Hans - Arno Simon. " Unser Lehrer " - ein Stück Nostalgie aus den 1960er Jahren.
Wenn ich mich an meine Schulzeit ab 1960 erinnere, kommen mir ab und an leicht wehmütige Gedanken. Was waren das damals für preußische Zustände an den Schulen. Der wurde auf Pünktlichkeit, Fleiß, Zucht und Ordnung äußersten Wert gelegt. Die Schülerinnen und Schüler erschienen mindestens 10 Minuten vor Unterrichtsbeginn, das hieß noch vor 7. 50 Uhr wimmelte es auf dem Schulhof von Mädchen und Jungen, die dann sittsam und kontrolliert bei dem Ertönen der schrillen Klingel zu ihren jeweiligen Klassen gingen. Kein Gedränge, kein Geschubse, kein Geschiebe. Darauf achtete schon der Aufsicht führende Lehrer, der meistens an der Tür stand.
Sollte in Ausnahmefällen ein Raubauke wirklich über die Stränge schlagen und sich nicht richtig benehmen, zog ihn dieser Lehrer sofort aus der Masse heraus und ließ ihn solange an der Tür stehen, bis der letzte Schüler in dem Eingangsbereich verschwunden war. Manchmal gab es für rüpelhaftes Verhalten gleich eine schallende Ohrfeige oder der Ungezogene wurde am Ohrläppchen aus der Menge heraus geführt.
Im Unterricht saß jeder Schüler sofort an seinem zugewiesenen Platz, legte sein Fachbuch, sein Arbeitsheft oder andere Schulmaterialien fein säuberlich auf den schon arg ramponierte Zweiertisch, seinen Ranzen bugsierte der Schüler ordentlich zur Innenseite des Tisches, so dass darüber keiner stolpern konnte. Dann wurde sich noch kurz unterhalten. Das Geschwätz verstummte jedoch schlagartig, wenn die Klassentür auf gerissen wurde und der Lehrer mit einem zackigen " Guten Morgen, Klasse! " in dem Türrahmen stand und wie ein Ölgötze auf die Antwort, die da lautete: " Guten Morgen, Herr Lehrer! " dann mit dynamischen Schritt zu seinem Pult schritt. Die zuvor, wie auf Kommando aufgesprungene Schüler warteten dann, bis der Lehrer seinen Stuhl vom Pult weg gezogen hatte und in einem Zuge sagte: " Setzen! "
Der Unterricht begann. Je nach Schulfach mussten die Hausaufgaben vorgelegt werden, es wurde eine Klassenarbeit geschrieben oder der Lehrer monologiserte fast 1 1/2 Stunden über ein Thema aus dem Lehrplan. Auch während des Unterrichts herrschte Zucht und Ordnung. Geredet werden durfte nur dann, wenn man gefragt wurde. Manchmal musste der Lehrer auch die Klasse verlassen, weil er etwas vergessen hatte. Dann wurde sofort gequasselt bis er wieder zurückkam. Wer beim Herumspielen erwischt wurde, bekam umgehend eine Ermahnung, in schlimmeren Fällen musste er aufstehen und hinter der Tafel sich in eine Ecke stellen oder sogar den Klassenraum verlassen.
Ab und an gab es auch eine Ohrfeige, einen Schlag mit dem Holzregal oder es wurde der Schüler am Ohr hoch gezogen bis dieses puderrot anlief. Wer unaufmerksam war, dieses vom Lehrer gesehen wurde, konnte schon dann und wann damit rechnen, dass ein Stück Kreide, ein Schwamm oder schlimmstenfalls ein ganzen Schlüsselbund in Richtung des Schülerkopfes abgefeuert wurde. Einige Geschickte, ließen sich indes nicht davon abhalten, ihre Unterrichtsstunde teilweise selbst zu gestalten, weil sie diesen Wurfgeschossen blitz - schnell auswichen.
Nein, der Unterricht in den 1960er Jahren war keine wahre Quell der Lebensfreude. Die Respektsperson Lehrer konnte - kraft seiner Autorität - sich immer wieder an dem einen oder anderen, störenden Schüler abzureagieren, wenn der eigene Lebensfrust es erforderlich machte. Es gab da bestimmte Lieblinge, die von verschiedenen Lehrern ständig vorgeführt werden konnten, weil die Angst der Schüler, dass bei einer Gegenwehr dann schlechte Zensuren die Folge waren, doch zu groß war. Den Eltern wurde von schlagenden und werfenden Lehrern auch nichts erzählt, denn deren Verständnis dafür war kaum vorhanden. So gab es denn jede Menge verängstigte Schüler, die später als Duckmäuser die Schule verließen, um sich anschließend in der Lehre wieder maßregeln und vorführen zu lassen.
Einige, vor allem ältere Lehrer indes waren weder Schläger, noch Schlüsselbundwerfer, sie versuchten sich eher mit markigen Sprüchen Respekt zu verschaffen. So gab es den Kriegsinvaliden L., der Deutsch unterrichtete und eine Beinprothese besaß. Er musste dieses künstliche Bein über ein Ventil mit Luft aufpumpen und erhielt so Stabilität in der Prothese, wodurch er - für den Außenstehende kaum sichtbar - lediglich das rechte Bein leicht hinter zog. Wenn L. die Klasse betrat, sich auf seinen Stuhl setzen wollte, ließ er zuvor die Luft aus der Prothese, die dann zischend und pfeifend sowie übelst stinkend entwich. Der Beinstumpf des L. musste von ihm mit Salben behandelt werden, denn er entzündete sich häufig. Dadurch kam der unangenehme Geruch zustande.
Sonst aber war L. ein angenehmer, ein gutmütiger Lehrer. Im Unterricht blaffte er zwar die bekannten Rabauken aus der Klasse an, jedoch auf eine eher lustige Art. In dem er sie als " Dummchen ", " Dorftrottel " oder " hoffnungsloser Fall " titulierte. Das Gekichere und Gelächter der übrigen Klasse hatte er jedes Mal auf seiner Seite.
Eines Tages hatte L. Pausenaufsicht. Er beobachtetedabei, dass einige der Raubauken hinter einer der großen, zur Frontseite des Schulgebäudes stehenden Pappel Zigaretten rauchten. L. eilte deshalb zu dem riesigen Baum und wollte den Schülern die Zigarettenschachtel weg nehmen. Da er jedoch nicht schnell genug war, erkannten die Raucher sein Herannahen und spurteten zu der anderen Pappel. Sie versteckten sich hinter dem großen Stamm. L. hatte sie jedoch gesehen und eilte zu ihnen herüber. Die Gruppe der Schüler lief wieder zur ersten Pappel und bleib dort stehen. L. kam erneut herüber. So verlief das Katz - und Mausspiel einige Minuten, ehe L. plötzlich stolperte, das Gleichgewicht verlor und hin stürzte. Sofort waren mehrere ältere Schüler bei L. und halfen ihm wieder auf. L. fluchte und zeterte wie ein Rohrspatz und drohte den Raucher herüber. Dann musste er doch lachen und alle Schüler mit ihm. L. war gerade deshalb sehr beliebt.
Ein anderer Stein alter Lehrer hieß M. Er war auch bereits pensioniert und wurde als Religionslehrer wieder aktiviert. M. hatte dichtes, silbergraues, leicht gewelltes Haar. Er kam immer mit einer abgewetzen Ledertasche in den Unterricht, die er zuvor mit einer Speckschwarte einrieb, so dass diese wie neu glänzte. M. las der Klasse aus der Bibel vor und aus einem Religionsbuch. Wenn M. Hausaufgaben aufgab, dann waren es Gebote, Psalme oder Strophen aus dem Gesangsbuch. An dem Unterricht nahmen nicht alle Kinder teil, denn es war der evangelische Religionsunterricht. Einige wurden von dem katholischen Pfarrer aus Bad Eilsen unterrichtet; noch andere Schüler ließen sich davon befreien, weil deren Eltern so genannte Bibelforscher waren.
So unterrichtete M. eben weniger Kinder und konnte deshalb besser beobachten, ob die Schüler irgendwelche Dummheiten unter der Bank machten. Ein Schüler, der weitere 6 Geschwister hatte und Melching hieß, aß grundsätzlich während des Religionsunterrichts sein Frühstücksbrot, weil dessen Eltern keine Zeit fanden, den Kindern ein Frühstück vor der Schule zu geben. So mümmelte Melching, den Kopf leicht nach unten gebeugt, seine Stullen in sich hinein. Bis dem Lehrer M., der das Geraschel des Butterbrotspapieres hörte, während seines Vorlesens aus der Bibel, mit dem Kopf hoch fuhr, zu Melching herüber blickte und diesen anraunzte: " Melching, lass das alte Gegratsche unter´m Tisch!"
Melching legte seine Hände wieder auf die Tischplatte und wartete ab, bis der Lehrer M. mit dem lesen fort fuhr. Dann aß er seine Brote auf.
Dieser Ablauf wiederholte sich in den Folgewochen mehrere Male, ehe Lehrer M. der Kragen platzte und er Melching das Pausenbrot einfach weg nahm. M. legte es auf sein Pult und sah die Stulle an. Dann forderte er Melching auf, nach vorne zum Pult zu kommen. M. sagte: " Alter Gratscher, Melching, nimmt die Stulle und geh´raus. Wenn du aufgegessen hasst, kommst ´e wieder rein!" Melching verließ den Klassenraum, verzehrte sein Frühstücksbrot und kam nach einigen Minuten wieder. Der Religionslehrer M. blieb nur noch wenige Jahre an der Schule, ehe jüngere Pädagogen kamen.
Besonders gefürchtet aber war die Lehrerin Alice B. Alice war eine relativ große Frau mit dunklen Haaren, die sie zu einem Dutt zusammengesteckt hatte. Alice war unverheiratet und musste deshalb " Fräulein B. " genannt werden. Alice war starke Raucherin, fuhr einen ockergelben DKW 2 - Takter und ließ sich ihre schwarze,schwere Ledertasche von Schülern, die sie nach dem Aussteigen aus dem DKW gerade erwischen konnte, in das Lehrerzimmer tragen. Alice trug in der kalten und kühleren Jahreszeit einen langen, schwarzen Ledermantel. Damit sah sie wie ein Gestapo - Mann aus. Sie war aber nicht deshalb gefürchtet, sondern wegen ihrer knall - harten Unterrichtsmethoden. Alice gab Deutsch und Englisch in allen Klassen und war zudem Klassenlehrerin in der Klasse meiner Schwester. Nun, drei Geschwister in einer Schule, war auch damals nicht so selten. Jedoch drei Geschwister in hintereinander folgenden Klassen war schon ein Besonderheit. Und so kam es, dass Alice B. das Wahlfach Englisch unterrichtete und ich dieses ab der 5. Klasse belegte.
Englisch lag mir und deshalb stand ich bei Alice immer zwischen 1 und 2. Das war gut, denn so hatte ich bei Alice nichts auszustehen und meine beiden Geschwister auch nicht.
Wen Alice aber auf den Kieker hatte, der musste sich auf einiges gefasst machen. Alice duldete keine Störungen in ihrem Unterricht. Und weil es einige Schüler gab, die unruhig waren, rastete Alice ab und zu aus. Dann zog sie den ertappten Schüler an dem Ohr hoch, drehte ihren schweren Siegelring, den sie an der rechten Hand trug, schnell nach außen, und verpasste dem Störer eine krachende Backpfeife. Der Abdruck des Sieglrings war danach auf der Wange deutlich zu erkennen. Nun, Alice hatte eben eine sadistische Ader. Wer aber die aufgegeben Englischvokabeln gelernt hatte, wer das " TH " in den englischen Begriffen ordentlich, mittels hervor schnellender Zunge, die leicht zwischen den damals noch intakten Zähnen legen konnte und wer ihre Englischarbeiten mit 2 und besser schrieb, der hatte nichts zu befürchten.
So hatte jeder Lehrer seine Stärken, seine Schwächen und seine Marotten. Einst aber war damals klar: Wenn es darauf ankam, setzte sich jeder Lehrer für jeden Schüler ein, auch wenn der mit dem Stoff nicht zurecht kam. Dass Lehrer ihre Schüler mit dem Nachnamen anredeten, war indes eher eine Unart aus der Nazizeit, aus der allerdings auch die Steinzeitpädagogik in das einstige WiWu - Westdeutschland mit herüber gebracht wurde.
Während ich bei einer zufälligen Netzrecherche zu einem alten Musikstück einige Foren durch leuchtete, gelangte ich auf eine Nostalgie - Seite, die sich mit Fernsehsendungen aus den 1960er Jahren befasst. Und hier fand ich Informationen zu einem deutschen Lied aus dieser Zeit, das da heißt " Unser Lehrer ". Es wurde
damals von einem Künstler mit dem Namen Hans - Arno Simon eingespielt. Ein eher instrumentaler Titel, der lediglich von Einblendungen unterbrochen wird, in denen sich ein Lehrer äußerst. Aber wie!
Und weil ein einstiger Leidesgenosse den Titel mit eigenem Bildmaterial aufgehübscht hat, die Tonqualität indes besser ist, als bei anderen Aufnahmen, gibt es den Simon´schen Ulk - Song gleich doppelt.
https://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=bqxoEPOP6qM
Jau, " Krüger, du sollst nicht in der Nase bohren ". Was haben wir vor der Schule gelacht, als das Stück im Nordmende - Mono - Radio meiner Eltern über den Propagandasender Deutschlandfunk gegen 7.00 Uhr morgens dudelte; in quäkender, zirpender, knarzender Qualität versteht sich, die dann noch schlechter wurde, wenn ein knatterndes Moped in der Nähe vorbei fuhr. Das war Kult!
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