" Fahr schon mal den Wagen vor, Dieter! " - Notizen aus dem hanseatischen Spießerleben.



Als ich am Samstagnachmittag die üblichen 30 Minuten der Vorberichterstattung zum Bundesligapflichtspiel des SV Werder Bremen gegen Fortuna Düsseldorf auf Radio Bremen 1 hörte, kamen mir wieder einmal einige Erinnerungen an die Studienzeit in der Freie Hansestadt Bremen von 1978 bis 1986. An jene Jahre also, in denen ich mit wenig Geld dennoch große Pläne schmieden konnte. Da hockte ich in meinen knapp 14, dann 16 und später so gar 18, 93 m² Wohnfläche und las, arbeitete an meinen " Scheinen " ( Leistungsnachweisen ) oder vertrieb mir mit Kommilitonen die Zeit. Ein wieder kehrendes Ritual waren die Wochenendeinkäufe. So gurkte ich mit dem R4 ( in den Farben lindgrün, sonnenblumengelb und  marineblau ) in schöner Regelmäßigkeit in Richtung Innenstadt, in das Viertel oder später zum " Aldi " in die Riensberger Straße.
Im Autoradio plärrte vielfach das Kassettengerät, vielleicht auch eine Frühsendung der " Hansawelle ". Jenem Programm dass mit einem leistungsstarken Sendemasten im Leher Feld, an der Peripherie des Bremer Stadtteils Horn - Lehe so ziemlich alle anderen Sender ( bis auf die drei übrigen von Radio Bremen ) totschlug und die über den Mittel - und Kurzwellenbereich ebenso starke Signale absetzen konnte. Bis im Jahr 1998 das endgültige Aus für die Sendemasten kam, die später gesprengt wurden.

Nun, in den Endsiebzigern und frühen Achtzigern war es möglich, dass Hansawellen - Programm auch bis weit in die niedersächsischen Landkreise hinein zu hören. Damit war ich auch in jenen Zeiten, die ich im elterlichen Umfeld verbrachte über die aktuellen Ereignisse in Bremen informiert. Schließlich interessierte es mich schon, was sich in dem Zweistädtestaat während meiner Abwesenheit abspielte. Nicht, weil weil ich so neugierig war und die regionalen Ereignisse brühwarm erfahren wollte, auch nicht, weil ich die Neuigkeiten rund um den SV Werder ständig übermittelt haben musste, aber vor allem nicht, weil ich unendlich viele Bekannte oder Freunde aus Bremen zu jener Zeit vorweisen konnte, nein, es war einfach das maritime Flair der Hansestadt Bremen, die Mischung aus Großstadt und überschaubarer Provinzialität, die mich zum Bremen - Fan machte.

Auch wenn die typischen Bremer eher gewöhnungsbedürftig waren, es eventuell noch immer sind. Das lag oder liegt noch heute nicht daran, dass der Binnenbremer oft sich seltsam anhörende Vornamen trug. So gab es bei der holden Weiblichkeit eine Meta, eine Hella oder eine Insa. Bei den Männer einen Malte, Eike oder Gerrit. Ein besonders beliebter Vorname war aber damals Dieter. Die Ursachen für jene Eigentümlichkeiten des echten Bremer, also des Binnenbremer ( vulgo " Knippkopp " ), der er im Vergleich zum Butenbremer ( das sind die vielen Tausend Pendler und Zugezogene ) hat, liegen indes woanders. Sie stammen aus der maritimen, der hanseatischen, der vom Seehandel geprägten Vergangenheit.
Nicht nur, dass hier ein besonderer Dialekt gesprochen wird, an dem man den Butenbremer sofort von Binnenbremer unterscheiden konnte, sondern auch das bremisch - hanseatische Understatement unterscheidet die Bewohner der Hansestadt Bremen von anderen Norddeutschen, insbesondere aber Bundesdeutschen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Bremer_Dialekt

http://www.oliver-rahe.de/woerter.htm

Der Binnenbremer liebt sein Städtchen; nicht nur, weil er dort geboren wurde. Er mag es deshalb, weil alles hier überschaubar ist. Die Innenstadt ( City benannt ) ist schön übersichtlich. Hier lässt sich der Buten - und Binnenbremer gerne sehen, wenn er seine Einkäufe erledigen möchte. Inzwischen hat sich das Gesicht der Innenstadt aber völlig verändert. So sind die einstigen Säulen des westdeutschen Wirtschaftsaufschwungs und des BRD - Konsumwahns längst verschwunden. Nicht nur Horten, Hertie oder Kaufhof sind von der bremischen Bildfläche in der Obern - und Sögestraße entfleucht, auch andere Konsumheiligtümer existieren nicht mehr, so auch Kaufring, Quelle und Neckermann.
Einzig Karstadt ( bremisch: " Kaarsssstaadt " ) hat das Sterben bislang abwenden können.

In dem Umfeld von damals, also mit Beginn der 80er Jahre war denn eine Fahrt in die City zunächst mit der Suche nach einem Parkplatz verbunden. Wer - so wie ich - Frühaufsteher war, der konnte ab 8.00 Uhr einen Platz unter der Hochstraße oder bei der Martinistraße ergattern und den Restweg zu Fuß absolvieren. Obwohl es schon in jener Zeit genügend Parkhäuser gab, waren diese bei mir wegen der schon vormals saftigen Gebühren eher unbeliebt. Deshalb also lieber einen kleinen Fußmarsch auf mich nehmend, erreichte ich in schöner Regelmäßigkeit den Bereich der Fußgängerzone. Hier ballt sich das Konsumfeld der Freien Hansestadt Bremen. Hier steppte von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr und samstags von 8.00 Uhr bis 13.00 Uhr der Bär.
Getoppt wurden die Menschenansammlungen nur noch an den vier verkaufsoffenen Sonnabenden vor Weihnachten, wenn die Konsumtempel von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr den kaufwütigen Binnen - und Butenbremern, die einige Tage zuvor drastisch angezogenen Waren feil boten. Da war dann ab 9.00 Uhr kein Parkplatz mehr zu bekommen. Menschenmassen drängten sich in den Kaufhäusern. Die Fußgängerzone war zum Bersten voll. Wer etwas auf sich hielt, ging mit Partner, Kind und Kegel zum Shoppen bis die Schwarte krachte, das Portemonnaie leer und das Konto zuvor leer geräumt war.
Die typischen Plastetaschen schleppend würgten sich die Bremer und ihre Gäste durch die Söge - und Obernstraße bis zu den Parkhäusern oder den Straßenbahnhaltestellen.

Spätestens am 24. 12. des Jahres war ab 13.00 Uhr der Spuk vorbei. Dann bereitete sich der Bremer auf den Heiligen Abend vor.Wer einen Tannenbaum von einem der vielen mobilen Verkaufsplätze ergattern konnte ( auch hier musste man sich rechtzeitig kümmern ) begann diesen zu schmücken. Ab 15.00 Uhr wurde der Gang in eine der Kirchen angetreten. Innerhalb weniger Minuten waren die Gotteshäuser, wie der St. Petri Dom, Unsere Lieben Frauen Kirche oder St.Stephanie - Gemeindesaal proppenvoll..
Und das, obwohl der Durchschnittsbremer in den 80ern nicht gerade gläubig war. Es war - wie heute auch - das Ritual des Sehen und gesehen Werdens, das Verhalten nach dem Prinzip des Dabei - sein - ist -alles.

Nach dem Gottesdienst und der Rückkehr in das eigene Heim oder die Wohnung wurde der Heilige Abend im Kreise seiner Liebsten begangen. Es wurden dabei die Geschenke artig ausgetauscht, es wurden dabei die für Westdeutschland üblichen Gerichte kredenzt, ob nun Kartoffelsalat, Heringssalat oder in einem, oft über dimensionierten Topf zubereitet, der Bremer Grünkohl mit Knipp, eine Art Grützwurst, deren Inhalt so aussieht, als habe dieser sich schon einmal im Magen befunden ( http://de.wikipedia.org/wiki/Knipp_(Speise) ).
Daher stammt auch der etwas verächtliche Name " Knippkopp ", der nur für den wahren, den Binnenbremer zutrifft. Oft wird dieser - jedoch irrtümlich - als " Fischkopp " tituliert. Nö, dat sin de Hamborger.
Und allgemein werden denn die echten Küstenbewohner als Krabben - oder Muschelschubser und von den Süddeutschen verächtlich als Nordlichtern bezeichnet.

Also, der " Knippkopp " hat denn auch weitere Eigenarten. So verließ er in jener beschrieben Zeit nie seine Geburtsstadt. Es sei denn, er/sie ehelichten einen Butenbremer/in und mussten deshalb die heimatlichen Gefilden verlassen. Wohl gefühlt hat er/sie sich in Fremde jedoch nicht wirklich. Weshalb sie/er so oft es ging nach Hause fuhren. Nur in jenem kleine Streifen 35 Kilometer entlang der Weser und innerhalb der Fläche von 38 Kilometern Länge sowie 35 Kilometer Breite, kann der Binnenbremer sich heimisch fühlen.
Aber wenn es um die Berufsausübung geht, ist dieser durchaus in der Lage, zeitweise Kompromisse zu schließen. So treibt es den Binnenbremer auch in die Große Weite Welt hinaus. Er ist ja von Geburt an mit dem Wasser, der Schifffahrt und dem Hafen als Handels - und Transportplatz eng verbunden.

Der Binnenbremer arbeitete deshalb in den Endsiebzigern und Achtzigern auch dort. Bevor große Firmen, wie die AG Weser, der Bremer Vulkan oder Nordmende Pleite gingen, hatten viele Bremer auch dort ihren Arbeitsplatz. Der Durchschnittsbremer verdiente in jenen Jahren gut und lag sogar im oberen Bereich der Lohn - und Gehaltsskala. Er konnte sich deshalb etwas leisten. So war es ihm möglich im bremischen Umland zu bauen, weil die wenigen, noch vorhanden Grundstücke in der Stadt zu teuer waren. So pendelte er jeden Werktag von seinem Wohnort zur Arbeitsstelle nach Bremen. Dieses erledigte er mit einem jener Mittelklassewagen, die damals von Ford, Opel oder VW hergestellt wurden.
Aber auch der Pendant im bremischen Stadtgebiet leistete sich so einen Schlorren, der locker mehr ein halbes Jahresgehalt ausmachte.
Dennoch verzichtete der Binnenbremer nicht auf seinen Urlaub, den er vornehmlich in den südlichen Ländern, wie Spanien, Italien oder Griechenland verbrachte, um dem Bremer Schmuddelwetter, dass auch im Sommer vorherrschen konnte für mindestens zwei Wochen zu entfliehen.

Der " Knippkopp " von damals war häufig bodenständig und liebte keine politischen Experimente. Er war Gewerkschaftsmitglied, nicht selten gleichzeitig in der SPD und/oder in einem Sportverein. Er war eher konservativ eingestellt, weil nämlich Hanseat durch und durch. Er mochte seine eigene Universität nicht, denn dort gab es nur Kommunisten und Faulenzer. Er lehnte die Ausländer als Mitbürger ab, weil sie die Arbeitsplätze weg nahmen, andere Kulturen pflegten und nicht hanseatisch dachten. Oft belasteten sie noch die Sozialkassen ( Sozialhilfe ). Die ausländischen Gebräuche akzeptierte der Durchschnittsbremer nur während seines Auslandsurlaubs. Dort versuchte er aber möglichst seinen Heimatsender zu hören, was noch vor dem Weißwurstäquator nicht mehr möglich war, weshalb er nach seiner Rückkehr sofort die Hansawelle
einschaltet, um die softige, provinzielle Sendung " Bremen 1 am Wochenende " mit dem Moderatorenduo Monika Kluth und Karlhein Calenberg zu hören, dabei das Auto zur Waschanlage zu bringen oder sich auf das Werder - Heimspiel vorzubereiten.

http://de.wikipedia.org/wiki/Bremen

Der Binnenbremer, der echte Bremer also, der " Knippkopp ", führte auch sonst ein geschmacklich formatiertes Dasein. Er trug in den 80ern zwar Blue Jeans, karierte oder bunte Baumwollhemden von Karstadt, dazu schwarze oder dunkelbraune Schuhe ( die besseren von Lloyd zog er nur an Sonn - und Feiertagen an ) und eine dunkle, regenabweisende Jacke ( oft einen Parka ). Er hatte das Haar kurz, allenfalls bis zu den Ohrläppchen gehend geschnitten, in Ausnahmefällen kam ein Bart hinzu, und setzte sich dann und wann eine " Prinz - Heinrich ", - " Kapitäns " - oder "  Elblotsen - Mütze " auf. Da er mehrheitlich zwischen Ende 30 bis Anfang 50 war, mochte er keine Langhaarigen, keine Studenten und keine emanzipierten Frauen.
Er lehnte deshalb die Friedensbewegung, die Anti - AKW - Proteste und die DKP - Bremen strikt ab.

http://www.weser-kurier.de/bremen/stadtteile_artikel,-Jetzt-sind-auch-die-Achtziger-Geschichte-_arid,333878.html

Da fuhr ich dann an einem Samstagvormittag in den frühen 80ern über die Wilhelm - Kaisen - Brücke in Bremen in die Bremer - Neustadt. Es war bereits weit nach 9.00 Uhr. Die Parkplatzsuche war erfolglos verlaufen, womit klar war, dass ich die Weser auf der anderen Seite abgrasen musste. Mein blauer R4 zuckelte durch die engen, voll geparkten Wohnstraßen, rechts der Magistrale, der Friedrich - Ebert - Straße. Links Blech, rechts Blech, dazwischen " Ausfahrt frei halten ". Dann, endlich ein freier Platz. Ich bremste leicht ab,wollte bei mit der Renault - " Revolverschaltung " den Rückwärtsgang einlegen, als ich durch das halb geöffnete, Schiebefenster der Fahrerseite plötzlich eine Stimme vernahm: " Dieter, fahr schon mal den Wagen vor! ", befahl eine Frauenstimme einige Meter hinter mir. Mit Dieter war ein Mann gemeint, der an dem Hauseingang irgendwas werkelte und genau wie der oben beschriebene Binnenbremer gekleidet war - inklusive Mütze. Das Rückwärtsfahren in der Einbahnstraße wäre also beobachtet worden. Deshalb entschloss ich mich, über die andere, parallel verlaufende Einbahnstraße wieder zurück zu kommen und dann vorwärts einzuparken. Es dauerte vielleicht eine halbe Minute bis ich das Haus mit dem freien Parkplatz erreicht hatte. Derweilen hatte Dieter seinen Ford Granada, dunkle Farbe mit hellen Bezügen, zwei Türen und einer großflächigen Front, im Schritttempo rückwärts fahrend auch in Richtung des Parkplatzes manövriert. Dieter´s Granada, ein wahres Schlachtschiff im Vergleich zu meinem winzigen Gartenstuhl, wäre vielleicht auch in die Parklücke gekommen, doch ich war schneller.
In einem Zug brauste ich an die verdutzt schauende Ehefrau vorbei in die Parklücke hinein und wollte aus- steigen.
Dieter hupte, gestikulierte wild, drohte. Ich stieg also aus meinem R4 aus und schloss die Beifahrertür ab.
Auch Dieter stieg aus seiner Karosse aus. Der Motor lief noch. Er blaffte los: " Ma, das hat man ja gerne, einem den Parkplatz weg nehmen!"
" Wieso das? ", wollte ich von ihm wissen.
" Ich war zuerst da, haste das nicht mitgekriegt?"
" Nee, wenn de rückwärts in einer Einbahnstraße fährst, kann ich das nicht ahnen. "
" Immer diese Langhaarigen hier. ", pöbelte Dieter zurück.
" Was heißt hier Langhaarige? Besser als verkehrt rum Fahrende, in ´ner Einbahnstraße. ", gab ich ihm zur Antwort.

Dieter wurde stumm. Verächtlich schaute er mich noch an, als ich an ihm vorbei in Richtung City ging. Der " Knippkopp " fuhr sein Auto einige hundert Meter weiter auf den Gehsteig. Ich drehte mich noch kurz um und sah, dass das Paar zwei Koffer und einige Taschen aus dem Haus schleppte. " Aha, also Urlaub! ", dachte ich bei mir. " Hätte er ja gleich sagen können, dann wäre ich woanders hingefahren. ", war mein weiterer Gedanke.

So waren sie halt, die Binnenbremer, die Hanseaten von der Weser, die " Knippköppe "!
  

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