Der Niederrhein - schreibt er eigene Geschichten? - Teil I







Es war irgendwann im Herbst 2007, als auf 3sat eine Fernsehdokumentation über eine Landschaft zum wiederholten Mal ausgestrahlt wurde, die ich eigentlich bisher nie so richtig wahr genommen hatte. Der Niederrhein ist ein Region voller Widersprüche, Gegensätze und lebendiger Historie. Da gibt es die Zentren: Duisburg, Krefeld,Mönchengladbach,Moers Neuss,Wesel. Letztere Stadt zeichnet sich als bekannter Punkt im nördlichen Bereich des Niederrheins aus. Jenes Gebiet, dass mit Geldern, Goch, Kaevelar,Kleve, Emmerich und dann Dinslaken, den ländlichen Teil des Niederrheins skizziert. Eine Region mit Mooren, Wiesen, Feldern, geraden Alleen und Kopfweiden. Diese typischen Merkmale sind auch in der WDR-Reportage von 1996(?) sehr oft zu sehen. Eine Dokumentation über die nördlich belegenen Landschaften des Niederrhein. Sie waren einst das regionale Agrargebiet, dass das Ruhrgebiet mit versorgen konnte. Sie waren nur dünn besiedelt, nur von den Agrariern bewohnt. Der dort ansässige Menschenschlag ist erdverbunden, ist Heimat treu, konservativ und katholisch. Eine knorrige Mischung aus allen Attributen tritt bei den wenigen Bauern zu Tage, die dort noch wirtschaften. Es gibt überwiegend jene größeren Höfe, die sich spezialisiert haben - es mussten. Milchwirtschaft, Vieh, wie Schweine, Hühner,Gänse, Spargelanbau, Raps, Kartoffeln, Getreide.

Die meisten der einstigen Höfe haben längst aufgeben müssen. Die Argrarkrisen seit den 60igern haben sehr viel Gehöfte dahin gerafft. Sie sind entweder umgebaut worden oder stehen leer. Die jüngeren Leute, die Töchter und Söhne sind längs weg gezogen - der Arbeit nach. Die Region wird zudem noch zum Naherholungsgebiet umfunktioniert. So ist es vielen Gebieten nach den 60igern ergangen. Die Kamera schwenkt über verwaiste Felder, Wiesen im Morgennebel, kleine Bäche fließen dampfend daran vorbei. Einige schwarz-weiß gezeichnete Kühe stehen dort und grasen. Wie lange noch? Die Kamera zeichnet ein düsteres Bild, nicht bedrohlich, jedoch für den neutralen Betrachter schon unwirklich. Er fragt sich sofort, welche Menschen dort überhaupt noch leben, noch existieren können. Die Sprecherin sprenkelt Kaskaden artige Sätze in die Filmabläufe hinein. Kurze Stakkatos über eine verlassene Landschaft in einem Krisen geschüttelten Land, einer ausblutenden Region, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.
Die milchig-trüben Sequenzen bleiben. Sie zeichnen die Kopfweiden an den Wiesen und Mooren, die unbebauten Gebiete und lange, nicht asphaltierte Wege sowie jene typischen Alleen mit den schon fast Laub losen Bäumen ab.

Es folgt ein Schnitt. Die Kamera schwenkt auf die Silhouetten einer Kleinstdt, die sich aus dem dunstigen Hintergrund nur schemenhaft erkennen lässt. Vielleicht handelt es sich um eine der wenigen, auf den üblichen Straßenkarten eingezeichneten, Zentren. Die Kamera verliert sich in der , bis zum Horizont verlaufenden Grünfläche, um dann wieder auf den eigenen Standort, der sich auf einem Wirtschaftsweg befindet, zurück zu kehren. Die nächste Einstellung verharrt in dem Bild von Gras, Weiden und Kühen, die in dem Dunst deutlicher zu erkennen sind, als zuvor die Gebäude der Stadt.
Die Sprecherin ergießt sich in lyrisch - prosaischen Formulierungen über die Bedeutung der Region als einstige Speisekammer des Landes Nordrhein-Westfalen. Das ist sehr lange her. Es lässt sich nur erahnen, dass es den Menschen in diesem ländlich geprägten Teil des Einwohner reichsten Bundeslandes zu damaliger Zeit besser gegangen ist. Sie waren als Landwirte tätig oder haben sch in der Landwirtschaft das notwendige, das zum Überleben erforderliche Geld verdient.

Dann kam in den 60igern die Argrareform untr der Adenauer-Regierung. Der erste große Einschnitt erfolgte zum 01.01.1962, als mittels einer Vielzahl von Gesetzen die bäuerlichen Strukturen neu bewertet wurden. Die Einkommen sollten angeglichen werden, die Gleichstellung von Bauern mit Freiberuflern und Angestellten sowie Arbeitern erfolgte postum. Dennoch blieb die Agrarpolitik bei der ursprünglichen Förderung der Betriebe, die überwiegend als Familienbetriebe definiert wurden. Erst in den 80er Jahren musste die Politik davon Abstand nehmen. Der supranationale Gedanke des Vereinigten Europa duldete eine säkulare Agrarpolitik, die auf lobby-ähnlicher Förderung bestand. Diedann 1992 verabschiedete und 1995 bis 1996 umsetzten Bestimmungen der EU, bedeuteten für weitere, noch verbliebene Familienbetriebe und Höfe das endgültige Aus.

So traf es eben besonders jene Regionen innerhalb des wiedervereinigten Deutschlands, die über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte landwirtschaftlich geprägt blieben. Dazu zählt auch der Niederrhein. Der Tod kam also schleichend, er kehrte in jene Höfe ein, die noch traditionell geprägt und geführt waren. Kleinst - und Kleinbetriebe, deren Überlebenschancen nicht mehr gegeben waren. Sie starben, so wie ihre einstigen Eigentümer.

Schnitt: Die Kamera zeigt einen Viehtransporter, der von einem wohl proportionierten Mann auf einen herunter gekommenen Hof gefahren wird. Es erscheinen ein älterer Bauer und seine fast gleich alte Frau. Kühe werden über eine Rampe auf das Gefährt hoch getrieben. Eine schwarz-weiße Milchkuh folgt der anderen. Insgesamt 8 Tier, die verladen werden. Es dauert einige Zeit,dann geht die Verladeklappe nach oben, wird verriegelt. Der Viehhändler, als solche wird er wohl zu sehen sein, nimmt ein großes Bündel mit Geldscheinen aus seiner Tasche. Er öffnet den zusammen gebundenen Haufen, zählt laut vor: 500, 1.000, eins, zwei, drei, vier , fünf - 1.500 usw. Bei 8.000 Deutsche Mark ist Schluss. Ein kurzer Händedruck mit dem Bauern, ein höfliches Hand geben bei dessen Ehefrau, bei der die Tränen an beiden Wangen entlang laufen - ungehemmt,jedoch gewollt - dann steigt er, erneut sich verabschiedend, für immer in den Viehtransporter. Das Ziel bleibt ungewiss. Es könnte der Schlachthof sein, ein anderer, größerer Hof, das Ausland? Zurück bleibt das Bauern-Ehepaar. Bedrückt, die Frau immer noch schluchzend und weinend. Das war´s!

Vielleicht ist diese Szene bezeichnend für den schleichenden Niedergang einer ganzen Region, eines Bundeslandes oder der BRD selbst, vielleicht kann sie aber auch die gnadenlose Realität des " sich verändern müssens " in den wenigen Minuten Film erklären, die erforderlich für einen anschliessenden Neubeginn sein können, aufzeigen. Nichts ist unendlich und alles hat doch einen Sinn, so würde es der Liedermacher Reinhard Mey besingen, wenn er von dem letzten Drittel eines erfüllten Lebens singt. Es bleibt dahin gestellt, ob das Leben des Landwirts und dessen Ehefrau bis dato erfüllt gewesen war. Es bleibt auch offen, ob die Kinder - wenn sie welche haben - es bereits vor vielen Jahren erkennen mussten, dass Landwirtschaft im traditionellen Sinne keine Zukunft hat. Es kann sein, dass sie deshalb bei Zeiten den Hof verlassen haben, um in der Fremde ihr Glück zu suchen. Es ist allerdings auch möglich, dass das Ehepaar kinderlos geblieben ist und die Arbeit auf dem Hof eh nichtmehr zu schaffen gewesen ist, das Alter eben seinen Tribut verlangt und sie deshalb aufgegeben haben. All diese Fragen kann, will oder muss jener Film über den Niederrhein auch nicht beantworten. Er regt zu Nachdenken an. Was ist Leben? was bringt Leben? Was lässt Leben noch übrig, wenn das einst aufgebaute Fundament, das Lebenshaus oder sein Dach zusammen bricht?

Die letzten Sequenzen gehören der Landschaft, dem Vater Rhein, der sich schmutzig braun, durch die triste Landschaft schlängelt und dieses Gebiet bis zur niederländischen Grenze zerteilt, um dann selbst seine Identität an die große Nordsee zu verlieren. So hat jeder Mensch auch eine Bestimmung, die er mehr oder weniger durch eigenes Handel versucht auszufüllen. Wäre der Bauer vor vielen, vielen Jahren weggezogen, hätte er sich diese Niederlage der Berufsaufgabe erspart.
Es ist auch gut möglich, dass eben jener Landwirt danach ökologisch angebautes Gemüse oder biologisch gehaltenes Geflügel auf einem der unzähligen Wochenmärkte vertreibt und sich somit seine Pensionszahlungen aufbessert. Auch das ist am Niederrhein noch heute weiterhin möglich.

Kommentare

Nikodemus hat gesagt…
Vielen Dank für diesen Beitrag. Als Niederrheiner freut es mich, wenn diese Region einmal Beachtung findet. Auch wenn es dort tatsächlich ziemlich dunstig und feucht ist - im Nebel verschwinden wird die Region so schnell nicht. Es geschieht auch viel. Allerdings steht die ganze Gegend wohl auf ewig im Schatten der großen industriellen Ballungsgebiete. Was nicht immer ein Schaden sein muss.

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