Wat denn, wat denn, junge Frau! Wir Berliner sind doch pfiffig!

Berlin ist eine Reise wert! Diese Plattitüde wurde bereits in den Zeiten der Weimarer Republik, ja auch schon davor, ständig wiederholt. Die Haupstadt Preußens, des Geldadels und der Hochfinanz, der Mode und der Erfindungen, der politischen und kulturellen Umbrüche in Deutschland, all das stellte Berlin dar. Mit dem Ende des Kaiserreichs, dem Beginn der Weimarer Republik, dem ersten Parlamentesystem, dass es auf deutschem Boden gab, da Ende sich auch das Gesicht Berlins. Es mutierte zu einer Fratze. Zernarbt von den unzähligen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Parteianhängern einerseits und dem Militär sowie der Polizei andererseits. Geschunden durch die Ideologie der Faschisten, die auf ihrem Vormarsch alle Gegener liquidieren liessen oder sie in KZ´s einsperrten.

So endete Berlin´s Rolle im Tausendjährigen reich des Irren aus Braunau am Inn, des Demagogen und seiner willfährigen Brut, den Nationalsozialisten, so wie sie begonnen hatte, im Chaos. Die Stadt wurde fast vollständig zerstört, später beim Mauerbau 1963 geteilt und innerlich zerrissen. Sie wurde beinahe identitätlos. Sie hing bereits bei der Luftbrückenaktion durch die Amerikaner am Tropf der übrigen Bundesländer. Die Berlinsubventionen und der Status der Stadt, sie erbrachten dass, was die Metropole noch am Leben erhielt: Kaufkraft!

Als dann Willy Brandt die ersten zaghaften Versuche einer politischen Annäherung startete, wurde er von vielen Berlinern dafür verhöhnt. " Vaterlandsverräter Hand in Hand: Willy Stoph und Willy Brandt!", so krakeelten die Neonazis auf den Straßen der Stadt. Die Berliner wollten frei sein, wollten die Mauer beseitigt haben, aber nach dem Vorbild Westberlins weiter leben. Ging das überhaupt? Nun kam 1989 die Wende, die Wiedervereinigung. Willy Brandt formulierte es vom Balkon des Berliner Rathauses: " Nun wächst zusammen, was zusammen gehört!" Gehören die beiden Teile Berlin denn zusammen? Vielleicht!

Die Wirtschafts-und Sozialunion am 01. Juli 1991, sie stülpte auch Ost- Berlin die kapitalistische Produktionsweise über, brachte den über 1 Millionen Ex-Landeshaupstädter die Errungenschaften des Gesellschaftssystems, unter denen sie nun Freiheit,Gleichheit und Wohlstand geniessen sollten. Für alle West-Berliner fielen jedoch die auf Subventionen aufgebauten Kartenhäuser insich zusammen. Die Wohltaten aus dem Länderfinazausgleich wurden ersatzlos gestrichen, der Sonderstatus des westlichen Teils der Stadt, löste sich in Wohlggefallen auf. Ebenso erging es den Brüdern und Schwestern im ehemaligen Ostteil der Reichshaupstadt. Die Privilegien, wie bessere Wohnungen, eine günstigere Versorgungslage und höhere Löhne, sie schmolzen dahin.

Mit Breul´s Treuhand und den Abwickelungsarbeiten, verlor die Statd einige hunderttausend Arbeitsplätze. Ganze Straßenzüge verwaisten, es kamen dafür die bunten Fassaden der westlichen Glitzerwelt. Der einst deutlich sichtbare Unterschied zwischen Ost und West, er verblasste zusehens. Die sozialen Verwerfungen blieben indes. Sie wurden von Jahr zu Jahr drastischer. Es gingen die Bindeglieder zwischen Arm und Reich, zwischen Migrant und Deutschen, zwischen Altrnativszene und Bürgertum zunehmend verloren. Das waren einst die Gelder, die aus Bonn flossen und die mit beiden Händen verbraten wurden. Der Westberliner lebte nach dem mauerbau, der Teilung Deutschlands und dem zementierten Status der Stadt auf zu großem Fuß. Das rächte sich nun.

Die Haushalte der Sta´dt waren eh chronisch defizitär - das Defizit glichen der Bund und die Länder aus. Die Folge davon war, dass die Berliner es nie gelernt haben, nach fiskalischen Gesichtspunkten wirtschaften zu müssen und die Politik ständig auf den Erhalt der Stadt verwies, wenn es darum ging, aus Bonn noch mehr Geld heraus zu fordern. Die Bettelei hat mit dem 01.Juli 1991 ihr Ende gefunden. Die Folge hiervon ist, dass die Stadt berlin und das Bundesland Brandenburg fusionieren mussten. Zwei Pleitestaaten kamen zusammen, um in der Folgezeit zu einem Bittsteller-Bundesland zu neuen Rekordverschuldungen zu gelangen. Das Bundesland Brandenburg - Berlin oder umgekehrt, es ist noch lebensfähig. Dank großzügiger EU-Subventionen und der Öffnung der Ostmärkte zu Polen,Tschechien und den Baltischen Staaten. Die Rettung kam spät, aber nicht zu spät.

Die Stadt Berlin aber bettelt weiter. Sie klagt vor dem Bundesverfassungsgericht mit dem Argument, sie sei " sexy, aber arm". Ach ja, sexy? Sicherlich hat die Großstadt, die Landeshauptstadt, die Bundeshauptadt, dieWeltstadt Berlin,einen eigenen Charme. Ein Esprit, dass es sonst so nirgends in Deutchland, in Europa, in der Welt gibt. Die Kultur - und Kneipenszene, sie ist legendär. Die vielen staatlichen Aufführungspaläste, in denen sich die selbst ernannte creme ´de la´creme, jährlich selbst feiert und die Klinken in die Hand gibt, sie sind sündhaft teuer. Ohne Zuschüsse in zweistelligen Millionenbereichen, wären sie längst zum Insolvenzfall geworden. Kultur nur für die Bourgeoisie, für die oberen Zehtausend, für die Prominenz? Wohl auch. Aber es gibt hier auch die ungezählten Kleinspielhäuser, die Kultur mit Niveau bieten. Die gesamte Musikszene, die eben einmalig ist. Diese Bereiche sind zum Teil auch von dem Geldsegen der Stadtverwaltung abhängig. Waswird aus ihnen, wenn die Stadt pleite ist? Das Motto heisst seit einigen Jahren: Sparen um jeden Preis!

Diese Erkenntnis kommt spät. Zu spät? Wenn erst jetzt der Rotstift angesetzt wird, eine Streichliste geführt wird und Kürzungen vorgenommen werden, dann ist der Erfolg nicht sofort erkennbar. Die Auswirkungen werden einige Jahre später spürbar. Wichtige Erhaltungsarbeiten an den öffentlichen Häuern bleiben aus, werden hinaus geschoben oder in einer Billig-Variante durch geführt. Warum soll es Berlin nicht anders machen, als all die Kommune, Städte und Länder, die seit Jahren bereits mit klammen Haushaltslagen zu kämpfen haben? Berlin hat sich jedoch von je her einen Sonderweg offen gelassen. Es pocht auf Berlin, die Bundeshaupstadt und die Phrase, dass das gesamte Ansehen des Landes darunter leidet, wenn Gebäude verfallen, Strassen nicht saniert werden, Kultur nicht stattfindet und immer mehr Bürger der Stadt den Rücken kehren. Ein Pfund, mit dem sich trefflich wuchern lässt.

Wie prahlte 1988 ein Berliner Reisebusführer in Nordnorwegen, als wir erstaunt beobachteten, mit welcher Präzision und Geschwindigkeit er die unter dem Bus befindlichen Fächer öffnete, um seinen Reisegästen ein Frühstück zu servieren: " Wat denn, wat denn, junge Frau. Wir Berliner sind doch pfiffig!" Wir haben köstlich gelacht. Im Nachhinein hat diese Lebenseinstellung sehr viel mit dem eigenen Selbstverständnis der Berliner zu tun: Wir haben es noch immer geschafft, warum denn dieses Mal nicht?

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