Wieder eine Nacht - Wie Sozialkritik sich längst überlebt hat und immer wichtiger wird.


Wir schreiben das Jahr 1974. In Westdeutschland rumoren noch die letzten Ableger der 68er-Bewegung. Es gibt allerdings bereits den zunehmenden Einfluss der Generation " Zaungäste ", jenen Jahrgängen ab 1950 +, deren späterer politischer Werdegang, sich insgesamt eher als die Konformformalen mit Jeans, Parka und alsbald lila Latzhosen und Norweger-Pullover einstufen lässt.

Eine Zeit als einige wenige militante Verirrte, die sich Baader-Meinhof-Gruppe nennt, durch ihre Mordaktionen den Staat sehr schnell an seine Grenzen bringt. Jenes Gebilde, was dann mit systematischer Bespitzelung und Berufsverboten auf jene herein drischt, die es kritisieren, ja sogar in Frage stellen.
Aus diesem Umfeld heraus, ist dann wohl auch 1974 jener Titel von Hannes Wader entstanden, der sich mit den - auch zu der damaligen Zeit - existieren sozialen Randgruppen beschäftigt. Dem heutigen Prekariat, der Unterschicht, den Abgehängten. Auch wenn jene Gruppe sich nicht eindeutig abgrenzen lässt, so sind es doch bestimmte Merkmale, die wiederkehrend auftreten, um die Zugehörigkeit zu den sozial Gestrandeten fest machen zu können.

Das Lied " Wieder ein Nacht " gibt hierbei eine Hilfestellung, ohne selbst helfen zu können. Hannes kritisiert jene Gesellschaft, die jene Zustände toleriert, ja sogar fördert, in dem er textet:


Wieder eine Nacht, eine von den viel zu vielen ,
an denen mal wieder der Schlaf nicht kommen will.


Und wie schon so oft ziehts dich gegen deinen Willen,
in die dunklen Straßen ohne ein bestimmtes Ziel.
Und achtlos stößt du so, als wenn es ein Papierknäuel wär ,
mit den Füßen eine tote Taube vor dir her.
Die Mädchen stehen wartend an der Mauer bei der Bahn,
sie kennen dich und sprechen dich schon lange nicht mehr an.

Der Mann dort hält sich im Schatten , tut als wenn er ließt,
und traut sich erst heraus, wenn dein Schritt verklungen ist.

Chorus:
Manche die dir hier begegnen sind dir ähnlich sind allein ,
manche weil sie niemand haben, andre wollen alleine sein.
Und sie sehen dich nicht an, tasten sich an dir vorbei ,
und verbergen doch ihr Misstrauen, ihre Angst nur schlecht dabei,
als wenn ihre Einsamkeit schon ein Vergehen sei.

Und an jeder Bar siehst du nachts auf deinen Wegen,
viele fremde Männer, volle Gläser in der Hand.
Sie wollen ihren Kopf nicht auf den Fettfleck legen,
der über jedem schäbigen Hotelbett an der Wand,
von den Köpfen vieler hundert andrer Männer stammt ,
die vor ihnen hier lagen und wie sie dazu verdammt,
so trinken, daß die Barfrau ein Wort mit ihnen spricht,
mit der sie sich nicht zeigen würden, nicht bei Tageslicht.

Auch sie weiß das genau, ohne daß sie es verrät ,
doch sicher läßt sie keinen von ihnen in ihr Bett.

Chorus:
Manche die dir hier begegnen sind dir ähnlich sind allein ,
manche weil sie niemand haben, andre wollen alleine sein.
Und sie sehen dich nicht an, tasten sich an dir vorbei ,
und verbergen doch ihr Misstrauen, ihre Angst nur schlecht dabei,
als wenn ihre Einsamkeit schon ein Vergehen sei.

Und beim Pissoir, wo die Stricher wieder warten ,
unter Büschen Bäumen, die du nie so düster sahst.
Drehst du dich gleich um und meidest diesen Garten,
weil du noch von früher ein Bild vor Augen hast.

Den schwulen Alten, morgens früh im Stiefmütterchenbeet,
den Schädel eingeschlagen und auf den Bauch gedreht.
Sein Hirn schon in der Nacht von den Blumen aufgesaugt,
lag er ohne Hose da, ganz mager, ausgelaugt.

Von einem Leben voller Elend, wie sei sein Tot so grau ,
und sein Toupee hing noch im Dornbusch feucht von Blut und Tau.

Chorus:
Manche die dir hier begegnen sind dir ähnlich sind allein ,
manche weil sie niemand haben, andre wollen alleine sein.
Und sie sehen dich nicht an, tasten sich an dir vorbei ,
und verbergen doch ihr Misstrauen, ihre Angst nur schlecht dabei,
als wenn ihre Einsamkeit schon ein Vergehen sei.

Auch im Wartesaal dösen jetzt betrunkene Männer,
reden mit sich selbst immer nur den gleichen Satz.
Auch du setzt dich an den Tisch zu jenem Wermutpenner,
der findet jede Nacht hier seinen warmen Platz.

Frische Narben alter Tage Schmutz verdecken fast,
an seinem Handgelenk die Tätowierung aus dem Knast.
Vornüber auf den Tisch gesunken, wie die meisten hier,
den Kopf in einer Laache von Rotwein, Rotz und Bier.

Du fragst dich wie er so verbogen, eingekrümmt und krumm,
noch schlafen kann und du beneidest ihn darum.

Chorus:
Manche die dir hier begegnen sind dir ähnlich sind allein ,
manche weil sie niemand haben, andre wollen alleine sein.
Und sie sehen dich nicht an, tasten sich an dir vorbei ,
und verbergen doch ihr Misstrauen, ihre Angst nur schlecht dabei,
als wenn ihre Einsamkeit schon ein Vergehen sei.

Du sitzt da und fängst nach und nach selber an zu träumen,
siehst dich als kranke Taube, die sich kaum noch regt.
Hast dich fernab von Luft und Sonne und von hohen Bäumen ,
im Luftschacht eines Hauses zum Sterben hingelegt.

Und aus den tristen Fensterlöchern über deinem Grab,
fallen Auswurf und Gestank pausenlos auf dich herab.
Geräusche hörst du, während deine Lebenskraft verrinnt ,
von denen röcheln, spucken, fluchen nicht die Schlimmsten sind.

Doch ganz hoch über dir kannst du ein helles Viereck sehen ,
ein Stück Himmel, ein Stück Hoffnung schon bewegst du deine Zehen.
Stehst auf schlägst mit den Flügeln und erwachst bei dem Versuch,
dich hochzukämpfen zu dem Fleck, der Leben heißt für dich,
der doch nur aussieht wie oft benutztes Taschentuch.

Chorus:
Manche die dir hier begegnen sind dir ähnlich sind allein ,
manche weil sie niemand haben, andre wollen alleine sein.
Und sie sehen dich nicht an, tasten sich an dir vorbei ,
und verbergen doch ihr Misstrauen, ihre Angst nur schlecht dabei,
als wenn ihre Einsamkeit schon ein Vergehen sei.

Was Leben ist, entscheidet vielleicht jeder Einzelne im Verlaufe seiner hier gegebenen Zeit selbst. Auch wenn das jeweilige Individuum es bereits ab der Geburt längst nicht mehr in seinen eigenen Händen trägt. Längst hat sich das Prinzip des " Survival of the fittest " gnadenlos in unseren Industriegesellschaften durchgesetzt. Längst bleibt das Solidaritätsprinzip dabei auf der Strecke. Längst kämpft der Einzelne einen - oft aussichtslosen - Kampf gegen die übrigen Mitmenschen und den realen Bedingungen trotzend auch gegen sich selbst.
Das Leben, ein oft benutztes Taschentuch? Ja, für viele Menschen aber eines aus Papier: zerreißbar, dünn und billig!

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