Tempus fugit



Die viel beschriebene Saure Gurkenzeit bringt für manchen Daheimgebliebenen doch noch einige Überraschungen. Als gestern der Zusteller des Götterboten an der Tür klingelte, übergab er mir ein Paket, dass es im wahrsten Sinne des Wortes in sich hatte. Aus der Pappschachtel kam eine Zinnuhr der Marke " Dugena " hervor. Ein prima Schnäppchen für ca. 50,-- €, das sich dann allerdings als etwas starrsinnig entpuppte.
Trotz einiger Versuche, das gute "alte" Stück wieder zum Laufen zu bringen, scheiterten meine Bemühungen kläglich.

Sollte der Verkäufer aus Wilhelmshaven bei ebay mehr versprochen haben, als die Uhr tatsächlich hergibt?
Als ich heute das gute Stück wieder auf den Tisch liegen hatte, versuchte ich mich gleich als Hilfsuhrmacher. Mittels eines Steckschlüsselsatzes öffnete ich das Uhrengehäuse und schaute mir die Kettenlaufrädchen genauer an. Ich hatte es bereits vorher geahnt: beide Ketten waren während des Transports aus dem Rädchen gesprungen und lagen neben der Rädchenhalterung.
Mit ein wenig Geschick und etwas Geduld gelang es mir, diesen Makel zu beheben.

In der Zwischenzeit kreisten meine Erinnerungen an meine Jahren in Wilhelmshaven. Als ich vor 35 Jahren an einem Augustwochenende meine erste eigene " Bude " in der Waagestraße bei der Familie Pelletier anmietete und hierfür 110,-- DM Miete zu zahlen hatte. Einen Ölofen als Heizung, den ich über ein im Außenbereich stehendes 200 Liter Fass mit einer 10 Literkanne befüllen musste und der erst nach guten Zureden seine Dienste tat und Wärme abgab. Damals existierte zwischen Oldenburg und Wilhelmshaven noch keine durchgängige Autobahn, so dass ich mit meinem grünen R4 mehr als 3 1/2 Stunden für die knapp 200 Kilometer benötigte.
Fahrten, die dann besonders anstrengend waren, wenn dass Wetter schlechte Straßenverhältnisse garantierte. Besonders im Winter gab es so manche Schlitterpartie.

Damals spielte die Zeit keine große Rolle. Ob nun eine oder sogar zwei Stunden später am Ziel anzukommen, waren völlig egal. Mit einer laut eingestellten Musikanlage dudelte ich so manche C 60 - oder C 90 - Kassette ab, drehte meine Zigaretten beim Fahren selbst und sang zu vielen Rocktiteln, die ich - zumindest phonetisch - in - und auswendig kannte mit.
So verging die Zeit schneller, ohne dass das Auto fahren öde wurde. Bei der geringen Verkehrsdichte und den mit einer Hand abzuzählenden Fahrzeugen, die mir in der Pampa zwischen Bad Eilsen und Bremen- Stuhr-Groß Mackenstädt begegneten war das Autoradio oft der beste Freund.

Während des Zurückerinnerns beim Zusammenschrauben des Uhrengehäuses verging die Zeit allerdings auch wie im Fluge. Schon hatte ich die beiden Gewichte und das Pendel wieder eingehängt und die Zinnuhr an ihren gewünschten Platz an der Wand platziert, als sie nach wenigen Sekunden ihren Dienst quittierte. Sollte die ganze Mühe umsonst gewesen sein?
Also hob ich das Uhrengehäuse wie an und legte die " Dugena " zurück auf den Tisch. Dabei erkannte ich eher zufällig, dass ich beim Dübelloch bohren wohl gestern Abend einen " Knick in der Pupille " gehabt haben musste. Sie eingesetzte Schraube stand mehrere Zentimeter aus der Wand und dieses wiederum führte dazu, dass das Uhrengehäuse eben nicht bündig mit dieser anlag. Nach einigen Minuten war auf dieses Problem gelöst. Ein neuer Versuch brachte dennoch nicht den gewünschten Erfolg. Nach weniger als 1 Minute stand das Uhrenpendel wieder.

Tja, da war guter Rat teuer und die Zeit erneut verronnen. Woran konnte es denn noch liegen, dass das Schmuckstück aus WHV nicht funktionieren wollte? Vielleicht hatte es die lange Reise von mehr als 560 Kilometer nicht so schadlos überstanden, wie es der äußere Eindruck vermuten lässt?
So hängte ich die Zinnuhr wieder ab und schaute mir andere mögliche Fehlerquellen, wie Ketten, Pendel, Gewichte, Zeiger, Zifferblatt, Gehäuse und Aufhängung erneut an. Dabei fiel mir auf, dass die Ketten mit den beiden Gewichten beinahe bis zum Anschlag aufgezogen waren. Aha, da das Pendel beim hin und her Schwingen die Gewichte leicht touchierte, verlor es alsbald an Geschwindigkeit und blieb stehen. So hob ich die Uhr etwas an und hing sie schief auf.
Nach einigen Minuten des Wartens war klar: Sie lief jetzt einwandfrei.

Beim Zusammensuchen des Werkzeugs schaute ich bewusst auf die Zinnuhr. Seit dem ersten Abhängen und der letzten Korrektur ihres Sitzes an der Wand waren gut 1, 1/2 Stunden vergangen. Tempus fugit, wie der Lateiner zu sagen pflegt.

Aber immerhin, die Fahrt zum Uhrmacher und zurück, dessen Wartungsarbeitszeit hätten noch mehr Zeit in Anspruch genommen. Darüber hinaus wären mindestens 80,-- bis 100,-- fällig gewesen.
Tja, beim Herausgehen schaute ich mir das Schmuckstück noch mal in Ruhe an. Einst hing eine solche Uhr in "besseren" Häusern. Einige Dekaden später hätte sich beinahe Jeder eine solche Uhr leisten können. Weil die Zeit voran geschritten war, die Zeiten sich geändert hatten, wollte die Mehrzahl sich jedoch keine Zinnuhr mehr zulegen. So verschwanden diese Zeitanzeiger aus den meistens Räumen, wurden verkauft, verschenkt oder verschrottet. Schade!


Wie sagt der Lateiner hierzu:
Tempora mutantur, nos et mutamur in illis

Kommentare

Octapolis hat gesagt…
Tja, wie das so ist, mit diversem alten Krempel. Erst wird er weggeschmissen, dann teuer auf Ebay gehandelt. Möchte nicht wissen, was teilweise nach `89/`90 auf der Kippe landete, wofür sich aufeinmal wieder ein Haufen Leute interessiert. Anderseits wären es sonst ja auch keine Raritäten!

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