Auf der Suche nach der Vergangenheit fand ich ein Relikt aus einstigen Tagen.

Wie singt und textet der Liedermacher Konstatin Wecker zutreffend: Stürmische Zeiten, mein Schatz. Stürmische Zeiten, mein Schatz, Hochzeit der Falken. Rund um die Insel unserer Liebe giftet ein Sturm. Lieder und Verse sind am Verkalken, die Hunde winseln, Seher fallen vom Turm. Die Minister scharwenzeln verschleimt um die möglichen Sieger, die Bürger fordern Ordnung und Zucht, denn Schuld sind wie immer die andern, die Überflieger ergreifen auf ihren Mantras schwebend die Flucht. Unruhige Zeiten, mein Schatz, wo doch alles so klar war, vierzig Jahre geregeltes Sein, wo nach außen fast jeder Fürst oder Zar war und jetzt bricht dieses Weltbildgebäude so kläglich ein. Ach, wer auf Häuser baut, den schreckt jedes Beben, wer sich den Banken verschreibt, den versklavt ihre Macht. Wer seinem Staat vertraut, der muß damit leben, daß was heute noch Recht ist oft Unrecht wird über Nacht. Aber dennoch nicht verzagen, widerstehn. Leben ist Brücken schlagen über Ströme, die vergehn. Leben ist Brücken schlagen über Ströme, die vergehn. Stürmische Zeiten, mein Schatz, doch oft tragen die Stürme Botschaften ferner Himmel in unsere Welt, und es ist immer der Hochmut der prächtigsten Türme, der allen voran in Staub und Asche zerfällt. Es scheint fast, als drehte die Erde sich ein wenig schneller, die Starrköpfigsten schielen wieder mal auf den Thron. Jetzt rächen sich wohl die zu lange zu vollen Teller und manchem bleibt nur noch der Schlaf und die Träume des Mohn. Unruhige Zeiten, mein Schatz. Gut, daß fast immer unsere Liebe in wilder Bewegung war, mal ein Palast, oft nur ein schäbiges Zimmer, schmerzvoll lebendig, doch immer wunderbar. Ach, wer auf Häuser baut, den schreckt jedes Beben, wer sich den Banken v den versklavt ihre Macht. Wer seinem Staat vertraut, der muß damit leben, daß was heute noch Recht ist, oft Unrecht wird über Nacht. Aber dennoch nicht verzagen, überstehn. Leben heißt Brücken schlagen über Ströme, die vergehn. Leben heißt Brücken schlagen über Ströme, die vergehn. Dennoch nicht verzagen, einfach überstehn. Leben heißt Brücken schlagen über Ströme, die vergehn. Leben heißt Brücken schlagen über Ströme, die vergehn. Konstantin beschreibt darin seine Eindrücke der Nachwendejahre, jener Zeit also, in der Vieles im Aufbruch war, noch mehr am Zusammenbrechen und Alles in Frage gestellt wurde. Diese stürmischen, jene unruhigen Zeiten sind längst vorbei, dafür fällt heute die Weltwirtschafts - und Finanzkrise über uns her. Jeder Tag bringt neue Hiobsbotschaften: Dort HRE-Bank, da Opel, hier Quimonda, dann Rosenthal, Märklin, Karmann. Wer noch? Trotz der unruhigen, der stürmischen Zeiten, ruft des Bürgerś Pflicht: die Abgabe der Einkommensteuererklärung bis zum 31. Mai 2009 für den Veranlagungszeitraum 2008. Was vielen als Steuerersparnisdschungel erscheint und dann doch durchschritten werden muss, ist für manchen - so, wie für mich - nur lästige Pflicht. Steuern sparen, den Fiskus hintergehen, den Staat schaden, dass dürfen eh nur die Steuerflüchtlinge, die Zumwinkels, Beckers und Pooths. Der Normalo hat hier kaum Gestaltungsmöglichkeiten, selbst wenn er sich - so, wie ich - im Dickicht der Paragraphen auskennt. Auf der Suche nach Belegen, nach Kalendern und Akten, hielt ich plötzlich ein vergilbtes Exemplar einer Postille aus längst vergangenen Zeiten, als alles noch so schön klar war, ein geregeltes Sein im Unterdrückungssystem vorlag, in der rechten Hand: Neues Deutschland, Ausgabe: Donnerstag, 26. November 1987, 42. Jahrgang / Nr. 278, A-Ausgabe, Einzelpreis 15 Pf. Das Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland titelte an jenem Tag: " Erich Honecker: für alle ist gut, daß das Teufelszeug verschwindet ". Es geht um Abrüstung! Nach der Aufrüstung folgt also die Abrüstung. Zwei Jahre später begann die Umrüstung! Das leicht vergilbte Relikt aus den Tagen des zweiten deutschen Staats verkündet aber noch mehr eingefärbte Nachrichten. " Schwedischer König empfing den Außenminister der DDR ". Aja, es war in Stockholm, der Hauptstadt des Landes, die eine konstitutionelle Monarchie als Staats - und Regierungsform unterhält. Wie verhält es sich da mit den Dogmen des real existierenden Sozialismus in dem damaligen Arbeiter - und Bauernstaat? Nun, die DDR war nicht gerade wählerisch, wenn es darum ging, um staatlich, oder besser, um internationale Anerkennung zu buhlen. Auch wenn der zweite deutsche Staat - im Vergleich - vielen anderen Länder hinterher hinkte, so gab sich Ost-Berlin sichtlich Mühe, die diplomatischen Beziehungen - insbesondere zu vermeintlich neutralen -Staaten zu intensivieren und zu pflegen. So auch zu Schweden. Im gedrechselten offiziellen Sprachgebrauch war hier die Rede von: " herzlichen Grüßen des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker ", die von dem einstigen DDR-Außenminister Oskar Fischer übermittelt und die ebenso höflich und herzlich erwidert worden seien. Ja,ja, ja, wir haben uns doch Alle so lieb! Der schwulstig berichtende Korrespondent Jochen Preußler gibt denn auch noch die Erfolge des Schweden-Besuchs bekannt: " Nach Beendigung der im freundschaftlichen Geist verlaufenden Gespräche wurden von Oskar Fischer und Sten Anderson zwei Abkommen unterzeichnet, die das bewährte Vertragswerk zwischen beiden Staaten ergänzen. s handelt sich um ein Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Verschmutzungen der Ostsee und um eine Vereinbarung über die Gewährung ärztlicher Betreuung von Personen bei vorübergehenden Aufenthalt." Häh? Zwar war die DDR einst Anrainerstaat zur Ostsee, nur , welche Maßnahmen konnte dieses Land bei der Bekämpfung der Wasserverschmutzung tatsächlich einleiten, wenn es nicht einmal seine eigenen, zu Kloaken verkommenen Flussläufe reinigte? Oder war damit das künftige Unterlassen von Verunreinigen durch Öl - und Kraftstoffe bei den täglichen NVA-Grenzkontrollfahrten gemeint? Privat-Yachten als potentielle Umweltsünder, wie sie zu Tausenden in Hamburg oder vor allem in Schleswig-Holstein gehalten wurden, gab es eh nicht und die wenigen in Staatseigentum stehenden Fischerboote fielen dazu kaum ins Gewicht. Auch das zweite bi-laterale Abkommen über die ärztliche Versorgung von Personen in beiden Staaten war wohl eher ein Treppenwitz. DDR-Bürger genossen von ihren Genossen keine Reisefreiheit und kamen nur mittels Parteibuch oder qua sonstiger Privilegien nach Schweden. Allenfalls dann, wenn die - unter Dopingverdacht stehenden - Teilnehmer an diversen Wintersportveranstaltungen dort einreisten, um regelmässig die Medaillen abzuräumen. Dem Normalbürger blieb eine Reise nach Malmö, Helsingborg Göteborg, nach Uppsala, Karlstad, Norrköping nach dem nördlichen Sundsval, der Metropole des Nordens (Eigenwerbung), nach Umea°, Lulea° oder Kiruna seit vielen Jahrzehnten verwehrt. Da halfen auch nicht die herzlichen Grüße des Erich an den schwedischen König Carl XVI Gustaf . So lächeln denn beide Protagonisten bei der Audienz auf dem Bild mehr als verhalten. Wenn der schwedische König schon damals gewusst hätte, was sich in den Tagen nach dem 29.11.1989 so alles ereignen würde, er hätte vielleicht innerlich oder unter vorgehaltener Hand gekichert. Da blieb es bei der floskelhaften Feststellung in dem Bericht des ND vom 26. 11. 1987, dass sich die DDR und Schweden auch weiterhin für den Frieden in der Welt stark machen würden und die Abrüstungsbemühungen der UdSSR und der USA tatkräftig unterstützten. Bei den Schweden hatte ich seit den Erorberungsfeldzügen der Wikinger ab dem 8. Jahrhundert n.Chr., über die Ostsee:

þa stod on stæðe, stiðlice clypode wicinga ar, wordum mælde, se on beot abead brimliþendra ærænde to þam eorle þær he on ofre stod:

Da stand ein Bote der Wikinger am Ufer, rief tapfer aus, sprach mit Worten, brachte prahlerisch die Nachricht des Seefahrers zum Grafen des Landes, an dessen Kueste er stand,

den Versuchen, durch Unterstützung des Luthertums in Deutschland ab 1397 geügend Geld beizutreiben, um den Pleite gegangen Königsstaat Schweden zu sanieren und den hegemonialem Streben vor und zu Zeiten des Dreissigjährigen Krieges ab 1611,den begründeten Verdacht, dass keine Expansionsgelüste zu erkennen waren. Allenfalls bei der WM 158 im eigenen Lande, als die schwedische Fußballnationalmannschaft dem Titelverteidiger Deutschland im Göteburger Rasunda-Stadion ordentlich einheizte und mit 1:3 nach Hause schickte, waren Eroberungsgelüste erkennbar.

So verabschiedete sich denn DDR-Außenminister Oskar Fischer freundlich und unbestimmt von seinen schwedischen Gastgebern - und zwar für immer, denn in dieser Funktion ist er dorthin nie wieder gereist.

Neben Marginalien aus der Weltnachrichtenwelt, wie einem Bericht über den 18. Parteitag der KP Japans ( gab es die wirklich ? ), einem über einen Generalstreik in Italien ( wann wurde dort eigentlich mal nicht gestreikt ? ) und einem über eine UNO-Resolution zur unverzüglichen Einstellung der Kampfhandlungen zwischen Südafrika ( den Aggressor ) und Angola ( der befreundeten, sozialistischen Volksrepublik ), findet sich durchaus Erhellendes, nämlich ein Wetterbericht, der auf den herannahenden Winter schließen lässt.

Die weiteren Seiten 2 bis 8 habe ich mir geschenkt, denn das anstregende Organ-Vokabular führt alsbald zur völligen Ermattung des Denkapparates. So, wie ich, haben wohl die meisten DDR-Bürger gedacht. Wer einst im sozialistischen Zweitstaat Deutschlands eines der wenigen, dafür immer vollen Lokale betrat, um seine zwangsumgetauschten DDR-Gelder sinnlos zu verbraten, der fand sie recht schnell, die Zeitung des ZK der SED, meist ungelesen, unbefleckt, schon leicht vergilbt, weil die Papierqualität nicht einmal zweit-klassig war. Mutige Westler nahmen sie dann an sich, schlugen die Seiten knisternd, raschelnd,schiebend, zwischen einer Tasse HoMo ( Honecker-Mokka = DDR-Kaffee ) auf und versuchten durch ein permanentes Heruntersenken des eigenen Kopfes, sich in die real-sozialistische Scheinwelt einzulesen. Überwiegend mit mäßigem Erfolg, wodurch sie sich des breiten Grinsens iher Tischnachbarn - meist DDR-Bürger - mehr als gewiss sein konnten.

Wer liest, der bildet sich, wer viel liest, der bildet sich mehr, wer sehr viel gelesen hat, der ist gebildet. Allerdings mit " t " am Ende, nicht mit " d ", denn die zutreffende Feststellung via Gleichung: " BILD = Bald - Blöd " trifft voll umfänglich auch auf jenes Propagandablatt der SED zu. Besser: Es traf zu, denn das ND gibt es in jener Form nicht mehr!

Nach der Wende, dem Ende der DDR mit der deutschen Wiedervereinigung und der bereits laufenden Abwicklungsorgie, erhielt das ND eine andere Struktur und zeigt sich inhaltlich überparteilich und unabhängig, wenn gleich der Partei " Die Linke " nahe stehend.

Als ich nach dem Abfotografieren jenes Exemplars des ND die Zeitung wieder zusammenfalte, sticht mir noch ein Name ins Auge, der von Michail Gorbatschow, dem Wegbereiter der Deutschen Einheit, dem Statiker der Wiedervereinigung und der Ost-West-Entspannungsdiplomatie. " Gorbi " ist für mich nicht nur politisch ein mutiges Vorbild, da er mit seiner Weitsicht erkannt hat, dass eine zweigeteilte Welt nie eine friedliche Welt werden kann, dass er mit seiner Politik von " Glasnost " und " Perestroika " sich über das ideologisch verfahrene Staatsgebilde, den erbärmlichen Real-Zustand seines Landes, einst hinwegsetze, nein, er ist vor allem menschlich einer der ganz großen Vertreter seiner Zunft im den letzten Dekaden, im vergangenen Jahrhundert, wenn nicht sogar Jahrtausend.

Dann steht dort noch ein zweiter Name, der des einstigen US-Präsidenten Ronald Reagan. Nun ja, nicht unbedingt ein Idol, weil seine rechtslastige Gedankenwelt alles andere als zustimmungsfähig war. Weil er mehr als Amerikaner, als Cowboy und Flachdenker auftrat. Dennoch: Ronald Reagan hat in gewisser Weise seinen Beitrag zur Wiedervereinigung geleistet, indem er publicity-trächtig in West-Berlin einst forderte: " Mr. Gorbachev!Come here to this gate! Mr. Gorbachev, open this gate! Mr. Gorbachev, tear down this wall!“.

So ist es nachvollziehbar, dass diese beiden Staatsmänner - jeder auf seine Art - für mich Unvergessbares geleistet haben.

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