Wo liegt eigentlich L´Estartit?



Es gab Zeiten, da konnte ein Urlauber mit relativ wenig Geld, dafür aber mit sehr viel Geduld und Zeit, zwar auch durch die europäischen Lande reisen, musste aber dafür den PKW nutzen und nervige Pass - sowie Grenzkontrollen über sich ergehen lassen. Dieses galt noch in den 1970er Jahren, als es Billig - Flugreisen in der heutigen Form noch nicht gab. Die Sommerferien als Hauptreisezeit waren damals schon durch das so genannte Hamburger Abkommen von 1964 entzerrt worden, weil es zu viele Staus auf den Autobahnen und zu viel Stress bei der Einreise in das europäische Ausland an den ungezählten Grenzübergängen gab.

Im Frühjahr 1975 entschloss ich mich zusammen mit vier weiteren Schulkollegen aus der Berufsaufbauschule Fachrichtung Wirtschaft mit dem PKW nach Spanien zu fahren. Spanien, das war bereits ein beliebtes Urlaubsland der Westdeutschen. Deshalb enthielten alle Reisekataloge eine Vielzahl von Angeboten bereit. Die Frage war nur, wieviel Geld der Urlauber für eine Unterkunft ausgeben wollte. Wir entschlossen uns, ein Appartement in dem Ferienort L´Estartit an der Costa Brava für zwei Wochen zu buchen.

Die zweite und dritte Juliwoche war für den Spanienaufenthalt geplant und eben diesen Zeitraum vom 12. bis zum 26. Juli 1975 buchten wir ein Appartement in dem spanischen Badeort L´Estartit. Weder meine vier Mitreisenden noch ich waren zuvor je in Spanien gewesen. Also hielten wir einige Tage zuvor eine Reiseversammlung ab, innerhalb derer die Route, die Reiseutensilien und natürlich das Finanzielle besprochen werden sollte.
Um nicht gleich in das vollendete Chaos hinein zu geraten, ließ wir uns einen Streckenplan über den ADAC erstellen. Die ADAC - Mitgliedschaft waren wir bereits einige Monate vorher eingegangen. Schließlich war die Gefahr, dass eines der Autos unterwegs schlapp machte durchaus im Bereich des Möglichen.

Das jenes Örtchen an der spanischen Küste nun nicht gerade vor der Haustür liegt, war uns allen damals klar. Aber, dass die Fahrt wirklich stressig ausfallen sollte, denn wohl eher nicht.
Und so fuhren wir am Donnerstag, den 10. Juli 1975 los. Von Bückeburg zur BAB - Auffahrt der A2 in Richtung Hannover. Auch der A 7 in Richtung Kassel, Frankfurt. Auf der A6 in Richtung Karlsruhe. Auf der A5 in Richtung Basel. Nach der Einreise in die Schweiz ließen wir Bern hinter uns und fuhren in Richtung der französischen Grenze.
Dort ging es über die mautpflichtigen Autobahnen an Albertville vorbei, durch Grenoble hin durch in Richtung Lyon. Dann in Richtung Marseille, Montpellier und Nimes in Richtung Perpingnan zur spanischen Grenze.
Von dort durch die Einöde der Pyrenäen - Dörfer, wie Carrer Bellcaire, Carrer Vell D´Ull oder Camino de Dalt in Richtung Ulla und nach weiteren 9 Kilometern nach L´Estratit.

Nach mehr als 30 Stunden und mehreren Pausen, waren wir kaputt von der Tortur, aber mit heilen PKW am Ziel unserer Träume.
Endlich mal wieder Urlaub im Ausland! Nachdem wir die Schlüssel für das 5 - Zimmer - Appartement entgegen genommen hatten, mussten wir zunächst in einen nahe gelegenen Supermarkt einkaufen. Und dieses Vorhaben gestaltete sich bereits schwierig. Wer hatte Ahnung von spanischen Lebensmitteln? Wer konnte die spanische Sprache? Wieviel Deutsche Mark waren 100 Pts.? Fragen, über Fragen, die keiner von uns so richtig beantworten konnte.

Also wurde nach Aussehen eingekauft. Mineralwasser in riesigen Plasteflaschen, Konserven mit geschälten Tomaten, Ravioli oder Fisch. Brot, Margarine, Nudeln usw. usf. Der Einkaufswagen war zum Bersten voll. Aus der Gemeinschaftskasse wurde der große Geldbetrag schließlich bezahlt. Dann ging es zurück mit Tüten und Taschen zur Unterkunft. Selbstversorger als Männerrunde - ein Albtraum, wie sich später heraus stellen sollte.

So verbrachten wir die ersten Tage am Strand, in einer nicht klimatisierten Kneipe, in Gaststätten, ehe wir der katalonischen Metropole Barcelona eine Aufwartung machten. Es war ein brütend heißer Tag, im Inneren des PKW war es kaum auszuhalten, zumal es solche Luxuseinrichtungen, wie Klimaanlage für den VW Käfer oder den R4 nie gab.
Völlig durch geschwitzt gelangten wir nach Barcelona. 1975 herrschte noch der Faschist Franco. Auf den Straßen patrouillierten überall Doppelstreifen der " Guardia Civil ", die mit ihren schwarzen Kopfbedeckungen schon seltsam, aber auch Respekt einflößend aussahen.

Ein fremdes, heißes Land mit einer andersartigen Gesellschaft ist sicherlich für einen Touristen interessant, aber eine Diktatur indes hat eigene Richtlinien. So erzählten uns einige, der in Massen herum laufenden Urlauber aus Teutonien wahre Horrorgeschichten. Von spanischen Knästen und Polizeiwillkür, von saftigen Geldstrafen wegen Besäufnissen, Eckenpinkeln oder Feuer machen am Strand. Viele Geschichten waren einfach erstunken und erlogen. Manches davon entsprach nur in Teilen der Wahrheit. Aber auch Seemannsgarn muss im Urlaub gesponnen werden, wenn sich ein Erzähler wichtig tun möchte.

Fakt war wohl eher, dass die Franko - Diktatur kurz vor dem Aus stand. Der Caudillo war schwer krank und konnte die Regierungsgeschäfte gar nicht mehr wahr nehmen. Zudem veränderte sich die Einstellung der spanischen Gesellschaft zu vielen herkömmlichen Werten und Moralvorstellungen seit Beginn der Massentourismus - Zeit in der Mitte der 1960er Jahre dramatisch.
Nicht nur deshalb wurde in der einzigen Diskothek in dem Kaff L´Estrati überwiegend englisch - sprachige Pop - und Rockmusik gespielt.
Neben den üblichen Hitparaden - Gedöns orgelte denn der Disks - Jockey Titel von " Yes ", " Deep Purple " oder  "Genesis " rauf un runter. Die Musik indes wurde dort nur von Touristen gehört. Die Einheimischen blieben weg. Nicht weil sie sich nicht mit den Besuchern treffen wollten, sondern, weil sie dafür kein Geld hatten.
Eintritt und Getränke waren für sie unerschwinglich. Selbst die Mitarbeiter an der Bar waren nur aus beruflichen Gründen dort zu sehen.

So vergingen die Tage mit Strandbesuchen, bei denen wir uns wie Ölsardinen im eigenen Saft fühlten, denn die Strände waren zum bersten voll, mit irgendwelchen Ausflugsfahrten, wo Sangria, Fisch und Weißbrot bis zum Erbrechen - allerdings für happige Fahrtpreise - auf einem alten Holzkahn kredenzt wurden, mit all nächtlichen Badevergnügen am Anlage eigenen Pool und mit Besuchen in der besagten Diskothek.  
Nun, ja, Urlaub nach dem Motto: " Sowohl, als auch ".

Die Tage verflogen und irgendwann hatten wir die Nase voll vom eher eintönigen Tagesablauf. Ein Mitstreiter kam auf die glorreiche Idee doch lieber nach Nizza zu fahren und von dort die Heimreise antreten zu wollen. Also, auf nach Frankreich und Spanien ade´! Nach vielleicht der Hälfte der Strecke, auf der wir uns bestimmt ein dutzend Mal verfuhren, hatte ich die Nase voll. Ich parkte meinen R4 auf einem steinigen Platz in der Pampa, schaute mir die Karte mehrmals an und entschied mich zur Rückfahrt.

Nach weiteren 30 Stunden kamen wir irgendwie heile, aber völlig platt in der Heimat an. Das Geld war alle, die Haut dunkelbraun und wir der Illusion beraubt, dass ein Spanienurlaub im Jahre 1975 mal so eben mit dem PKW auf einer A..backe abgesessen werden könnte.

Im Nachgang aus dem Jahr 1972: " Jane und " Spain " aus dem Album " Together ":





Ach, ja, das Nest gibt es heute noch und es liegt auch weiterhin an der Costa Brava, 140 Kilometer von Barcelona entfernt. Katastrophenurlaube haben dort auch andere Urlaubssuchende erlebt:




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