Und ewig grünt die Heide: 55 Jahre Wehrpflicht,Wiederbewaffnung und Rüstungswahsinn!

" Wer nichts wird, wird Wirt! Wer gar nix wird, wird Bahnhofswirt!", so lautete einst ein Kalauer in den frühen 60er Jahren. Damit sollte eine Branche, ein Beruf diskreditiert werden, der längst wieder Hochkonjunktur hatte. Den (West)Deutschen ging es wieder gut; sie waren wieder wer! Den Menschen im zweiten deutschen Staat allerdings weniger,da die Reparationsleistungen an die Mitsiegermacht UdSSR immens waren und einen schnelleren Aufbau der Ökonomie eher verhindert.
So unterschiedlich sich die beiden Staaten nach 1945, 1949 und ab den 60er Jahren entwickelten, so hatten sie dennoch viele Gemeinsamkeiten.

Eine davon war die Wehrpflicht. Der gesetzliche Zwang, nach 1945 als deutscher Staatsangehöriger erneut eine Waffe in die Hand nehmen zu müssen, begann mit dem Kalten Krieg und der deutschen Wiederbewaffnung. Ab 21.07.1956 (BRD) und 01.03. 1956 (DDR) wurde die allgemeine Wehrpflicht als Folge der Gründung von Bundeswehr (BW ) und Nationaler Volksarmee ( NVA ) eingeführt.
Bekanntlich löste sich die NVA 1990 auf, womit ab dem 02.10.1990 für das gesamte Bundesgebiet eine einheitliche Regelung zum Wehrdienst gilt,die sich folgendermaßen definiert:  

" Die Wehrpflicht in Deutschland bezeichnet die Pflicht eines männlichen Staatsbürgers, für einen gewissen Zeitraum in der Bundeswehr zu dienen. Die Wehrpflicht besteht in der Bundesrepublik seit Juli 1956, wobei ihre Dauer im Laufe der Zeit zwischen 6 und 18 Monate betrug. Im März 2011 beschloss der Bundestag eine Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011. "

- Zitatende; aus Wikipedia -

Bislang sind mehr als 8,4 Millionen Männer und später auch Frauen zum Wehrdienst einberufen worden; die Dienstzeit betrug zunächst in beiden Armeen 18 Monate.

http://de.wikipedia.org/wiki/Nationale_Volksarmee#Einberufung

http://de.wikipedia.org/wiki/Bundeswehr

Als ich kürzlich in der Ausgabe der SZ vom 26./27.02. 2011 unter dem Titel " War doch alles halb so schlimm " die individuellen Geschichten einiger Redakteure und Mitarbeiter der Zeitung las, musste ich einige Male schmunzeln. Nicht, weil ich deren Schilderung nun umbedingt belustigend fand, sondern weil ich mich an meine BW-Zeit ab dem 01.04.1972 zurück erinnerte.

Nachdem ich bereits mehr als die Hälfte des 3. Ausbildungsjahrs 1971 absolviert hatte flatterte im Herbst eine Mitteilung über die Wehrerfassung von der Gemeinde (Samtgemeinde) Bad Eilsen ins Haus. Ich war bereits 18 Jahre alt und damit wehrpflichtig. Zuständig für die spätere Musterung war das Wehbereichskommando II in Hannover. Die Musterung selbst fand allerdings in Nienburg an der Weser statt. Und von dort kam dann irgendwann im Oktober ein Einschreiben mit dem ich zur Musterung aufgefordert wurde. Das gesamte Prozedere dauerte etwas mehr als einen halben Vormittag und begann mit einigen Untersuchungen durch den zuständigen Arzt.
Nachdem von dort aus feststand, dass ich den Tauglichkeitsgrad "voll tauglich" erhalten hatte, stellte sich nur noch die Frage, ob ich eben 18 Monate zu einem lumpigen Wehrsold von knapp 150 DM oder 24 Monate als Zeitsoldat für knapp 750 DM abreißen wollte.

Ich entschied mich für die letztere Variante und war unter den mehr als 100 jungen Männern der Einzige aus meiner Gruppe, die sich aus den Anfangsbuchstaben der Nachnamen mit V,W,X,Y und Z zusammensetzte. Die 15 übrigen Gemusterten verweigerten allesamt den Wehrdienst als so genannte KdVs ( Kriegsdienstverweigerer). Als ich dann bei dem auf für die Beratung zur Verfügung stehenden Hauptfeldwebel an dessen Dienstzimmertür anklopfte, um mir die Unterlagen für die Freiwilligenmeldung und die für Zeitsoldaten zu besorgen, schaute der mich erst wie ein Trecker an, begriff dann, dass ich es wirklich ernst meinte, taute der Unteroffizier doch gallt auf und gab mir sogar bein Abschied die Hand.

Einige Wochen später kam dann die Tauglichkeitsprüfung in Hannover - General Wever Kaserne -, die sich über 2 Tage hinzog. Neben überzeugten Anti-Pazifisten, Deutschtümlern und sonstigen, beruflich Gescheiterten, fand ich mich eigentlich ganz gut zurecht. Meine Handlungsmaxime lautete bereits da: " Gehirn abschalten, Augen zu und durch!"

Ich wurde für das Heer eingemustert. Genauer gesagt, es ging nach Munster(Lager) an die Örtze; einige Kilometer von der deutsch-deutschen Grenze entfernt. Hier, wo sich nach Dienstschluss die Masse der Soldaten an Trinkorgien ergötzte, wo sich ab Freitag 15.00 Uhr das sonstige Stadtleben normalisiert und ab 22.00 Uhr die Bürgersteige hoch geklappt wurden,
Munster war damals Garnisonstadt. Neben BW-Truppenteilen, befanden sich dort auch englisch und niederländische Einheiten dort. Da die so genannte Zonengrenze eben nicht sehr weit weg war, massierte die NATO dort große Truppenkontingente. Der propagierte V-Fall sollte zumindest auf der Papierform existieren.

Als ich am 01. April 1972 mit dem Nahverkehrszug von Bückeburg über Hannover nach Munster fuhr, war dass für mich die erste größere Fahrt mit der Eisenbahn seit vielen Jahren.Während mich die drei Züge durch die niedersächsische Pampa fuhren, rollte derweilen ein Sammeltransport von Bückeburg über Nienburg in Richtung Munster. In ihm saßen eben jene Wehrpflichtige, die vom Bund nicht einmal eine Fahrkarte 2. Klasse zum Dienstantritt erhielten. Immerhin zeigte sich dort schon, was eine Klassengesellschaft ist. In jenem "(Vieh)Mannschaftstransporter in oliv-grüner Tarnfarbe befand sich auch ein einstiger Bekannter Peter, genannt "Piet" Völkening,der in Bückeburg wohnte und ebenfalls "gezogen" wurde, obwohl er einen KdV-Antrag gestellt hatte.

Der KdV-Antrag hatte rechtlichen Auswirkungen auf die Einberufung,denn der "Musterungsbescheid" und auch der "Einberufungsbescheid" waren - juristisch betrachtet - mit einem Sofortvollzug versehen, womit ein möglicher Widerspruch gegen diese Verwaltungsakte nicht dazu führte,dass ein Einberufung aufgeschoben werden musste. Ergo: Es musste über das jeweils zuständige Verwaltungsgericht ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gestellt werden . Der in mehr als 95 % der Fälle erfolglos blieb; womit auch schon die Richtung einer etwwaigen Klage vorgegeben worden ist.
Diese Verfahren waren darüber hinaus auch teuer. Wer keine Ahnung vom Recht hatte und noch weniger von der Wehrpflicht, musste sich einen Rechtsanwalt suchen,der auf diesem Gebiet firm war. Der kostete ebenso viel Geld, wie das Gerichtsverfahren auch.

So waren die KdV-Verfahren de facto eine Farce, weil de jure - in dem eindeutig politisch motivierten Prozess - die Vorschriften so ausgelegt wurden,dass eine Anerkennungsquote im Promillebereich zu verzeichnen war.

So saß ich im Zug, hatte nie den Gedanken verschwendet, einen KdV-Antrag zu stellen und langweilte mich bis der Schaffner kam und nach der gültigen Fahrkarte fragte. Milde lächelnd gab er sie mir zurück und sagte " Aha, zum Bund. Noch etwas mehr als eine halbe Stunde,dann istder Zug in Uelzen. Dort bitte umsteigen!", gab er mir noch mit auf den Weg. Na, die Bahnbeamten von einst waren ja auch uniformiert und dazu noch militärisch schneidig.

In Uelzen wartete ich dann noch etwa eine Dreiviertelstunde, ehe die Regionalbahn eintraf. Nach einer weiteren halben Stunde hatte der Milchkannenexpress Munster erreicht .Bereits am Bahnhof standen dutzende
von BW-Lkw, die - feinsäuberlich nach Einheiten aufgeteilt - die ankommenden Rekruten in Empfang nahmen. Kaum war die Kaserne erreicht, wurde die Unterkunft gezeigt. Nach einem Marsch zur Bekleidungskammer der Kompanie gab es anschließend ein Abendessen. Gegen 6.00 Uhr morgens wurde durch den UvD geweckt.
" Komapaniiiiiiiiie, aufstääääääääääääähn!", hallte es durch die Gänge.

Dass war also der erste von vielen Tagen beim Bund.

Was zunächst für jeden Wehrpflichtigen über 18 Monate sich eher als sinnlose Zeitverschwendung entpuppen sollte, wurde spätestens nach meiner Ernennung zum Soldat auf Zeit und der Vereidigung etwa 10 Wochen nach Beginn der Grundausbildung und 2 Wochen vor deren offiziellem Ende, eher zum Beruf. Überwiegend war dann lange Weile nach Dienstschluss der Inhalt von Montag bis Freitagnachmittag. Das die Aufgaben als Stabsdienstgefreiter mich unbedingt ausgefüllt haben, kann ich nicht auch bis heute nicht sagen. Als ich dann nach 21 Monat im Dezember 1973 meinen letzten Dienstag abgelegt hatte, war ich eher erleichtert.
Selbständiges Denken war nur bedingt gefordert; den viel gerühmten " Staatsbürger in Uniform" habe ich nie gesehen und von einer Demokratisierung der BW ist auch nicht viel nach unten in die niederen Ebenen der Truppe durchgedrungen.Wenn ich heute, also 55 Jahre nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, 39 Jahre nach meiner eigenen Einberufung und einige Monate nach deren Aussetzung, eine Bilanz über deren Sinn ziehen sollte, lautet mein Fazit:
Die Wehrpflicht war von Beginn an sinnlos, hat mehr Ungerechtigkeiten denn eine Gleichbehandlung aller Wehrdiensttauglichkeiten erbracht und war für viele der Betroffenen eher eine verlorene Zeit, zumal sie beruflich keine Weiterentwicklung mit sich brachte.

Oder , um es philosophisch zu formulieren:
   

Das Leben kann nur vorwärts gelebt und rückwärts verstanden werden.

Kommentare

til_o. hat gesagt…
»Kompanie! Nachtruhe beenden! Raustreten zum Frühsport in 3 Minuten!« So klang es im Osten. Der Rest war auch nicht besser.
Octapolis hat gesagt…
Scheiss auf die Wehrpflicht, höchste Zeit, dass diesem Zauber ein Ende bereitet wurde!
exmagenta hat gesagt…
Tja damals hatte noch jeder seinen eigenen Klassenfeind den es zu beobachten galt. Auch ich durfte 18 Monate meine Jungblüte der Staatsverteidigung opfern. Allerdings standen bzw. lagen wir auch am WE bereit um die rote Fahne zu schützen. Selbst Weihnachten und Sylvester wurde kasaniert verbracht. Das eine Mal habe ich aus lauter Langeweile dem Konterfei von E.H., dessen Jahresendrede die Titelseite der JW zierte, mit Stift und Phantasie ein Kiss-Outfit verpasst. Prompt kam der Polit-Offz auf die Stube, nahm das Blatt an sich und versprach mir eine ordentliche Moralpredigt vor versammelter Mannschaft. Das galt es natürlich zu verhindern. Abends beim Stuben- und Revierreinigen bat ich den Kameraden, der die Stube dieses Offz. reinigen durfte, mir das Korpus-Delikti zu geben. Solch eine Kameradschaft wird es auf beiden Seiten des Vorhanges gegeben haben und da dieser gefallen ist, leben wir diese jetzt gemeinsam aus, getrennt von einem Maschendrahtzaun ohne Knallerbsenstrauch - Druschba

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