Europa hat euch nicht lieb!

Bekanntlich werfen große Ereignisse ihre Schatten voraus. Nachdem am 09. 05. 2009 die RTL-DSDS-Protagonisten ihre Finale austragen durften,innerhalb dessen unserer aller Didder, ob der rührseligen Szenerie, die Tränen in den Augen stand, fand eine Woche später der European Song Contest statt. Um die Krone balgten sich dieses Mal 25 Künstler aus 42 gemeldeten Nationen. Der Rest wurde schon zuvor selektiert und hatte somit nur die Rolle des Punktelieferanten zu spielen. Was der Veranstalter Rußland, als Vorjahressieger, dann zum Mega-Event auf die Beine stellte, toppte alsbald das bisher Dargewesene.

Eine Bühneshow vom Allerfeinsten, hoch visuelle Einspielungen im gesamten Farbspektrum und eine professionelle Moderation liessen denn kaum Langeweile aufkommen. Übertroffen werden konnte dieses Alles nur noch durch die Wasserspiele während der Abstimmungsviertelstunde. Der " lupenreine Demokrat " Wladimir Putin wollte, konnte und hat sich nicht lumpen lassen und die Veranstalterstadt Moskau mit einem 60 Millionen Euro - Etat in gigantische Dimensionen aufsteigen lassen. Überirdisch wurde es dabei, als die beiden Astro-Kosmonauten auf der ISS den Startschuß zum Voting in Richtung Erde abgaben. Dem alteingefleischten Fan musste bei dieser Wertschätzung des Träller-Festivals ganz Warm ums Herz werden. Auch wenn er keine der bis zu 1.000 Euro teuren Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt mehr ergattern konnte und zuvor auch leer ausging,weil die 35.000 Karten binnen weniger Stunden vergeben waren, so blieb ihm immer eines der ungezählten Public Viewing - Ersatzveranstaltungen in sämtlichen Großstädten Europas. Der Kontinent feierte sich an diesem Abend selbst - zumindest, was seine kulturelle Vielfalt betraf.

Die 25 Sangesakrobaten legten sodann ab 21.00 Uhr computer-gesteuert los und kredenzten dem Millionenpublikum in aller Welt ein formatiertes 3-Minuten-Stück,dessen Inhalt nur zu oft schwer verdaulich war. Von Folklore über Pop bis Swing hatte die kunterbunte Palette für Jeden etwas anzubieten. Der zeitgemässe Fleischbeschauungsfaktor durfte dabei ebenso wenig fehlen, wie halsbrecherische Tanzeinlagen und verwegene Mini-Soli auf diversen Instrumenten. Die Mehrzahl der Interpreten focusierte sich auf eine Adaption von Shakira-Titeln. Dabei blieb dem Musikinteressierten indes nicht verborgen,dass jene - gewollte - Nähe zu dem kolumbianischen Super-Star auch durch die begleitenden Hüftschwünge, Bauchnabelfreizügigkeiten und vereinheitlichten Tanzschritte nicht nur nicht gewollt, sondern bis zum Erbrechen herunter gespult wurde.

Shakira forever? Forever young, wäre es bestimmt so manchen Systemkritiker entfleucht, der sich das alljährliche Fernseh-High Light um die Ohren und Augen fliegen lässt. Bereits im Vorfeld der Hauptveranstaltung gab es denn einige Exkalamitäten zu dem Umgang mit dem Veranstalter Rußland und - bezogen auf die BRD - zu den Nominierungs - und Bewertungsmodi. Da Rußland - auch als Gastgeber - seit der Ära Putin in der Welt und in Europa nicht permanent wohl gelitten ist, waren Darbietungen mit politischem und Rußland kritischen Inhalten unerwünscht. So flog denn der gemeldete Teilnehmer Georgien unversehens aus dem Wettbewerb, weil sich die Interpreten von dort kategorisch weigerten, ihren Vortrag inhaltlich zu entschärfen. Kleine Seitenhiebe wären noch erlaubt gewesen, Kritik war jedoch tabu; schon gar nicht an den Veranstalter, der sich sichtlich Mühe gab, das unisono apoltische Festival auch als solchen visuelle ins rechte Licht zu projezieren. Nun denn, weshalb soll es ausgerechnet in der grössten Autokratie der Welt eine Ausnahme von der Regel geben?

Auch der bundesdeutsche Ernennungsmodus war nicht ganz unumstritten. Das GEZ-Gebühren zahlende Publikum war bei der Vorentscheidung völlig aussen vor. Kein Mitspracherecht via moderner Kommunikationsmittel, kein aktives Votieren für einen der Aspiranten. Das diesjährige Auswahlverfahren enthielt mithin keinerlei plebiszitäre Elemente. Warum? Tja, wahrscheinlich um zu vermeinden,dass statt einer Musikindustrie freundlichen Darbietung ein Titel aus der Rubrik: Monster, Mumien, Mutationen nach Moskau gesandt wird.
So, wie einst Guildo Horn mit seinem Nonsenstück: " Guildo hat euch lieb " oder sein Ziehvater und späterer Klamauk-Interpret Stefan Raab, der sinnfrei sang: " Wadde hadde du de da?". Ebenso wenig sollten Manipulationen möglich sein, wie sie im Falle der Münchenerin " Gracia " Arabella Baur durch ihren Manger David Brandes offen zu Tage traten.

Das europäische Songfestival mutierte aber auch so zu einem populären Klamauk - Event, dass vorallem wegen der Kommerzielisierung an Qualität vermissen lässt. Waren einst Interpreten am Start, deren musikalischer Horizont weit über jene Eintagsfliegen-Titel hinaus gingen, so zeigte sich - mindestens ab den frühen 80er - ein internationales Potpourie der Beliebigkeiten auf der Bühne. Mit der Technisierung geriet sodann der eigentliche Titelvortrag weit in den Hintergrund. Zunehmend legten die teilnehmenden Länder ihre Hauptakzente auf die Bühnenshow. Der Kollege Computer ermögliche es deshalb, dass auch minder begabte Sangeskünstler noch ihre Punkte einheimsen durften.

Ein weiterer Kritikpunkt lag im Bereich der sogenannten Nachbarschaftshilfe. Offenkundig bevorzugten Nationen, deren georgraphische Nähe unverkennbar ist, den Titel des unmittelbaren Nachbarn und bewerteten diesen weit aus höher, als er es eigentlich verdient gehabt hätte. Mit der extensiven Ausweitung der Teilnehmeranzahl in den Nachwendejahren, die vorallem durch die Länder des ehemaligen Ostblocks hervor gerufen wurde, verstärkte sich diese Tendenz zunehmend. Gebe ich Dir, gibst Du mir, so lautete das Motto.

Aufgrund der nur zu 50 % einfliessenden Televoting-Stimmen in diesen Ländern und dem 50 % - igen Votumrecht durch eine Fachjury, deren Mitglieder zuvor von einem Gremium ernannt werden mussten, ist dieser Effekt zumindest 2009 abgemildert worden. Dennoch: Es geht nicht ohne regionale Sympathien und lokale Befindlichkeiten.

Was den BRD-Beitrag des Retorten-Duos " Alex Swings, Oskar Sings! " betrifft, lässt sich eine Einordnung schon allein durch den Titel " Miss Kiss Kiss Bang " auf einen faulen Kompromis vornehmen. Eine Swing-Nummer im Zeitalter des Elekro-Schlagers? Das konnte nicht gut gehen. Konsequenter Weise landete das Duo mit 35 Punkten auf den 20 Platz. Es hat zwar nach der ESC-Cronik schon schlechtere Platzierungen gegeben, die Mehrzahl war allerdings auch wesentlich besser:

Jahr Zahl der Beiträge Ort Sieger Titel
1956 12 Köln Freddy Quinn So geht das jede Nacht
Walter Andreas Schwarz Im Wartesaal zum großen Glück
1956 trat jedes Land mit zwei Titeln beim ESC an.
1957 4 Frankfurt am Main Margot Hielscher Telefon, Telefon
1958 12 Dortmund Margot Hielscher Für zwei Groschen Musik
1959 kein Vorentscheid Alice und Ellen Kessler Heute abend woll’n wir tanzen geh’n
1960 10 Wiesbaden Wyn Hoop Bonne nuit, ma cherie
1961 13 Bad Homburg vor der Höhe Lale Andersen Einmal sehen wir uns wieder
1962 12 Baden-Baden Connie Froboess Zwei kleine Italiener
1963 5 ? Heidi Brühl Marcel
1964 6 Frankfurt am Main Nora Nova Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne
1965 6 Hamburg Ulla Wiesner Paradies, wo bist du?
1966 kein Vorentscheid Margot Eskens Die Zeiger der Uhr
1967 kein Vorentscheid Inge Brück Anouschka
1968 kein Vorentscheid Wencke Myhre Ein Hoch der Liebe
1969 9 Frankfurt am Main Siw Malmkvist Primaballerina
1970 6 Frankfurt am Main Katja Ebstein Wunder gibt es immer wieder
1971 6 Frankfurt am Main Katja Ebstein Diese Welt
1972 12 Berlin Mary Roos Nur die Liebe läßt uns leben
1973 12 Frankfurt am Main Gitte Junger Tag
1974 kein Vorentscheid Cindy & Bert Die Sommermelodie
1975 15 Frankfurt am Main Joy Fleming Ein Lied kann eine Brücke sein
1976 12 (keine Live-Sendung) Tony Marshall Der Star
Tony Marshall wurde nachträglich disqualifiziert, für ihn nahmen die Les Humphries Singers mit Sing Sang Song am ESC teil.
1977 kein Vorentscheid Silver Convention Telegram
1978 15 (Vorentscheid im Radio) Ireen Sheer Feuer
1979 12 München Dschinghis Khan Dschingis Khan
1980 12 Unterföhring Katja Ebstein Theater
1981 12 Unterföhring Lena Valaitis Johnny Blue
1982 12 Unterföhring Nicole Ein bißchen Frieden
1983 12 Unterföhring Hoffmann & Hoffmann Rücksicht
1984 12 München Mary Roos Aufrecht geh’n
1985 12 München Wind Für alle
1986 12 München Ingrid Peters Über die Brücke geh’n
1987 12 Nürnberg Wind Laß die Sonne in dein Herz
1988 12 Nürnberg Maxi & Chris Garden Lied für einen Freund
1989 10 München Nino de Angelo Flieger
1990 10 München Chris Kempers & Daniel Kovac Frei zu leben
1991 10 Berlin Atlantis 2000 Dieser Traum darf niemals sterben
1992 6 Magdeburg Wind Träume sind für alle da
1993 kein Vorentscheid Münchener Freiheit Viel zu weit
1994 kein Vorentscheid MeKaDo Wir geben ’ne Party
1995 kein Vorentscheid Stone & Stone Verliebt in dich
1996 10 Hamburg Leon Blauer Planet
1997 9 Lübeck Bianca Shomburg Zeit
1998 10 Bremen Guildo Horn & die Orthopädischen Strümpfe Guildo hat euch lieb!
1999 11 Bremen Corinna May Hör den Kindern einfach zu
Corinna May wurde nachträglich disqualifiziert, für sie nahmen Sürpriz mit Küdüs’e seyahat (Reise nach Jerusalem) am ESC teil.
2000 11 Bremen Stefan Raab Wadde hadde dudde da?
2001 12 Hannover Michelle Wer Liebe lebt
2002 15 Kiel Corinna May I Can’t Live Without Music
2003 14 Kiel Lou Let’s Get Happy
2004 10 Berlin Max Can’t Wait Until Tonight
2005 10 Berlin Gracia Run and Hide
2006 3 Hamburg Texas Lightning No No Never
2007 3 Hamburg Roger Cicero Frauen regier’n die Welt
2008 5 Hamburg No Angels Disappear
2009 kein Vorentscheid Alex Swings Oscar Sings! Miss Kiss Kiss Bang




Die Platzierung und Bewertungen ergeben sich danach über folgenden Link:


http://www.esc-history.com/points_for.asp?country=Germany


Während der Zeitgeist auch vor dem ESC keinen Halt macht, bleibt immerhin eine Feststellung: Viel Lärm, um fast Nichts!


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

" Eine Seefahrt, die ist lustig. " - nur nicht in den 60er Jahren zum AOK - Erholungsheim auf Norderney.

" Oh Adele, oh Alele, ah teri tiki tomba, ah massa massa massa, oh balue balua balue. " und die Kotzfahrt nach Wangerooge.

Widerspruch zwecklos!