Will sehen, was ich weiß, vom Büblein auf dem Eis!
Als ich heute Morgen am Fenster stehend die herunter gedrückten Bambuspflanzen betrachtete und deren von Eis und Schnee belegten Blätter erkannte, war mir nun endgültig klar, dass der Winter Einzug gehalten hat. Bei Temperaturen um - 5 Grad blieb der am Abend zuvor herunter gerieselte Schnee doch tatsächlich liegen. Voraussichtlich aber nur für ein paar Tage, denn zum Wochenende wurde bereits wieder Tauwetter angesagt. Das ständige Auf und Ab bei den Temperaturen geht irgendwie auf die körperliche Fitness. Ich fühle mich manchmal wie erschlagen. Aber nicht nur ich.
Die Winter vor mehr als 60 Jahren waren da andere. Ab Mitte November wurde es nachts durchgängig frostig. Die Kohle - und später die Ölöfen waren deshalb längst in Betrieb. In den Zimmern bildeten sich manchmal Eisblumen auf den Fensterscheiben. Zwischen den Fensterbrettern und den Fensterlaibungen zog es wie Hechtsuppe. Vor den Ein - und Ausgangstüren aus Holz legten unsere Großeltern eingehaltene Kohlesäcke aus Jute, die den eisigen Wind, der durch die Türspalte pfiff, ein wenig abhalten sollte.
Es hat damals wenig genutzt. In dem noch nicht vollständig ausgebauten Zweifamilienhaus war es lausig kalt. Wir Kinder liefen deshalb in langen Unterhosen und mit Roßhaarsocken herum. Doch wenn es die zeit erlaubte, waren wir draußen an der frischen, kalten Winterluft. Vor allem dann, wenn es ab Ende November oder Anfang Dezember den ersten Schnee gab. Der taute zwar auch wieder weg, doch spätestens Mitte Dezember bis wenige Tage vor Weihnachten setzten die Schneefälle wieder ein. Dann ging es zum Schlittenfahren herunter zu " Prasuhn´s Wiese " ( Prasuhn war der noch übrig geblieben Bauer in Bad Eilsen ). Wenn dann auch noch die Aue zugefroren war, wagten wir uns dort auf die Eisflächen.
Doch dieses Abenteuer war nicht ganz ungefährlich, denn die Aue ist ein fließendes Gewässer, eher ein Bach, der im Sommer nicht selten so wenig Wasser führte, dass wir ihn barfuß durchqueren konnten. Allerdings hatte er eine Reihe von tieferen Stellen, die durchaus 1,50 Meter und mehr aufwiesen. Und dort war die Eisdecke etwas dicker, so dass wir sie betreten konnten. Wer dort aber nicht vorsichtig war, konnte sich schnell nasse Füße und mehr holen.
Eines Nachmittags standen wir an einer dieser tieferen Wasserstellen der Aue und überlegten, ob das Eis dort dick genug sei, um es zu betreten. Nach einigen geäußerten Bedenken entschlossen wir uns mit einem Bein die Eisdecke zu testen. Es passierte nichts. Wir gingen schräg über die Eisfläche zur anderen Uferseite und waren dann erleichtert, dass dieses Experiment gut ausgegangen war.
Nur mein Bruder nicht. Er wagte sich weiter vom Ufer entfernt auf die Eisfläche und hackte mit einem dickeren Ast auf dieser herum. Das Eis knackte hörbar. Es bildeten sich kleinere Risse an der Oberfläche. Mein Bruder, eher ein kleiner Draufgänger, der später jede Menge Mädchen kennen lernte, weil er mit seinen blonden Haaren nicht schlecht aussah, dazu eine " große Klappe " hatte und es zu dem glänzend verstand, mit den schmachtenden Mädchen zu spielen , ließ sich davon nicht beirren. Er ignorierte die Warnanzeichen und kloppte immer noch fleißig auf der Oberfläche herum. Zudem stampfte er mit seinen Gummistiefel ständig auf dem Eis herum und sprang dabei auch noch hoch.
Es kam, wie es in solchen Fällen immer passiert: Das Eis brach, mein Bruder rutschte im Zeitlupentempo in das eiskalte Wasser und konnte sich dabei gerade noch so an der Abbruchkante festhalten. Dort schrie er nach Hilfe. Ein Junge aus der Nachbarschaft ergriff den Holzknüppel, hielt diesen meinen Bruder vor das Gesicht und forderte diesen auf, sich mit beiden Händen daran festzuhalten. Dann zog er mit aller Kraft. Das wundersame geschah, in der Todesangst entwickelte er ungeahnte Kräfte und konnte sich aus dem Wasser herausziehen lassen.
Während ich beim Zubereiten unseres Frühstücks an die Bilder von den vereisten Garten und den mit Schnee bedeckten Bambus dachte, erinnerte ich mich an dieses Gedicht:
Gefroren hat es heuer noch gar kein festes Eis.
Das Büblein steht am Weiher und spricht so zu sich leis:
„Ich will es einmal wagen,
Das Eis, es muß doch tragen.“ –
Das Büblein stampft und hacket mit seinem Stiefelein.
Das Eis auf einmal knacket, und krach! schon bricht’s hinein.
Das Büblein platscht und krabbelt
Als wie ein Krebs und zappelt
„O helft, ich muß versinken in lauter Eis und Schnee!
O helft, ich muß ertrinken im tiefen, tiefen See!“
Wär nicht ein Mann gekommen,
Der sich ein Herz genommen,
Der packt es bei dem Schopfe und zieht es dann heraus:
Vom Fuße bis zum Kopfe wie eine Wassermaus.
Das Büblein hat getropfet,
Der Vater hat’s geklopfet
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