Freiwild und Ausbeutung



Heute Morgen hörte ich auf dem Nachrichtenkanal des MDR, dass zum Beginn des Ausbildungsjahres am 1. August  2017 noch mehrere Tausend Plätze in vielen Betrieben und Einrichtungen unbesetzt sind. Diese Meldung gehört seit einigen Jahren bereits zum Standard in der Jahreszeit, weil es der sehr gut florierenden deutschen Wirtschaft nicht nur sehr gut geht, sondern auch Ausbildungsstellen in rauen Mengen angeboten werden.

Das war einige Jahre nicht der Fall. Da gab es einen angeblichen Mangel an Ausbildungsplätzen. Da durfte ein Interessent schon mal locker 50 bis 100 Bewerbungen schreiben und bekam genau so viele Absagen mit der Floskel " Wir bedauern sehr... und wünschen Ihnen für die berufliche Zukunft alles Gute. "
Diese Heuchler!

Dann gab es wiederum eine andere Zeit, in der viele Bewerber auf viele Ausbildungsplätze, die da noch Lehrstellen hießen, untergebracht werden mussten. Die Geburten starken Jahrgänge der Nachkriegsjahre, die bis weit in die 1960er hinein verzeichnet wurden, drängten nach der Volks - oder Realschule auf den Ausbildungsstellenmarkt. Das Angebot war vormals enorm. Allerdings bezogen auf eine überschaubare Anzahl von Berufen. Das galt auch für jenen Zeitraum, in dem ich meine kaufmännische Lehre durchgestanden habe, nämlich 1969 bis 1972.

Damals war deshalb aber nicht Alles besser - ganz im Gegenteil -, sondern Vieles vollkommen anders. Wer einen Ausbildungsberuf ergreifen musste, weil er kein Studium aufnehmen konnte, machte sich sehr wohl Gedanken und auch große Sorgen, darüber, was da auf den Auszubildenden zukommen konnte. In der Regel nichts Gutes, wie der " SPIEGEL " in seiner Ausgabe 18 /  1970 zu berichten wusste ( http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45439797.html ). Und - so als Sahnehäubchen auf den braunen Gesellschaftssumpf oben drauf - gab es noch die volle achtzehn  - fünfzehnmonatige Barras - Knechterei für die westdeutschen Herren der Schöpfung, so weit sie als tauglich eingestuft wurden. Dieses waren nahezu 90 % eines jeden Jahrgangs.

Dann wurde - zumindest in Westdeutschland - das Schul - und Ausbildungswesen reformiert. Dass dabei nicht immer der große Wurf gelang, dürfte selbstredend sein. Doch immerhin gestanden die reformeifrigen Politiker den jungen, auf das künftige Leben vorzubereitenden Menschen nun auch Rechte zu. Während die einstigen Nazis mit ihren prä - historischen Erziehungsmethoden sukzessive zurückgedrängt wurden, setzte sich damit auch ein liberalerer Zeitgeist durch.

Doch, ob nun duales Ausbildungssystem oder Ausbeuterei, ausbildungsfremde Tätigkeiten und abartiger Umgang mit den Lehrlingen, die im Reformvokabular nun Auszubildende heißen durften und nicht mehr abfällig zu " Stiften " degradiert werden konnten, oder die unzähligen Umsetzungen sozial - liberaler Berufsschulpädagogik mit der ein eher noch unreifer und vor allem unwissender Jugendlicher dann konfrontiert wurde, schlussendlich hängt dieses alles auch mit dem Rüstzeug aus dem Elternhaus zusammen.

Da mögen diese zu meiner Zeit mehr fordernd, denn fördernd eingewirkt haben, Fakt ist aber auch: In diesen Jahren brachen nicht einmal 5 % der Lehrlinge die Ausbildung ab. Allerdings bestanden zirka 10 % die Prüfungen nicht.
Während ich mir die Meldung des MDR noch in Erinnerung behielt, in der von einer Abbrecherquote in einer Reihe von Ausbildungsberufen bei 25 und mehr Prozent die Rede war, stellte ich mir die Frage nach dem Warum.

Mal Hand auf das Herz für die Jugendlichen von heute, aber dass jeder Vierte in den Sack haut, nur weil er den Ausbildungsplatz als extrem belastend oder die Anforderungen als zu hoch ansiedelt, spricht dann eher für die Einstufung dieser jungen Menschen in die Kategorie der Warmduscher?

Vor mehr als 48 Jahren begann ich am 1. April 1969 meine kaufmännische Ausbildung in Bückeburg. Bis zum Spätherbst prügelte ich dazu mein Sportfahrrad mit " Torpedo " - Dreigangschaltung und zusätzlichen Tachometer über die Schlaglochstrecke der B 65 in Richtung Bückeburg. Für die knapp 7, 5 Kilometer bis zur Ausbildungsstelle benötigte ich dabei eine Viertelstunde. Später fuhr ich mit dem brechend vollen Bus vom Bad Eilser Ostbahnhof bis zur Schulstraße. Die zusätzlichen Wege dorthin und von da zum Ausbildungsbetrieb lief ich zu Fuß.

Nun, den Beginn der Ausbildungszeit empfand ich als einen Neustart nach der Volksschule, als eine andere Herausforderung, auf die ich mich zunächst freute. Pfeifend stieg ich auf mein Rad und jagte die Feldstraße herunter. Monate später pfiff ich nicht mehr, sondern hoffte, dass ich die Prüfung schaffen werden, damit diese Leerzeit endlich vorüber geht.

" DER SPIEGEL " hatte mit seinen Aussagen von vor 47 Jahren den berühmten Nagel auf den Kopf getroffen. " Lehrzeit = Leerzeit "; und " Idiot ", " fauler Sack " und " Trottel " gab es dann und wann auch zu hören. Getreu dem Gusto: " Stifte " sind Freiwild und Lehrlinge dienen den Betrieben zur Ausbeutung der Arbeitskraft, die nämlich sehr billig war.

Dazu etwas nicht krautiges aus unserem konkurrierenden Nachbarland, den Niederlanden, ein Jahr nach der WM - Schmach der Brüdern und Schwester in der westeuropäischen Ebene:

" Morning Sky " und die " George Baker Selection " - 1975:


Schön zum Mitpfeifen, besser noch Klatschen!





                                                                     


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