Freßwelle, Edelfreßwelle,Reisewelle und danach?


Das mediale Sommerloch hat auch seine guten Seiten. An ein oft vergebliches Ausfüllen der viel zitierten " Saure Gurkenzeit " mittels Märchen - und Lügenschichten a'la " Nessi " vom " Loch Ness " hat sich der Rezipient schon längst gewöhnt. Als wahrere Glücksfall für jene Nachrichtenfabrikanten zeigte sich der Tod des " King of pop " Ende Juni 2009. Da konnte nach Herzenslust vor der Beisetzung des Musikers aus sämtlichen Archiven ein Fülle von Material entnommen werden, die Meldung selbst wurde dann erneut aufgewärmt und über die ungezählten Medien gejagt und schließlich führte die Trauerfeier zu einem gigantischen Interesse. Die zunächst noch ungeklärte Todesursache liess die Spekulationen ins Kraut schiessen. War es nun Mord, Selbsttötung oder eine Verkettung tragischer Umstände?

Nach dem die MJJ- Geschichte weitesgehend ausgelutscht war, stürzte sich die Medienindustrie auf die unerschöpflichen Konserven in den riesigen Archiven. Eine iedrholung reihte sich an die nächste Sendung. Gähnende Langeweile im verregneten Sommer 2009?

Da stach eine ARD-Dokumentation über die Ernährungs- - Koch - und Essenskultur in den Nachkriegsjahren ab 1945 wohltuend hervor. Die ARD brachte - zeitlich wohl temperiert - ab 21.00 Uhr die erste Folge eines Dreiteilers mit dem Titel: " Mahlzeit, Deutschland ! - Von der Hungerküche zur Fresswelle!". Es wurden viele Erinnerungen wach.

In den späten 50er, als meine Kindheit sukzessive Formen an nahm,war das Essen ein besonderes Ritual. Es gehörte zu den familiären Gepflogenheiten,dass die Mahlzeiten - soweit möglich - gemeinsam eingenommen werden mussten. Die Gerichte waren einfach. Sie bestanden überwiegend aus Suppen mit Zutaten aus dem eigenen Garten. Das Fleisch und die Wurst wurde durch eine Hausschlachtung gewonnen. Milchprodukte waren vom örtlichen Bauern oder einem mobilen Kaufmannsladen. Die Speisen kamen in einer fast identischen, wöchentlichen Abfolge auf den Tisch.

Als in den frühen 60er mein Großvater von einer Entschädigungszahlung für die erlittene KZ-Haft einen Schwarz-Weiß-Fernsehgerät kaufte,erfuhr ich, dass es auch andere Gerichte, Zutaten und Kochmöglichkeiten gab. Der erste Fernsehkoch hieß Clemens Wilmenrod und zeigte in einer von Montag bis Samstag ab 16.10 Uhr laufenden 20 -minütigen Sendung eine Reihe von Gerichten. Es war eine einfach produzierte Sendung, die ab 20. Februar 1953 ihr Debüt gab. Der gelernte Schauspieler Carl Clemens Hahn,der im hessischen Oberzeuzheim 1906 geboren wurde zeigte bis 1964 dem Fernsehpublikum eine Vielzahl von bekannten, unbekannten und selbst kreierten Gerichten. Ein Straßenfeger, der dann - dem Zeitgeist gehorchend - am 16. Mai 1964 zum letzten Mal ausgestrahlt wurde. Was einst ab 21.30 Uhr - also zur besten Sendezeit - begann, endete für Wilmenrod, der den Künstlernamen in Anlehnung an seinen späteren Wohnort Willmenrod führte, in eine menschliche Tragödie. Der einstige Fernsehkoch nahm sich 1967 das Leben, nach dem ihm in einem Münchener Krankenhaus die Diagnose Krebs mitgeteilt worden war.

Die letzten Schaffensjahre des Menjoubärtchen tragenden Schauspielers sind mir noch heute in Erinnerung. Zeigte er schliesslich Gerichte, deren Nachahmung - mangels finanzieller Möglichkeiten - für meine Eltern in ganz weiter Ferne lagen.

Nun, die Jahre wurden auch für Malocher-Haushalte etwas besser. Die Konserve löste das inweckgals in der BRD ab. Die ersten Fertiggerichte kamen in das Kellerregal. Es waren Ravioli von Maggi oder Königsberger Klopse von Meica. Die Wiener Würstchen gab es im Glas, die Erdbeeren und Champions ebenfalls. Die Suppen, Soßen und sonstige Gewürze wurden in Plastikdosen verpackt. Die Lebens - und Nahrungsmittelindustrie boomte.
Damit änderte sich die Kücke. Es veränderten den sich die Eßgewohnheiten. Nach der Freßwelle kam die Edelfreßwelle. Unechter Kaviar wurde auf das gekochte Ei gelegt, den Soßen wurde Sahne unter gemischt, der Käseigel mit den Plastikspießen und den Weintrauben hielt bei jeder Feier Einzug. Es wurde gemampft, was Kalorien enthielt, dick machte und später exotisch aussah.

Längst hatte die Reisewelle in der BRD begonnen. Neben Italien, Österreich und Spanien kamen weitere - alsbald ferne - Länder hinzu. Die Anzahl der Autos stieg von Jahr zu Jahr, die der Urlaubs - und Reiseziele ebenso. Dem Westdeutschen schien es gut, besser, immer besser zu gehen. Vergessen war die tägliche Not ab 1945 bis zum Beginn der " Wirtschaftswunderjahre ". Der Westdeutsche lebte wieder auf. Er wurde mit jedem Jahr im Durchschnitt betrachtet dicker. Leider vergaß er sich zu erinnern und verdrängte das einstige Hungerleiden sehr schnell.

Mit der zunehmenden Kommerzialisierung der Kochkünste verschwand allerdings auch jenes Ziel, dass sich die damaligen Beteiligten bei dem Start der ersten Fernsehkochsendung gesetzt hatten, aus den Augen, nämlich einfache Gerichte für jeden Haushalt und Geldbeutel aufzuzeigen. Die inflationäre Entwicklung der Kochshows bewirkt dadurch eher das Gegenteil, weil wegen deren Viezahl kaum noch das Interesse am Zusehen geweckt wird.

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