Flieg, Käfer, flieg!
Am felsig-steinigen Strand von Basanija/Savudrija, einem kleinen Badeort an der istrischen Adriaküste, kam das Gespräch einmal mehr auf vergangene Zeiten. Der reine Zufall wollte es, dass wir über das Jahr, genauer gesagt, den Sommer 1976 redeten. Es war wohl Ende Juli/Anfang August 1976, als eine riesige Wand von Marienkäfern den Nord - und Ostseestrand der damals noch zwei deutschen Staaten heimsuchte. Innerhalb kurzer Zeit wehte der Wind viele Millionen der possierlichen Tierchen entlang des Küstenstreifens von Norden in Ostfriesland bis zur Insel Darß im heutigen Mecklenburg-Vorpommern. Tausende dieser sogenannten Glücks - oder auch Siebenpunktfäfer ließen auf Häuserwänden, an weißen Flächen, an Stränden und auf den Autodächern heller Fahrzeuge nieder. Die Presse bezeichnete dieses Naturphänomen als Marienkäferplage, andere Medien sprachen gar von einer Käferinvasion.
So dramatisch, wie jenes Naturschauspiel von den Medien aufgeplustert wurde, war es indes gar nicht.
Was war geschehen?
Günstige klimatische Verhältnisse in den Wintern 1974/1975 / 1976 liessen die Blattlauspopulation immens ansteigen. Dementsprechend wuchs auch die nächste Generation von Marienkäfern exorbitant an. So geschah, was auf natürlichen Wege - ohen menschliche Manipulation - immer geschieht:
In der freien Natur, also ohne Einwirkung des Menschen, reguliert sich das Kräfteverhältnis zwischen Räubern und Beutetieren gewöhnlich von selbst. Als in den heißen Sommern 1975 und 1976 der Blattlaus- bestand in Nordeuropa enorm angewachsen war, kam es prompt zu einer Marienkäferplage. Milliarden von Larven, die aus den Eiern geschlüpft waren, fanden genug Nahrung, um sich am Leben zu erhalten und zu verpuppen. In den Sommermonaten ballten sich dann Käfer an Ost- und Nordsee zu dunklen Wolken zusammen und bissen, als die Blattläuse vertilgt waren, sogar Urlauber.
Die Natur hat den nur ein Jahr lebenden Käfern in dieser sehr kurzen Zeit all jene Überlebensstrategien mit gegeben, die es ihnen ermöglichen, für den Bestand der eigenen Art Sorge zu tragen. Ihre Fähigkeit, auch über eine weitere Strecke fliegen zu können, um dort Nahrung aufzunehmen, wurde dadurch unterstützt, dass neben eines durchgängig heißen Sommers 1975 und 1976 auch die herrschenden Windverhältnisse an den skandinavischen Küstenregionen sowie an Nord - und Ostsee es ihnen sehr erleichterten, mehrere hundert Kilometer Luftlinie zurückzulegen.
Ein schönes Ereignis war es damals in jedem Fall. Als ich Anfang August 1976 einen Schul - und späteren Studienkollegen in Wilhelmshaven besuchte,fanden sich innerhalb weniger Minuten, nachdem er seinen weißen Opel Kadett in Strandparkplatznähe abgestellt hatte, viele hundert Exemplare jenes rot mit schwarzen Punkten gezeichneten Käfers auf dem PKW und dessen Windschutzscheibe wieder. Der einstige Mitschüler setzte flugs den Scheibenwischer in Gang, um sich der vermeintlichen Plage zu entledigen. Wir haben darüber herzhaft gelacht. In meiner Erinnerung ist jener Tag, es muss ein Samstag gewesen sein, auch deshalb haften geblieben, weil wir uns am Abend noch in einer Kneipe mit dem Namen " Zum Siel " in Wilhelmshaven-Rüstersiel einfanden und dort - nach einigen Bieren und Schnäpsen - bis zum Morgengrauen 17 + 4 spielten.Ich verlor damals eta 25 DM - viel Geld für mich. Trotzden, es war ein tolles Wochenende.
Einige Wochen später war die Marienkäferinvasion vorbei. Die Tiere waren verendet, nachdem sie keine Nahrung mehr fanden oder sich nach der Eiablage der inne wohnenden Lebensuhr geschlagen geben mussten. Viele Millionen Käfer hatten den Weg über das Wasser angetreten und führten ein Szenario der besonderen Art den dort wohnenden oder urlaubenden Menschen vor. Selbst auf den ost - und nordfriesischen Inseln fielen die winzigen Tierchen ein.
Dem hamburger Nachrichtenmagazin " Der SPIEGEL " war jenes Ereignis sogar einen Artikel wert. In seiner Ausgabe vom 02. August 1976 berichtete es über das sich später noch mehrfach wiederholende Schauspiel. Allerdings waren 1989 nur die Ostseeküste betroffen. Ab 2007 wurde Frankreich von einer Käferplage heim gesucht, als Milliarden chinesischer Marienkäfer dort einfielen, um ihr Winterquartier zu nehmen. 2008 traf es dann auch einige Regionen in Deutschland. Von Saarbrücken bis nach Dortmund fielen Schwärme von chinesischen Käfern ein und mutierten zu einer wahren Plage.
Experten sahen darin die weiteren Anzeichen für die globale Klimaerwärmung. Na, vielleicht war es eher ein Laune der Natur?
Der Marienkäfer ist mir seit meiner Kindheit als Glückskäfer bekannt.Er fand sich in vielen Kinderbüchern wieder, lag später - in wirtschaftlich besseren Zeiten - als Zusatzpräsent in Schokoladenform dekorativ auf dem Geschenkpaier oder lag als solcher in einem kleinen Osternest.Noch heute sehe ich mir sowohl die natürlichen Marienkfer als auch dessen Schokoladenverwandtschaft in diversen Größen gerne an. Einige Kindheitserinnerungen werden dann wach. Aus einer Zeit, in der - neben anderen Lügengeschichten - auch die Mär erzählt wurde, dass die Anzahl seiner Punkte das Ater des Tieres anzeige. Wie so vieles an Unzulänglichkeiten haben die Erwachsenen ihre einstigen Wissenlücken mit Märchen - und Phantasieerklärungen einfach aufgefüllt, um dem fragenden Kindern überhaupt antworten zu können. Seiś drum - der kleine rote Käfer mit dem schwarzen Punkten zeigt mir heute, dass die Natur nicht so funktioniert, wie der Mensch sie gerne haben möchte.
Die Marienkäferinvasion 1976 ist hierfür ein prägnates Beispiel. Und wer sich damals von ihr belästigt, bedroht und verletzt gefühlt hat, wäre am Besten mit Strümpfen zum Strand gegangen, denn da zwiscken die Tierchen eben nicht durch! So einfach ist es nämlich!
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