Zu Fuß und ohne Geld durch Deutschland - mehr, als nur eine sozialkritische Zwischenbilanz?


Was ich am 16.07.1995 ab 20.15 Uhr genau gemacht habe, dass kann ich beim besten Willen heute nicht mehr sagen. Wo ich gelebt, gearbeitet und gehofft habe, das weiß ich allerdings heute noch. Der Blick zurück in die 90er Jahre fällt mir nicht schwer, weil es ja noch nicht so lange her ist. Dennoch kann ich mich an einen vierteiligen Fernsehfilm mit dem Titel: " Zu Fuß und ohne Geld durch Deutschland " nicht mehr erinnern. Sollte ich jene ZDF-Produktion gar verpasst haben? So, wie einige, viel wichtigere Dinge damals auch? Oder empfand ich den Fernsehfilm einst als nicht so erwähnenswert?
Wie, was und warum auch immer, ich konnte mich an jenen Vierteiler nicht mehr erinnern, als dieser heute, am 15. Juli 2009, also mehr als 14 Jahre später, im ZDF Theaterkanal wiederholt wurde.

Eine Recherche über den Film und das zugrunde liegende Buch des Autors Michael Holzach mit dem Titel: " Deutschland umsonst " erbrachte jedoch einiges Erhellendes.
Der Film und das Buch handeln von einem - längst etablierten - Journalisten, der in mitten seines Lebens stehend, die viel zitierte " Midlife crisis " durchwandert. Wobei der Begriff durchwandern hier voll umfänglich zutrifft. Er - nämlich Holzach selbst - entschließt sich eines Tages von Hamburg aus zu Fuß durch die BRD zu ziehen, um dabei an die Stätten seiner Kindheit, Jugend und Ausbildung zurück zu kehren. Er erlöst zuvor einen Mischlingsrüden aus einem hamburger Tierheim, nennt ihn kurzer Hand " Feldmann " und tippelt ohne einen Pfennig los. Sein Weg führt ihn: über Holzminden, Dortmund, Köln, Frankfurt und Lindau zur deutsch-österreichischen Grenze und von dort über München, Schweinfurt und Holzminden wieder zurück nach Hamburg.

Soweit, so klar! Was der Film wohl angeblich zu einer Sozialromanze verklärt, soll in dem Buch viel deutlicher auf den Punkt gebracht werden Die BRD ist zu einem eiskalten,egoistisch denkenden Sammelbecken für Konsumfetischisten verkommen, deren soziale Kompetenz auf professionelle Organisationen abgegeben wurde. Nun, diese Erkenntnis ist so neu nicht. Spätestens die Jahre nach dem " Wirtschaftswunder " zeigen deutlich auf, dass das verdrängende Getue der fett gewordenen Westdeutschen, deren Kinder auf die Barrikaden gebracht hat. Die bürgerlichen Wohlstandsnachkömmlinge rebellierten gegen den piefig-miefigen Realzustand in Staat und Gesellschaft, gaben sich non-konformen Lebenszielen sowie Wohnformen hin , die zwar ein berufliches Fortkommen garantierten, jedoch de facto in einer individuellen Sackgasse führten.

Holzach ist, weil Jahrgang 1947, ein Protagonist aus jener unruhigen Zeit. Er studierte einst Sozialwissenschaft in Bochum und setzte in seinem Beruf als Journalist einen Teil seiner gesellschaftskritischen Grundeinstellung in diversen Veröffentlichungen um. Eine edelmütige Einstellung, so könnte der unbedarft heran gehende Betrachter meinen. Keineswegs, denn Holzach " baute " sein Abitur in Holzminden an der Weser, in einem Internat, dass über die Stadtgrenzen hinaus, dafür bekannt war, dass dort die " verkrachten Bürgertöchter und Reichensöhne " ihr Abitur erkaufen können. Nun, dieses kann ich aus meiner eigenen Familie heraus bestätigen. Hier war es möglich, die großzügige Spende für eine Dachsanierung nicht nur steuerlich als solche absetzen zu können, sondern - quasi als kleines Zubrot - dem nicht hinreichend begabten Sohnemann eine " Drei " in Mathematik zu erkaufen.

Tja, so war das schon damals!

Wenn der Autor dieses - später zum Standardwerk für jeden sich selbst finden wollenden - Deutschlandwanderer geworden ist, dann auch nur, weil dieses Vorhaben in den frühen 8oer fast schon revolutionär war. Ein nostalgischer Selbstfindungstrip in die deutschen Lande. Diese Idee war denn später wohl auch der Aufhänger für ungezählte Nachäffer aus der schreibenden Zunft. Nicht zuletzt Harpe Kerkeling mit seinem Bestseller " Ich bin dann mal eben weg " war davon beseelt, seine eigene Lebenskrise ab zuwandern. Werś denn braucht!

Der ZDF-Film zu dem Buch von Michael Holzach wäre ebenso ein wahrer " Knüller " geworden, wäre der Autor nicht 1982 auf tragische Weise verstorben. Er ertrank, bei dem Versuch seinen Hund Feldmann " retten zu wollen in der Emscher. Das bereits begonne Filmprojekt wurde danach abrupt beendet. Von 1982 bis 1993 verbleib die Idee in den Archiven des ZDF und wurde erst nach der Wiedervereinigung aus der " Mottenkiste " geholt. Was danach mit dem Buchinhalt veranstaltet wurde, spottet jeder Beschreibung. Aus der gesellschaftskritischen Zeitreise wurde ein Sozialschmonzette. Neben verkrachten Existenzen, spießigen Wohlstandsbürgern und allerlei sonstigen Randfiguren, trifft der Wanderer zunächst auf einen Gutmensch-Polizeidienststellenleiter in der Provinz, der ihn nach einer vorläufigen Festnahme wegen Mordverdachts auch noch zurück zur Autobahn ( wohl die A 7 ) fährt, dann auf ein Terroristenpärchen, das kurz vor der Festnahme durch eine Polizeispezialeinheit ihn mit vorgehaltener Pistole den Pass abknöpft und anschließend auf eine notgeile reiche Witwe, die sich erst bourgeoier gebildet ausgibt, dann zur Männer hassenden Furie mutiert und die Fäkalsprache beherrschend, ihn aus der Villa wirft.

Ach, ja, einige sozial Gestrandete kommen auch noch in dem Film vor. Ob nun ein hoch verschuldeter Bauerhof, der von einem alten Muttchen bewohnt wird, ein Obdachloser, der ihn in der Fußgängerzone anpöbelt oder ein farbiger Tellerwäscher, der daran gehindert wird, ihm Essenreste zu überreichen. Klischees, so weit das Auge reicht. Altbekanntes Rollenverhalten, das davon geprägt ist, den die Hauptrolle spielenden Aussteiger auf Zeit in die wahre Welt des real existierenden Kapitalismus hinein zu katapultieren.

Holzach, gespielt von Robert Atzorn, wird nebenbei von seiner besorgten Lebensgefährtin aufgesucht und auf seinen Seelenzustand hin überprüft. In der Gewissheit jederzeit das Experiment abbrechen zu können und wieder in das genormte, Geldsorgen freie hanseatische Intellektuellenmilieu eintauchen zu können,tippelt der Protagonist weiter durch die deutschen Lande. Er mutiert dabei zum Serienstraftäter, in dem er in Gebäude eindringt und dort stiehlt. Nur findet sich in dem ZDF-Filmbuch hierüber kaum etwas. Vorbilder sind eben keine Straftäter und Deliquenten keine Heroen; so einfach wird die ZDF-Formel in dem Film umgesetzt. Wenn er später, nämlich nach ca. 6 Monaten wieder in die Freie Hansestadt Hamburg zu seiner Lebensgefährtin zurückkehrt, hat sich einiges dort verändert. Sie wohnt jetzt mit ihrer blasiert auftretenden Freundin zusammen und erwartet ein Kind von dem Aussteiger auf Zeit. "Und wenn sie nicht gestorben wär'n...", so könnte die Quintessenz aus dem ZDF-Vierteiler lauten.

Leider hat der Film sehr wenig mit dem Buch und das Buch auch nur im geringen Maße mit der Realität eines "Tippelbruders" zu tun. Es kommen dort nicht jene Fratzen des sozialen Abstiegs zum Tragen, die neben täglicher Diskriminierung, körperlicher - sowie seelischer Grausamkeiten, auch Milieu typische Erkrankungen und Alkoholsucht heißen und die hier geflissentlich übergangen werden. Der einstige Selbstversuch ist demnach nur eine Abkehr von der Konsum orientierten und egoistischen BRD-Gesellschaft anno 1980 auf Zeit. Würde Holzach heute noch leben, er müsste sich demnach unter die TV-Sparte " Aufwanderer " einordnen lassen, denn der De-facto-Zustand dieses Landes und seiner hier lebenden Menschen hat eine rasante Kehrtwende genommen und geht gen soziale Inkompetenz des Einzelnen, der - altersbedingt abgestuft - jedwede Verantwortung für Gestrandete a'la'Holzachśchem Selbstversuch annähernd vollständig dem Staat überbürdet.

Ob nun 1948er, 1958er, 1968er, 1978er,1988er - jeder ist sich selbst der Nächste. Wie lange noch?

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