Wenn einer eine Reise tut,... II. Episode: Viktor Klemperer,Auguste Lazar und der sehr belesene Herr Leuven.

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Der  Mensch ist ein Gewohnheitstier. Tier, deshalb, weil er sich oft so zeigt; mit niederen Instinkten agierend. Jetzt, wo der Sommer, die Ferien begonnen haben, die lustige Reisezeit in endlosen Blechkarawanen das Bild der Betonpisten prägt, die sonst der freien Fahrt für freie Bürger vorbehalten bleiben, kann es sehr oft erholsamer sein, mit dem Äquatorialbereich des eigenen Körpers zu Hause zu bleiben. Im eigenen Garten, an den Elbwiesen oder in der Sächsischen Schweiz ist es alle Male schön. Warum also sich auf " Malle " den obigen Körperteil verbrennen, das Geld aus der Tasche ziehen lassen ( die Spanier sind nämlich von einer Beinahe-Pleite bedroht, obwohl sie Europameister wurden ) und den Stress der An - und Abreise ( bei den Flügen ist es ähnlich ) über sich ergehen lassen?
Da der Mensch - wie oben ausgeführt - aber seinen Gewohnheiten ( die dann lieb und teuer sind ) nicht abhold werden darf, zieht es Millionen von Teutonen aller Altersgruppen und sozialen Schichten in die große weite Welt.

Dort - am Reiseziel - angekommen werden die Konsumgewohnheiten von zu Hause Maßstab getreu umgesetzt. Currywurst mit Pommes rot - weiß, Jägerschnitzel oder der gerade noch geduldet Döner werden als Essen in den Magen hinein gewamst. Auch die Flüssigkeitsvarainten sind bekannt: Bier ( am liebsten Pils ), Cola oder andere Hochprozentige dürfen nicht fehlen. Der Urlaub, die angebliche Erholung am Reiseziel, die besten Tage im gesamten Jahr verkommen schnell zu einer Sauf - und Fressorgie. Und, weil man ( frau aber auch ) die Gewohnheitstiere nicht nur auf der kulinarischen Seite in der Sonne braten lassen möchte, spricht man ( siehe oben ) auch deutsch! Holla, was will der Alemanne da noch mehr?

So vergeht Jahr um Jahr und den meisten der Gewohnheitstiere ist nicht klar, dass das Land ( bei immer mehr Bundesdeutschen: die Länder ), neben den drei Säulenheiligen Sonne,Meer,Strand, auch andere Sehenswürdigkeiten zu bieten hat. Diese bleiben jedoch im Verborgenen, denn dann müsste man ( sie oben ) denken oder es zumindest versucht, vielleicht so tun, als ob man ( siehe oben ) es tut.
Wenn ein Besuch eines Baudenkmals geplant ist, fällt es dem Touristen schon schwer, sich auf das dazu Gesagte zu konzentrieren. Da kommt häufig die Geschichte ins Spiel und da wird es wirklich kriminell. Was weiß der Durchschnittsmichel schon von der Historie anderer Länder? Nichts!
Wenn es dann noch um berühmte Personen geht, die vormals eine Stadt, eine Region oder ein Land geprägt haben, dann ist es noch schwieriger, seine graue Masse zu aktivieren. Bei  Personen der Zeitgeschichte ist es dann endgültig aus; nichts geht mehr.

Nachdem der normierte Pauschalreisende jetzt sein Fett abbekommen hat und dabei zu konstatieren ist, dass der einstige Sponti-Spruch aus den 70er Jahren " Wissen ist Macht, nichts wissen macht nichts! " dabei voll umfänglich zum Tragen kommt, kann es eigentlich - in Bezug auf die unterschiedliche Spezies des Touristen - nur noch aufwärts gehen. Und, tatsächlich, es gibt sie noch die Kulturreisenden. Ihre Zahl sinkt zwar stetig, da die Bevölkerung in diesem unserem Lande sukzessive vergreist und die Folgegenerationen an historischen Ereignissen, Fakten und Namen im Zeitalter des iphone -facebook - Gesumses hieran kaum Interesse bekundet. Dennoch, das Genre Reisen und Kultur existiert immer noch.

Auch in den Nachbarländern vollzieht sich eine ähnliche Entwicklung. Auch hier wird gegen den Bildungsnotstand gekämpft. Aber in den anderen europäischen Staaten sind die Bildungsreisenden noch vorhanden.
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Als am frühen Abend des 19. Juli 2012 in der unmittelbaren Nachbarschaft eine Besorgung zu erledigen hatte, begegnete mir dort  - eher zufällig - ein älterer Herr mit ergrauten Haaren und in einer legeren Kleidung, der mich nach einem kurzen Blickkontakt sofort ansprach. Er stellte mir die Frage, ob das Haus, vor dem ich den PKW abgestellt hatte, tatsächlich Viktor Klemperer gehört habe. Huch, nun musste ich einen Moment lang überlegen. Wo bin ich jetzt eigentlich und was hat diese Straße Am Kirschberg in Dresden mit dem mir bekannten Victor Klemperer zu tun? Er muss wohl meine leichte Unsicherheit in meinem Gesicht gesehen haben, denn der ältere Herr zog sofort einen handgeschrieben Zettel aus der Tasche und zeigte diesen mir. Dort Stadt es blau auf weiß: Am Kirschberg 19, Dresden.
Da dämmerte es mir. Auf den vielen Spaziergängen hatte mir meine geschichts - und ortskundige, bessere Hälfte von dem Literaten Victor Klemperer erzählt. Er wohnte bis kurz nach der Machtübernahme durch die Faschisten in jenem Haus " Am Kirschberg 19 " in Dresden. Dann musste er dort aufgrund der verbrecherischen Judenverfolgung mit seiner Frau, einer Nichtjüdin, ausziehen und das Anwesen einem lokalen Faschisten überlassen, wobei er den Umbau für jene einstige,nazionalsozialistische Geistesgröße auch noch aus seiner Tasche zu zahlen hatte.

http://www.das-neue-dresden.de/wohnhaus-victor-klemperer.html


Als ich mich mit einigen Fakten zu dem jüdischen Schriftsteller hervor tun konnte, war der letzte Rest der Reserviertheit bei dem Mann verflogen. Er outete sich als belgischer Staatsangehöriger, der in Leuven ( Löwen ) wohnend, hier als Tourist die Landeshauptstadt bereisen wollte. Aber nicht nur, um die üblichen Schmuckstücke unserer Stadt an der Elbe zu sehen,nein, er hatte es speziell auf diesen Schriftsteller abgesehen und offenbarte mir, dass er alle seine Bücher gelesen habe. Oh, jetzt musste ich etwas zurück haltender agieren. Damit konnte ich nicht dienen. Aber, mir waren eben noch jene biographischen Daten des Victor Klemperer in Erinnerung; schließlich waren wir vor einiger Zeit noch an seinem Grab auf dem Dölzschner Friedhof, der in unmittelbarer Nähe des benannten Wohnhauses liegt, gewesen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Victor_Klemperer

Die relativ kurze Unterhaltung wurde aber auch deshalb interessant, weil der belgische Besucher auch die weiteren Wohnadressen des Literaten aufgesucht hatte. Nun gab ich ihm mein Wissen über den Schriftsteller vollkommen weiter und erzählte ihm, dass er einst mit einer jüdischen Schriftstellerin mit dem Namen Auguste Lazar bekannt war, die wiederum eine längere Zeit in unserem Haus gewohnt hatte. Damals, als die Faschisten noch nicht an der Macht waren. Auguste Lazar erkannte die Absichten des Mörderregimes und emigrierte bald in die USA. Dort schrieb sie einige Bücher unter dem Pseudonym " Sally Bleistsift ", die durchaus erfolgreich verlegt werden konnten. Nach dem II. Weltkrieg kehrte sie nach Deutschland zurück und lebte weiter in Dresden. Eine Straße ist nach ihr benannt. Der Gast hörte mir aufmerksam zu. Ich sah in seinem Gesicht eine gewisse Freude, eine Erleichterung, dass es auch im Jahr 2012 noch beinahe Gleichgesinnte gibt, die die Historie nicht einfach wegklicken wollen.

Als ich ihm anbot, den Weg zum Dölzschner Friedhof und dem dortigen Grab des Schriftstellers Klemperer ein wenig zu verkürzen, und ihn bis zum Ende der Grenzallee in Richtung Friedhof mitnehmen zu wollen, dankte er mir mehrfach dafür. Ich hatte den Eindruck, mit Victor Klemperer verbanden ihn viel mehr als nur die von diesem verlegten Bücher, die der Gast aus Belgien allesamt gelesen hatte. Ich mochte ihn nicht dazu fragen, wollte nicht ins Fettnäpfchen treten oder ihn in Erklärungsnot bringen.
Aber aus meinen Aussagen, meinen Formulierungen und dem weiter gegeben Wissen, konnte er schon sehr wohl heraus hören, was meine Einstellung zu dem so genannten " Tausenjährigen Reich " und den dort lebenden Mördern und Verbrechern unter den Deutschen, aber auch anderen Völkern in Europa war.
Auch von daher könnte sich die Reise des älteren Herrn aus Leuven in Belgien gelohnt haben.

Kommentare

Octapolis hat gesagt…
»...dem Äquatorialbereich des eigenen Körpers...«... was auch immer damit gemeint sein möge... ;o)

Friedhof Dölzschen: weißer Fleck auf meiner Gottesackerexkursionsweltkarte. Wird hiermit auf die Agenda gesetzt.

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