Vom Jugendblatt zur Päderisten-Lektüre?







Vor mehr als 45 Jahren hatte ich sie zum letzten Mal in meiner Hand: die
BRAVO! Jenes, dann immer bunter werdende Heft für die Mode bewusste Jugend. Das Teenager-Informationsorgan der freien Mehrheit, des noch zweigeteilten deutschen Volkes kostete zu dieser Zeit eine halbe Deutsche Mark, ergo: fünfzig BRD-Pfennig! Das Heftchen war Jahre zuvor für viele Jugendliche ein Muß, es war Kult und gehörte in jedes eigene Zimmer - sofern vorhanden.
Die entstehende Sammelwut der Leser, die sich daraus ergab, dass mit der neuen Ausgabe eine Seite dem aktuellen Starschnitt gewidmet war, führte zu wahren Kämpfen an den Kiosken, den Tabak - und Zeitschriftenläden oder den Bahnhofsshops. Wer zuerst da war, der erhielt natürlich die wöchentlich erscheinende BRAVO-Ausgabe auch als Erste(r). Damit konnte leicht und locker gegenüber den Freunden angegeben werden. Der prägnante Satz hierzu lautete: " Hast'e schon die neue BRAVO? "

Was waren das ab Mitte der 60er für großflächige Wandverzierungen: Pierre Brice als Winnetou, Lex Barker als Old Shatterhand, Francoise Hardy, die französische Bänkelsängerin, Manuela, die bundesdeutsche Schlager-Träller-Liese, Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich, die schier unaussprechliche Pop-Formation aus dem fernen England oder " The Beatles ", " The Rolling Stones "; nicht zu vergessen " The Kinks "? Auch Schauspieler, wie Diana Rigg - mein heimlicher Schwarm -, ihr männlicher Pendant Patrick McNee, als Ms. Peel und John Steed aus der Kult-Serie " Mit Schirm, Charme und Melone " oder Dietmar Schönherr alias Commander Cliff Allister Mc Lane, seine verbotene Liebe im Raumschiff Orion, die Sicherheitsoffiziersfrau Tamara Jagelovs, gespielt von Eva Pflug, selbst die spätere CDU-Sponsorin und inzwischen perma-geliftete Allrounderin aus München Uschi Glas wurden von mir ausgeschnitten und gesammelt.
Sie alle pappten irgendwann vor grauer Vorzeit an den Wänden des eigenen Zimmers. Stolz wurden sie den Freunden gezeigt.

Dann war da noch die wöchentliche " BRAVO " - Hitparade, die von Radio Luxemburg ausgestrahlt und über den knackenden, rauschenden und zirpenden MW-Empfang des Truhen förmigen " Grundig " - Radios mit einem Herzklopfen verfolgt wurde. Der Moderator hieß einst Camillo Felgen und sagte mit sonoriger Stimme, zwischen Werbung und sonstigem Gedöns, die Platzierungen der Lieblinge von damals an. Ein absolutes High-Light der ansonsten streng, züchtig und auf Gehorsam gedrillten BRD-Jugend.

Dann kam die wilde Flower & Power - Phase, die Zeit der Hippies, Gammler und Beatniks. Der Musikgeschmack änderte sich. Die ersten Stücke, die der reaktionären luxemburgischen Sender - Zensur anheim fielen waren: " The ballad of the green barets " von dem singenden Prediger Barry Sadler, die deutsche Version von - horch, horch! - Freddie Quinn: 100 Mann und ein Befehl " und natürlich " Je't aime, moi non plus " von Jane Birkin und Serge Gainsbourgh. Letzteres Lied deshalb, weil beide vocalistisch den Geschlechtsakt in die Rille pressen ließen. Unerhört! Ein Skandal! Nicht nur für Frooonkreisch, Duitschland oder die Schwyz, nein, auch das ober prüde Amerika klinkte sich gleich in jene Staatengruppe, die den Bannstrahl der klerikalen Trommler und Menschen verachtenden Oberlehrer auf jenes - eher harmlose - Gesäusele des französischen Duos aussenden wollten, mit ein.

Tja, und dann noch eine Rubrik in den Ausgaben der " BRAVO ", die einst mit " Fragen an Dr. Sommer " tituliert, zu jenen großen und kleinen Problemchen der pubertierenden Geamtleserschaft - oft nur unverbindlich - Auskunft erteilen sollte. Die angeblich " sexuelle " Revolution ab Mitte der " roaring sixties " ließ auch das Teenager-Magazin nicht ganz sprachlos werden. Was im Elternhaus peinlich verschwiegen, hinter dem zu gehangenen Schlüsselloch versteckt und auf zart errötende Fragesteller/innen - im besten Fall - mit: " Darüber spricht man nicht! " abgetan wurde, konnte der neugierige, Pickel suchende und von Hormonschwankungen geplagte Jugendliche, in der " BRAVO nach lesen.

Der Aufklärungsfaktor war hoch, weil neben diversen - oft ungelenk ausformulierten - Bedürfnissen, über festgestellte körperliche Veränderungen, wie Menstruation, Stimmbruch und Achselschweiß, auch einige bebilderte Antworten gegeben wurden. Pädagogisch holte die " BRAVO " über viele Jahre die Versäumnisse der immer noch in Schockstarre verfallenen Eltern - oder Großelterngeneration nach, die sich zudem dafür schämten, mit dem Möderpack der Nationalsozialisten auf die falschen Heilsbringer gesetzt zu haben. Dafür wurden ihre Kindern eben genau so falsch erzogen, wie sie es selbst erlebt hatten.

Während die materiellen Versuchungen mit zunehmenden Wohlstand größer wurden, der Auslandsurlaub, das eigene Auto und in zunächst nur einfaches Einfamilienheim alsbald auf den Wunschlisten ganz oben stehend, doch manchmal so gar in Erfüllung gingen, blieben die elterlichen Pflichten im Verborgenen. Die Mehrzahl der Kinder - oft waren es zwei, drei oder vier ( Stück ) - erzogen sich selbst und blieben mit ihren altersbedingten Problemen genau so oft allein - natürlich auch mit der Sexualität.

Da half die Teenager-Postille zum richtigen Zeitpunkt nach. Flankiert von den öffentlichen Kampagnen des " Aufklärungspapstes " Oswald Kolle, den " Skandal " - Kinofilmen a'la'" Helga " und dem Schmuddel-Image behafteten Veröffentlichungen in dem hamburger Sex-Blatt " St. Pauli Nachrichten ", gelang es der " BRAVO " eine große Zahl von wissbegierigen Unaufgeklärten, die Geheimnisse der biologischen Metharmorphose von Kind - Kindfrau - zur Frau und Junge - Jungmann - zum Mann näher zu bringen. Die " BRAVO " war über lange Zeit institutionalisierte Gegenkultur im DIN A4 - Format. Heimlich gekauft, unter der Bettdecke bei Taschenlampenschein gelesen und sorgfältig unter der Matratze im Verborgenen gehalten, frönte sie über einige Jahre ihr standardisiertes Dasein, so auch in meinem zweigeteilten Zimmer; solange, bis ich die jeweils aktuelle Ausgabe durch gelesen, sämtliche unkeuschen Leserbriefe, deren Antworten von Herrn Dr. Sommer oder die zusätzlichen Illustration zu den menschlichen Geschlechtsorganen mir näher gebracht hatte. Danach durfte sie mein jüngerer Bruder auch lesen.

Die Jahre verflogen, die Interessenlagen änderten sich, die BRD-Gesellschaft unterlag dem sozio-kulturellen Wandel. Was einst nur unter dem Ladentisch, aus einer gut getarnten Kiste des Warenlagers oder beim Frisör nach Ladenschluss verkauft wurde, gehörte alsbald zum Angebot jedes Zeitschriften führenden Geschäfts: Sex-Blätter, Porno-Hefte und die " BLÖD " - Zeitung mit ihren barbusigen Null-Acht-Fünfzehn -Cover-Girls. Das Thema Sexualität erhielt eine andere Wertigkeit in den Medien. Die Veröffentlichung diverser Geschichten aus jenem zwischenmenschlichen Genre, ob nun über einen Star, Promi oder Pseudo-Schickeria-Zugehörigen, sie alle ließen es sich mit ihren erlebten, erlittenen und erlogenen Herz-Schmerz-Kommerz - Stories kaufen. Je einfältiger, plumper oder naiver ihre Schilderungen in den ungezählten Gazetten gedruckt wurden, desto höher der voyeuristische Faktor der darbenden Bevölkerungsmehrheit. Weil das eigene Leben eher trist, freudlos und oft inhaltslos vorbei rauscht, müssen zumindest die Regenbogen-Postillen einige Farbtupfer setzen.

Was längst in der Erwachsenwelt zum unspektakulären Alltag zählt, wird nun über die " BRAVO " auch in das High-Tech-Jugendzimmer transportiert: Sex in allen Variationen. Vom Petting, über den - vor den Objektiven der Free-Lance - Shooter - simulierten Geschlechtsakt bis zur Gruppensex-Party - nichts scheint unmöglich, dank " BRAVO "!
Da ranken sich zarte, noch halb kindliche Körper, voll enthaart, modisch tätowiert und turbo - gebräunt, geliftet, geschminkt und gepierct umeinander, zeigen sich in eindeutig - zweideutiger Pose auf diversen Möbelstücken oder in unterschiedlichen Räumen. Sex as Sex can?

Bei derartig vielseitiger Frischfleischbeschau, die die Auflage steigernd und Profit maximierend, der angesprochenen Altersgruppe kredenzt wird, können die Erwachsenen nicht teilnahmslos zur Tagesordnung über gehen. Flugs meldete sich das moralische Gewissen, des permanent überforderten Wertkonservativen in Gestalt selbst ernannter Retter der abendländischen Glaubenskultur und gab folgendes Pamphlet als Lachnummer zum Abschuss frei:

" Appell an

Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Köhler

Bundespräsident Dr. Horst Köhler

Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel

Stoppt endlich BRAVO!

Sehr geehrte Frau Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Köhler,

sehr geehrter Herr Bundespräsident,

sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin !

Die Jugendzeitschrift BRAVO - die meistverbreitete in Deutschland - wird nach Angaben des Verlages von Kindern ab sechs Jahren gelesen (Presseerklärung vom 29. Juni 1999). Diese Tatsache ist erschreckend, wenn man die Inhalte dieses Blattes kennt:

* Jede Woche werden ein Junge und ein Mädchen splitternackt abgebildet, die dabei über ihre Sexualabenteuer berichten. So gut, wie in jeder Ausgabe werden Jugendliche beim Geschlechtsverkehr gezeigt.

* In jeder Ausgabe gibt es Berichte über Themen wie „Kamasutra“, „Erotische Ausstrahlung“, „Oralsex“ usw. usf., natürlich mit den dazugehörigen Erotik- und Nacktfotos, abgesehen von sexuellen Perversionen, wie beispielsweise Fesseln und Sadomasochismus.

* Bizarres wird als „cool“ und „toll“ dargestellt, wie beispielsweise die „Rock-Party“ der Punk-Gruppe „Tokio Hotel“, die zu einer Zerstörungsorgie wurde. Die Liste solcher Beispiele könnte man beliebig erweitern.

Gegen diesen Skandal muß ernsthaft etwas unternommen werden. Deshalb bitte ich Sie, als zuständige Bundesministerin für die Jugendlichen in Deutschland, mit Ihrer Kompetenz das Möglichste zu veranlassen, damit diesem wahren Massaker an der Kindheit Einhalt geboten wird.

Mit freundlichen Grüßen "


- Ende des Zitats -


Hoho, " ... Massaker an der Kindheit.. ", dem " Einhalt geboten " werden muß.

Tatsächlich?

"... Sexuelle Perversionen, wie beispielsweise Fesseln, Sadomasochismus.. ", werden hier angeprangert. Nun, ja, es muß nicht gleich die gesamte Palette der Erwachsenen-Sex - Variationen adaptiert werden. Nur, wo ein Wille zum Anschauen von vermeintlich ungeeigneten Material, da auch ein Weg zur Umsetzung jener behaupteten Gelüste. Aber, sind es wirklich die jeweils inne wohnenden unmoralischen Triebe, die hier geweckt, gefördert und gezeigt werden?

Da scheint die eigene Jugend bei jenen klerikalen Amöben doch schon soweit entrückt zu sein, dass sie den Folgegenerationen, außer verquasteten Moral - und Sittenvorstellungen, rein gar nichts an brauchbaren Lebensinhalten vermitteln können. Unter der immer noch geltenden Prämisse, dass zwischen Theorie und Praxis ein Himmel weiter Unterschied besteht, dürfte der oben zitierte Appell an die Politik zur Schmierenkommödie verkommen, wenn nämlich damit auch gleichzeitig die aktuelle Berichterstattung über die kirchliche Päderistenszene im Schutze des Doms, der Sakristei und sonstiger " heiliger " Räume der beiden größten, vom Staat alimentierten bundesdeutschen Sekten, zur Sprache kommt. Was inzwischen - mittels öffentlichen Drucks - peu a peu an das Tageslicht kreucht, scheint zwar für viele, naive BRD-Michel, unfassbar zu sein, entspricht allerdings der gängigen Verfahrensweise seit den 50er Jahren.

Um jenen Schmutz, jene verlogene Doppelmoral und die methodische Vertuschung aus den Reihen der Pfaffen in Gänze erfassen zu können, bedarf es einiger tausend " BRAVO " - Hefte, jedoch in ihren Inhalten der Jetztzeit angepasst und nicht, wie vor mehr als 50 Jahren.

So gilt denn auch hier die Plattitüde: " Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen! " Bezogen auf die Initiatoren des vor beschriebenen Aufrufs, im DVCK e.V. ( Deutsche Vereinigung für eine christliche Kultur ) trifft jene Lebensweisheit nicht nur zu, sondern lässt sogar die Feststellung erkennen, dass der eigene Dreck am Stecken nicht dazu dient, ihn auf andere Menschen zu werfen. Oder sollte etwa nur das Verhalten als christlich gelten, was zur Zementierung der eigenen Position in der materialistischen Gesellschaft führt?










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