" Frau Mustermann, bitte! Frau Dr. Mustermann! "



Es gibt Lebenseinschnitte, vor denen sollte sich der Durchschnittsmichel - aber, nicht nur der - wirklich fürchten. Dagegen ist Armut, Not und soziales Elend, eher eine Klacks; ein Massenproblem, jedoch durchaus abänderbar. Doch, wenn es um die Gesundheit eines Menschen geht, dann muss dieser eigentlich dafür dankbar sein, dass er nicht krank ist oder es wird. Kranke Menschen haben es häufig nicht leicht. Sie benötigen nicht nur fremde Hilfe, sondern vor allem auch Zuwendung und insbesondere ärztlichen Beistand.

Da saß ich zum wiederholten Male - nur als Gast, nicht als Patient - im Warteraum des Strahlentherapiezentrums der Klinik Dresden - Friedrichstadt und las im " SPIEGEL " einen längeren Artikel über die Familie des künftigen US - Präsidenten Donald " Duck " Trump. Nebenbei konnte ich die mir gegenüber sitzenden Patienten beobachten. Es wären zum Teil ältere Damen und Herren - also, noch älter als ich -, die dort auf den Einheitsstühlen Platz genommen hatten.

Schon beim Hereingehen kam mir - obwohl ich höflich die Tageszeit sagte - eine frostige Atmosphäre entgegen. Eisiges Schweigen,eben. Vielleicht könnte es daran gelegen haben, dass mein norddeutsch - bremischer Akzent, den ich auch nach 12 Jahren Aufenthalt in der sächsischen Landeshauptstadt nicht ablegen konnte, mich als " Wessi " verriet, obwphl es ja eigentlich nur ein deutlich gesprochenes " Guten Tag ! " war, dass ich von mir gab.

Also, die alten Zossen, die wie ein Block " Pegida " - Anhänger mir gegenüber saßen, antworteten nicht. Muffig oder - wie es bei uns im Schaumburger Land heißt - grämlich, saßen sie da, die älteren Herren und einige Damen. Argwöhnisch betrachteten sie, wie ich im " SPIEGEL " las. Dem Exponenten der " Lügenpresse ", so, wie es bei den Pegidioten, der AfD und anderen nationalistisch - rassistischen Völkischen heißt. Ihre verächtlichen Blicke ließen mich kalt, selbst dann noch, als ich nach zirka einer Dreiviertelstunde wieder aufstand und beim Herausgehen " Auf Wiedersehen " sagte,

Die alten Zossen waren bestimmt solche, die nach der Wende einen sozialen Abstieg verzeichnen mussten, weil sie vielleicht beruflich nicht mehr Fuß fassen konnten oder eventuell auch krankheitsbedingt. An ihrer grauen Kleidung hätte ich als " Wossi " festmachen können, dass sie der DDR hinterher trauern. Oder sie waren aufgrund ihrer, möglicherweise nur kleinen Rente, nicht in der Lage, sich etwas zeitgemäßere Kleidung, als jenes DDR - Grau, zu kaufen. Im Online - Shops, über das Internet, gibt es spottbillige Herren - Klamotten, die sich auch ein abgehängter Ost - Rentner leisten könnte. Dazu muss er aber in der Lage sein, mit dem Medium umgehen zu können. Das gestaltet sich dann wohl doch, wegen des schon gesetzteren Alters schwierig. Unmöglich ist es dennoch nicht.

Wie dem auch sei, die alten DDR - Zossen saßen eben da und muffelten vor sich hin. Griesgrämig, miesepetrige und wehleidig, weil sie sich zur Bestrahlung für viele Wochen jeden Tag, von Montag bis Freitag dort pünktlich einfinden mussten. Einige von ihnen hatten leicht rote Köpfe - Säufer. Andere husteten herum - Raucher. Ein weiterer, eher in sich gesunkener Herr, sprang plötzlich, wie von der Tarantel gestochen auf, hechtete zu der einzigen Gemeinschaftstoilette und wummerte mit der rechten Faust gegen die Plaste bezogenen Tür. Als diese wenig später geöffnet wurde und eine kränklich aussehende, ebenfalls ältere Frau heraus trat, ranzte er diese laut an.  " Nicht so lange Blockieren, hier!" Ich war etwas peinlich berührt und sah zu der Schar DDR - Zossen herüber. Diese zeigte keinerlei Reaktion oder eher die: " Na, und? "
Die peinliche Situation war alsbald beendet. Ich hatte den " SPIEGEL " - Artikel nicht zu Ende lesen können. Aber: In diesem Fall konnte ich getrost darauf verzichten - bei einem derartigen Umfeld, so gar gerne.

Der heutige Dienstag drohte sich ähnlich abzuspielen. Doch: Im bereits vorweihnachtlichen Ambiente fanden sich völlig andere Patienten ein. Es waren nicht die grauen DDR - Stoffhosenträger mit ihren eisgrauen Kurzhaarschnitten und altem Schuhwerk. An dem heutigen Morgen fanden sich zudem mehr Frauen ein. Einige hatten auch ihren Partner mitgenommen. Dieser Weg, wird nicht nur, sondern ein schwerer Weg sein, sondern er ist es. Da benötigt jeder Betroffene Unterstützung. Die DDR - Zossen hatte keine Partnerin an ihrer Seite. Das mag wohl auch ein Grund dafür sein, warum sie so verbiestert waren.

Eigentlich hatte ich mir bereits während der Fahrt vorgenommen, nicht erneut in den unteren Warteraum der Klinik zu gehen, Ich setzte mich deshalb zunächst auf eine Coach im Foyer, rechts neben der Eingangstür, die um diese Zeit ständig auf - und zu geschoben wurde. Trotzt der doppelt angebrachten Glastüren, die elektrisch betätigt werden, zog es bald an meinen Beinen. Bei Minus 5 Grad Außentemperatur, dürfte es kein Wundern sein. Ich las die " SPIEGEL " - Geschichte weiter. In der Eingangshalle herrschte ein reges Treiben. Auch in der von zwei Mitarbeiterinnen besetzten Auskunft und Anmeldung klingelte minütlich das Telefon. Der von einem verglasten Aufbau abgrenzte Bürobereich der beiden Damen war ebenso weihnachtlich geschmückt, wie ich es unten gesehen hatte.

Als ich beim Lesen kurz aufblickte, erkannte ich zufällig eine November - Ausgabe der Klatsch - und Tratsch - Postille " Bunte ". Das selbst ernannte Organ der Prominenten - Berichterstattung hatte die noch Eheleute Schröder / Schrüder - Köpf auf dem Titelblatt abgedruckt. Es ging in der Überschrift zu jenen zusammen gesetzten Fotos um die Trennung und mehr. Doris Schröder - Köpf soll inzwischen einen " Neuen " haben, was Gerhard Schröder angeblich tief getroffen habe. So ein Schmarren aus München. Dennoch nahm ich mir das kunter - bunte Latrinenblatt kurz vor, um die Geschichte zu lesen. Doris´" Neuer " ist ein Genosse. Huch! Der niedersächsische Minister für Inneres und Sport Boris Pistorios. Ach! Und beide Protagonisten seien in einander verliebt. Och!

Bei soviel Schund auf drei Seiten, schenkte ich mir das Ende der sozialdemokratischen " Love Story ", klappte die " Bunte " - Ausgabe zu, warf sie mit einem sehr verächtlichen Blick auf den runden Tisch, stand auf, den " SPIEGEL " in der rechten Hand und begab mich in diee untere Etage. Es wurde mir oben zu zugig.

Unten angekommen schaute ich mich kurz um. Nein, es waren dieses Mal, an jenem frühen Dienstagmorgen, keine in Einheitsgrau gekleideten 70jährige zu sehen. Nach und nach erscheinen völlig andere Patienten. Eine jüngere Frau, ein älteres Paar, eine weitere, ältere Frau. Wenige Minuten, nachdem einige von ihnen Platz genommen hatten, wurden sie bereits von einer Schwester im weißen Arbeitskittel aufgerufen. In einem sehr höflichen Ton. " Frau X, bitte! " Es ging jetzt zügig bei der Bestrahlung. Eine erforderliche Zeittaktung, denn die High Tech - Geräte sind sündhaft teuer.

Nach zirka einer Viertelstunde betrat eine jüngere Frau - ich vermutetet, dass sie so um die Mitte Dreißig war - den Warteraum. Ein leises, sogar schüchternes " Guten Morgen " kam über ihre Lippen. Sie sah - trotz großzügig aufgetragenem Make Up - mitgenommen aus. Irgendwie müde, fertig, kaputt. Sie setzte sich auf einen Platz vor mir, den ich aufgrund einer angebrachten Holztrennwand nicht einsehen konnte. Kurz darauf erschien ein Mann, vielleicht im gleichen Alter, er trug modische, jedoch leicht abgewetzte Kleidung. Er hatte einen Dreitagebart und dunkle Haare. Ein grummelndes, unklares " Morgen " kam über seine Lippen, ehe er sich neben die junge Frau setzte.

Einige Minuten später erschien eine Schwester und rief einen Namen auf. Ich nenne ihn hier " Mustermann ". Dann korrigierte sie sich deutlich " Frau Dr. Mustermann, bitte! " Ich schaute auf, sah meine bessere Hälfte leicht irritiert an. Sie dachte das Gleiche, wie ich auch. Eine promovierte Krebspatientin?

Später, so nach den üblichen 7 Minuten, kam die junge Frau wieder. Ich beobachtete sie nur kurz. Dabei fiel mir ihre sehr modische Frisur auf. Nein, der Frisör war nicht teuer, zu dem sie gegangen sein musste; wohl aber die Perücke, die sie trug. Brustkrebs?

Es kann von dieser Volkskrankheit jeder Mensch in jedem Lebensstadium betroffen sein. Diese Krankheit macht vor keinem Alter halt, weil die Menschen in den Industrieländern statistisch immer älter werden, steigt aber die Zahl der Erkrankten drastisch an. Die der Geheilten aber auch. Hiervon lebt eine ganze Sparte der Medizin und der Pharmakologie. Es werden Milliarden zur Heilung und Bekämpfung der - in bestimmten Fällen - tödlich verlaufenden Krankheit ausgegeben. Die Forschung hat - laut einem Bericht, den ich in einer älteren " SPIEGEL " - Ausgabe gelesen habe - bereits Wege zur Herstellung von Arzneien gegen jene tückische Krankheit beschritten.

Die jüngere, promovierte Frau beschäftigte mich den ganzen Tag. Was könnten wohl die Ursachen für ihre Erkrankung gewesen sein? Es gibt einige davon. Rauchen, Alkohol, Chemie, Atom, Uran, Ernährung; vor allem aber seelische Einflüsse. Nun, die Medizin wird irgendwann auch dafür Lösungen anbieten. Doch durch das Martyrium jenes Heilungsprozesses muss jeder Erkrankte selbst gehen. Dazu zählen auch, die erheblichen physischen Belastungen, die latent vorhandene, soziale Stigmatisierung.

Aber auch hierbei gilt: " Wer kämpft, kann verlieren, Wer nicht kämpft, hat schon verloren. "  Ich hoffe, die promovierte Krebspatientin ist eine Kämpferin.


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