Sage beim Abschied sehr laut " Schönen vierten Advent ", sage nie " Auf Wiedersehen "!
Alles hat einmal ein Ende. Die angenehmen Dinge im Leben, die nicht so angenehmen und nicht unangenehmen Ereignisse auch. Dann könnte es heißen: " Auf - nimmer - Wiedersehen!"
Da saß ich heute Morgen ab 8,20 Uhr im Warteraum der Strahlenklinik und las - wie an jedem dieser Morgen - im " SPIEGEL ". Meine Erkenntnis nach jedem Artikel hätte zwar nicht immer dieses sein müssen, dass die Welt schlecht ist und ständig schlechter wird, sondern manchmal auch, dass es eine bessere Welt geben könnte, wären die Menschen intelligenter und weniger raffgierig.
Bald ist Weihnachten. Und da bald Weihnachten ist, hatte ich eine Standard - Packung " Merci Selection " zuvor in die Stofftasche gelegt. Diese " Merci Selection " zierte eine aus Schleifen - oder Geschenkband bestehende Blume. So etwas bekommt vielleicht Jeder, der selbst beschenkt wird. Ich hatte die geschenkte Schleifenbandblume noch unterhalb der " Merci " - Packung befestigt. So sah die " Merci " nicht völlig nackig und lieblos aus. Meine bessere Hälfte nahm die schwarze Stofftasche mit und legte sie auf die schmale Ablage neben der Sesselreihe.
Gegen kurz vor halb neun betrat ein Mann mit schlohweißem, aber vollem Haar den Raum. Ich kannte ihn längst vom Sehen. Er setzte sich dort hin, wo eigentlich immer die Männer saßen, die eben jene frühen Termine erhalten hatten. Sie saßen dort, wie die Hühner auf der Stange. Die Mehrzahl von ihnen war älter als ich; einige jedoch jünger. Sie unterhielten sich ständig. Zumeist waren es Gespräche um die Strahlentherapie, die sie wegen eines Prostata - Lungenkarzinoms erhielten. Mit einem Hauch von Galgenhumor, den sie innerhalb der Gespräche erkennen ließen, saßen auch sie die Tortur aus; das ewig gleiche Prozedere, über sich ergehen lassend.
An diesem Freitagmorgen saß nur der Mann mit den schlohweißen Haaren dort. Er sah zu mir herüber, während ich in meiner " SPIEGEL " - Lektüre vertieft war. Kurz danach erschien eine eher kleine Frau. Sie gab nach außen einen kranken Eindruck ab. Schmal, eher sogar schon abgemagert, so sah sie bislang immer aus. Sie trug auch heute Morgen die gleiche Bekleidung. Der weißhaarige Mann sagte plötzlich: " Jetzt sind wir hier wieder in einer Wartegemeinschaft. "
Eine " Wartegemeinschaft" ? Ich schaute jetzt zu ihm mit einem fragenden Blick herüber. Meine bessere Hälfte wusste natürlich mit dem Begriff etwas anzufangen. " Ja, aber wenn ich im Geschäft dran war, war meistens nichts mehr da. "
Ich grinste zu ihm herüber und erinnerte mich an die irrsinnige These eines damaligen DKP - Professor an der Bremer Uni, der die Mangelwirtschaft als ein reines Verteilungsproblem sah.
Der Weißhaarige schwieg.
Nach und nach betraten weitere Patienten den Raum. Die überwiegende Zahl von ihnen hatte ich in den langen 5 Wochen inzwischen regelmäßig gesehen. Es waren darunter auch zwei sehr zierliche, jüngere Frauen: Brustkrebs? Einige der Damen trugen Perücke. Brustkrebs? Andere Männer husteten. Lungenkarzinom. Zwei der Patientinnen wurden mit einem Rollstuhl von zwei Krankenpflegern des Notfalldienstes hinein gefahren. Ein anderer Patient konnte kaum sprechen. Er krächzte eher: Kehlkopfkrebs.
Nach mehr als einer Stunde, davon eine siebenminütige Bestrahlung, waren wir unser " Merci " - Präsent los. Es lag jetzt bei den Schwestern, die ich häufig hinter der Glasscheibe ihres Dienstzimmers beobachten konnte. Eine kleine Aufmerksamkeit, eben. Mehr nicht. Dennoch brachte sie die Damen in Weiß in helle Aufregung. Sie freuten sich - wie zum Heiligen Abend, wenn unter dem festlich geschmückten Tannenbaum, der auf dem so genannten Gabentisch zu stehen hatte, die Geschenke und der bunte Teller lagen. Eine Kleinigkeit, mehr war es doch nicht.
In der heutigen Zeit, in der jeder Einzelne eine Solonummer im täglichen Leben zu spielen hat; in der Jeder gegen Jeden kämpft - egal wo, wie und wann -, damit auch keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Freude der - höchst wahrscheinlich - nicht gerade glänzend bezahlten Schwestern über das kleine Präsent als Dankeschön für die geleistete Arbeit, war groß. So groß, wie das menschliche Elend, dass ihnen hier nicht selten begegnet.
Gerade, weil es längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist, sich für möglicher Weise etwas Selbstverständliches zu bedanken. In einer rauhen Welt haben freundliche Worte häufig keinen Platz mehr.
Ich erhob mich von meinen Platz und hielt die Damenjacke in beiden Händen. Dann nahm ich den schwarzen Stoffbeutel hoch. Ich überlegte kurz, wie ich mich verabschieden könnte. Nur nicht mit dem ständigen " Auf Wiedersehen! " Meine bessere Hälfte kam mir zuvor: " Ich wünsche Ihnen eine schöne Weihnachten und dass sie alle gesund werden! " Ein erleichtertes " Ja, danke Ihnen auch! ", folgte von nahezu allen Anwesenden. Ich ergänzte noch " Auch einen schönen vierten Advent. " Dann verließ ich den Raum - auf nimmer Wiedersehen und auch nicht " Auf Wiedersehen "!
Gut´s Nächtle mit : Andrea Bocelli und der grandiosen Sarah Brightman:
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