10 " SPIEGEL " - Jahrgänge für einen guten Zweck.
Eigentlich hätte ich eine " Ehrennadel ", eine " Leser - Urkunde " oder einen " Abo - Gutschein " verdient; ausgestellt und / oder überreicht von einem Mitarbeiter des Hamburger Nachrichtenmagazins " DER SPIEGEL " für 40 Jahre Treue. Irgendwann im Mai 1974 erwarb ich meine erste Ausgabe und las diese von vorn bis hinten durch. Zugegebenermaßen habe ich damals als Schüler der Fachoberschule für Wirtschaft ( FOS ) in Stadthagen nicht alles, was in den vielen Artikeln und mittels mir teils unbekannter Begriffe sowie über Fremdwörter vermittelt werden sollte, auch wirklich verstanden. Doch das Nachrichtenmagazin aus der fernen Hansestadt Hamburg gefiel mir. Nicht deshalb, weil es sich schon vom Format von den anderen Printmedien abhob und im Vergleich zum " Stern ", den übrigen Illustrierten oder gar den Tageszeitungen, wesentlich anders aufgemacht war, sondern weil der Inhalt wesentlich von weiteren Druckerzeugnissen abwich.
Seit jenem Montag im Mai 1974 habe ich kaum eine Ausgabe verpasst. Wenn ich für einige Zeit im Ausland war, lagen die dann erschienen Hefte bei einem Studienkollegen in dessen Zimmer später zur Abholung bereit oder ich änderte die Bezugsanschrift in dieser Zeit und die Ausgaben kamen in das elterliche Haus. Einige skurrile Begebenheiten kommen mir im Zusammenhang mit dem Kauf des Hamburger Nachrichten Magazins wieder in Erinnerung:
Als Schüler und Student erwarb ich den " SPIEGEL " in Fachgeschäften oder Einkaufsmärkten mit einer Zeitschriftenabteilung. So fuhr ich einst in meinem roten, genauer gesagt, bordeaux roten Renault R 4 jeden Montagmittag von der Schule in Stadthagen aus kommend zu einem kleinen Kiosk in Bad Eilsen, der über Mittag geöffnet hatte, und kaufte das Magazin dort
für 2 DM, dann 2,50 DM. Als der Kiosk dicht machte, weil es sich für den Betreiber nicht mehr lohnte, musste ich bis um 15.00 Uhr warten, dann öffnete ein Zeitschriften - und Souvernierladen an der Promenade in Bad Eilsen seine Tür.
Der Geschäftsinhaber war ein alter Bundeswehrsoldat ( Hauptfeldwebel, 12 - ender im Jargon des Barras ), der mit seiner damals schon üppigen Abfindung den Schuppen gemietet und sich dort eine neue Existenz aufgebaut hatte.
Er glotzte mich immer blöd und vorwurfsvoll an, wenn ich die 2,50 DM auf den Tresen legte, um meine Lektüre zu erwerben. Schnellst möglichst verschwand ich aus dem Laden, der neben Nippes, Schund und anderen nicht gebrauchfähigen Artikeln eben auch Zeitschrift veräußerte. Der Renner war natürlich das Latrinenblatt mit den vier Buchsraben und die einheimischen Zeitungen sowie jene Regenbogenpresseerzeugnisse für die Frau. Während ich an einem dieser Montagnachmittage die Stufen zum dem Geschäft hoch stakste, hatten sich neben meinem roten R4 zwei weitere " Gartenstühle " in der gleichen Farbe hingestellt, womit ich natürlich nicht gerechnet hatte, dass beide Fahrer hinter mir im Geschäft standen und dort Zigaretten und Tabak kaufen wollten.
Der Betreiber - Arsch wollte sie vor mir bedienen, wogegen ich lautstark protestierte. Als ich meinen Obolus auf die Glasplatte des Verkaufstresens gelegt hatte, verließ ich schnurstracks das Geschäft. Die beiden anderen Renault - Fahrer folgten mir kurz danach und sahen, wie ich an einem der roten R4 versuchte das Schloss zu öffnen.
" Nö, das ist meiner !", sagte plötzliche eine Stimmer hinter meinem Rücken.
Ich drehte mich etwas erschrocken um und schaute ihn wohl entgeistert an.
" Ihrer steht ganz rechts daneben. ", sagte er noch, bevor beide R4 - Fahrer zu lachen begannen. " Lassen Se´mal, das ist uns auch schon öfters passiert ", ergänzte der zweite Renault - Fan und stieg neben mir ein. Tatsächlich die beiden anderen roten R4 kamen aus der gleichen Stadt in Niedersachsen und kannten sich zudem auch noch, weil es " Blindow " - Schüler waren.
Als sie von dem Parkplatz fuhren, grüßten sie mich noch und lachten dabei.
" Na, so was! ", dachte ich beim Wegfahren noch und hatte den Ärger mit dem reaktionären Bundeswehr - Spieß(er) im Geschäft längst wieder vergessen.
Später abonnierte ich den " SPIEGEL " dann, weil mir die Fahrerei zum Kaufhaus " Lestra " in benachbarten Stadtteil Bremen - Horn/Lehe irgendwann zu umständlich wurde und das Studenten feindlich gesinnte Verkaufspersonal mich zudem nervte. Die dicken, alten, grau - melierten Verkäuferinnen und das Kassenpersonal nutzte jede Gelegenheit, um ihren Frust gegen angeblich faule und linke Studenten los zu werden.
So kam es, dass an einem späten Freitagnachmittag - die Vorlesungen waren längst beendet - es plötzlich an meiner Holz des 18,4 m² - Betonkastens klopfte. Um diese Zeit verirrte sich in dem .Mensa - Wohnheim an der Leobener Straße an der Bremer Universität kaum jemand. Die meisten Studenten waren längst zu Hause und begannen sich auf das Wochenende einzustimmen. Ich lugte durch den " Spion ", einem kleinen Guckloch, das in der Mitte der Tür befand und sah einen mir unbekannten Mann vor der Tür stehen. Nachdem ich geöffnet hatte, begann dieser eine Litanei herunter zu beten, die von vorn bis hinten aus Lügen bestand. Er käme von einem Sozialverband und würde diesen durch den Verkauf von Zeitschriften unterstützen wollen. Blablabla, eben! Ich hörte zunächst zu und unterbrach ihn dann, als er aus einer vor bereiteten Mappe eine Vielzahl von Zeitschriften - Logs vorzeigte: " Sie können aufhören. Kommen Sie einfach rein!", bat ich ihn bestimmt.
" Ich lese den übrigen Quark nicht, sondern nur den " SPIEGEL ", fügte ich noch hinzu.
Er schaute mich verdattert an und kam dann hinter mir in meine Bude hinein.
Nachdem ich ihn einen Sitzplatz angeboten hatte, klappte er eine Auftragsblock auf und füllte eine Seite mit einer Durchschrift aus. " Sie sind " Drücker ", nicht wahr? ", sagte ich ihm auf den Kopf zu. Der Knilch wurde etwas verlegen und gab dann zu, dass er für eine Zeitschriftenvermittlungsagentur arbeiten würde. Genauer gesagt, er war der " Team - Leiter ". Also so etwas, wie der Vorarbeiter. Ein biederer Erfüllungsgehilfe der ihn beauftragten Betrüger - Bande. Das hatte ich ihm allerdings nicht gesagt. Noch während er seinen Auftrag schrieb, merkte ich, dass er nie und nimmer damit gerechnet hatte, dass ein Student an der als " kommunistisch " verschrienen Universität Bremen ihm einen so guten Auftrag erteilen würde. Sein ganzes Gehabe, seine Art, wie er sich ausdrückte, zeigte mir eindeutig, dass es ebenfalls ein reaktionärer, voller Vorurteile durchs Leben laufender Mensch war. Ein " Linker " von der Uni Bremen war für ihn wie ein Aussätziger. Mit Aussätzigen wollte ein solcher Biedermichel und CDU - Fan natürlich nichts zu tun haben.
Aber Geschäfte machen musste er schon mit den " Linken ", denn für seinen Chef zählten nur die - oft auf betrügerische Weise - erlangten Abschlüsse, die nach dem damaligen Recht nicht einmal widerrufen werden konnten.
So bat er mich um eine Unterschrift und erhob sich umgehend, nach dem er diese erhalten hatte. Immer noch schaute er mich teils ungläubig, teils zweifelnd an. Aus seinem Gesicht las ich heraus, dass er sich keinen Reim aus meinem Verhalten machen konnte. Dann verabschiedete er sich von mir und verschwand in Richtung des unterhalb meiner Butze liegenden Parkplatzes, wo er schon von anderen, genauso armen Willis erwartete wurde.
Zum übernächsten Montag lag dann ab Mittag die aktuelle Ausgabe des " SPIEGEL " in meinem normierten Briefkasten, der Teil einer großen Anlage vor dem Mensa - Wohnheim war. Das Nachrichtenmagazin aus Hamburg wurde immer pünktlich mit der Post geliefert. Der Briefträger erschien erst gegen Mittag, weil er seine Tour in der Leobener Straße wohl beendete. So nahm ich den " SPIEGEL " auf dem Rückweg von den Vorlesungen in meiner Umhängetasche mit und las diesen dann während des Mittagessens auf meiner Butze. Zuerst die Hausmitteilungen, dann das Inhaltsverzeichnis, dann die Leserbriefe.
Montag für Montag der gleiche Ablauf, der nur für einen kurzen Zeitraum unterbrochen wurde, als an einem jener " SPIEGEL " - Tage eben kein " SPIEGEL " im Briefkasten lag. Zunächst vermutete ich, der Briefträger hätte die Zustellung schlichtweg vergessen und wartete auf den folgenden Dienstagmittag. Doch auch dann lag kein " SPIEGEL " im Briefkasten. Anhand der alten Hefte konnte ich eine Telefonnummer in Hamburg in Erfahrung bringen, die für den Abonnenten - Service eigens eingerichtet war. Ich notierte meine Kundennummer und rief dort an. Die Dame am Telefon hörte sich mein Anliegen an und ich erhielt am Mittwochmittag eine Ausgabe des aktuellen " SPIEGEL " durch den Postbeamten in den Briefkasten.
Einen Tag später schrieb mir der " SPIEGEL " - Verlag, dass er die Unannehmlichkeiten bedauere und er Recherchen zu dem Verbleib des Heftes angestellt habe. Demnach sei das für mich bestimmte Exemplar ordnungsgemäß ausgeliefert und durch die Deutsche Bundespost zugestellt worden.
Aha, also hatte irgend Jemand den " SPIEGEL " aus dem Briefkasten geholt und gemopst. Also, was dagegen tun? Ich bat einen Mitbewohner für mich die Post jeden Montag während der Vorlesungszeiten aus meinem Briefkasten zu holen, weil dieser erst ab Mittag seine Veranstaltungen hatte. Und siehe da, seit dem erhielt ich ohne Probleme meinen " SPIEGEL ", wenngleich dieser bereits von dem Mitbewohner durchgeblättert worden war. Immerhin besser, als geklaut.
Und so stapelte sich Jahrgang für Jahrgang in meiner kleinen Bude im Mensa - Wohnheim. Bis eines Tages eine Altpapiersammlung an der Universität zu einem sozialen Zweck vom AStA initiiert wurde. Ich sammelte die durchgelesenen " SPIEGEL " - Hefte, bündelte diese mit einer so genannten " Wurstschnur " und fuhr sie in meinem inzwischen gelben R4 zu dem Container.
Nach einer halben Stunde war die Schweiß treibende Tätigkeit erledigt und der Behälter an dem Parkplatz gut gefüllt.
30 Jahre später war ich wieder in einer ähnlichen Situation. Der Nachbar bat um Papier zur Abgabe an das Plauener - Gymnasium. Ich entledigte mich nun der 10 Jahrgänge " SPIEGEL " - Hefte von Mitte 2004 bis Mai 2014 und schrieb den Hamburgern dazu:
DER SPIEGEL
Ericusspitze 1
20457 Hamburg
10 „ SPIEGEL „ – Jahrgänge für einen guten Zweck
Guten Tag an die „ SPIEGEL „ – Redaktion,
als am vergangenen Samstag der Nachbar mit der Bitte an mich heran trat, zur Unterstützung einer Altpapiersammlung des Gymnasiums in Dresden Plauen doch mal nach Katalogen, Tageszeitungen oder Werbebroschüren zu sehen, konnte ich zunächst nur jenes Papier übergeben, das ich bereits in die blaue Wertstofftonne bugsiert hatte.
Nun, sehr viel Gewicht machten die zusammen gesuchten Druckerzeugnisse nicht aus. Da besann ich mich, dass ich seit etwa 10 Jahren beinahe sämtliche Ausgaben des „ SPIEGEL „ in einer großen Eichenholzanrichte aufbewahre, um vielleicht doch noch den einen oder anderen Artikel nachlesen zu können. Inzwischen stehen allerdings sämtliche Ausgaben meiner Leib - und Magenlektüre im Internet zum Abruf zur Verfügung. Auch jene, die ich vor Juli 1974 noch nicht gelesen habe. Damit fiel es mir nicht besonders schwer, mich von meiner aufbewahrten Vergangenheit zu trennen. So wanderte ein Jahrgang nach dem anderen in eine Schubkarre und wechselte von dort aus zunächst seinen Besitzer. Alsbald lagen die Alt - „ SPIEGEL „ säuberlich gebündelt zum Abtransport in des Nachbars Fahrzeug, von wo sie ihren Weg zum Altpapiercontainer auf dem Geländes des Gymnasiums in Dresden – Plauen fanden.
Während des Ausräumens der „ SPIEGEL „ – Hefte fielen 3 Bundespräsidenten, 2 Bundeskanzler, eine Vielzahl von Bundesministern sowie ungezählte Skandale, Schurkenstücke und skurrile Geschichten, über die „ DER SPIEGEL „ berichtet hatte und/oder die einst auf dem Titelbildern prangten, dem Schredder zum Opfer.
„ DER SPIEGEL „ hat eben Gewicht ( 188,4 Kilogramm ), und Altpapier ist auch ein Rohstoff, mit dem sich gleichfalls ein wenig Geld verdienen lässt und schließlich diente der „ SPIEGEL „ – Transport einer guten Sache, wie sich aus der Web – Präsenz der Schule ergibt.
In diesem Sinne, auf die nächste Dekade „ SPIEGEL „ – Hefte, denn: „ SPIEGEL „ – Leser wissen nicht nur mehr, sondern haben auch die besseren Ideen.
Schöne Grüße von der Elbe an die Elbe.
Jürgen Wieloch
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