Ines Geipel, eine couragierte Frau legt sich mit der Doping-Industrie an.


Eine Wiederholung im französisch-deutschen Gemeinschaftssender arte am 13. März 2009 machte mich nachdenklich. Unter dem Titel " Ines Geipel - Vom Sprinten zum Schreiben " berichtet Rainer Kahrs über die ehemalige 100m-Staffel-Weltrekordlerin der DDR. Viele Fakten in der Reportage waren für mich neu. Neu deshalb, weil sie auch zu Zeiten der Nachwende und dem Aufarbeiten der DDR-Vergangenheit, nie so wirklich in die Öffentlichkeit drangen. Klar, dass die einstigen DDR-Spitzensportler vielfach gedopt waren,dass haben die Spatzen von den Dächern der westdeutschen Vorzeigerepublik seit vielen Jahren gepfiffen. Immer wenn der ideologisch verklärte Zweikampf zwischen den beiden damaligen Blöcken Ost und West, den einstigen Systemen Kapitalismus und real existierender Sozialismus, zwischen DDR und BRD, zu den Olympischen Spielen wieder einmal von den Medien ausgeschlachtet wurde,blieben auch bei den beteiligten Sportlern keine Augen trocken.
Sieg oder Niederlage, Gold oder Silbermedaille, der Platz in der Gesamtwertung, das waren allemale Fragen nach dem Stellenwert der Systeme. Es waren sogar existenzielle Fragen.

Nun, diese Zeit ist beinahe 20 Jahre vorbei. Was bleibt, sind Erinnerungen an die vielen Jahre, des wechselseitigen Kräftemessens. Ich drehe das Rad meiner eigenen Lebensbiographie um 25 Jahre zurück. Wir schreiben das Orwell'sche Jahr 1984. Die Welt war noch überschaubar. Der eigene Mikrokosmos unisono. Ich war Jura-Student im 8. Semester und absolvierte gerade ein Schwerpunktpraktikum in einer kleinen Rechtsanwaltskanzlei in Bremen, als die Olympischen Sommerspiele in Los Angeles begannen. Sie wurden durch die UdSSR und ihren treu ergebenen sozialistischen Brudenstaaten - quasi als Retourekutsche zu dem Boykott von vier Jahren zuvor in Moskau - ignoriert. Während die USA und ihre Verbündeten den Boykott mit einem eher müden Lächeln abtat, veranstaltete die UdSSR nebst Anhang eine Gegenveranstaltung - die Wettkämpfe der Freundschaft. Damit wurden die ideologischen Gräben eigentlich weiter vertieft; sollte denn der olympische Gedanke und ein Politik freier Sport seit 1936 je in den Köpfen des IOC herum gegeistert sein, spätestens 1980/84 wurde er ad absurdum geführt.

Die Olympischen Spiele 1980 hätten mich nur mäßig interessiert,wäre da die der unsinnige Boykott und die Medienhetze gegen diese Spiele aufgrund des Afghanistan-Konflikts gewesen. Einst tönten CDU-Vasallen aus der ZDF-Sportredaktion herum und argumentierten mit schwachsinnigen Behauptungen,dass ein solcher Boykott-Beschluss sein müsste. Vielleicht war es wohl eher die Angst davor,dass die USA und ihre Freunde in dem permanenten Kampf um Goldmedaillen für das bessere System, dieses Mal den Kürzeren ziehen könnten. So wurde denn von diesen Spielen kaum etwas berichtet, in den so freien Medien der BRD. Sei's drum, wir hatten ja im Studentenwohnheim einen T-Spezialisten,dessen Zusatzantennen uns DDR I bescherte. Zwar nur in schwarz-weiß, dafür aber mit rauschfreiem Originalkommentar des Heinz Florian Oertel.

Während die Spiele von `80 eher im Verborgenen blieben, scheiterten die von `84 an den Nacht schlafenden Sendezeiten. Mein Interesse an der Berichterstattung blieb deshalb auch hier überschaubar.
Unter anderem auch deshalb, weil unsere Brüder und Schwestern aus dem kleineren, dem zweiten deutschen Staat eben nicht starten durften. Hätten sie gedurft, wäre möglicherweise ein Fabelweltrekord der 4 x 100 m - Staffel der Frauen, den diese einige Monate zuvor anlässlich einer offiziellen Wettkampfveranstaltung in Erfurt aufgestellt hatte, erneut getoppt worden.

In der Besetzung Bärbel Wöckel, Marlies Göhr, Ingrid Auerswald und Ines Schmidt lief jene Staffel bei den DDR-Meisterschaften am 2. Juni 1984 in Erfurt mit 42,20 Sekunden einen Weltrekord, der auf Vereinsebene bis heute noch Bestand hat. Das DDR Fernsehen zeigte in einer Sportsendung Bilder von jener legendären Veranstaltung. Einst gehörte der Sport, vorallem jene Disziplinen und Sparten, in denen die DDR-Vertreter in der Weltspitze standen oder sogar eine dominante Rolle spielen durften,eine wichtige Säule der Medienpropaganda.Dadurch konnte der Staat, die Gesellschaft, das System seine Überlegenheit gegenüber dem Westen, dem Klassenfeind, dem Nachbar eindrucksvoll demonstrieren. Die Sucht der Staatsführung, der Verantwortlichen, der Funktionäre nach internationaler Anerkennung war immens. Hier konnte ein Vergleich mit den anderen Staaten der westlichen Heimsphäre ruhig statt finden - der Sozialismus siegte dabei immer häufiger.

Die Spitzensportler wurden zu einem Teil des Staatsapparats. Sie wurden von der Staats-und Parteiführung hofiert. Sie erhielten Privilegien. Sie mussten sich jedoch einer ständigen Kontrolle unterwerfen. Sie wurden von der Stasi bespitzelt und waren selbst Informanten. Sie mutierten aber vorallem zum Versuchskaninchen der DDR-Pharmalogie,denn viele wurden systematisch - oft ohne Aufklärung - gedopt.
In der Spitzenleichtathletik war es seit Jahren gang und gebe,dass Aufputsch - sowie Wachstumsmittel, dass Hormone zwecks Leistungssteigerung appliziert wurden. Dieses zeigte sich jedoch nicht als reines DDR-Phänomen, sondern auch in der BRD, in den USA oder anderen Staaten hatte die Chemieindustrie längst den Markt hierfür erkannt und nutze, benutzte oder missbrauchte die potentiellen Kunden nach allen Regeln der Dopingkunst. Das ist heute noch so. Im Vergleich zu den einstigen Bedingungen ist der Markt inzwischen weltweit geworden; die Zahl der Hersteller und ihrer Produkte unbekannt und die die Profite hieraus exorbitant hoch.

Den sauberen Sport gibt es auch nach der Wende, dem Zusammenbruch der östlichen Staaten, der Umwälzungen durch die " winds of change " nicht. Warum sollte auch plötzlich von einem unsauberen Spitzensport verlangt werden, dass er sich - quasi über Nacht - selbst reinigt? Was einst die staatlich verordneten Wohltaten waren, sind heute Werbeverträge und prall gefüllte Bankkonten sowie ein meist sorgenfreies Leben nach Beendigung der aktiven Laufbahn. Hierfür wird eben auch die kontrollierte Einnahme von verbotenen Mitteln gern in Kauf genommen. Der schnöde Mammon lockt ja überall. Die Quälerei muss sich schließlich in klingende Münze auszahlen. Der Ruhm darf nicht nur auf ein Stück Edelmetall, einen Titel oder einige Fernsehinterviews begrenzt sein.

Warum also aus der Vergangenheit lernen? Weshalb soll die gezielte Einnahme von leistungssteigernden Substanzen abgeschafft, zum absoluten Tabu erklärt werden und zur völligen Umkehr hin zu einem Chemie freien Sport führen? Es gibt ihn nicht, den sauberen Sport. Nicht in der Bundesrepublik, nicht in China und auch nicht in der USA. Die Mär, wonach jene Weltrekorde in den 80er, insbesondere jene durch DDR-Sportler nur aufgrund der Trainingsleistungen entstanden sind, hält sich deshalb noch heute in breiten Kreisen der Bevölkerung. Von offizieller Seite wird - nachdem die DDR wirtschaftspolitisch und formaljuristisch - abgewickelt war, ein großer Mantel des Schweigens und der Ignoranz gegenüber Kritikern gelegt. Nur keine Namen, kein Aufsehen, keine Medien. Die Protagonisten aus Westdeutschland unterscheiden sich hierbei nicht wesentlich von denen aus den Neuen Bundesländern. War Doping doch auch hier ein gängiger Weg zum Erfolg.

Wer nun - wie es Ines Geipel - wagt, in der trüben Brühe der Vergangenheit herum zu fischen, um die Wahrheit heraus zu ziehen, der bekommt erhebliche Probleme. Die einstigen DDR-Verantwortlichen stellen sich dann ahnungslos und kehren das Prinzip der drei Affen heraus.
Ines Geipel, die Frau, die einst den Fabelweltrekord unter ihrem damaligen Namen Schmidt mit lief, sie schwieg eben nicht. Sie hinterfragte, recherchierte und veröffentlichte zu jenen Umständen, die eine solche Leistung vor 25 Jahren ermöglichten. Damit diskreditierte sie aber auch ihre einstigen Kolleginnen.
Auch damals schon versuchten staatliche Organe die Aufmüpfige mundtot zu machen. Gegen sie wurde intrigiert, sie wurde bespitzelt und dann ausgemustert. Sie ließ sich jedoch nicht verbiegen. Das DDR-Dopingsystem war effizient. Die körperlichen Schäden bei einer zeitlich unbegrenzten und regelmäßigen Einnahme jener Präparate waren damals noch nicht exakt erforscht. Dennoch war klar, dass der Anteil männlicher Hormone, also Testestoron, enorm erhöht wurde, damit die weibliche Muskulatur ausgeprägter blieb. Jene Manipulationen veränderten die Stimmlage der Frauen, den Mensis,die Libido und sogar den Haarwuchs. Alle körperlichen Veränderungen konnten anhand der Physiognomie nachgewiesen werden.

Die Hochleistungssportlerinnen des SC Motor Jena wurden über diese - längst bekannten - Nachteile nicht informiert. Der Erfolg hatte eine höhere Priorität. Die Partei hat immer recht. Der Staat das Sagen. Wer sich diesen Spielregeln unterwirft, der muss - auch heute noch - das Gehirn ausschalten.

Ines Geipel ist nach ihrer - damals erlaubten - Ausreise aus Ungarn in die Bundesrepublik, einige Jahre später gegen jenes Doping-System vorgegangen. Sie trat im Jahr 2000 als Nebenklägerin in dem Strafverfahren gegen den einstigen DDR-Sportchef Manfred Ewald wegen Beihilfe zur Körperverletzung in 120 Fällen auf. Sie engagiert sich seit vielen Jahren gegen gedopten Sport, gegen die Anti-Doping-Farce in China. Sie ist zu einer aktiven Kämpferin für einen sauberen, einen fairen Sport geworden. Trotz vieler Anfeindungen hat sie sich nicht von ihrem Weg abbringen lassen. Eine couragierte Frau, deren Vergangenheit untadelig - weil abgearbeitet - ist, denn sie hat sich gegenüber dem DLV durchgesetzt, der ihren Namen aus dem WR-Quartett des 2. Juni 1984 durch ein Sternchen unkenntlich machen musste.

25 Jahre Zeitreise haben auch für mich eine positive Erkenntnis erbracht: Nicht alle Menschen sind manipulierbar und mit Geld und Ruhm käuflich. Bravo Ines Geipel!

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