Warum es am 24. Dezember keine Gerichtstermine gibt. Eine weitere, etwas andere Weihnachtsgeschichte von Advocatus Diaboli. Niedergeschrieben von selbst.



Wir schreiben Sonntag, den 18. Dezember 2016. In 6 Tagen ist Heilig Abend. In 13 Tagen ist Silvester und das Jahr 2016 liegt in der Mottenkiste der Geschichte. Es ist aber damit durchaus an der Zeit, mal wieder eine neue Folge der etwas anderen Weihnachtsgeschichte in den Blog zu stellen.
Bislang habe ich deren 4 geschrieben. Ab 2012 bis 2015 sind es diese:

http://lobster53.blogspot.de/2012/12/warum-es-am-24-dezember-keine.htm


http://lobster53.blogspot.de/2013/12/warum-es-am-24-dezember-keine.html


http://lobster53.blogspot.de/2014/12/warum-es-am-24-dezember-keine.html


http://lobster53.blogspot.de/2015/12/warum-es-am-24-dezember-keine.html


Die Weihnachtsgeschichte in diesem Jahr geht zurück auf die ersten beiden Nullerjahre. Auf jene Zeit, in der sehr vieles anders, aber anders sein, eben nicht so viele Menschen sein konnten, weil sie genau so arm waren, wie es auch heute der Fall ist.
Armut hatte auch im Jahr 2002 schon eine Reihe von Facetten. Da waren es die durch die im Folgejahr in Kraft tretenden HARTZ  - Gesetze zu sozial Abgehängten abgestempelten, da waren es die 5 Millionen Arbeitslose und da waren es die sozial abgehängten und arbeitslosen ausländischen Mitbürger, die von jener Stigmatisierung dann mehrfach betroffen waren - so, wie es heute immer noch der Fall ist.

Als das Kabinett Schröder die so genannte Arbeitsmarktreform dann  - nach der Vorstellung der Gesetzesmaßnahmen im August 2002 - durch den Bundestag verabschieden ließ, war die Empörung groß. Der damalige SPD - Bundeskanzler wurde - so, wie seine Nachfolgerin Merkel heute auch - auf das Übelste beschimpft, nieder gemacht und als Verräter an den sozialdemokratischen Werten angesehen.

Die Arbeitsmarktreform kam, die Arbeitslosenzahlen sanken ständig, wenn auch zunächst nicht drastisch, die Armut stieg kontinuierlich an.

Vor der Zeit der HARTZ - Gesetze, waren die Erwerbslosen in drei Gruppen ein teilbar: Arbeitslosengeldbezieher, Arbeitslosenhilfebezieher und Sozialhilfebezieher.
Es existierten Familien, in denen alle drei Sozialtransfersbezieher vorhanden waren. Vor allem bei ausländischen Menschen war dieses häufiger der Fall.

Der Advocatus Diaboli ( A.D. )war seit einigen Jahren geschieden. Er hatte sein Büro, nach einigen Umzügen mit anderen Kollegen, nun in sein Wohnhaus verlegt. Das sparte Miete und reduzierte die laufenden Kosten erheblich. Denn A.D. musste schließlich noch Kindesunterhalt zahlen.

Eines Vormittags klingelte bei A.D. im Büro das Telefon. Am anderen Ende der Festnetzleitung meldete sich ein ehemaliger Mandant. Ein Kosovo - Albaner, den er nebst vierköpfiger Familie und weiteren Verwandten aus demselben Ort in der Nähe von Pristina stammend, vor Jahren erfolgreich in Asylverfahren vertreten hatte. Die gesamte Familie erhielt zunächst eine Duldung.
Die Abschiebeduldung, wie es im Behördendeutsch heißt, wurde jeweils um 6 Monate verlängert. Weil die politische Situation im Kosovo damals völlig unübersichtlich war, verlängerte die Ausländerbehörde in der niedersächsischen Kleinstadt Wildeshausen den Aufenthalt. Später fiel die gesamte Großfamilie unter eine " Härtefallreglung ", die der niedersächsische Innenminister in Hannover für jene Personen vorsah, deren gestellte Asylantrag zwar rechtskräftig abgelehnt wurde, deren Aufenthalt allerdings wegen " Abschiebehindernissen " bis auf weiteres geduldet war und damit der Aufenthalt länger als 5 Jahre betrug.
Die Familie I. hatte diese Bedingungen erfüllt.

Nun wollten sie allerdings eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis( AE ) beantragen, denn sämtliche Familienmitglieder hatten nicht die Absicht, in den Kosovo zurückzukehren. Dieses Ansinnen gestaltete sich allerdings schwieriger, denn ein solcher Aufenthaltsstatus war an klare Bedingungen geknüpft. Deshalb wollten die I.s nun den A.D. aufsuchen. Der A.D. vereinbarte einen Gesprächstermin in seinem Büro im Haus. Dieses war etwas großzügiger ausgestaltet als jene erbärmlichen Arbeitsumfelder, mit denen ein so genannten Bettkanten - Anwalt sein kümmerliches Dasein fristen muss. Heutzutage sind es denn eher die marodierenden Lap - Top oder Smart Phone - Advokaten, die nicht einmal eine eine Räumlichkeit vorweisen müssen, um zu praktizieren. Das Anwaltsproletariat hat deshalb zahlenmäßig weiter zugenommen.

Als die I.s einige Tage später - es war einige Wochen vor Weihnachten - den A.D. zu dem Gesprächstermin aufsuchten, war dessen Wohn - und Besprechungszimmer sofort voll. Es erschienen nämlich fünf Erwachsene sowie drei Kinder der I.s bei A.D. Nach einigen Zeit - A.D. hatte die Formalien zu dem Antrag auf eine unbefristete AE erklärt - hörte er - eher beiläufig -, dass sämtliche Erwachsene der Familie I. in der Autobahnraststätte " Dammer Berger ", die an der A 1 zwischen Bremen und Osnabrück liegt, arbeiteten und dort einen Arbeitsvertrag als Küchen - und Aushilfen erhalten hatten. Der Arbeitsvertrag war mit einer sechs monatigen Probezeit versehen, wovon mehr als fünf Monate abgelaufen waren. Es war klar, dass eine AE mit diesem Vertrag hätte nicht erfolgreich beantragt werden können. Ohne ein regelmäßiges, festes Einkommen, war der eigenen Lebensunterhalt nicht gesichert, womit die rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer unbefristeten AE nicht erfüllt waren.

So ganz nebenbei erfuhr dann der A.D. auch noch, dass die gesamte Familie I. ständig Überstunden schrubbte - natürlich unbezahlt. Der A.D. wurde hellhörig. Und weil er ein großes Herz für arme Willis, für die viel zitierten " Hungerleider ", den unteren Randsatz der Wohlstandsgesellschaft eben, hatte, notierte er sich das ihm von den I.s Geschilderte. Dann legte A.D. los und holte zu einem Vortrag im Arbeitsrecht aus. Er dozierte über die ihm benannten Vertragsverstöße, über bestehende Entgeltansprüche, über Urlaubsansprüche, über den damaligen Scheißladen " Autobahnraststätte Dammer Berge ". Dem A.D. ging der Vortrag ohne einmal Luft zu holen, Pause zu machen und Fragen zu beantworten, die die I.s natürlich hatten, runter wie Öl.

Der A.D. erinnerte sich nämlich wieder an einen Vorfall, der sich während der Studienzeit in den 1980er Jahren zutrug, als er und der Studienkollege Lothar G. auf der Fahrt von Bremen nach Wuppertal, wo das elterliche Haus des Lothar G. stand, einen Zwischenstopp an jener Raststätte vornahmen, um einen Kaffee dort zu trinken. Damals war die Zahl der Gäste an jenem Freitagnachmittag eher überschaubar. Und dennoch weigerte sich eine aufgeblasene Zippe, die hinter der Theke stand. Dich, breit und bräsig sowie als Bauern - Trutsche voller Vorurteile, die beiden Langhaarigen zu bedienen. Es entstand daraus ein Disput, der damit endete, dass sich Lothar G. und der A.D. in spe, bei der Betriebsleitung beschwerte und prompt den Kaffee umsonst bekamen.
Zumindest schmeckte dieser. Er kam ja auch aus Bremen.

Nun hörte der A.D. von den I.s, wie diese dort ausgebeutet werden. Ein gefundenes Fressen, um dem Betreiber der Apotheke " Raststätte Dammer Berge " im Nachgang noch Einen zwischen die Hörner zu geben. A.d. notierte deshalb fleissig sämtliche Daten und riet den Is, vor dem Arbeitsgericht in Oldenburg eine Klage einzureichen. A.D. erhielt dann für die Ausländerrechtssache und  dafür gleich mehrere Vollmachten. Den Prozeßkostenhilfeantrag unterschrieben die I.s ebenso.

Nachdem sich die I.s verabschiedet hatten legte A.D. los. Er reichte jeweils eine Zahlungsklage bei dem Arbeitsgericht in Oldenburg ein. Damit die I.s in einer besseren Position waren, wartete er bis zum Ablauf der Probezeit. Ebenso beantragte er für die Mandanten die Erteilung einer unbefristeten AE. Er versandte Kopie der Schriftstücke an die I.s in Wildeshausen. Es tat sich einige Zeit gar nichts. Dann - es waren nur noch wenige Tage vor Weihnachten - erhielt A.D. Post vom Arbeitsgericht und der Ausländerbehörde. Das Gericht hatte einen Gütetermin für Mitte Januar des neuen Jahres anberaumt; die Ausländerbehörde bat noch, die Verdienstabrechnungen der letzte drei Monate einzureichen. A.D. sandte den I.s hiervon Kopien.

Einige Tage vor Heilig Abend erschienen die I.s zu einem weiteren Besprechungstermin bei A.D. Der erklärte ihnen, wie das weitere Verfahren ablaufen würde und verabschiedete sich dann von der Familie. Einen Tag später klingelte bei A.D. das Telefon. Die älteste Tochter, die Stieftochter des Herrn I., mit dem Namen Valentina, rief A.D. an. Sie bat ihn um einen dringenden Gesprächstermin, weil sie Probleme hätte.

Bereits zwei Stunden später klingelte diese an der Tür von A.D. Sie erzählte diesem. dass sie seit dem letzten Gesprächstermin mit der Familie von Zuhause abgehauen sei. Sie könne es mit ihrem Stiefvater und dem Onkel nicht mehr aushalten. Vor dem Onkel, der in der Wohnung unterhalb ihrer Eltern lebe, habe sie zudem Angst. Er würde ihr ständig nachstellen und sie bedrohen. Seit Tagen lebe sie nun auf der Straße und schlafe unter einer Brücke in der Nähe des Bahnhofs. Ein Freund habe sie zwar aufgenommen, doch der habe nun keinen Platz mehr in der Wohnung. A.D. hörte sich die Geschichte an und riet ihr, einen Sozialhilfeantrag zu stellen. Doch Geld von der Behörde hätte sie allenfalls nach Weihnachten erhalten. Nach langem Palaver erbarmte sich A.D. das Zimmer seiner Tochter vorläufig als Gästezimmer umzufunktionieren.

Doch bei dem Problemen mit dem Onkel der Valentina I. konnte ihr A.D. zunächst nicht weiter helfen. Schließlich gab es am 24.12. kein Gericht, dass eine einstweilige Verfügung gegen die hätte erlassen können. Die Gerichte waren allesamt nicht erreichbar.
Am 24.  fuhr dann Valentina zurück zu ihrem Freund nach Wildeshausen. A.D. wollte eigentlich seine Eltern zu Heilig Abend besuchen. Doch ein plötzlicher Eisregen machte diesen Plan zunichte. So kam die Tochter des A.D. zu Heilig Abend und erhielt ihre Geschenke.

Am ersten Weihnachtstag rief Valentina wieder an. Sie hatte erneut auf dem Bahnhof übernachtet und ließ sich von dort aus von ihrem Freund zu dem Büro des A.D. fahren. Dieser besprach erneut die rechtlichen Seiten der Familienproblem und riet der Mandantin, sich ihrer Mutter und dem Stiefvater anzuvertrauen. Dieses lehnte sie jedoch ab.

Das so genannte " Gutmenschentum ", dass heute bei dem reaktionären und faschistoiden Deutschen als Kampfbegriff nahezu inflationär gebraucht wird, kam bei A.D. wieder zum Tragen. Er nahm die Mandantin erneut bei sich auf. Schließlich wusste A.D., dass es nicht nur keine Gerichtstermine an Heilig Abend gab, sondern auch während der Weihnachtsfeiertage nicht. Bis auf den Not - Richter, der über beantragte Haftbefehle zu entscheiden hat. Aber der hätte der Klientin auch nicht weiter helfen können, denn der begehrte Schutz vor dem übergriffigen Onkel wäre nur bei dessen Verhaftung und Inhaftierung garantiert gewesen. Doch diese kam ja nicht in Betracht, weil selbst bei einer beabsichtigten Strafanzeige gegen den Onkel, kein Ermittlungsverfahren so schnell zu einem Haftbefehl hätte führen können und an Heilig Abend eben keine Gerichtstermine statt finden.

Valentina I. blieb noch einige Tage bei A.D. und erzählte ihm ihre gesamte Lebensgeschichte. Eine Geschichte voller Elend, Angst und Leid. So, wie jene Weihnachtsgeschichte auch, die viele Menschen aus der Bibel kennen. An Heilig Abend gibt es keine Gerichtstermine, aber dafür Menschen, die anderen Menschen in Not helfen.

" Jethro Tull " und ihr " Chrismas Song " - Immer wieder schön:






















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