu dem einstigen " CAN " - Konzert, an das Selbsterlebte im Zusammenhang mit der Gruppe aus Köln.

Da war der ausgeflippte Nachbar, ein junger Mann, so etwa in meinem Alter, der eine Löwenmähne trug, abgewetzte Jeans favorisierte und einen non - konformen Umgang zu seinen Eltern pflegte. Wir nannten ihn mit Spitznamen " Fuchs ". Warum " Fuchs "? Das kann ich so genau nicht mehr sagen. Ich vermute es stand im Zusammenhang mit seiner politischen Gesinnung, denn er war Kommunist. Oder zumindest tat er so, als sei er ein Solcher. " Fuchs´" Eltern kamen irgendwo aus dem Süden der BRD. Ich befürchte, es war Bayern. Sie hatten schon reichlich Lebensjahre auf dem Buckel. Sahen auch so aus: alt, grau, träge. " Fuchs " hingegen war - im Vergleich dazu - dynamisch, chaotisch, freakig. Er setzte sich manchmal einen Lederhut auf, der die Form eines Stenson hatte, aber keiner war. Breitkrempig, mit einer Speckschwarte eingerieben, glänzte er in der Sonne. Oberhalb der Krempe umringte ein Flower - Power - Band aus Stoff das Teil. " Fuchs " war auch ein Musikfan, so wie ich.
Wir saßen Stunden lang in einem von meinen Geschwistern und mir eilends umgebauten Kohlenkeller und hörten aus einer zusammen geklaubten Musikanlage, die aus einem Uralt - Radio, dessen Empfangsteil abgeklemmt war, das als Verstärker diente, einer zusammen gesetzten Box, in der sich zwei Lautsprecher befanden, nämlich ein über dimensionierte Bass und ein Hochtöner, sowie einem von " Fuchs " zur Verfügung gestellten Plattenhobel, den wir provisorisch über die Eingangsbuchse des Dampfradios der Marke " Grundig " verbunden hatten, Beatmusik. Genauer gesagt: Immer dieselben LPs, die ich mir von meiner Ausbildungvergütung, die mir nach Abzug des Kostegeldes in Höhe von 50 DM noch verblieb, inzwischen zugelegt hatte.

Das waren damals: Steppenwolf " At your birthday´s party ", Jethro Tull " Stand up " oder Rolling Stones " Let it bleed ". Eines Tages erschien " Fuchs " mit einem Mädchen bei mir. Er hatte die Flamme wohl über die Mittelschule,die er in Bückeburg besuchte, kennen gelernt. " Fuchs " bat mich, ihm die Platten und den Plattenspieler zu geben, weil er mit der Kirsche zusammen Musik hören wollte. Räusper! Ich habe ihm das vielleicht noch abgenommen, aber meine Heiligtümer in Vinyl her geben? Nee! Er flehte mich dann aber so lange an, bis ich ihm - schweren Herzens - die Hand voll LPs übergab. " Fuchs " dampfte mit der - eher unscheinbar aussehenden - Mitschülerin in das gegenüber liegende Nachbarhaus ab.
An einen anderen Tag danach trafen wir uns zufällig am Gartenzaun. " Fuchs " sah richtig happy aus und erklärte mir, dass er die Platten und den Plattenhobel am Nachmittag wieder bringen würde. Darauf war ich denn doch gespannt. Und tatsächlich, er erschien am späten Nachmittag an der Haustür. Freude strahlend übergab er mir meinen Vinyl - Schatz und hielt dabei noch eine LP von " Jethro Tull " mit dem Titel " This was " in den Händen. Dabei faselte er etwas von Geschenk für mich, das er in Bückeburg bei " Pelzig ", einem Einzelhandelsfachgeschäft für Musikinstrumente, Platten und Fahrräder, gerade gekauft habe. Ich möchte die Platte doch mal unten im Keller abspielen. Gesagt, getan. " Fuchs " ließ bei den " Tull " - Stücken seine wilde Haarpracht wallen. Hätte ich nicht ganz genau gewusst, dass es " Fuchs ", mein Nachbar war, der sich zu dem scheppernden Sound der " Jethro Tull " - Stücke bewegte, ich ich auf dem ersten Blick denken können, es handele sich um den genialen Ian Anderson, den Frontman und Flötisten der Band.

Wir hörten uns die LP bis zum letzten Stück an und beschlossen danach, einen ausrangierten Lautsprecher in das Zimmer von " Fuchs " zu deponieren, daran zwei Stränge Klingeldraht, den ich aus dem Geräteschuppen meines Vaters geholt hatte, anzuschließen und den weiteren Lautsprecher dann mit dem Eingang des Röhrenradios zu verbinden. Am nächsten Tag setzten wir den Plan in die Tat um. Nach einiger Zeit waren die Installationsarbeiten abgeschlossen. " Fuchs " ging in sein Zimmer im Nachbarhaus und wartete. Ich legte eine LP auf den Plattenspieler und hörte zunächst nur das obligatorische Knistern, jenes sattsam bekannte Geräusch, das einen Vinyl - Anhänger zwar nicht unbedingt erfreut, aber längst Kult geworden ist. Dann dröhnte " Tull " los:
" Bam, bam,bam,bam, bam, bamma, bam bam...." knurrte der Bass  von Glenn Cornick bei dem ersten Stück " A new day yesterday ". Anderson sang:

" My first and last time with you
and we had some fun.
Went walking through the trees, yeah! "

" Fuchs erschien sofort am Fenster und jubelte mir, als ich selbst ans Kellerfenster kam, euphorisch zu: " Jaaaaah, es geht! Es funktioniert! Jaaaaah!"

Anderson sang inzwischen weiter:

" And then I kissed you once.
Oh I want to see you soon,
but I wonder how.
It was a new day yesterday
but it's an old day now.
Spent a long time looking
for a game to play.
My luck should be so bad now
to turn out this way.
Oh I had to leave today
just when I thought I'd found you.
It was a new day yesterday,
but it's an old day now. "

Dann hatte es sich zunächst ausge"tullt", denn " Fuchs´" Mutter erschien im Zimmer und beschwerte sich lauthals über den infernalischen Krach aus dem überlasteten Lautsprecher. " It´s a new day yesterday ", so dachten auch wir beide und brachen das Experiment ab.

Einige Tage später trafen wir uns wieder im " Beat " - Keller. Ich hatte Berufsschule gehabt und war deshalb schon gegen 4 Uhr zuhause. In der Schultasche lag meine neuste Errungenschaft: Eine LP von " CAN " mit dem viel sagenden Titel " Soundtracks ". Filmmusik also, von Celluloidstreifen, von denen ich als Provinzei nie etwas gehört hatte:

- " Deadlock "
- " Cream "
- " Bottom "
- " Deep End "
. " Mädchen mit Gewalt ".

Es mag wohl an dem Umstand gelegen haben, dass mir das Stück " Spoon ", welches als Durbridge - Krimi - Titelmusik bekannt war und das ich als Single ständig mit abgeorgelt hatte, als im CVJM - Jugendheim unsere so genannten " Feten " liefen, immer noch gefiel und ich " CAN " zumindest hierüber kannte, und der sagenhaft günstige Preis von 12,90 DM für die Scheibe, dass ich mich zum Kauf entschloss. Fakt war aber auch: Die Songs kannte ich nicht. Woher auch, denn weder im provinziellen Bad Eilser - Umfeld der frühen 70er Jahre, zu dem auch das in einem historischen Gebäude untergebrachte " Kino " zählte, noch in der kleinstädtische Pendant in Bückeburg, das dortige " Residenz " - Kino hat je die oben genannten Filme gezeigt. Deshalb puhlte ich die LP aus meiner Akten - und Schultasche, zeigte sie stolz dem Nachbarn und zog dann die Vinyl - Scheibe aus dem Cover. Eher zufällig legte ich die B - Seite auf, die nur zwei Stücke enthält: " Mother sky " und " She brings the rain ".

Es knisterte nur leicht, kaum hörbar, dennoch störend, dann jagte ein Soundgewitter durch den Raum. Ein hammerharter Bass ließ die Membrane des dicken Lautsprechers beinahe zerreißen oder zumindest an der der Gummidichtung zum Lautsprecher - Korpus kleben. Eine verzerrte, fast Ohrenschmerzen verursachende Gitarre zerfetzte die Bassfiguren. Ein knüppelhart geschlagener Trommelrhythmus erfüllte den " Beat " - Keller, zerpflückt von zirrenden, flirrenden, zirpenden Elektroklängen. Dann setzte die bübchenhafte Stimme des Japaners Damo Suzuki ein und presste das Klangmonster auf die Erde:

" I  say mothers ain't too cool like mother sky,
I say mothers ain't too cool like mother sky,
I say mothers ain't too cool like mother sky,
I say mothers ain't too cool like mother sky.

I say mothers ain't too cool like mother sky,
I say mothers ain't too cool like mother sky,
Tell me for surprise if you're right,
Tell me for surprise if you're right.

Choooooooooo.

I say mothers ain't too cool like mother sky,
Tell me for surprise if you're right
And tell me for surprise of your life,
And tell me for surprise of your life.

Life and mother sky
And mother sky
And mother sky
And mother sky.

I say mothers ain't too cool like mother sky,
Tell me for surprise if you're right,
I say mothers ain't too cool like mother sky,
I say mothers ain't too cool like mother sky.

Talking to this end,
Talking to this end,
Talking to this end.

Shalaloooooooooo. "

" Fuchs " flippte völlig aus. Wie in Ekstase, wie im " Afri - Cola - Rausch ", wie eine wild gewordener Staubbesen aus den piefigen - miefigen 50ern, schüttelte er seine Löwenmähne hin und her. Immer wieder, Minuten lang - " I say mothers ain´t too cool like mother sky....." Damo Suzuki sang und sang und sang dieses immer wieder; bis das Klangwolkengebilde in sich zusammen brach und er leise vor sich her hauchte: " Choooooooooo...."

Nach 14 Minuten und 30 Sekunden war der ekstatische " Fuchs " ausgepowert, denn das " CAN " - Stück klang sacht, leise, ruhig aus; driftete ins Nirwana ab und ließ dem ebenso genialen Titel " She brings the rain " Platz.

" Leg noch mal auf!", forderte mich " Fuchs " auf. " Klar, mache ich! ", antwortete ich ihm wohl danach. " Fuchs " wurde " CAN " - Fan, obwohl er aussah wie Ian Anderson von " Jethro Tull ", nur ohne Bart und mit dunkleren, nicht rot-braunen Haaren. " Fuchs " lieh sich die Scheibe aus, weil unsere Lautsprecherverbindung technisch nicht das Wahre war und er den Ärger mit seiner frömmelnden und hinterm Mond lebenden Mutter scheute. " Mother sky " plärrte nun auf seinem Plattenhobel rauf und runter; Tage lang. Irgendwann wollte ich dann meine " CAN " - LP wieder haben. " Fuchs " sinnierte plötzlich nach einer Lösung. Ein Relais zur Regelung der Lautstärke sollte es sein, damit die Rockmusik nicht der Hinterwaldmutter, damit " Mother sky " und all die anderen Juwelen in meinem winzigen Fundus, nicht der Kirchen - Mutter weiter auf den Zwirn gehen; zumal sein jüngerer Bruder, der genau das Gegenteil von dem darstellte, was " Fuchs " verkörperte, nur klassische Musik liebte.Ein angepasster Milchreisbubi eben, der aufgrund von Kinderlähmung, die er bekam, weil seine klerikal - verbohrten Eltern ihn nicht impfen ließen,sein rechtes Bein leicht hinterher zog, ein Schulstreber dafür, mit lauter Einsen auf der Oberschule, dem " Adolfinum " in Bückeburg, der " Fuchs " nämlich ständig als Vorbild unter die Nase gerieben wurde.

Leider zerschlug sich unser Vorhaben, die Lautsprecherleitung technisch zu verbessern, dann nach einigen Tagen. Der permanent besoffene Vermieter, unser Nachbar, der rechts neben uns einen weiteren Gebäudeklotz hoch gezogen hatte, ein Maurer, wie mein Vater, ein Heimatvertriebener aus Ostpreußen, der mit seiner Sippe für dauernde Zwistigkeiten sorgte, hatte die beiden Klingeldrahtadern kurzer Hand aus dem Boden gerissen und " Fuchs " untersagt, die Leitung wieder zu installieren. Das Oberarschloch von nebenan war bereits zu jener Zeit Vorruheständler und ernährte sich tagsüber über wiegend von Sprit, den er bis zur Besinnungslosigkeit am Abend konsumierte. Im Vollrausch hatte er dann die bekannten Ausraster. Einer davon war die illegale Zerstörung unseres Lautsprecheranschlusses.
Wir waren sauer und ich schwor mir, dem versoffenen Scheißkerl es später bei Gelegenheit heim zu zahlen.

" Fuchs ", der " CAN " - Fan mit Anderson´scher Haarpracht zog mit seinen Eltern und den beiden Geschwistern - eine Schwester, die aussah, wie eine Zensi aus Oberunterammergau in Bazi-Land - war auch noch dabei, wenig später bei dem Besuffski aus und wohnte danach in einem Nachbarort. Ich traf ihn noch einige Male in Bückeburg und auf Feten im Jugendheim. Danach verloren wir uns aus den Augen.

Ähnlich verlief die Musikfreundschaft zu einem Wolfgang St., der einige Straßen entfernt, in Bad Eilsen auf einem Bauerhof wohnte. Wolfgang war Technik - Freund und hatte zu jener Zeit, als " CAN " Musik am Fließband produzierte, die Doppel - LP " Tago Mago " für 29 DM gekauft. Wir trafen uns einige Male, um die Scheibe bei ihm zu hören. Wolfgang besaß zwei Verstärker mit jeweils 140 Watt von " Quelle Universum ", vier Dual - Boxen zu je 100 Watt und ein selbst zusammen geschustertes Mischpult, das aus Bausteinen, die er bei " Völkner Elektronik " per Versand bestellt hatte, bestand.

Wolfgang legte nun die erste Scheibe aus dem Doppelalbum von " CAN " auf seinen teuren " Dual " - Plattenspieler auf, setzte den " Lenco Clean " - Arm auf die Einlaufrille der Platte und ließ den gedämpften Tonarm herunter gleiten.
" Paperhaus ", so heißt das erste Stück auf der " CAN "´schen LP. Ein über Siebenminutenstück. Es folgten " Mushroom " mit knapp vier Minuten und " Oh yeah ", das ebenfalls sieben Minuten Spielzeit vorweist. Dann war die A-Seite der 1. Scheibe zu Ende.
" Na, ja, nicht unbedingt mein Geschmack. ", dachte ich mir.
Wolfgang merkte dieses und legte postwendend die B - Seite der 1. Platte auf. " Halleluhwah ", so heißt der Titel. Ein fetziger Rhythmus knallte aus den vier Boxen. Wolfgang gab jetzt richtig Gummi und drehte weiter auf. Ein Beben durchzog den Raum. Wummernde Bässe, krachende Schlaginstrumente und ein zirpendes Tongemisch entlud sich aus den vier Boxen.


Plötzlich stand Wolfgang´s Stiefvater in der Tür. Ein Gnom von Statur, allenfalls 1,60 m und schmächtig, aber aktiver Landwirt. Er nuschelte und krächzte Etwas, was ich wegen den Höllen - Lärm von " CAN " sowieso nicht verstand. St. wohl auch nicht und deshalb pegelte der, als das Männlein ein paar Schritte auf uns zu kam, den Lautstärkeregler des Mischpults herunter und schrie: " Los, raus!" Der Zwerg machte auf den Hacken kehrt und schlug die Tür hinter sich zu, als er den Raum von Wolfgang verließ.
Der grummelte irgendetwas von " Idiot " oder so und drehte wieder auf. Jaki Liebzeit´s hämmernder Schlagrhythmus füllte den großen Raum: " Dadadatatadatatat!....", krachte es aus der Anlage. Dazu sang Damo Suzuki einen Text, den ich auch Jahrzehnte danach nicht verstand:

" Did everybody see this snowman standing in the wind alone?
When mother did that, pick his head and you're feeling sleepy at
It's my recording, stitch remain but I record in his head
Knowing that too big mouth, oh, ice can flow away, no one knows
Oh, shadow coming out while I call the story, storey that
Oh, sample all about spinning that all the time
My powers strike me out, did I slip this thing on their life?
And my god buying out, oh, it gets me inside

Searching for my brother, yes, I am
Searching for my brother, yes, I am
Searching for my brother, yes, I am
Searching for my brother, yes, I am

Did you see the day? Every fever may I search in
We can find now harder steam, change his kind, fly away

Oh, they're all alone there, let me in
Oh, she asked me the first day for my name
So she wasn't going where I was singing
Mushroom head, oh yeah, paperhouse, I went day, first the game
It wasn't a game after this
Moon shadow coming out while I call the story, storey that
Oh, it's all about spinning that all the time
Shoot all the proof and lust and shout and it's all, just you sow
Shoot all the proof and lust and shout and it's all, just you sow
Shoot all the proof and lust and shout and it's all, just you sow
Shoot all the proof and lust and shout and it's all, just you sow

Searching for my brother
Searching for my brother, let him, let him, let him up
Searching for my brother, let him, let him, let him up
Searching for my brother, let him, let him, let him up
Searching for my brother, let him, let him, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up

Ash you and the hills are blue and she's so
Got my fever, why do I go? Got my fever, why do I go?
Got your soles into your shoes
Got my fever, why do I go? Got my fever, why do I go?
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up
Lalalalalalalalalala, let him up "

Ein klasse Song. Eine Ohrenweide für den Hardrock - Liebhaber. Dann das eingestreute Wah-Wah - Pedal - Spiel von Michael Karoli. Spitze! Das war mein Geschmack! Das ist aber auch " CAN ". Musik aus dem Experimentierkasten. Sound - Collagen vom Allerfeinsten. Tanzbar! Na klar! Damals schon!

Nun, die anderen drei Stücke, die Wolfgang mir von der DLP kredenzte, nämlich waren zum Teil in ähnlich epischer Länge, wie das 18:32er Stück " Halleluhwah ":

" Aumgn " auf der A - Seite der 2. Scheibe hat eine Spielzeit von 17: 22, " Peking O " auf der B - Seite von 11:35 und der letzte " CAN " - Titel auf diesem Album " Bring me coffee or tea " immerhin noch 6: 47.
Dann hauchte " Tango Mago " sein Leben in der Stuwe´schen Großanlage aus. Ich war beeindruckt. " Halleluhwah ", aller erste Sahne: " Wah,wah,wah,wah, wah,waaaaaaaah,waaaaaaaaah, waaaaaaaaaah!"


Die Jahre verflogen. Ich hatte keinen Kontakt mehr zu dem Bauern - Stiefsohn Wolfgang, zumal der sich später noch in der Junge Union engagierte. No - Go for me. Die Schwarzen auch noch! Never!
Als ich die Provinz verließ gehörte nur eine " CAN " - Scheibe zu meiner Sammlung. Auch später wurden es nicht mehr. Warum eigentlich?
Na, vielleicht, weil " CAN " - Musik sich nicht klassifizieren lässt. Kein Hardrock, kein Jazzrock, kein Pop. Schon gar kein 70er Jahre Mist a´la´" Sweet ", " Suzi Quadro ", " Bay City Rollers ", " Smokie " oder den Dreck von " ABBA " aus Schweden.

Erst vor 10 Jahren kaufte ich mir beim " PRO " - Markt in Bremen - Huchting das " CAN " - Album " Tango Mago " und jagte die Stücke durch meine 2 x 200 Watt Anlage mit den " Elac " - Boxen und dem Klotz von " Toshiba " - Verstärker.
" Wah, wah, wah, wah, wah, wah, waaaaaaaaaaaaaah, waaaaaaah, waaaaaaaaaaaaaaah!"

Zurück zum Konzert im Herbst 1973, irgendwo in Westdeutschland:
" 19.55 Uhr
Die Rauchschwaden verdichten sich. Würde man sie mit einem Messer schneiden können, ließen sich diese Blöcke durchaus als gemütliche Sitzgelegenheit für jene Zuhörer nutzen, die keinen Platz mehr bekommen haben und sich einfach auf den Boden legen. Als die Saalbeleuchtung ausgeschaltet wird, teilt sich der blutrote Vorhang......"

- Zitatende -
Aus: a..a.O., S. 40 -

" 20.10 Uhr
Czukay, der Bassmann, streift sich seelenruhig weiße Glacierhandschuhe über, packt sich energisch seinen Rickenbacker - Baß und ploppt ein monotes Riff. Erst fahrig, dann immer konzentrierter. Schmidts Orgel schaltet sich mit Rückkopplung dazu. Karoli kniet vor seinem Echo/Hall - Gerät, gleicht die Effektstärke mit der Lautstärke seiner Gitarre ab, während Liebezeit noch sehr verhalten, aber bereits mit Nachdruck die Felle seines Miniatur - Sets bearbeitet. "

- Zitatende -
Aus: a.a.O., S. 40

" 2014 Uhr
... Die Saaltüren öffnen sich nochmals, die Feuerwehr kommt herein: zwei Herren in Blau mit Walkie - Talkie. Sie streifen aufmerksam an den Sitzreihen entlang, bleiben hier und da stehen. Schnüffeln. Schauen. Und setzen sich dann nach ganz hinten. "

- Zitataende -
Aus: a.a.O., S. 40

" 20. 20 Uhr
Auf der Bühne bringen sich Can in Fahrt. Eine Improvisation über das Stück Future Days wird´s wohl werden..... Die Musik muß kontinuierlich fließen. Dann wird sie zu einem feingesponnenen Klanggeflecht. "

- Zitatende -
Aus: a.a.O., S. 40

" 20.25 Uhr
Kopf und Oberkörper vieler Zuhörer bewegen sich synchron zum starren Rhythmus. Eine vollkommene Einheit. Wir werfen nur zu gern unsere Gefühle auf den Gepäckwagen des Melodienzuges, den die Can steuern. Die Orgel kreißt.... Damo windet sich, quält sich glutturale Laute heraus, röhrt und röchelt, als wäre er nicht von dieser Welt...Michael tanzt dahinter, zerrt und zupft an seiner Klampfe... Handschuh-Holger hängt mit krummen Rücken vor seinem Verstärkerturm, stiert mit verklärten Augen ins Nichts und treibt unaufhaltsam Jaki, den Drummer, an.
-
 Zitatende -
Aus: a.a.O., S. 40/41

" 20.50 Uhr
Die Feuerwehr, schon etwas altere Semester, kann diesem sehr sinnlichen Konzert - Ereignis offenbar nichts abgewinnen. Man sitzt steif auf den Stühlen. Der eine gähnt und guckt auf die Uhr, der andere liest Jerry Cotton und kratzt sich mit einer Hand dauernd am Bein. Trotzdem sind sie auf der Hut, drehen häufig ihre Köpfe, blicken den Rauchschwaden hinterher, dann hoch zur Decke, zur Sprinkleranlage, dann wieder zur Bühne. "

- Zitatende -
Aus: a.a.O., S. 41

" 21.00 Uhr
Plötzlich springt einer auf, rudert hektisch mit den Armen...

21.05 Uhr
Can bleiben unbeeindruckt von den hektischen Rennen und Rufen der Blauen.

21.13 Uhr
Als würde man aus diesem tiefen Schlaf gerissen, werden Zuhörer aufgeschreckt...
Das Publikum ist noch zu benommen, um phonstark zu protestieren, kommentiert aber die Feuerwehraktion mit spitzen Pfiffen....
Mit gurgelnden Geräusch bricht die Stromanlage zusammen.
Der mit dem Funkgerät schiebt Suzuki zur Seite, entschuldigt sich kleinlaut beim Auditorium: Tut mir leid, daß wir das hier unterbrechen müssen. Aber ihr müßt sofort mit dem Rauchen aufhören, sonst geht gleich die Sprinkler-Anlage los. Das müßt ihr verstehen. Tut mir echt leid!"

21.18 Uhr
Jetzt werden die Buh-Rufe lauter.

21.10 Uhr
Die Musiker stehen irritiert und unschlüssig in ihrem Instrumentarium herum....
Und plötzlich heißt es lapidar:
" Wir spielen noch ein bisschen Spoon, und machen dann Schluss. Wir können uns nicht mehr konzentrieren....

21.40 Uhr
Und obwohl - was eigentlich jeder verstehen kann - jetzt alles vorbei, und kein echtes Can-Konzert mehr zu erwarten ist, legt das Quintett nun wie eine richtige Rockband los. Knappe zehn Minuten gönnen sie sich für ihr Gimme A Spoon in The Afternoon, zerreißen das Thema, kippen die Logik..."

- Zitatende -
Aus: a.a.O., S. 42

" CAN " kennt heute niemand mehr, es sei denn, er gehört zu denjenigen Auserwählten, die einst in eines ihrer legendären Konzerte hinein kam, die beinahe 3 Stunden Klangteppich erlebte und sich danach fragte: War es Musik aus einer anderen Welt? So, wie ich einst vor 40 Jahren.





Irmin Schmidt wurde am Dienstag 75 Jahre alt. Ein Veteran der experimentiellen Musik; Jaki Liebzeit durfte drei Tage vorher seine 74. begehen; er ist gebürtiger Dresdner. Und so schließt sich irgendwie der " CAN " - Kreis wieder. " Halleluhwah, gimme a spoon in the afternoon and bring me coffee or tea!"

Kommentare

Anonym hat gesagt…
aber sicher kenn ich can! auch wenn ich erst recht spät draufkam....absolut abgefahrene musik TOP!!!

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