Hellmuth Karasek und sein Anflug von Ostalgie.

Wenn ein Mensch sich im 9 Lebensjahrzehnt befindet, kann er schon mal darüber nachdenken, ob er das Feld, was nach seinem Ableben von möglichen Angehörigen inspiziert wird, gut bestellt hat. Die Jurisprudenz nennt diese Regelungen nach dem Dahinscheiden schlichtweg Erbrecht. Eine zwar komplizierte, aber für viele hungrige Advokaten und Notare, durchaus lukrative Angelegenheit. Solche Mandate sind begehrt, wenn es denn um hohe Vermögenswerte in der so genannten Erbmasse geht.

Ob Dr. Hellmuth Karasek, geboren am 4. Januar 1934 in der Stadt Brünn ( Brno ), der südmährischen Region Tschechiens ( einst Tschechoslowakei ), dieses getan hat, bevor er am gestrigen Tag, den 29. September 2015 in Hamburg verstarb, ist und bleibt wohl zunächst seine Privatsache. Kompetenten Rat hätte er zuvor bei seiner Tochter Laura einholen können, denn sie ist ebenfalls Volljuristin. Dass sie auch als Schriftstellerin agiert, dürfte nach dem Apfel - Stamm - Prinzip auf der Hand liegen.

Nun, Dr. Hellmuth Karasek ist verstorben. Die Kollegen aus den unzähligen Medien werden sich seiner im Wege der post mortalen Lobhudelei annehmen. Dieses Prozedere ist als Ritual seit Jahrzehnten üblich und gehört zum Beruf. Er wurde ja nun schon zum " Literatur - Papst " hoch stilisiert. So, wie Marcel Reich - Ranicki der " Literaturkritik - Papst " war.

Das Leben des Hellmuth Karasek war eben bewegt. Nicht nur, dass er aus seinem Geburtsort nach 1945 vertrieben wurde, dann eine Zeit lang in der einstigen DDR gelebt hat, nein, auch die vielen Jahre in Westdeutschland sowie später im wieder vereinigten Deutschland gestaltete Dr. Karasek äußerst kreativ.

Um es ehrlich zu sagen: Mir war der Dr. Karasek als " SPIEGEL " - Mitarbeiter der Liebste. Nie um eine Spitze verlegen, sich für eine witzige Pointe zu schade und wenn es darum ging, lokale bis globale Zusammenhänge in der Literatur verständlich zu erklären, stand er für mich immer oben an.
" Das Literarische Quartett ", aus den ZDF - Zeiten, als TV glotzen noch so einen Hauch von intellektuellen Anspruch versprühte, obwohl die Privaten mit ihren Gossen - Themen und Formaten bereits an dem Quotenbaum sägten, war zum Teil schwere Kost. Wenn jene vier Auserwählten ( Reich - Ranicki, Löffler, Busche oder einem wechselnden Gast ) richtig fachsimpelten, dann zählte dieses wohl mit zu den Sternstunden des Zweiten aus Mainz. Auch wenn ich seit 1988 nicht alle Sendungen verfolgen konnte, bedeutete diese, eine willkommene Abwechselung in der Ödnis der Fernseh - Landschaft.

Natürlich hat der Hamburger Literatur - Experte selbst Bücher geschrieben. Diese wurden auch rezensiert. Doch für mich war Karasek immer " SPIEGEL " - Mann. Selbst dann noch, als er 1996 dort ausschied.

Als er in diesen Jahren von Fernseh - Kollegen in seinem Arbeitszimmer im damaligen " SPIEGEL " - Verlagshaus zu einem Interview aufgesucht wurde, zeigte er diesen bereitwillig das Chaos dort. Überall lagen angelesene Bücher, Manuskripte und sonstiges, schriftliches Gerödel herum. Das Zimmer - eine Abfallhaufen? Nein, weil das Genie Dr. Karasek, dann auch noch das selbst verursachte Chaos zu beherrschen schien. Sonst hätten seine vielen " SPIEGEL " - Artikel nicht jenen typischen Karasek´schen Stil, jene besondere, oft pikante Note, erhalten können, wie ich sie über die Jahre seit 1973 ( 1974 ) als Leser nur von dem exzellenten Gerichtsberichterstatter Gerhard Mauz und später von Gisela Friedrichsen sowie den Chefredakteur Erich Böhme und dem Gründer Rudolf Augstein selbst kannte.

Dass Hellmuth Karasek nach seiner Verabschiedung beim " SPIEGEL ", irgendwann auch noch für die Springer - Presse schrieb, sei ihm verziehen. Zu dieser Zeit gab es nicht mehr jene - oft wohl tuende - Unterscheidung zwischen " links ", " liberal " und " rechts ". Geschrieben, veröffentlicht und produziert, wurde in der Literatur, längst das, was selbst Spass machte, bekannt werden sollte und damit Knete einbrachte.Die Kommerzialisierung der Vierten Gewalt, der Literatur und Kunst, sie hielt überall Einzug. Schlechte Literaten gibt es deshalb, wie Sand am Meer. Hellmuth Karasek zählte nie dazu.


https://de.wikipedia.org/wiki/Hellmuth_Karasek


http://www.was-war-wann.de/personen/hellmuth-karasek.html


http://www.lovelybooks.de/autor/Hellmuth-Karasek/


Es war im August 1995, genauer gesagt am 14. August vor 20 Jahren, als ich mir - wie damals üblich - auf meiner Fahrt vom Bremer Hauptbahnhof zu dem Büro in der Hastedter Heerstraße,  in der Bahnhofsbuchhandlung die Ausgabe 33 des " SPIEGEL " kaufte. Das Heft kostete wohl 5 Deutsche Mark, die ich einer muffligen Verkäuferin an der Kasse übergab. Bereits beim Einsteigen in die Bahn der Linie 10 bis zur Domsheide begann ich in dem Heft zu lesen. Während der etwas mehr als viertelstündigen Fahrtzeit bis zur Malerstraße, der nächst belegenen Haltestelle, hatte ich meistens die abgedruckten Leserbriefe und die ersten Artikel abgearbeitet. Montag war " SPIEGEL " - Tag - dieses Ritual befolgte ich seit mehr als 20 Jahren.

Und so kam es auch an jenem Montag, den 14. August dazu, dass ich den Artikel von Hellmuth Karasek mit dem Titel " Honeckers Nische " auf Seite 18 jener Ausgabe Nummer 33 aus dem Jahr 1995 noch vor dem Aussteigen aus der Straßenbahn 10 las.

Was der " SPIEGEL " Journalist dort berichtete, versetzte mich in ein Perma - Grinsen. Laut los lachen hätte ich nicht wollen, denn dann wären jene wenigen Fahrgäste, die an diesem Montagmorgen mit mir die Linie 10 bis Sebaldsbrück nutzten, zum Schluss gekommen; ich hätte sie nicht mehr alle.

Erich Honecker, der einst mächtige Mann in der DDR, war ja seit dem 29. Mai 1994 tot. Er starb - bekanntlich - in Santiago de Chile. Seine Träume von einer besseren Gesellschaft im Sozialismus zerstoben, wie eine Wolke aus einem Flacon mit 4711 Kölnisch Wasser, dass mittels Zerstäuber auf die Visage irgendeiner 1960er Wohlstandsdame in der BRD verteilt wurde.
Die DDR war knapp vier Jahre zuvor formell Vergangenheit, der andere deutsche Staat mit seiner anderen Gesellschaftsordnung, die sch auch real existierender Sozialismus nennen durfte, wurde bereits abgewickelt. Mit dieser, von der Treuhand geleiteten Mammutaufgabe, verschwanden auch die von den vormaligen SED - Funktionären und anderen Verantwortlichen aus verschiedenen Staatsorganen, eingeräumten Privilegien. Dazu zählten auch die Datschen, der DDR - Politiker.

 Als jene Aktionen auf der Agenda der Treuhand standen, lud diese eine Reihe von Journalisten ein, die dann in dem als " Bonzen " - Ressort benannten Fleckchen Berlin - Wandlitz, unter anderem jene - eher schlicht zu nennenden - Wochenend - und Ferienhäuser der Parteigrößen um Erich Honecker besichtigen durften.
Fälschlicherweise wurde die Waldsiedlung als Teil der Stadt Bernau so genannt, weil sie in unmittelbarer Nähe zu der Gemeinde Wandlitz liegt.

Hier  lebte die Nomenklatura der DDR. Zwar streng bewacht, eingezäunt und unter sich, so, wie sie es - wenn auch unter völlig anderen Vorzeichen - ihren Bürgerinnen und Bürgern es seit dem 13. August 1961 oktroyierte.

https://de.wikipedia.org/wiki/Waldsiedlung_(Bernau_bei_Berlin)


Dort erholte sich auch Erich Honecker in seiner Datsche von der schweren Arbeit des Führers der Diktatur des Proletariats. Und, wie!

Old Erich hatte sich - klamm heimlich - über die eigens gegründete Institution KoKo ( Kommerzielle Koordination ), deren Häuptling der rührige Schalck - Golodkowski war, für den sagenhaften Preis von insgesamt 1,3 Millionen Deutsche Mark, ein Video - Arsenal, eine Privat - Videothek, ein Archiv an Porno - Filmen zugelegt. 4.864 Kassetten sammelte der Staatsratsvorsitzende im Laufe seiner 18jährigen Herrschaft. Nun, ja, jedem Tierchen sein Pläsierchen.

Erich stand auf Soft - Pornos. Und diese Passion veranlasste wiederum den " SPIEGEL " - Ressortchef Kulur, Dr. Hellmuth Karasek, in einem Beitrag, über die Frage, ob es nun auch so etwas, wie Privatssphäre in der permanent überwachten DDR - Gesellschaft gab, zu sinnieren. Unter dem Begriff " Nischendasein oder Nischenleben " , subsumierte er hierbei die Gier des grauen Erich nach Abwechselung im grauen Alltag.

Porno glotzen ist derweil heute zum Freizeitvertreib eines Jeden geworden. Rühren sich erst die Hormone, wird der Trieb entsprechend gesteuert, kann der Porno - Konsum diesen befriedigen. So auch damals bei Erich Honecker. Mit seinem Pantoffelkino in einem Raum der Wandlitz - Datsche koppelte er sich von der tristen Realität ab, ließ den Video - Rekorder irgendeines japanischen oder westdeutschen Herstellers eine entsprechende Kassette abspielen und erfreute sich der dort gezeigten Verrenkungen beim Liebesspiel.

Der für mich unvergessene Artikel des Genius Hellmuth Karasek ist längst im all Zeit bereiten Netz über die " SPIEGEL " - Präsenz wieder nachzulesen. Ich brüllte beinahe wieder so los, wie ich es einst, vor 20 Jahren in der Straßenbahn der Linie 10, irgendwo zwischen St. Jürgen Straße und Malerstraße,beinahe getan hätte, als ich dieses las:


http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9206218.html


Jau, das war Hellmuth Karasek, wie er schrieb und lebte, immer eine angemessene Portion Ironie einstreuend. Schön, dass ich ihn noch erleben durfte.

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