Franz Xaver Kroetz, das " Packhaustheater im Schnoor" und die fehlgeleitete Besucherin.
(C) Jürgen Howaldt, Bremen, bei Wikipedia
Er unterhält eine eigene Web - Seite unter:
http://www.treffpunkt-howaldt.de/
Vor einiger Zeit las ich, dass ein Teil der einst breiten und zudem politischen Bremer Kulturszene verloren zu gehen drohte, nämlich das " Packhaustheater im Schnoor ", dessen Leitung im Juli 2011 bei dem dortigen Amtsgericht - Insolvenzgericht - einen Insolvenzantrag gestellt hatte.Aufgrund von Verhandlungen mit möglichen Investoren konnte der Spielbetrieb knapp 1 Jahr später wieder aufgenommen werden. Immerhin existiert das " Packhaustheater " bereits 37 Jahre lang. In diesem Zeitraum gelang es den dortigen Verantwortlichen mit geringen finanziellen Mitteln einen Beitrag zur Umsetzung des Anspruchs auf bezahlbare Kleinkunst für Jedermann zu leisten. Es wäre in der Tat ein herber Verlust gewesen, hätte dieses nun der Vergangenheit angehört.
Einst, nämlich zu Beginn der 80er Jahre saß ich einige Male unter der leider überschaubaren Zahl von Besuchern und schaute mir die anspruchsvollen Darbietungen des kleinen Ensembles im Schnoorviertel, einem der baulich attraktivsten Stadtteile Bremens, an. Aufgeführt wurde zu jener Zeit ein Stück von Franz Xaver Kroetz mit dem dem einprägsamen Titel " Mensch Meier ".
Der Schriftsteller, Dramatiker, Regisseur und Schauspieler, geboren 1946, schrieb das Stück " Mensch Meier " 1977. Es wurde in der Folgezeit auf verschiedenen Bühnen aufgeführt. Wohl deshalb, weil es jene anerzogenen, gelebten und weiter gegebenen Illusionen des " Kleines Mannes " wunderbar darstellt und dieses Trugbild durch sich ständige wiederholende Existenzmechanismen noch ausdrücklich hervor hebt. Es sind auch hier die Alltagsprobleme der kleinen Leute, die dieses Stück noch heute jenen Realismus einhaucht, der bei der Mehrzahl der übrigen Künstler längst verloren gegangen zu sein scheint.
Franz Xaver Kroetz war einst in der Deutsche Kommunistische Partei ( DKP ) und wurde deshalb auch von der DDR hofiert. Dieser Umstand lässt das Sozialdrama keineswegs als ideologisiertes Schauspiel erkennen. Kroetz selbst trat 1980 aus dieser Partei aus, ohne jedoch den system - und gesellschaftskritischen Anspruch mit der danach geschriebenen Stücken und Drehbüchern sowie in einer Reihe von Fernsehfilmen in Frage zu stellen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Xaver_Kroetz
Da saßen wir nun an einem Abend im Frühjahr des Jahres 1981 im " Packhaustheater ", auf einem der mittleren Plätze der nur mäßig besuchten Vorstellungen und warteten auf die Akteure. Die Eintrittskarte für Studenten war mit 6 DM erschwinglich. Weshalb ich es mir auch finanziell leisten konnte, zusammen mit einigen Kommilitonen der Uni dieses Schauspiel anzusehen. Das Ambiente des " Packhaustheater " war eher bescheiden und so zeigte sich wie immer auch das Bühnenbild. Spartanisch inszenierte Theaterstücke waren die Regel. Weshalb die Bühne für den Kroetz´schen Drei - Akter mit nur wenigen Requisiten ausgestattet war. Das Theaterstück selbst war indes von beißender Sozialkritik gefüllt.
Nach zirka einer Dreiviertelstunde wurde das Bühnenbild umstellt, weshalb eine so genannte " Zigarettenpause " eingelegt werden konnte. Der Vorhand schloss sich dazu und eine Reihe von Besuchern hatte sich bereits erhoben und wollte gerade in das Außengelände des Theaters, als eine Zuschauerin - so um die Mitte 40 - plötzlich los wetterte: " Warum applaudiert ihr denn nicht? Die haben doch so toll gespielt. Wieso steht ihr auf und wollt einfach so gehen? " Ein anderer Besucher antwortete ihr: " Warum gehen? Das ist doch nur ´ne kurze Pause. Es geht gleich mit dem zweiten Akt weiter!"
Peinlich berührt von der Unkenntnis der Dame sahen wir uns an und mussten grinsen. Anscheinend hatte sich die Frau zuvor nicht mit dem ausliegenden Begleitheftchen zu dem Kroetz´schen Stück beschäftigt. Peinlich berührt ob ihres Lapsus, schlich sich die Besucherin davon und ward zum zweiten Akt nicht mehr gesehen. Wir mussten uns auch danach über so viel Naivität amüsieren. Zumindest taten alle Anwesenden so, als hätten sie auch hier den vollen Durchblick gehabt.
Das Kroetz´sche Theaterstück hinterließ bei mir jedoch nicht wegen des eher peinlichen Zwischenfalls einen bis heute bleibenden Eindruck, sondern eher wegen des unverfälschten Realitätsbezugs bis in diese Zeit.
So schrieb das ND noch 1986 zu dem Theaterstück " Mensch Meier ":
" Befangen in Illusionen "
" Mit „Mensch Meier" stellt die Berliner Volksbühne ein Stück des BRD-Autors Franz Xaver Kroetz vor. Die Familien und Ehepaare, die kleinen Leute in den deftigen Volksstücken dieses Dramatikers sind den Existenzmechanismen heutiger monopol-kapitalistischer Industriegesellschaft bis zu totaler Entfremdung ausgeliefert. Sie alle sind unzufrieden mit dem, was sie umgibt. Aber sie drängen nicht auf Veränderung der Umstände. Sie hegen die Illusion, daß es genügt, sich selbst zu ändern. Da steckt die bittere Tragikomik der Kroetzschen Figuren. Und die Bitterkeit bleibt, selbst wenn er ihnen wie in dem 1977 entstandenen Volksstück „Mensch Meier" eine Chance gibt — die Chance zu lernen.
Otto Meier allerdings scheitert. Er ist ein ungelernter Arbeiter, ausgerüstet mit einem überdrehten Selbstbewußtsein, das sich als rundum aufmanipulierter kleinbürgerlich-bornierter Dünkel entpuppt. Sein Sohn Ludwig will Maurer werden, während Otto und Ehefrau Martha einen Beamten aus ihm machen möchten — wegen der sozialen Besserstellung. Doch Ludwig findet keine Lehrstelle und liegt den Eltern auf der Tasche.
Um sich einmal ein Vergnügen leisten zu können, bittet der Sohn um Geld, das ihm der Vater nicht gibt. Prompt bestiehlt er die Mutter. Die fünfzig D-Mark fehlen ihr beim Einkauf im Supermarkt. In der peinlichen Situation dort brüskiert sie ihren Ehemann. Ludwig, wegen des Geldes vom Vater verhört, schweigt verstockt, nimmt die Demütigungen hin — und verläßt die Eltern. Angesichts seiner Ohnmacht tobt der Hausherr und demoliert die Wohnung, da verläßt ihn auch Martha. So zappelt Otto Meier schließlich als ein Opfer im Netz der Illusionen und Phrasen von Freiheit und allgemeiner Wohlfahrt.
Obwohl scheinbar ganz alltägliche Handlungen ablaufen, ist das Geschehen von bedrückender Tragik. Zwar lernt Sohn Ludwig nun Maurer, zwar arbeitet Martha nun emanzipiert als Verkäuferin und setzt ebenfalls aufs Lernen — aber Ottos Verzweiflung relativiert alle Hoffnung.
Eine Aufführung des Stückes hierzulande kann sich den Vorgängen nicht kommentarlos nähern. Für Siegfried Höchsts Inszenierung liefert Jochen Finke mit einer ironischen bühnenbildnerischen Anspielung auf westdeutsche Fernsehklischees, die ein fragwürdiges Wohlleben vorgaukeln, einen kritisch-wertenden Rahmen. Damit, wie auch durch die Musik der Gruppe Pankow, ist freilich nur ein Akzent gesetzt. Höchst faßt die Figuren unmittelbar. Sie sprechen — wie das der Autor ausdrücklich wünscht — dialektfrei. So geht zwar deren „depperte" Dümmlichkeit und womöglich das eigentliche Kolorit des Volksstückes verloren, andererseits gewinnt das Ganze an Allgemeingültigkeit für die Alltagswelt, in der die Meiers leben. Dennoch hätte die offenkundige geistige Enge der Figuren wie deren gesellschaftliche und geschichtliche Ferne eine zwar nicht denunzierende, wohl aber behutsam distanzierende Wertung vertragen. Hier blieb Höchst unentschieden. Er hatte — scheint mir — zuviel Respekt vor dem Eigenleben Kroetzscher Gestalten, das er nun allerdings glaubhaft entwirft..... "
- Zitatende - aus:
Das " Packhaustheater " im Bremer Schnoorviertel habe ich in den Folgejahren noch einige Male besucht. Später war es mir aus beruflichen und familiären Gründen nicht mehr möglich. Die dort gesehenen Stücke hatten nicht nur einen ernsten Hintergrund, sondern waren zum Teil als satirische Darbietungen eher belustigend. Etwas ohne viel Pomp, Getöse und Getue. Deshalb ist es um so erfreulicher, dass das " Packhaustheater " weiter existiert.
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