Alte Bekannte




Die deutsche Wiedervereinigung hat - zumindest geographisch betrachtet - für viele Deutsche eine win-win-Situation hervor gebracht. Nicht nur, dass 108.179 km² Gesamtfläche und die Einwohnerzahl von 16,675 Millionen ( Stand: 1988 ) hinzu kamen, was einer Bevölkerungsdichte von 154 Einwohner pro km² entsprach,nein, mit der Zusammenfügung der seit 1945  de facto, 1949 de jure und 1961 auch ständig sichtbar gewordenen, unterschiedlichen beiden deutschen Staaten, im Jahr 1990, sind viele, einzig artige Landschaften ohne großen Aufwand für die Bewohner des einstigen Westdeutschlands, der BRD, erreichbar.
Leider wird dieses, immerhin fast 22 Jahre nach der vollzogenen Vereinigung, von eher wenigen Bewohnern der so genannten Alten Bundesländern wahr genommen. Eher sehr verhalten werden deshalb nur bestimmte Städte und Landstriche besucht. Dabei ist mit Sicherheit auch die Insel Rügen, das flächenmäßig größte Eiland der Bundesrepublik. Weitere Touristenziele sind aber auch Usedom und Hiddensee. Die landschaftlich attraktivste Ostsee-Ziel stellt jedoch der Darß dar. Eine Halbinsel, die sich als mittlerer Teil des geographischen Dreigestirns Fischland - Darß - Zingst versteht und nicht nur über einen lang gezogenen Sandstrand verfügt.

Wer sich zu einem Besuch der Halbinsel entschließt, sollte indes berücksichtigen, dass der Darß zwar als " Geheimtipp " unter See-Fans gilt, dieses jedoch - zumindest in den Sommermonaten von Mitte Juni bis Ende August - eigentlich gar nicht ist.

http://de.wikipedia.org/wiki/Dar%C3%9F



Nach dem klar war, dass unsere Einladung zur zeitlich beschränkten Enkel-Betreuung wegen der bereits ausgebuchten Quartiere dieses Jahr in Zingst statt finden sollte, starteten wir unsere Anreise am Morgen des 16. August in Dresden. Die Fahrt in Richtung Berlin verlief - trotz einiger Baustellen - ohne größere zeitliche Verzögerungen, so dass die Bundeshauptstadt bereits nach 2 1/2 Stunden hinter uns lag. Die Reise ging dann über die A 10 in Richtung Prenzlau, die A 11 in Richtung Stettin sowie die A 20 nach Stralsund weiter. Das Wetter verschlechterte sich allerdings gegen Abend, so dass die restlichen Kilometer auf den Landstraßen 23 und 21 bis Zingst nicht mehr so entspannend waren. Hinzu kam noch, dass das gute " TOM TOM " - Navigationsgerät bei der Suche nach dem Touristikbüro ein wenig herum sponn und uns leicht in die Irre führte.

Am gemieteten Domizil angekommen, wartete auf uns eine weitere Überraschung  in Form einiger Mängel in der Unterkunft. Immerhin sind 190,-- € pro Tag sowie 304 € für die beiden Tage ab Donnerstag und Freitag kein Pappenstil. Da kann, ja da muss der Gast schon ein sauberes Ferienhaus vorfinden. Nun ja, Sand auf der Coach, Spinnenweben in den Ecken und ungeputzte Fenster könnten noch als kleineres Übel sein, wenn da nicht die fehlende Bettwäsche für das Kinderbett und mindestens 2 Satz nicht vorhandene Handtücher gewesen wären. Leicht angefressen begaben wir uns denn am folgenden Morgen zu dem Touristikbüro und monierten dort diese Mängel. Eher unfreundlich und in einem leicht arroganten Ton, versuchte die Mitarbeiterin vor Ort unser Anliegen zur Kenntnis zu nehmen. Erst, nach dem der Hinweis auf Reisepreisminderung in ihre Gehörgänge drang, bequemte sie sich, zumindest die Bettwäsche und Handtücher heraus zu rücken. Eher unzufriedener als mit dem gebotenen Service einverstanden, trollten wir uns auf den Heimweg. Flugs wurde das Kinderbett bezogen und die Handtücher ergänzt, dann war eine Fahrt zum Strand angesagt.

Das Wetter lud förmlich zu einer längeren Radtour ein. So kämpften wir uns in den Mittagsstunden durch das am, direkt auf dem Deich entlang führende, Radwegparadies, dass beinahe jede 500 Meter einen Strandübergang anbot. Nach den überstandenen, wilden Überholmanövern, den Fußgänger-Kapriolen, wie mitten auf dem Radweg plötzlich stehen bleiben zu müssen oder den elenden Nebeneinanderherfahren der langsameren Mitradelnden zum Trotz, gelang es uns schließlich einen der letzten Zingster Strandübergänge der Ostseite heile zu erreichen. Dass Zingst oder der Darß unter den Erholungssuchenden aus dem Osten sich wieder großer Beliebtheit erfreut, konnten wir wenig später an den vielen Fahrzeugen mit Kennzeichen wie BLK,HBL,SDL,ABG,GTH,SÖM,C,L und Z erkennen, die auf dem Rückweg parallel zum Deich an uns vorbei rauschten.

Da uns der Hochsommer mit Temperaturen von über 30° auch in den drei folgenden Tagen verwöhnte, lag nichts näher, als die Radtouren nicht nur zu verlängern, sondern sogar noch zu erweitern. Neben einem weiteren Besuch des Zingster Strandes, führte uns der gut ausgebaute Radweg am Sonntag zu dem Ort Prerow, der eben zum Darß zählt. Bereits aus dem letzten Jahr wussten wir, dass die dortige Seebrücke eine Attraktion ist. Bei der Ankunft, nach einem etwa 9 Kilometer langem Teilstück des Deichradwegs,
auf dem Parkplatz an der Seebrücke, staunten wir nicht schlecht. Hunderte von Fahrräder waren bereits dort abgestellt worden und auf dem schmalen Weg in Richtung der uns wohl bekannten " Freßbuden " herrschte ein dichtes Gedränge. Familien mit Kindern, rüstige Rentnerpaare und Alleinreisende schoben sich voran. Die Tische der dicht aneinander gereiten Imbissbuden waren gut besucht; ebenso die Verkaufshäuschen und Souvenirstande. Nach einer kurzen Verschnaufpause warfen wir uns in das Getümmel. Bereits nach einigen Dutzend Metern gaben wir jedoch das Vorhaben auf und steuerten statt dessen eine der Imbisse an. Hier gab es, neben dem üblichen Gemurkse zwischen Pommes mit Majo oder Ketschup sowie Hamburgern eine kulinarische Köstlichkeit mit dem Namen Darßer Fischsuppe.
Da lässt es den Besucher schon mal schnell vergessen, dass die Brutzelbutze nun nicht der Hochgenuss in vollendeter Kochkunst ist, die dem Gast das Geld aus der Tasche zieht,nein, jene äußerst leckere Spezialität - zudem auch noch frisch zubereitet - bringt den Gaumen auch dann noch so richtig in Wallung, wenn draußen immer noch der Bär steppt.

So verabschiedeten wir uns leichten Herzens von dem Plan, die Seebrücke zu begehen und wühlten uns nunmehr wieder durch den Besucherstrom. Nach einigen Minuten hörte ich vertraute Laute aus dem vergangenen Jahr. Es war jener Straßenmusikant aus Litauen, dieser rot-blonde Wuschelkopf, nicht mehr ganz jung, dafür aber immer noch gut drauf, der einige Seemannslieder und Folklore-Stücke zum Besten gab. Unterstützt von einem Schifferklavier, einem Akkordeon, einer Gitarre und einer Posaune. So sang und spielte er unter anderen auch den Gassenhauer " La Paloma ".
Auf dem Rückweg überlegte ich mir, ob seine freie Tätigkeit so auskömmlich sein kann, dass er den weiten Weg von Lettland nach Prerow auf sich nimmt, um hier einige Euro zu erhalten? Vielleicht ist jedoch eher die, mit der Sommerzeit verbundene Leichtigkeit des künstlerischen Seins, die ihn auch im Jahr 2012 auf den Darß zog. Wenn der vom Wetter verwöhnte und in Urlaubsstimmung flanierende, gut gelaunte Tourist, seinen Geldbeutel zückt, wandert dann doch so manche Münze in den offen gelassenen Posaunenkasten.

Der Alte Bekannte ging mir auf dem Rückweg nicht aus dem Sinn. Weshalb ich ihm jetzt einfach diesen Post widme.

Viso gero. Iki kitų metų, Mr muzikantas!


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