Der Ameisenkrieg.



Alte Häuser haben - sowohl ästhetisch als auch bautechnisch besehen - sehr viele Vorteile. Sie lassen sich - ein gewisses Quantum an Individualität und handwerklichem Vermögen vorausgesetzt - wunderbar verändern. Dieser Fakt hat auch dann noch bestand, wenn ungebetene oder ungeliebte Gäste in den Bauten ihr Zuhause gefunden haben.
Neben Wespen, Spinnen und Fliegen nisten sich auch Ameisen jedweder Art ein. Was im Garten noch einen erheblichen Nutzeffekt mit sich bringt, denn die Ameise gilt in unseren Breiten als "Tierpolizei",weil sie natürliche Abläufe mit kontrolliert,muss im bewohnten Gebäude nicht immer ein Segen sein.

Als ich vor einigen Monaten das Mammutprojekt "Gästebadsanierung" in Angriff nahm, entdeckte ich hinter einem tragenden Holzbalken ein relativ großes Ameisennest. Zunächst waren mir diese "Eindringlinge" völlig schnuppe. Gerufen hatte ich sie zwar nicht, aber wer ein Quartier vor dem Winter sucht - der dann ja heftig wurde - wird hier nicht abgewiesen. Nolens volens ließ ich die zahlreichen Gäste zunächst gewähren. Sie störten mich weder bei dem - zunehmend Schweiß treibenden - Fußbodenabrissarbeiten, noch bei der Herausnahme einer Zwischenwand und schon gar nicht bei der Vernichtung der DDR-Sauerkraut-Dämmplatten. Tag für Tag werkelte ich stundenlang vor mich hin, bis der Schuttcontainer - fachmännisch als "Absetzmulde " tituliert - sukzessive gefüllt wurde. Der entscheidende Teil jeder Tätigkeiten kam aber dann, als ich ein altes WC nebst Anschlüssen beseitigen wollte. Kaum war der Korpus in der Absetzmulde eingebracht und damit in die Ewigen Jagdgründe verbannt,wuselte ein Ameisenvolk unter dem WC-Anschluss hervor.

Je weiter ich deren Spur verfolgte, desto größer wurde deren Zahl und der mit dieser einhergehende Grad der Zerstörung. Die Ameisen hatten gut 1/3 des - tragenden - Deckenbalkens aufgefressen, sich dort ein Nest gebaut und ihre Brut erneuert heran gezogen. Jetzt war doch Handlungsbedarf angezeigt. Wild entschlossen, den Frevlern den Garaus zu machen, stolzierte ich die Holztreppe hinunter, um aus der Tiefe des Küchenschranks die "Todeskeule" in Form von Insektenspray heraus zu fischen. Was dann geschah, glich einem fürchterlichen Gemetzel - keine kam davon!

Nach und nach kehrte ich tausende von leblosen Insektenkörper mittels Handbesen und Kehrschaufel auf und bugsierte diese in einen Plasteeimer,der eigentlich zu Bauszwecken dort stand. Alles tot!
Dann musste ich Beton anrühren. Mit der sämigen Streichmasse versiegelte ich das zuvor ausgekhrte Ameisennest, reparierte den angenagten und zerbröselten Holzbalken hiermt und fügte eine Schicht Dämmgranulat herauf. Fertig! Ich hatte den Krieg gewonnen.

Bereits vier Jahre vorher bestritt ich meinen ersten Ameisenkrieg in dem Haus. Die Insekten hatten sich zum Hochzeitsflug, aus dem Eichenparkett heraus kommend, im Wohnzimmer eingefunden. Viele Tausend flogen, krabbelten und kreuchten an der Balkontür herum, umschwirrten die Deckenlampe oder belegten den Tisch. Wider Erwarten ließen die Tierchen sich auch nicht dazu bewegen, bei geöffneter Balkontür ins Freie zu fliegen. Zunächst eher enttäuscht, ob des missachteten Angebots, die Freiheit vor dem sicheren Tod vorzuziehen, holte ich die Chemiekeule. Nach gut einer Minuten waren sie vernichtet. Sowohl die Fliegenden als auch diue wesentlich kleineren Krabbelnden unter dieser Spezies. Ich nahm den Staubsauger und verwischte die Todesspur. Bis ein Tage später, beinahe zur selben Abendzeit im Hochsommermonat August die zweite Welle aus dem Fußboden hervor kroch. Wieder dauerte die Vernichtungsschlacht nur eine Minute. Erneut verließ ich als Sieger das Feld.
Nebenbei bemühte ich mich detektivisch einen Ort des Ameisennestes zu lokalisieren. Den hatte ich alsbald gefunden: Er befand sich an der Hauswand neben dem Kanadischen Ahornbaum. Mit einer Gießkanne heißen Wassers bekämpfte ich die Ameisen-Nachhut. Erfolgreich,denn danach war Ruhe. Der Staat, das Volk, das Nest zerstört. Für immer, so glaubte ich.

Wegen des warmen Mai und der Junitag in diesem Jahr schienen die vernichtet geglaubten Ameisen früh ihre Vermehrungsschlacht aufnehmen zu wollen, denn bereits einen Tag nach Pfingsten kreuchten sie - dieses Mal jedoch als kleinere Art - erneut aus dem Parkettfußboden hervor. Wimmelten in den späten Abendstunden zu Tausenden an der Balkontür herum, umflogen die Decken - und die Tischlampe und setzten sich am Fußboden ab. Wieder kam die chemische Keule zum Einsatz. Die erste Angriffswelle hatte ich vollständig vernichtet. Gestern Abend nun, zum Zeitpunkt der nicht sichtbaren Hochzeit der MoFi versuchten die Eindringlinge es erneut. Viele hundert Exemplare belegten die Türglasscheiben, um selbst Hochzeit, Begattung und das Existenzende zu begehen. Das Ein-Euro-Insektenspray in meiner Hand kam diesem Ansinnen zuvor. Auch die zweite Abwehrschlacht wurde von mir erfolgreich abgeschlossen.

Während ich den Staubsauger mit Turbo-Saugkraft anstellte, dessen Korpus hinter mich herzog, um die ungezählten Insektenkörper einzusammeln, erinnerte ich mich an eine Sendung aus meiner Kinderzeit, die von der ARD einige Male zur besten Sendezeit zunächst, später dann in das Nachmittagsprogramm eingefügt, ausgestrahlt wurde: " Der Ameisenkrieg ".
Ein martialischer Zeichentrickfilm aus den frühen 60er Jahren, der von der Auseinandersetzung zweier Ameisenvölker erzählt. Auf der einen Seite standen die Angreifer, die " roten " Ameisen, auf der anderen Seite in einem zur Burg geformten Gebilde, die Verteidiger, die "schwarzen " Ameisen. Gekämpft wurde mit mittelalterlichen Waffen. Als da waren: Schwert, Zweihandschwert, Streitaxt, Morgenstern, Lanze,Speer, Armbrust, Pfeil und Bogen, Stein -Katapult, Feuer, Pech und große Steine.
Mein ein Jahr jüngerer Bruder und ich waren hell begeistert. Passte dieser Film in die eigenen Vorstellungen von kühnen Rittern, mutigen Kämpfern und heroisch geführten Schlachten hinein. Die einstigen Vorbilder waren damals eben: Ivenhoe, Sigurd oder die Karl May-Romanhelden, wie Old Shatterhand, Winnetou, Old Firehand usw. usf. Begriffen haben wir den Film als großes Ereignis zur eigentlich nachtschlafendenzeit ab 20.15 Uhr, als einen tollen Krieg zwischen zwei verfeindeten Lagern und einer, von einem dramaturgisch einzigartigen Kommentars, den wir nur aus den Fußballübertragungen kannten. Intelligent war der Trickfilm nicht, denn er wollte uns eine verschlüsselte Botschaft herüber bringen, die da lautete die Bösen, nämlich die Roten, die Kommunisten eben, werden den von ihnen angezettelten Krieg nicht gewinnen. Plump, wie die Medienhetze im verspießten und restaurativen Nachkriegswestdeutschland nun einmal agierten, kam diese Aussage bei uns natürlich nie an. Wie auch? Von Politik wurde in unserer Familie nie gesprochen, in der Schule hörte der Geschichtsunterricht spätestens ab 1932 auf und begann erst im Mai 1945 mit der Kapitulation des bösen Nazi-Deutschlands.

Und während ich die vielen Ameisen aufsaugte, kam mir der Gedanke, dass auch in dem Trickfilm " Der Ameisenkrieg " zum Schluss nur noch tote und verkrüppelte Tier zu sehen waren. Das kommt davon, wenn ein Krieg geführt wird, weil ein friedliches Nebeneinander nicht möglich erscheint. Hier allerdings liegen die Dinge ein wenig anderes: " My home is my castle!" - Basta!

Kommentare

Octapolis hat gesagt…
Klingt lecker!

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