Ich fahre meilenweit für Melitta-Porzellan!
Ja,ja,die virtuelle Welt hat nur wenig mit dem realen Leben gemein. Zwar versuchen sich hier Millionen, um dem Nutzer des Internet so unwichtige Dinge, wie Werbung mit jedem Klick auf die Augen zu drücken, ebenso viele User, um dem ahnungslosen Pendant möglichst viel Geld vom Konto zu ziehen und noch mehr Internet-Junkies, um sich mit Daddlern, Dummschwätzern und intellektuellen Ausschuss den Tag zu versüßen, dennoch gibt es auch sinnvolle Seiten dieses Medium.
Das Online-Monster "ebay" gehört - wenn auch mit gewissen Einschränkungen - zu den nicht mehr wegzudenkenden Errungenschaften des IT-Zeitalters.
Wer bei "ebay" nicht nur die ungezählten Angebote herunter scrollt, sondern auch sich tatsächlich für bestimmte Gebrauchsartikel dort interessiert, der wird häufig das Glück haben, ein Schnäppchen zu machen. Dann nämlich, wenn der einstige Verkaufspreis eines Artikels für nur einen Bruchteil den Eigentümer wechselt.
Mit der notwendigen Grundkenntnis, dem gewissen Erfahrungsschatz und ein wenig Fortune, kann hier die bundesdeutsche " Geiz ist geil "-Menatlität auf die Spitze getrieben werden. Ganz legal aber!
Da hatte ein Verkäufer vor einigen Tagen ein Porzellan-Service der Firma Melitta eingestellt. Die angebotene Ware gehörte einst zu den bekannten Kollektionen der Melitta-Friesland Werke in Varel. In der kurzen Lebenszeit dieses Porzellan - und Steingutherstellers sind zeitlose Serien hervor gebracht worden, die von hoher Qualität und einem ebenso hohen Gebrauchswert waren.
http://de.wikipedia.org/wiki/Friesland_Porzellanfabrik
Zu den eben zeitlosen Serien zählt zweifelsohne die Friesland / Ammerland / Kollektion. Der warme Pastellton lässt deshalb das Herz eines kenntnisreichen Sammler sofort höher schlagen. Gedacht, getan!
Am Ende der Auktionszeit stand auf dem Feld für den erzielten Preis 51,40 €. Da der Anbieter nur Abholung offeriert hatte, musste das Keramik-Set aus Niederweimar bei Marburg an der Lahn abgeholt werden.
Dieser Ort liegt nicht gerade vor der Haustür. Nur eine Strecke beträgt immerhin 349 Kilometer. Doch die Fahrt hat sich so oder so und von den verbleibenden Eindrücken der thüringisch-hessischen Landschaft alle Male gelohnt. So starteten wir dann gegen 9.30 Uhr am Sonntagmorgen in Richtung A 17 um auf die A 4 in Chemnitz einen Tankstopp einzulegen. Dann führte die Autobahn uns in Richtung Thüringen, wo sie dann am Hermsdorfer Kreuz der A 9 begegnet. Weite geht die Fahrt auf der in die typisch thüringischen Landschaften eingebetteten Betonpiste. ber Jena ( einer Stadt mit einem attraktiven Altstadtkern ), Weimar ( dito ) nach Erfurt ( dito. ),; an Gotha ( dito ) und Eisenach ( dito ) vorbei, zu der thüringisch-hessischen Landesgrenze ( einstiger Grenzübergang war hier Wartha - Herleshausen ).Nach der hessischen Landesgrenze folgt Bad Hersfeld, wo die A 4 alsbald ihr Ende findet und am Kirchheimer Dreieck in die A 7 mündet. Die Verkehrsdichte nimmt merklich zu.
Wenige Kilometer später folgt das Hattenbacher Dreieck, wo unsere Fahrt auf der unfallträchtigen A 5 in Richtung Alsfeld weiter geht.
Bei Reiskirchen verlassen wir die A 5 und nutzen die A 480 in Richtung Giessen, um bei Buseck auf die Bundesstraße in Fahrrichtung Marburg zu gelangen. Wenige Kilometer hinter dem Städtchen Lollar sind wir in Niederweimar gelandet. Ein idyllisches Örtchen in einer wunderbaren Landschaft, die durch die Ausläufer des Gladenbacher Berglandes, der Lahnberge und des Amönebeckens als mittelhessisches Berglandes gekennzeichnet sind. Die Universitätsstädte Marburg und südlicher davon Giessen liegen quasi in Sichtweite.
Am Ziel letztendlich angekommen, biegen wir in eine, zur sackgasse gebildetet Straße ein. Nach einigen Metern erkennen wir das Haus, in dem das Friesland-Porzellan bereit stehen soll. Also die an der Bürgersteigkante stehenden Hausratsteile lassen den Rückschluss zu, dass hier eine Auflösung im gange sein muss. Neben zwei älteren Stühlen, mehreren Bildern aus einer anderen Zeit und weiterem Utensilien, wie Decken, Körben sowie Tüchern, steht auch ein älterer Herr an einem genauso alten Kleintransporter der Marke Fiat vor dem Garagenbereich. Er bastelt an einem Bilderrahmen herum und begrüsst uns kurz. Nach einigen Worten steht fest, dass sich das Service noch oben im Haus befindet. Einige Treppenstufen sind dazu zu absolvieren, ehe wir oben von einem fantastischen Ausblick auf die Region überrascht werden.
Das Haus ist in einem 70er Jahre Baustil errichtet worden. Eine großzügig angelegte Anlage lässt sich nur andeutungsweise hinter dem Gebäude erahnen. Dann kommt ein Mann mit einem kreativ alternativem Outfit uns entgegen. Schnell sind die Regularien geklärt. Ich hole die Wäschekörbe für den Transport nach oben und die Aktion kann, nachdem die Auktionssumme in bar entrichtet war, beginnen. Nach einer halben Stunde liegen die Porzellanteile in den Körben. Auf dem Dachboden sollen auch noch weitere, unausgepackte Geschirrteile stehen. Ich klettere eine ausziehbare Sicherheitsleiter, wie sie einst in den Zeiten des Neubaubooms üblich war herauf und beginne zu suchen. Der Verkäufer scheint mir den Eindruck zu machen, als sei er überfordert. Nun, bei der Menge des nach auszuräumenden Hausrats, kein Wunder. Der Dachboden sieht aus, als habe eine Granate dort eingeschlagen. Unmengen an Pappe und Papier liegt auf dem Boden. Dazu Nippes und sogar altes Spielzeug. Ich entdecke ein 60er Jahre Spielzeuggewehr aus Plastik, dass vormals mit Platzpatronen bestückt wurde und deshalb unecht wirkt. Ja, so ein Schießprügel hatten die Nachbarkinder auch. Als wir in den 50er /60er Jahren Cowboy und Indianer spielten, auf den Wiesen unser Unwesen trieben und die "Vogelinsel" an der Aue bei Heeßen unsicher machten. Meine Assoziationen, dass der Erbe, der Sohn, der unten sitzende Berliner, einst die Plaste-Schießprügel als Kind in den Händen gehalten haben könnte, stelle ich bei den weiteren kurzen Dialogen mit ihn hinten an. Nein, das wäre dann doch zu peinlich!
Ich lasse das Plastikgewehr auf den Boden gleiten. Mein Blick schweift umher. Ich kann jedoch nichts Interessantes mehr entdecken. Vielleicht waren vor uns bereits die "Leichenfledderer" am Werke. Während ich die verstaubten, aber in der Originalverpackung liegenden Porzellanteile zusammen schiebe, entdecke ich andere Gegenstände aus den vergangenen 30 bis 40 Jahren. Koffer, Taschen und Beutel liegen in einer Ecke. Hier muss seit vielen Jahren niemand mehr den Raum betreten haben. Ich erinnere mich an den Boden des elterlichen Hauses, auf dem auch einige ausrangierten Gegenstände lagen,die ich heimlich hervor kramen konnte und die ich aus meiner Kindheit und Jugend immer wieder genutzt hatte. Eine Schatzsuche, die ich über viele Jahre wiederholte. Als ich die Bodentreppe mit den Pappkartons herunter steige, fiel mir noch ein, dass ich einst eben jene Treppe im elterlichen Haus als unheimlich empfand, weil der Boden vormals nur eine einzige Wandleuchte hatte und deshalb immer dunkel war. Dieses Haus hat einen hellen Dachboden, es sieht nach Wohlstand aus und hat Stil.
Nach einigen Minuten stehen die restlichen Serviceteile im Korb.Das nennt sich Teamwork. Ich transportiere einen nach dem anderen Wäschekorb zum Auto, verstaue diese nach und nach im Kofferraum und versichere mich,dass die Ladung sicher verstaut ist. Es folgt noch eine kurze Unterhaltung mit dem immer noch an seinem Transporter herum werkelnden Nachbarn. Ein Typ vom Schlage des Schauspielers Günther Maria Halmer. Wohl auch ein Intellektueller. Geschieden, wie es sich später heraus stellte.Und damit nicht genug, die Ex-Frau nebst längst erwachsener Tochter zählten auch zu dem Nachlaßräumkommando, denn sie trafen mittlerweile auch wieder ein. Eine knappe Verabschiedung folgte. Das war´s?
Nö, denn auf der Rückfahrt geraten wir mit der A5 in den bundesdeutschen Autobahnwahn. Kilometer lange Staus durch Sonntagsfahrer. Jener Spezies also, die mit der blank gewienerten Karosse in der Größe eines rollenden Wohnzimmers es sich nehmen lässt, zu zeigen, dass frau/man dazu gehört. Da wird ein Kleinbus, ein Reisemobil oder ein vereinzelnder - weil mit Sondergenehmigung fahrend - LKW zum Geduldsspiel. Schon 5000 Meter vor dem angeblich sich zu langsam bewegenden Fahrzeug fahren die Exemplare dieser Angstschweiß auslösenden Fraktionäre - immer schön regelmäßig - in den Sicherheitsabstand hinein. Also bei Tempo 120 ( vorgegebene Höchstgeschwindigkeit ) wird das Bremspedal betätigt. Einige der Asphaltcowboys benötigen dann mehrere Kilometer für den Überholvorgang, der zudem nicht nur Blinker setzen angezeigt wird.
So quälen wir uns durch das osthessische Randgebiet in Richtung Thüringen. Hier wird die Verkehrsdichte merklich geringer. Dafür kommen nun mit der A 4 die mit erheblichen Minderwertigkeitskomplexen behafteten Sachsen - und Dresdenhasser hinzu. Nun wird nach dem Motto." Jeder für sich und gegen Alle " auf die Tube gedrückt, um den anderen Fahrzeugfahrer zu zeigen, dass frau/man:
a) den besseren PKW besitzt:
b) aus der besseren Gegend stammt ( Kennzeichen M usw. )
c) der bessere Autofahrer ist.
Der Kampf auf der neuen Autobahnteilstrecke zwischen Erfurt - Jena - Chemnitz lässt dann nach, als der Verkehr in den späten Nachmittagsstunden nur noch tröpfelt. Weshalb ab und zu ein Kurzzeitraser aus der Kategorie der Linksfahrer, deren Resthirnmasse mit dem Umdrehen des Zündschlüssels im Bank finanzierten PS-Monster ungebremst in das Gaspedal rutscht und dort zu einer Bleifuß artigen Dauerverkrampfung führt, weshalb die äußerst linke Spur der Autobahn genutzt wird.
Endlich am Heimatort angekommen, tragen wir unsere Gold farbenen Schätze in die Küche. Da stehen sie nun, als Teilnachlaß eines Professoren-Haushalts und der "ebay"-Auktion eines zuvor leicht überforderten Erben der verstorbenen Eltern. Und während wir uns noch bei einem Gläschen selbst angesetzten Hollunderschnaps darüber unterhalten, was wohl aus der Privat-Bibliothek des Professors wird, werde ich den Gedanken nicht los, dass von jenen persönlichen "Schätzen", deren wahrer Wert eben von ideeller Gestalt ist, summa summarum nur wenig verbleibt, wenn die "Entrümpler" am folgenden Montag vor der Haustür stehen. Immerhin bleibt die Kaufaktion wenigstens bei uns in bleibender Erinnerung.
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