Letztes Lied - Mascha Kaleko und die traurige Wahrheit über den Tod.
Als gestern Abend gegen 21.45 Uhrder ARD-Film " Der letzte schöne Tag " im Abspann über die Mattscheibe flimmerte, blieb bei mir ein bedrückendes Gefühl zurück. Was war die Botschaft dieses sehr eindrucksvollen Beitrags? War es ein Fingerzeig an alle Zuschauer, die den Tod in ihrem eigenen Umfeld selbst kennen gelernt haben? Oder war es nur einfach ein exzellent gespieltes Drama über eine nach außen hin intakte Familie. Düstere Gedanken der Mutter, ständige Depressionsschübe und schließlich der Freitod.
Selbstmord! Nein, der Begriff ist so falsch, wie es eine Umschreibung für ein freiwilliges aus - dem - Leben - scheiden nur sein kann. Was hat eine Selbsttötung mit Mord zu tun?
Bei uns Juristen sträuben sich da sofort die Nackenhaare.
§ 211 des Strafgesetzbuches sagt nämlich:
(1)............................................
(2) Mörder ist, wer
- aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
- heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
- um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
Ein Mensch, der sich selbst tötet kann also kein Mörder sein. Ein kasuistischer Begriff also?Selbsttötung ist nicht strafbar, Mord wohl. Selbsttötung wird dennoch oft bestraft; von der Gesellschaft, in Form der Ächtung der unmittelbaren Angehörigen.
Suizid als letzten Mittel, als Irrweg in einem Irrgarten, der da Leben heißt. Wenn die Selbstzweifel an der eigenen Kraft,dieses - von der Natur geschenkte - Leben nicht meistern zu können, mit jedem Tag größer werden. Wenn die kleinsten Probleme bereits zu einem gigantischen Hindernis mutieren, wenn die Angst im Leben zu versagen, ständig zunimmt, wenn Selbstzweifel die eigenen Gedanken bestimmen und diese blockieren, dann könnten es Depressionen sein, die den Menschen beherrschen.
Suizid als Flucht aus den Depressionen? Als letztes Mittel, den eigenen, den erkrankten Geist zu besiegen? Als Verabschiedung aus dem selbst gewählten Lebensumfeld?
Der Fernsehfilm hatte sämtliche Facetten zu diesem Thema gezeigt. Die Familie, die aus einem Mann und zwei Kindern ( einer pubertierenden 14jähirgen Tochter und einem 8jährigen Sohn ) bestand, war für die depressive Mutter, eine Anästhesistin, nicht Halt genug, um das eigene Leben zu bezwingen.
" Sei mir nicht böse, aber ich schaffe es nicht mehr. ", so lautete die zeitversetzt eingehende Mail auf dem Rechner des Ehemannes, der mit der Trauer und den beiden Kindern und weiteren Problemen zurück gelassen wurde.
Alle drei müssen daraufhin weiter funktionieren. Stärke zeigen gegenüber den Großeltern, den Eltern des Mannes, der Großmutter, der Schwiegermutter und den anderen Verwandten, Freunden, Nachbarn.
Das gelang nicht immer. Die bohrenden Fragen bei der polizeilichen Ermittlung. Die Routine bei der Vorbereitung der Beerdigung. Das finanzielle Chaos, dass der Freitod der Frau und Mutter hinter läßt. das Alles muß verkraftet, bewältigt und durch gestanden werden.Jedes Familienmitglied versucht den Schmerz, die Trauer, die Ohnmacht, Unwiderrufliches nicht widerruflich zurück zu holen, auf seine Weise.
Der Sohn, ein Schüler, der in seinem Freundeskreis, in der Schule, beim Fußball, nicht nur Zuspruch erfährt. Die Tochter, die sich ihrer Freundin immer wieder anvertraut, die in einigen Sequenzen stark wirkt, als sie ihre tote Mutter noch einmal sehen möchte, dann fest stellt, dass diese geschminkt wurde und mit den Worten: " Mutti hat sich nie geschminkt! ", der Toten den Lippenstift vom Mund abwischt. Die da helfende Nachbarin als Konkurrenz zu der verstorbenen Mutter und Gefahr für ihren Vater sieht und diese weg beißt. Die dann aber später zusammen bricht und auch Weinkrämpfe bekommt.
Der hinterlassene Mann bleibt nicht immer stark. Wie sollte, wie kann er es auch sein? Der Tod seiner Frau kam aus dem Nichts und endete für ihn in dem Nichts. Keine Zeit zu trauern, weshalb er aus dem Job, den er dringend für die Bestreitung des Familienunterhalts benötigt, heraus bricht und spontan zu jenem Waldstück fährt, in dem sich die eigenen Frau selbst getötet hat. Er sieht sie in einigen Momenten wieder vor sich. Eine Fata Morgana, eine gedankliche Halluzination, ein Phantombild, dass er selbst produziert.
Die eigene Schwester hilft. Sie übernimmt für einige Zeit den Part der Verstorbenen. Sie organisiert auch die Trauerfeier. Diese findet - nachdem die Staatsanwaltschaft den Leichnam nach der Obduktion frei gegeben hat - auf einem Friedhof statt. Das Grab, in dem der Sarg hinab gelassen wird, die gestelzten, herunter gebeteten Worte des Pfarrers, die üblichen Beileidsbekundungen. Alles scheint routiniert abzulaufen. Keine Tränen der Trauer bei den Trauergästen, nicht bei dem Mann und den beiden Kindern.
Plötzlich tritt die Schwester aus der Gruppe hervor, zieht ein Blatt Papier aus der Jacke und trägt ein Gedicht vor: Dieses hörte sich für mich phonetisch so an:
" Letztes Lied "
von Mascha Kaleko:
" Ich werde fortgehn, Kind.
Doch Du sollst leben
und heiter sein.
In meinem jungen Herzen
brannte das goldene Licht.
Das hab´ich Dir gegeben.
Und nun verlöschen meine Abendkerzen.
Das Fest ist aus,
der Geigenton verklungen.
Gesprochen ist das letzte Wort.
Bald schweigt auch sie,
die dieses Lied gesungen.
Sing Du es weiter, Kind,
denn ich muss fort.
Den Becher trank ich leer,
im raschen Zug.
Und weiß,wer davon kostet,
muss sterben.
Du aber, Kind,
sollst erben.
Und all den Segen,
den es in sich trug.
Mir war das Leben
wie ein Wunderbaum
von dem in Sommernächten Psalmen tönen.
Nun sind die Tage
wie ein geträumter Traum.
Und alle meine Nächte,
alle Tränen.
Und war es froh.
Mein Herz war so bereit.
Und Gott war gut.
Nun nimmt er alle Gaben.
In Deiner Seele, Kind,
kommt einst die Zeit.
Soll, was ich nicht erlebt,
Erfüllung haben.
Ich werde still sein,
doch mein Lied geht weiter.
Gib Du ihm Deinen klaren, reinen Ton.
Du sei ein großer Mann,
mein kleiner Sohn.
Ich bin so müde,
aber Du sei heiter.
Schon bei den ersten Strophen bricht es aus dem hinterbliebenen Mann Lars heraus. Jetzt steigt in ihm der zuvor unterdrückte Schmerz auf und entlädt sich eruptiv, indem er aus der Trauergemeinde ausbricht und auf einer nahe gelegenen Wiese sein ganzen Gefühle heraus schreit.
Maike, seine Tochter, hatte im zuvor an den Kopf geknallt:: " Neue Partnerin gesucht? ", als die Nachbarin einige Male im Hause unterstützend auftauchte.
Der Leichenschmaus, das eigentlich Perverse an der Trauerfeier, wird bestimmt von dem alten, den ranzigen Gesprächen der Alten, die an diesem Tag auch anwesend sein mussten. Es wird gelästert und gestichelt über die Tote. Sie sei schwierig und komisch gewesen. Der Witwer Langhoff geht darüber weg. Redereien und dummes Gewäsch bringen seine Frau Sybille auch nicht zurück.
Der Film endet mit einer Aussprache der drei Verlassenen. Sie kommen zu der Erkenntnis, dass sie als Familie noch enger zusammen rücken müssen.
In dem anspruchsvollen Beitrag wirkten mit:
Lars Langhoff | Wotan Wilke Möhring |
Maike | Matilda Merkel |
Piet | Nick Julius Schuck |
Sybille Langhoff | Julia Koschitz |
Ruth | Lavinia Wilson |
Petra | Natascha Paulick |
Brunos Mutter | Katalyn Bohn |
Notarzt | Martin Horn |
Bestatter | Jörg Reimers |
Lehrerin | Regine Schröder |
Georg | Martin Armknecht |
Der Tod kann viele Gesichter haben. Er kann sich gegenüber den Lebenden und Miterlebenden als Unfallereignis zeigen, wenn ein junger Motorrollerfahrer von einem PKW erfasst und viele Meter weit durch die Luft geschleudert wird, um dann mit zerschmetterten Schädel im Rinnstein liegend noch das Wort " Mama " über die Lippen zu bringen, ehe er verstirbt.
Er kann in Gestalt eines auf der Autobahn A 1 hinter Hamburg um morgens 3.30 Uhr liegenden Mannes, dessen Beifahrer wenige Meter davon entfernt mit ebenfalls aufgeplatzter Schädeldecke auf der Fahrbahn liegend, röchelnd, Blut spuckend,erscheinen, um sich dann zu verabschieden, nicht ohne, dass ein heran nahender PKW den linksseitig aufgeschlagenen Körper noch überrollt.
Er kann als halb verwester Körper in einer Junkie-Bruchbude, bereits mehr als 6 Wochen dort liegend, sich zeigen und den Hinterbliebenen neben hohen Beerdigungskosten auch noch sonstige Unannehmlichkeiten bereiten.
Der Tod gehört zum Leben, wie das letzte Lied zum Tod; auch wenn der Freitod feige ist:
" Ich werde fortgehn, Kind. Doch Du sollst leben Und heiter sein. In meinem jungen Herzen Brannte das goldne Licht. Das hab ich Dir gegeben, Und nun verlöschen meine Abendkerzen. Das Fest ist aus, der Geigenton verklungen, Gesprochen ist das allerletzte Wort. Bald schweigt auch sie, die dieses Lied gesungen. Sing Du es weiter, Kind, denn ich muss fort. Den Becher trank ich leer, in raschem Zug Und weiß, wer davon kostete, muss sterben … Du aber, Kind, sollst nur das Leuchten erben Und all den Segen, den es in sich trug: Mir war das Leben wie ein Wunderbaum, von dem in Sommernächten Psalmen tönen. – Nun sind die Tage wie ein geträumter Traum; Und alle meine Nächte, alle – Tränen. Ich war so froh. Mein Herz war so bereit. Und Gott war gut. Nun nimmt er alle Gaben. In Deiner Seele, Kind, kommt einst die Zeit, soll, was ich nicht gelebt, Erfüllung haben. Ich werde still sein, doch mein Lied geht weiter. Gib Du ihm deinen klaren, reinen Ton. Du sei ein großer Mann, mein kleiner Sohn. Ich bin so müde – aber Du sei heiter. " ("Letztes Lied"/Mascha Kaléko) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Ein |
Kommentare
Ich kann mich nur wiederholen, Suizid ist nicht feige.
Es ist anmassend von unserer Gesellschaft darüber zu urteilen ohne die Hintergründe usw. zu kennen. Aber einmal mehr, urteilen und veruteilen ist einfacher als sich wirklich damit auseinanderzusetzen!
Was ist das für ein Leben für den Betroffenen wenn wir ihn zum Leben zwingen?? Obwohl er gar nicht mehr leben will.
JEDER Mensch hat das Recht sein Leben so zu leben wie es für ihn stimmt, denn es ist SEIN Leben und genauso ist es sein persönliches Recht selber darüber zu entscheiden, ob er Leben will oder nicht!!
Und morgen bringe ich mich mal um, weil ich meine Mutti ärgern will. Klar was sonst.
Als Rechtsanwalt müsstest du wissen, daß die hochgradig psychisch gestörten am gefährlichsten sind, weil man es ihnen nicht anmerkt und sie es logischerweise selbst nicht wissen. Die funktionieren, gehen ihren Job als Richter, Lehrer oder Politiker vorbildlich nach und schänden als Hobby Kinder oder veranstalten sonst was mit ihrer Familie.
Gehe mal spaßeshalber zu so einer professionellen Hilfe. Schade das ich dann dein Gesicht nicht sehen kann, wenn du da wieder raus kommst.
Vor 20 Jahren habe ich eine dienstinterne Schwarte von einem Hochschulbullen in der Hand. Zwei daumendicke Bücher die mit sich dem Suizid als solchen und seiner Erkennung im Besonderen befassten. Fallbeispiele mit Hintergrundinformationen. Allesamt aus der DDR. Seit dem weiß ich, woher die Legende kommt, daß sich Leute ohne Vorwarnung und ohne triftigen Grund umbringen würden. Und ich weiß auch, daß die wirklich feigen Leute immer am Leben bleiben.
Ich will den Suizid nicht unterstützen, aber ihn als schlichtweg feige einzustufen, halte ich für unangemessen und voreingenommen.
Ansonsten aber ein guter Bericht über den Film.