"Der Trommler trommelt hart." - Wie das Projekt " Musik-Joker " kläglich scheiterte.




Als in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Jugend in der westlichen Hemisphäre aufbegehrte, ihren eigenen Lebenstil suchte und dabei den der Elterngenerationen in Frage stellte, gehörte die Beatmusik  zu den Elementen der andersartigen Lebensphilosophie. Nun ist Musik eben einmal auch Geschmackssache und über Geschmack - so die Plattitüde - lässt sich bekanntlich streiten.
Einen solchen Streit gewann auch damals - also ab den 60er Jahren -  nicht der mit den besseren Argumenten, sondern immer der Stärke, der das Geld und die Macht inne hatte.

Deshalb gelang es zu jener Zeit eben den Hassern der Pop - oder Beatmusik in der BRD die Anzahl der in den staatlich kontrollierten Rundfunk - und Fernsehanstalten gespielten und gezeigten Musiktitel und - gruppen auf Sparflamme zu halten. Die neue Musikrichtung passte den "Alten" nicht und so versuchten diese mittels billiger Polemik die Musik der Jugend zu diskreditieren. " Negermusik, Hotten-Totten-Geschrei oder Gejaule " waren die bekanntesten Begriffe von einst.

Die Welt drehte sich indes Tag für Tag weiter und aus dem " Krach " von damals wurde alsbald eine feste Größe in jedem Rundfunk - und Fernsehprogramm. Es begann in der BRD, im "Goldenen Westen" mit dem " Beat Club " von Radio Bremen, dem " Musikladen " oder dem " Rockpalast " vom WDR, aber auch Ilja Richter´s " Disco " zählt dazu. In den Rundfunkprogrammen setzten sich Sendungen wie " Pro Pop Music Shop ", " Rock In " ( WDR 2 ) mit dem unvergessenen Winfrid Trenkler am Mikrophon oder auch " Pop Karton ", " Hit Line International ( moderiert von der leider viel zu früh verstorbenen Radio Bremen - Legende Christian Günther ) sowie unter anderem " Der Club " ( NDR ) durch.

Was in den frühen 60ern allenfalls über ausländische - meist englisch sprachige - Sender gehört werden konnte oder von noch illegalen so genannten " Piratensendern " nur über sehr viel Geduld und bei guter Wetterlage empfangen werden konnte, nämlich " Beatmusik ", zog in der Folgezeit sukzessive in die bis dato biederen Programme der staatlichen Rundfunkanstalten ein. Ob nun die " NDR Hitparade ", in der sich die Anhänger von  überwiegend englischsprachiger Beatmusik mit den Schlagerfuzzis von einst mittels Körbe weise geschriebener Postkarten für 30 Pfennig einen erbitterten Kampf um ihre Lieblinge lieferten, die dann - je höher platziert - vollständig ausgespielt werden durften, oder in der von Camillo Felgen auf Radio Luxemburg moderierten " Großen Acht " oder dann der " BRAVO Hitparade ", dieses alles zeigte, dass ein Wandel im Musikgeschmack der Bevölkerung zu verzeichnen war.

In jener frühe Zeit spielten aber auch die Musikzeitschriften eine gewichtige Rolle. Sie unterschieden sich inhaltlich von den Jugendzeitschriften wie eben " BRAVO " oder dem DDR-Pendanten " Trommel " durch speziell auf Musik, Trends und Musikinterpreten bezogene Themen. In Artikeln, Berichten und Plattenrezensionen konnte der Leser einen Einblick in das Genre erhalten.

Die großen internationalen Musikzeitschriften waren damals:

- Melody Maker
- New Musical Express
- Sounds
- Rolling Stone
- Billboard ( USA)

Diese Zeitschriften erreichten - teilweise über ihre deutschsprachigen Ausgaben - in den 60er bis 80er Jahre hohe Auflagen.

In Westdeutschland gründeten sich dann im Fahrwasser der internationalen Musikmagazine rein deutschsprachige Blätter, wie:

- Flash
- Musik Express
- Pop
Da die Industrie und andere Geschäftemacher den Markt der populären Musik längst für sich entdeckt hatten, kam nun dem Axel Springer Verlag in Berlin die erhellende Erkenntnis, an den großen Umsatzkuchen mit zu verdienen. Das Produkt jener Überlegungen hieß denn " Musik-Joker " und erschien erstmals im Jahre 1976.

Hildegard Salewski schreibt auf ihrer HP hierzu:


" Eine wirklich sehr gutgemachte Popzeitschrift war „Musik Joker“, die ab Anfang 1976 erschien. Ein Blick auf den Verlag ließ zunächst Schlimmes vermuten, denn von einer Zeitschrift aus dem Axel Springer-Verlag erwartet man nicht unbedingt seriöse Berichterstattung. Doch der „Musik Joker“ lehrte einen eines besseren. Anfangs war die Zeitschrift aufgemacht wie die „Bild am Sonntag“. Der „Musik Joker“ unter der Leitung von Chefredakteur Conny Schnur beschränkte sich auf das Wesentliche, auf das Musikgeschehen in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Blick hinüber nach England und den Vereinigten Staaten. Hier wurden äußerst sachlich dem Leser jene Stars und Musiker nähergebracht, die in „Bravo“ und Co. keine Beachtung fanden. So war der „Musik Joker“ die erste Popzeitung in Deutschland, die 1976 in einer ihrer ersten Ausgaben Bob Marley einem größeren Publikum vorstellte. Somit war der „Musik Joker“ die ideale Popzeitung für die Jugendlichen, die für die „Bravo“ langsam zu alt wurden und nach mehr Tiefgang in den Reportagen gierten. Allerdings schaffte der „Musik Joker“ nicht den Sprung in die 1980er Jahre. Aufgrund sinkender Auflagen verschwand dieses wirklich gute Magazin Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre sang- und klanglos vom Markt. "

( Zitatende aus: http://essenerwelten.npage.de/alltag-in-essen/sieben-wochen.html )

Was hier vo einer Leserin dieser Zeitschrift ein wenig oberflächig beschrieben wird, sah hinter den Kulissen, nämlich in der Redaktion des Musikmagazins aus dem Hause Springer ein wenig anders aus. Winfrid Trenkler, der neben seiner Tätigkeit als Moderator beim WDR auch Artikel oder Plattenrezensionen für weitere Printmedien tätig war, skizziert die tatsächliche Situation in dem Musikmaganzin " Musik Joker " so:
" Als der Musik Joker vom Springer-Verlag gegründet wurde, sollte der eigentlich der deutsche Melody Maker werden. Das Blatt hätte es auch werden können, wenn nicht der Verlagskaufmann dauernd reingeredet hätte. Da hast du heute die Titelgeschichte über Mick Jagger geschrieben und nächste Woche haut dir der Kerl die Scheidungsgeschichte von Gitte ins Blatt. Oder folgendes: Genesis sind auf Tournee und ich sage: Genesis muß auf den Titel. Nein, Demis Roussos wurde draufgemacht. Obwohl der damals schon passe´war. So geht das nicht, damit verprellt man die Leserschaft. Ich habe gekämpft und gekämpft. Nichts zu machen. "

( Zitatende aus: Ulli Engelbrecht: " Licht aus - Spot an! Schlaglichter auf die Musik der 70er-Jahre ", Klartext-Verlag Essen, 1995, S. 190 ).

Die Leserschaft, deren Interesse an Informationen über den deutschen Musikmarkt und die deutsche Musikszene ebenso vorhanden war, wie an Nachrichten über den anglo-amerikanischen Markt und sogar dem der Nachbarländer, insbesondere den Niederlanden, bemerkten nach einiger Zeit sehr wohl, dass das Konzept des " Musik Joker " eben keines war. Das Sammelsurium an Nachrichten von Abba bis Zappa, mit dem Einschluss bundesdeutscher Schlager - und Popinterpreten, kam in der Tat dann nicht mehr gut an.
Ich habe den " Musik Joker " über einen Freund aus Minden damals einige Male mitgelesen.
Er gefiel mir nicht. Die Beliebigkeiten in der Aufmachung, die Spannbreite an Informationen über Rockgruppen, Popsänger und Schlagerhansel, war mir doch zu öde. Entweder es gibt einen klaren Kurs, der hätte allerdings dann lauten müssen: Nur Rock - und Popmusiknachrichten. Dazu waren die Springer-Leute eben nicht bereit.

Folgerichtig kam das Aus für den " Musik Joker " nach nur knapp 4 Jahren. Vermisst hat ihn danach eigentlich kaum jemand. Eine eher konzeptlose Musikzeitschrift des Springer - Verlags, die - obwohl sie finanziell eigentlich sehr gut aufgestellt war - dann schlussendlich an der Inkompetenz eines Verantwortlichen scheiterte, der Musik und Informationen hierüber nur als verkaufsfähige Ware ansah und kein Herzblut in das Projekt hinein steckte.
Ganz anders Winfrid Trenkler, der zu jener Zeit, kompetente und sehr informative Beiträge in dem " Musik Joker " veröffentlichte:

Ein Gespenst geht um in der Rock-Szene. Das Gespenst heißt Punk-Rock
Die häßliche Revolte
"Ich werde dir die Fresse polieren / Ich werde dich umnieten / Ich werde dir die Zähne einschlagen / Ich werde dir die Knochen brechen ..." Solche und ähnliche Angebote bekommen Englands und Amerikas Rockfans seit gut einem Jahr zuhauf. Diesmal nicht von den unverständigen Rednecks am Nachbartisch in der Snackbar und der Bier-Kneipe, sondern von neuen Rockbands, die zur Zeit wie Pilze aus dem Boden schießen. Und das in den Clubs und Pubs, in denen sich die Rockfreunde bislang wohl und zu Hause fühlten.
Ein Gespenst geht um in der Rockszene. Das Gepenst heißt Punk-Rock. Ihre "Nettigkeiten" adressieren die Musiker keineswegs an imaginäre Bösewichte aus ihren Songtexten, sondern unverblümt an ihre Zuhörer und Anhänger. Zwischen den Zeilen sammeln sie mitunter etwas Spucke und verteilen sie mehr oder minder gezielt über die vorderen Reihen. Sie kippen ihre Becher nicht immer nach hinten aus und kicken die Bierdosen schon mal locker über die Rampe.
Dazu machen sie einen Höhenlärm. Nicht mit 20 000 Watt, dazu fehlt's ihnen am Geld. In den Klubs und Kneipen, den Vorstadthallen und Aulen, auf die die Punk-Bands noch immer beschränkt sind, reichen auch paar hundert oder tausend bis zweitausend Watt, um die Fans platt.zuhämmern. Fast wichtiger als die obligate Lautstärke ist das Tempo. Die Punk-Rocker entpuppen sich als wahre Dauer-Sprinter. Sechs Songs in zehn Minuten ist ein ansehnlicher Schnitt. Sie rattern ihre aggressiven Stücke nur so herunter. Feuern sie ab, wie Salven aus dem Maschinengewehr. Das geht mit Höchstgeschwindigkeit los und hört mit demselben Zahn auf. Keine Spur von Aufbau und Entspannung, ohne Punkt und Komma. Folglich ohne Höhepunkte.
Sie pfeifen darauf, wie sie aussehen. So scheint es, wenn man sie sieht. Aber sie pflegen ihre Zerschlissenheit. Sie erzeugen die Abnutzung auch künstlich, wenn es sein muß. Malcolm McLaren, der Mentor und Manager der Sex Pistols, erinnert sich daran, wie ihm sein späterer Schützling Johnny Rotten (19) zum erstenmal über den Weg lief: "Ich mochte seinen Kleidungsstil." Rotten tauchte immer wieder in der Boutique des ehemaligen Kunststudenten McLaren auf, in einem Anzug, den er vorher zerschnitten und mit Sicherheitsnadeln wieder behelfsmäßig zusammengeflickt hatte. Johnny ist innerhalb eines Jahres zum Enfant Terrible Großbritanniens und zum Prototyp des Punk Rockers avanciert. Seine kurzen Haare stehen störrisch in die Luft und sind grün und orange gefärbt. Seine Unterarme zeigen häßliche Brandmale von Zigarettenkippen, die er sich daselbst ausgedrückt hat.

Die Musikpresse reagierte zuerst mit schweigsamer Verachtung. Doch hat sich die Einstellung innerhalb des letzten Jahres rapide gewandelt. Selbst wenn in vielen Redaktionsstuben immer noch dieselbe Geringschätzung vorherrscht, den außerordentlichen Reizwert des Punk-Rock haben die meisten erkannt. Belustigt sich Johny Rotten: "Es gibt bereits mehr Artikel über Punk-Bands als Punk-Rock-Songs, geschweige denn Platten."
Die bewußt aufmüpfigen Frechheiten von diversen Punkern kamen auch der Tagespresse zupaß. Im ganzen vereinigten Königreich brach Anfang des Jahres ein Sturm der Entrüstung los, als Johnny Rotten den Fernseh-Interviewer BiII Grundy in einer Live-Sendung als "dirty fucker" und "fucking rotter" (etwa: dreckiger Scheißkerl und verdammter Quatschkopf) beschimpft hatte. Im allgemeinen muß man Buhmänner erst suchen, die Punk-Rocker bieten sich freiwillig auf dem Tablett an. Als Rotten dann noch in derselben Sendung der Queen einen neuen Sex Pistols-Song widmete, hatten die vier Sex-Pistolen den Rubycon überschritten. Ihr fester Plattenvertrag von 40 000 Pfund mit EMI, dem größten Schallplattenkonzern der Welt, platzte nach Tagen öffentlicher Kontroversen.
Trotz landesweiter Achtung schloß wenige Wochen später der Plattengigant A&M mit den Sex Pistols einen Zweijahres-Vertrag über 150 000 Pfund (615 000 Mark) ab. Nach nur sieben Tagen und einer Schlägerei der Sex Pistols mit dem TV-Musikmoderator Bob Harne kündigte A&M den Vertrag wieder auf. Nicht ohne die Band mit 75000 Pfund zu entschädigen. Über die Gründe der Trennung herrscht Rätselraten.
In jedem Fall fragt man sich, weshalb eine scheinbar so systemfeindliche Band wie die Sex Pistols so scharf auf system-konforme Geschäfte mit der Plattenindustrie ist. Dabei propagieren sie die Herrschaftslosigkeit im Vereinigten Königreich ("Anarchy in the UK'). Dabei bezeichnen sie das derzeitige England als faschistisches System. In ihrer letzten Single "God Save the Queen", die in 25 000 Exemplaren gepreßt und kurz darauf wieder eingestampft wurde, heißt es: "Gott schütze die Königin, ein faschistisches Regime / Es macht einen zum Idioten, ist gefährlich wie eine H-Bombe / Gott schütze die Königin, das unmenschliche Wesen / Englands Traum kennt keine Zukunft." Dabei demonstrieren sie eine bewußt häßliche Anti-Ästhetik, die die Verhältnisse nicht verschleiern, sondern die Unterprivilegiertheit hervorheben soll. Da musizieren sie bewußt an den aufwendigen und geschliffenen Klangwelten der Yes, Pink Floyd, ELP, des Elton John und anderer Rock-Millionäre vorbei. Rauh und grob poltern ihre wenigen Platten durch die Stereo-Anlagen, Ohren und Hirne der Rockfans. Aber anders als zum Beispiel April Records in Deutschland oder Love Records und Silence Records in Skandinavien entwickeln die Punk-Rocker keine alternativen Systeme.
J
Johnny Rotten klingt nicht ganz glaubwürdig, wenn er sagt: "Was sich hier abspielt, soll nicht nur wie ein Aufstand gegen die Musik-Szene aussehen. Verdammt nochmal, es ist einer."
Wenn Rat Scabies von der Punk-Band The Damned (Die Verdammten) mit einiger Berechtigung feststellt, daß die berühmten Bande alle reich geworden sind und vergossen haben, wo sie eigentlich herstamrnen, dann kann man nicht übersehen, daß Punk-Kollege Rotten und Co. in wenigen Wochen über 400 000 Mark Abfindungen für geplatzte Verträge bekommen haben und noch viel mehr bekommen hätten, wenn die Verträge erfüllt worden wären. Die Plattenindustrie liegt auf der Lauer, aus den Punk-Bands ihre Umsatzbringer von morgen zu rekrutieren. Bis zur unverwindbaren Majestätsbeleidigung ist sie bereit, alles zu schlucken.
Rock hatte schon immer mit Auflehnung zu tun. Hatte sich ein neuer Stil erst mal Bahn gebrochen, wurden Fragen der Form wichtiger als des Inhalts. Dann wurde Unterhaltung wichtiger als Aussage. Punk-Rock ist eine Spielart der ständig wiederkehrenden Revolten aus dem Untergrund. Diesmal bäumt sich eine Gruppierung auf, die sich nicht nur gegen die herkömmlichen Autoritäten durchzusetzen hat, sondern auch gegen die in den letzten Jahren frisch etablierte Hierarchie der Rock- und Popwelt.
Der Aufstand gegen die Neureichen der Rockwelt war abzusehen.
Winfrid Trenkler
( Zitatende aus MusikJoker 02.05.1977 )


Es trat das ein, was Winfrid Trenkler am 02.05.1977 in seinem Artikel im " Musik Joker " prophezeit hatte: Der Punk setzte sich langsam durch und veränderte die Musiklandschaft der 80er Jahre. Eine Gegenbewegung aus dem Untergrund, gegen das Establishement in der Rockmuusik, dass eine Dekade zuvor ebenfalls dort her kam. Hierüber zu berichten, wäre auch Sache des " Musik Joker " gewesen, der dann sang - und klanglos verschwand, weil die Unfähigen bei Springer von je her das Wort hatten. Diese gingen denn eher mit dem Boulevardblatt Kölner Express konform und fragten dem damals sich anbietenden Musikjournalisten Winfrid Trenkler: " Was willst Du da schreiben? Der Trommler trommelt hart oder er trommelt weich? Das ist doch keine Geschichte. " Guck heute in " BILD " oder " Express " rein..."
( Zitatende aus: a.a.O., S. 191 ).





Kommentare

Octapolis hat gesagt…
Da haben wir ja mal auf der richtigen Seite des Zauns gesessen... ;o)

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