Von einem, der auszog, das Prahlen zu üben.


Als in den 80er Jahren die Arbeitslosenquote in dem Kohl-Deutschland langsam aber stetig auf die 10 % Marke zusteuerte, die Werften - Stahl - und Automobilkrise auf ihren Höhepunkt war und Westdeutschland nach der geistig-moralischen Wende von einem Skandal zum nächsten getragen wurde,kam dem bereits abgehalfterten "Bimbes"-Kanzler aus Oggersheim eine glückliche Fügung der Geschichte zu Hilfe: die Wende.
Nach 1989 ging es mit der Wirtschaft in Westdeutschland wieder bergauf. Zumindest für einige Jahre; die Nachwendejahre eben.
Damit konnte so mancher BRD-Arbeitslose sich wieder eines neuen Jobs erfreuen, so mancher Selbständige bekam doch noch genügend Aufträge um weiter zu überleben und der unfähige Beamte, Angestellte oder Manager eine neue Funktion in den Neuen Bundesländern.


Was dann nach der formellen Wiedervereinigung so alles an Pfeifen, Nieten und Flaschen aus dem Goldenen Westen in die Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen herüber gespült wurde, lässt sich 2 Dekaden nach dem Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten nicht mehr exakt nachvollziehen. Daneben sind aber auch kompetente Mitarbeiter in den Aufbau Ost eingebunden worden. Sie halfen mit, die vielfältigen Aufgaben umzusetzen. Dabei ging es nicht nur um das Zerschlagen von Betrieben durch die Treuhand, sondern auch um ungezählte Tätigkeiten in diversen Wirtschaftsbereichen.

Ob nun angelockt durch doppelte Gehälter oder Besoldung, der so genannten " Buschzulage " oder dem Bestreben, in " Dunkeldeutschland " ordentlich " Kohle " zu machen, ob nun auf ehrliche, halbwegs ehrliche oder überwiegend unehrliche Weise, viele Abenteurer, Hasardeure und Halunken trieb es in den Osten. So mancher von ihnen hat sich bei dem Ruf " Go east, young man!" alsbald eine goldene Nase verdient, manch anderer überschätzt und verhoben und wiederum andere "Wessis" sind in den Neuen Bundesländern sesshaft geworden.

Als der erste Boom zu Ende ging, die Euphorie abklang und die große Ernüchterung bei vielen Menschen sich breit machte, hatte mancher aus der Fraktion der Ost-Abenteurer seinen Einsatz dort teuer bezahlen müssen. Einige unter ihnen sogar mit dem Leben. Sehr oft durch Unfälle, insbesondere Autounfälle, die sich auf dem Nachhauseweg von der Arbeits - oder Dienststelle ereigneten, durch einen Unfall bei der Arbeit, waren die häufigsten Todesursachen. Es gab aber auch eher seltene Geschehnisse,bei denen der Glücksritter aus dem Westen sein Engagement mit dem Leben bezahlen musste.

Es muss ein Sommertag im Jahr 1995 gewesen sein, als ich mit einigen Bekannten auf dem Reiterhof in Stuhr-Eggese bei einem Bier zusammen saß und ich dabei - eher beiläufig - nach dem Eigentümer eines anliegenden Neubaus, der mit blauen Dachziegeln und einer protzigen Fassade, mir ständig ins Auge fiel,fragte. Zur Antwort erhielt ich, dass der Eigentümer von Jugendlichen in einem Ort bei Rostock erschlagen worden sei.
Ungläubig schaute ich den Bekannten an und hakte nach. Warum der erschlagen worden sei? Der Bekannte sagte nur kurz und knapp, dass dieser ein Prahler war.

Nun, diese Geschichte wäre mir längst nicht mehr geläufig, würde ich mich nicht mit der Nachwendegeschichte befassen. So las ich viele Jahre später einen Artikel über eben einen ähnlichen Fall.

Der zunächst arbeitslose Mann, Mitte 30, wurde von seiner Firma zu Beginn der 90er Jahre als Monteur nach Mecklenburg-Vorpommern beordert. Hier sollte er zusammen mit anderen Monteuren eines Bautrupps an einem Einkaufszentrum Versorgungsleitungen verlegen. Keine sehr anspruchsvolle Tätigkeit, aber es gab eine entsprechend hohe Auslöse. Die Arbeiten standen unter Termindruck. Das Gebäude sollte im Spätherbst fertig sein. Dementsprechend wurde auch bis in die Nacht und an Samstagen gearbeitet. An Heimfahrten zu seiner Familie war vorerst nicht zu denken. Das baut Frust auf. Einerseits die gute Bezahlung, andererseits die Familie.
So blieben nur die Telefonate aus den wenigen öffentlichen Telefonzellen.

Er hatte sein Zimmer irgendwo in der Pampa des neuen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern genommen. In einem kleinen Gasthof, einem Landgasthof, so wie ein solcher auch heute noch existiert. Nichts besonderes eben. Kein eigener Fernseher, kein Radio, keine großartige Unterhaltung. Da blieb nur der Gang in die Gaststätte selbst. Jeden Abend. Ein paar Bier, einige Korn. Dann war der Tag bereits gelaufen. Er musste früh aufstehen, um pünktlich zur Baustelle zu gelangen.

Eines Tages wurde der Vorarbeiter krank. Er musste die Tätigkeit übernehmen. Es funktionierte ohne große Probleme. Er war es gewohnt, sich schnell in neue Aufgaben einzuarbeiten. Mit diesem Job setzte der einstige Arbeitslose, spätere Monteur und jetzige Vorarbeiter zu einem Höhenflug an. Er hatte zu Beginn der 90er Jahre in einem kleinen Ort in den Alten Bundesländern gebaut. Ein Neubau. Auf dem Hausgrundstück lastete ein Hypothek. Mehrere hunderttausend Deutsche Mark. Die Tilgungsraten drückten. Die Familie bestand aus 4 Personen. Sie musste ernährt werden. da kam der Job in "Dunkeldeutschland" gerade recht.

Er selbst war eher unpolitisch. Hatte zunächst SPD, dann aber auch CDU gewählt. Kohl natürlich! Die Einheit war ihm trotzdem egal. Die untergegangene DDR hatte ihn nie interessiert. Da war - so seine Einstellung - ohnehin alles nur Mist. Schlangen vor den Geschäften. Stinkende Fabriken. Doofe Menschen dazu. Was sollte also die Wiedervereinigung bringen? Nur Schulden, die er und andere Steuerzahler später bezahlen mussten. Dann sah er die alten Häuser in der Einöde von Meck-Pomm. Trostlos! Wie kann man hier nur wohnen. Da leben nur Blöde. Ossis natürlich!

Die Gaststätte war an jenem Freitagabend gut besucht. Es waren bereits Schulferien. An einigen Tischen saßen junge Leute. Junge Männer. Alle ohne Ausbildungsplatz, nachdem die Betreibe hier abgewickelt wurden. Von den "Wessis". Von Kohl, von Breul und von Rohwedder. Unter den jungen Männern machte sich längst Perspektivlosigkeit breit. Ein Teil von ihnen mussten noch ein berufsbildendes Jahr absolvieren, ehe sie arbeitslos werden. Stellen gibt es nur im Westen, dort, wo der Monteur und Vorarbeiter herkam.

Nach einigen Bieren begann dieser mit der Prahlerei. Er erzählte von seinem tollen Neubau, dem neuen Auto, den Reisen. Von dem guten Geld, das er nun verdient. Und er begann mit dem Prahlen von den besseren Westdeutschen. Die so viel nach dem Krieg erschaffen hätte. Er prahlte auch noch weiter, als die jungen Männer ihn aufforderten, nun endlich den Mund zu halten. Aufzuhören mit dem Protzen und Prahlen. Er hörte nicht auf die mahnenden Worte. Er protzte und prahlte weiter. Er verbat sich, ihn und seine Prahlerei zu kritisieren.

Als der erste Jugendliche von dem runden Tisch aufstand und ihn attackierte, stellte sich noch ein Gast, der auch an der Theke saß, dazwischen. Er beschwichtigte den Dorfbewohner. Weil diese sich gut kannten, ließ der junge Mann von ihm ab. Gleichzeitig ermahnte er den Gast, jetzt Ruhe zu geben. Der schwieg fortan. Zu spät. Als er wenig später das Lokal verließ, wartete die Gruppe der Jugendlich auf der gegenüber liegenden Straßenseite schon auf ihn. Dann ging alles sehr schnell. Der Prahler erhielt einige Faustschläge, dann Tritte, bis schließlich ein stark angetrunkener junger Mann ihm mit einem Holzknüppel den Schädel einschlug.

Als die Polizei eintraf war von den Schlägern nichts mehr zu sehen. Der Prahler lag in seinem eigenen Blut. Ein Blutzoll hat er für seine Prahlerei abgeben müssen. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen verliefen erfolglos. Die Gruppe der Schläger hielt dicht. Wer da geschlagen hatte, wusste keiner der Beteiligten mehr. Das Bier, die Wut im Bauch, der Prahler als Hassfigur. Wer muss sich daran erinnern? Als der Prahler auszog, den anderen von seinem angeblich besseren Leben zu erzählen, war er noch kein Prahler. Als er wieder nach Hause gefahren wurde, war er tot. Er hinterließ eine Frau und zwei Kinder, die prahlten nicht mehr, sondern litten.

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