Wohin hast Du all die Jahre vertan?





Wer anspruchsvolleres Fernsehen favorisiert, ist bei dem deutsch-französischen Gemeinschaftssender "ARTE" immer gut aufgehoben. Jenseits der Herz-Schmerz-Kommerz-Filme, dem ewigen Herumgejage in den nach US-Machart produzierten Krimis oder der Sekretariats-Reality-Shows nebst den dritt - und viertklassigen Ami-Importkonserven, gibt es bei jenem Spartensender häufiger einen wahren Hingucker.
Trotz der Sommerflaute mit ihrem Endlos-Wiederholungen findet der vom tristen TV-Brei schon fast Erblindete doch noch ein Korn.
In diesem Fall heißt es " Die letzten 30 Jahre ", wurde von dem Ex-Lehramtstudenten und "TITANIC" - Zeichner Michael Gutmann gedreht und konnte am Freitag, 16. Juli ab 20.15 Uhr - mithin zur besten Hauptsendezeit - verfolgt werden.

Hoch gelobt von einigen Programmzeitungen und innerhalb der obligatorischen Fernsehtipps als " sehenswert " eingestuft, zeigt der Fernsehfilm die Geschichte über ein Frau-Mann-Beziehung, deren Ausgang eben kein erwartetes " happy end " nimmt.
Für die heutigen Genrationen 20 bis 40 kann dieses zeitgeschichtliche Stück zu mittleren,  mittel-schweren oder so gar schweren Irritationen führen, wird nämlich in ihm ein Konfliktpotenzial angerissen, dass für die jetzigen Spaßvögel, Rund-um-sorglos-Denkenden und Konsum-Fetischisten Probleme aufzeigt, die längst keine mehr sind.

Die attraktive Abiturientin Resa hatte bisher ihr geordnetes Lebensumfeld in der tiefsten bayrischen Provinz, in dem sie als Einzelkind bei den Eltern, die dort eine Bäckerei betreiben, wohl behütet aufwächst. Als sie sich 1974 zum Studium der Rechtswissenschaften nach München aufmacht,nimmt ihr bisher exakt durch strukturiertes Leben einen völlig anderen Verlauf.
Bei der Verabschiedung auf dem Anwesen des elterlichen Hauses zeigt sie sich noch relativ optimistisch,was das Bewältige des Großstadtlebens angeht.

Dennoch sind ihre Eltern auch hier noch besorgt. " Achte auf den Seitenwind, wenn Du fährst!", gibt ihr der Vater mit auf den Weg, als sie den gebrauchten, schon leicht betagten matt-weißen Renault R 4 anlässt. Zuvor machte sich die Mutter Gedanken um das leibliche Wohlergehen. " Hast Du Dir auch genug zu Essen eingepackt. Nicht, dass Du dort hungerst!", sagt sie eindringlich.
" Nein, Mutti. Ich bin doch nicht aus der Welt. So weit ist das doch nicht von hier.", antworte Resa und zuckelt mit dem 34 PS-Gefährt, voll bepackt bis unter das Dach und mit einem Holzschrank auf demselben davon.















So waren die Zeiten in den bewegten 70er Jahren. Weniger war oft mehr!
In München merkt Resa schon während der ersten Vorlesung bei einem Professor für bürgerliches Recht, das eben jenes nicht immer gilt,wenn die Etablierten, die Reichen und Mächtigen es nicht wollen.
Einige Studenten aus einer kommunistisch angehauchten Gruppierung mit dem Phantasienamen " Rote Zellen " verteilen im Hörsaal Flugblätter, in denen sie den Herrn Professor als Ex-SS-Mitglied bezeichnen. Der wird sofort wild und lässt die Störenfriede vom universitären Ordnungsdienst aus dem Hörsaal werfen. Resa ist zunächst etwas verwirrt, dann von dem Engagement der Störenfriede beeindruckt. In dem Haupträdelsführer, einem Studenten mit Jeans, Parka und langem Haar verliebt sie sich kurz daraufhin.

Die Liaison endet im Fiasko. Der Berufsrevoluzzer hat eigentlich kein wirkliches Interesse an einer dauerhaften Beziehung. Er schafft es dennoch, die naive Jura-Studentin aus der bayrischen Provinz in seinem Schulungszirkel zu holen, wo sie eisern und trotz der Anfeindungen durch seine "Genossen",die Grundzüge der " Politischen Ökonomie " zu ergründen versucht.
Ihre WG-Mitbewohnerin und Studienkollegin erkennt sofort,dass Resa sich in den Möchte-gern-Weltrevolutionär völlig verliebt hat. Das auch schon damals Liebe eher blind macht, erkennt Resa jedoch alsbald.
Während sie ihren - wohl eher angelesenen - Gerechtigkeitsdrang versucht auszuleben und durch praktische Hilfestellung versucht, einer von dem Alt-Faschisten und Rechtsprofessor mehrfach zu Unrecht des Hörsaals verwiesenen Kommilitonin, bei der Universitätsleitung zu ihrem Recht verhelfen möchte, hat ihr Revolutionär und Geliebte Oskar kein Interesse an derartigen Lappalien.

Oskar kümmert sich eher für die globale Strategieumsetzung, wie es gelingt, die Arbeiterklasse davon zu überzeugen, dass es an der Zeit ist, nun auf die Straße zu gehen, um das System umzukrempeln. Leider vergisst Oskar dabei, das begonnene Studium auch irgendwann zu beenden. Er träumt lieber weiter von der Revolution, von der Diktatur der Proletariats und der klassenlosen Gesellschaft - und zwar weltweit.

Es dauert nicht sehr lange,als Resa während sie für die " Roten Zellen " einen Info-Stand kurz beaufsichtigt, weil Oskarś Genosse angeblich etwas wichtigeres zu erledigen hat,von einem schmierigen Denunzianten des Verfassungsschutzes angesprochen und zum Herausgeben des Personalausweises genötigt wird. Der Spitzel - wohl RCDS und CSU-Mitglied - notiert ihre Personalien und verabschiedet sich bei Resa mit den Worten " Du hörst noch von mir !"

Die Beziehung zu Oskar geht auseinander. Resa lernt einen Kommilitonen aus der eigenen Fakultät kennen, zieht mit diesem zusammen und schmiedet später gemeinsame Zukunftspläne. Resa möchte immer noch Richterin werden, ihr Lebensgefährte hegt Wünsche in der gleichen Berufsrichtung. Als sie sich später nach dem ersten Staatsexamen sich als Referendarin mit Prädikatsexamen in München bewirbt, erhält sie wenig später eine Ablehnung. Sie sei nicht verfassungstreu, wird ihr vorgeworfen. Ob wohl sie zunächst geschockt ist,unterhält sie sich mit ihrem Lebensgefährten über die zukünftige gemeinsame Planung, sie,ahnt noch nicht,dass Oskar inzwischen in der Bürgerinitiative gegen die Startbahn West des Frankfurter Flughafens aktiv ist. Oskar trifft Resa zufällig auf dem Flohmarkt im Hinterhof irgend eines verkommenen Abrisshauses in München wieder. Resa liebt Oskar immer noch und paukt ihn zusammen mit ihrem Freund, der inzwischen Rechtsreferendar ist, aus der U-Haft in Frankfurt heraus.
Der revanchiert sich später, indem er als Zuge in den inquisitorischen Anhörungsverfahren zu der Zulassung als Referendarin, zu ihren Gunsten aussagt. Resa darf das 2. Staatsexamen in Bayern ablegen, jedoch keine Richterin werden.

Bereits bei der ersten Begegnung zwischen Resa und Oskar kam es zu Spannungen zwischen den beiden Männern. Natürlich spielt dabei Eifersucht eine gewichtige Rolle. Als Resa hört, dass Oskar wieder an vorderster Front im Kampf gegen die kapitalistisches Interessen der BRD-Bourgeoisie steht, wird für sie klar, wohin sie eigentlich gehört: zu Oskar! Der wird indes während der Polizei-Prügel-Räumung des Widerstandsdorfes um die Startbahn West nicht nur zum Vorbild für ihr künftiges Lebens, sondern er ist auch Anlass zur Trennung von ihrem Noch - Lebensgefährten. Die gemeinsame Wohnung wird aufgelöst, Resa zieht mit Oskar zusammen und plant zwischenzeitlich, wie das künftige Zusammensein irgendwann durch eine Eheschließung und Familiengründung auch legitimiert werden kann. Oskar indes, spielt weiterhin den Berufsrevoluzzer. Als dessen Vater plötzlich verstirbt, kommt es am Grab noch zum Eklat zwischen seiner Mutter und ihm. Er wird ausfällig, muss sich jedoch selbst eingestehen, seine Lebensinhalte nur dank des regelmäßigen Schecks des Vaters hat umsetze können.

Einige Zeit darauf, erkennt Oskar, dass seine Genossen von einst längst das Studium erfolgreich abgeschlossen haben, schon einer Berufstätigkeit nach gehen und zum Teil Familie gegründet haben. Er bekommt eine Sinnkrise und verschwindet urplötzlich aus dem Umfeld von Resa. Sie selbst hat inzwischen ein Kind von Oskar abgetrieben und merkt spätestens danach, dass er nicht der richtige Mann ist. Sie beschließt, nach dem 2. Staatsexamen sich als Rechtsanwältin zuzulassen und verlässt Bayern für einige Zeit, um bei der EU in Brüssel zu arbeiten.

Es folgt ein Schnitt von mehr als 15 Jahren. Resa hat sich mittlerweile als Änwältin einen Namen im Bereich des Bauplanungs - und Umweltrechts gemacht. Sie vertritt unter anderem die Interessen des " B.U,N.D ", der den Ausbau des Braunkohleabbaus in Gatzweiler bei Köln stoppen möchte. Bei einer Anhörung und anschließenden Presseinterviews erkennt sie Oskar, der inzwischen der Pressesprecher der Landesregierung geworden ist. Selbst CDU-Mitglied mimt er nun den Verfechter der Interessen des Großkapitals und der Profiteure bei der Ausbeutung der Landschaften. Er nennt die Gegner "Spinner" und " Träumer " sowie " Ignoranten ". Oskar ist verheiratet, hat zwei Kindern und lebt irgendwo in einem exklusiven Neubaugebiet in oder um Düsseldorf. Er hat Karriere gemacht und dafür oder besser: dabei seine einstigen Ideale verraten!

Ein letztes Mal versucht Oskar die einstige Beziehung zu Resa wieder aufleben zu lassen. vergeblich! Oskarś Frau ist eine Ex-Freundin aus Resa's Studententagen. Beide Frauen treffen sich in dem von dieser geführten Cafe'und beschließen, ihm endgültig das Handwerk zu legen und darüber Klarheit zu schaffen, dass er inzwischen für eine Familie verantwortlich ist. Oskar gibt auf und bleibt bei seiner Familie.

So weit, so gut und exzellent von Rosalie Thoma,David Rott und später von Barbara Auer sowie August Zirner gespielt. auch die weiteren Rollen sind mit nahezu authentisch agierenden Schauspieler gut besetzt worden.

Dank des hervorragenden Zusammenarbeit des WDR/ARTE-Teams wird ein kleines Stück Zeitgeschichte der westdeutschen Spießer-Gesellschaft und des Schnüffel-Staates innerhalb der 1 1/2 Stunden wieder aufgewärmt. Dazu kommt die perfekt aufgezeigte bayrische Gründlichkeit und das dortige Geflecht von einer nahezu mit absolutistischen Machtstrukturen ausgestatteten CSU, was dem Berufswunsch des als Landei in die Großstadt München ziehenden Jurastudentin zuwider läuft. Während manche Schleimer von einst, so viele Berufsrevolutionäre der Endsechziger und danach oder mit Studienzwängen über das Elternhaus getriebene Lernunwillige ihre Lebenslinien noch immer über das väterliche Beziehungsgeflecht finden konnten, bleibt einigen Protagonisten aus den bewegten 70er nur die bittere Erkenntnis, dass auch schon damals die Ausbildung und das berufliche Fortkommen vom Geld abhing.

Auch wenn sich im Mittelpunkt des Films zwei eher Ungleiche versuchen zu finden, sind es eher die Randerscheinungen, die jene Fakten aus den Dekaden zwischen 70er bis heute gerade wieder geben. Die Berufsrevoluzzer, deren Elternhäuser das Treiben jener Selbstdarsteller auch damals absicherten, die Verlogenheit, mit der so mancher Karrierist sich selbst verleugnet hat und das entlarvende Outfit von provokativen Schlabberlook bis zum Designeranzug, machen diesen Film so interessant.
Eine sehenswerte retrospektivisch eingebettete Romanze mit einem Schuss an beißender Sozialkritik. Mehr davon!

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