" Vater Land, Vater´s Land " , wenn zwei Liedermacher auf Tournee gehen.
Gestern Abend, nachdem unser Diskus - Goldjunge Robert Harting in einem wahren Jubelsturm sein Trikot zerfetzte, die "...schland "-Flagge, vom ZDF anheimelnd verfolgt, medien -wirksam inszeniert um seinen kolossalen Körper wickelte und dabei wahre Freudensprünge veranstaltete, musst auch ich mir eine kleine Freudenträne aus dem rechten und linken Augenwinkel drücken. Eeeeeeeendlich.. wieder mal Gold! Wir mussten ja nun lange warten, ehe ein bundesdeutscher Leichtathlet das Siegerpodest besteigen durfte. Gut so, denn damit sind wir - zumindest vorübergehend - vor dem Teilnehmerland Kasachstan in der Gesamtmedaillenwertung auf den 8. Platz gerutscht. Jetzt hieß es, weg zappen und auf den schwarzen Kanal des Bayrischen Fernsehens überwechseln. Da plärrte eine Bazi-Sprecherin gerade noch die Spätnachrichten herunter. Lange nicht eingeschaltet, den Sender aus der Provinz rund um München.
Die gesetzteren Alters hinter einem opulenten Designertisch stehende BR-Nachrichtensprecherin verkündete noch kurz vor dem " Bayern-Wetter " jene Meldungen zu den Erfolgen der bundesdeutschen Olympioniken in London: " Am 14. Tag der Olympischen Spiele in London haben wir weitere Medaillen errungen...."
Häh, wir?
Ich, Olympiasieger, Du Olympiasieger, Wir Olympiasieger. Das Latrinenblatt aus Berlin wird titeln: " Wir sind Olympiasieger im Diskuswerfen; wir sind Robert, wir sind goldig! "
Hannes Wader, inzwischen 70 Jahre alt, der Haudegen aus den bewegten Zeiten des politischen Liedes, wie es massenweise jeden Sommer auf der Burg Waldeck im hessischen Bergland kredenzt wurde und Konstantin Wecker, ein Münchner Urgestein, der vor einigen Wochen seinen 65. begehen konnte. Zwei der erfolgreichsten Vertreter eines Genres, dass am aussterben begriffen wäre, wenn sich die zwei älteren Herren nicht ab und zu aufraffen, um der gesamtdeutschen Gesellschaft hier und da ein wenig den Spiegel der Realität vor die Augen zu halten.
Trotz aller Unterschiede gibt es Gemeinsamkeiten - beide sind verwundbare Poeten in einer längst kalten Gesellschaft, die sich nach außen hin unverwundbar gibt. Diese Konsum - und Industriegesellschaft hat ihr Antlitz zwar längst verändert, dieses ist nur der äußere Teil, der in dem Film "Wader Wecker Vater Land". Nach innen hin zeigt der Film viele Sequenzen über die Begegnung zweier widersprüchlicher Persönlichkeiten, die mit ihren Liedern die 68er-Bewegung geprägt haben. Hannes Wader und Konstantin Wecker verkörpern mit und in ihren Liedern deshalb vor allem ein Stück Zeitgeschichte über ein Land, das sich über die Jahrzehnte nicht weniger verändert hat als Wader und Wecker mit ihm. Deutlich wird dieses bei den Texten der beinahe gleich benannten Stücke über dieses Land, ihr " Vater Land ":
Vata?
Is des wirklich wahr?
Warst du wirklich a Sozi in die dreißiger jahr ?Warst du wirklich damals im Widerstand?
Hast gekämpft gegns eigene Vaterland ?
Vata
I muass mi schama
I möcht an andern Nama.
In der schul'.
Du glaubst ned
Wie peinlich des is.
Da heissen's di an Kommunist.
Und der bua träumt von recht und Ordnung
Von an gsunden
graden Tritt
Und im Geist,
da hört ers marschieren.
Und im Geist,
da marschiert er scho mit.
Und der Vata woass ned aus no ein.
So weit is scho kumma mit der Duckerei.
Mit Kommunistenhatz und Berufsverbot.
Und Wirtschaftswunder und Arbeitsnot.
Da wehrst di dei lebn lang gegen all den Schutt.
Und dann machas dafür dein Sohn kaputt.
Und der Vata nimmt si a Nacht lang Zeit
Und verzählt dem buam von der Unmenschlichkeit.
Von Kriag
Von Kz.
Von Feigheit der Leit
Und er plärrt
Paß auf,
dsie macha si bald wieder breit !
Dann packt der Bua seine Sachen,
sagt: Vata,
da muass i doch lachen.
Du kannst es doch überall lesen,
des is doch ganz anders geweswn.
Und dann träumt er von hohen Stiefeln
und von männern aus Stahl und Granit.
Und im Geist,
da hört er Trompeten.
Und im Geist,
da marschiert er schon mit.
Und der Vata woass ned aus no ein.
So weit is scho kumma mit der Duckerei.
Mit Kommunistenhatz und Berufsverbot
Und Wirtschaftswunder und Arbeitsnot.
Da wehrst di dei lLbn lang gegen all den Schutt.
Und dann machas dafür dein Sohn kaputt.
Und a paar Wocha später steht der Bua vor der Tür
und zittert und flüster: i ko nix dafür.
Die macha Ernst,
die basteln Granaten
Die redn von Volkssturm und Attentaten.
Vata
I muass mi schama
I möcht an andern Nama
Wir ham - i trau mirs gor ned sagn
Gestern nacht im Streit an Mann erschlagn.
Und der vata denkt an früher,
hört die grausamen Stiefel marschieren
Und im Geist,
da marschieren di noch immer.
Und schon morgen ko des wieder passieren.
Und wie so viele andere kriagt er an Zorn
Was is bloß wieder aus Deutschland worn ?
Mit Kommunistenhatz und Berufsverbot
Mit Wirtschaftswunder und Arbeitsnot.
Da wehrst di dei Lebn lang gegen all den Schutt,
da machas dafür deine Kinder kaputt.
Bei Hannes Wader´s " Vater´s Land " hört es sich so an:
Vaterland, Vaterland,
bist mir gänzlich unbekannt.
Wenn Vater Land besessen hätte,
nebst seiner letzten Ruhestätte.
Wüsste ich etwas davon.
Wüsste ich etwas davon.
Seid bereit, seid bereit.
Bald ist es wieder soweit.
Für die das Vaterland zu schützen,
deren Väter das Land besitzen.
Und noch manches andere mehr.
Wohl kein Schwein, wohl kein Schwein,
könnte jemals Deutscher sein.
Als ich, ich hab in meinem Leben
Deutschland immer mehr gegeben.
Als ich zurück bekommen hab.
Als ich zurück bekommen hab
Ich bin hier, ich bin hier
Zuhause, hier gefällt es mir.
Möchte bloß an manchen Tagen,
wenn Deutsche Ausländer erschlagen.
Kein Fremder und kein Deutscher sein.
Immer mehr, immer mehr
Deutsche, schon ein ganzes Heer.
Neo-Nazis, Dichter, Denker
Politikerinnen und Bänker.
Woll'n dennoch stolz auf Deutschland sein.
Woll'n dennoch stolz auf Deutschland sein.
Möchten schon, möchten schon,
gerne wieder als Nation.
Wie die Franzosen und die Briten,
als Deutsche und Antisemiten.
Frei und unbefangen sein.
Die Gewalt, die Gewalt
lauert in wechselnder Gestalt.
Gleich, ob heimtückisch und verschwiegen,
entfesselt in blutigen Kriegen.
Darauf, dass ihre Zeit bald kommt.
Darauf, dass ihre Zeit bald kommt.
Hoffen wir, hoffen wir,
dass ich, in allem was ich hier.
Über diesen Albtraum schreibe
Und singe, maßlos übertreibe
Hätte mich zu gern geirrt.
Hätte mich zu gern geirrt.
So verbleibt nach 90 Minuten Film über die beiden Liedermacher, die Erkenntnis, dass beide in ihren Stücken erhalten geblieben ist:: die Sehnsucht, sich nicht verbiegen zu müssen, sondern mit allen Schwächen, Leidenschaften, Exzessen eigenwillig zu sein; die Sehnsucht, sich immer wieder zu wandeln, dabei Grenzen auszutesten - mit dem Risiko, abzustürzen. Weil man nur dann das Leben so spürt, dass es auch tatsächlich lebenswert bleibt. Ohne Sinn entstellte Schlagworte und Propaganda-Vokabular aus der Mottenkiste vor über 80 Jahren.
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