Die BRD braucht (k)eine KP?
Wir schreiben das Jahr 1976. Genauer gesagt den 13. November dieses Jahres. Es ist ein naß-kalter, ein trüber Tag in Wilhelmshaven am Jadebusen. Seit dem 15. September habe ich dort mein BWL-Studium an der Fachhochschule aufgenommen. Ich versuche, den öden Vorlesungsalltag und das verschulte Studium durch Lesen von politischer Lektüre, vornehmlich dem Nachrichtenmagazin " DER SPIEGEL ", aufzulockern. Das hamburger Blatt mit seinem eher links-liberalen Anstrich berichtet von der Konzertreise des DDR-Liedermachers Wolf Biermann. Er hält sich aufgrund einer Einladung der westdeutschen Gewerkschaft in der BRD auf und soll am 13. 11. einen Auftritt in Köln haben. Aha, das III. Fernsehprogramm überträgt sogar live. Ich justierte die Teleskopantenne meines Quelle-Universum - Schwarz-Weiß-Fernsehers und drücke die manuelle Programmtaste unter der ich den empfangbaren Kanal für jenes Programm eingestellt hatte.
Nach der obligatorischen Tagesschau verkündet ein NDR-Ansager jene Sendung, die dann später über viele Jahre für unendlich viel politischen Streit und Gezänk sorgen sollte.
In der sachlich-nüchternen Beschreibung jenes Ereignisses steht denn nur:
1976 wurde Biermann von der IG Metall zu einer Konzertreise in die Bundesrepublik Deutschland eingeladen, wofür ihm die Behörden der DDR eine Reisegenehmigung erteilten. Das erste Konzert fand, vom Dritten Fernsehprogramm des WDR live übertragen, am 13. November in der Kölner Sporthalle statt. Dieses Konzert – Biermann hatte die DDR stellenweise kritisiert, bei anderen Anlässen wie etwa einer Diskussion über den 17. Juni aber auch verteidigt – diente dem Politbüro der SED als Vorwand für die Ausbürgerung „wegen grober Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten“, wie von ADN am 16. November verbreitet wurde. Nach der Ausbürgerung übernahm das ARD-Fernsehen das Konzert in voller Länge. Erst durch diese Übertragung – das Dritte Fernsehprogramm des WDR konnte in der DDR nicht empfangen werden – erfuhren viele Menschen in der DDR zum ersten Mal etwas über Biermanns Lieder.
Wie gebannt schaute ich, rauchend und Cola trinkend auf die Mattscheibe meines Unikums und verfolgte den Ablauf des Spektakels. Wolf Biermann sang, redete und diskutierte sich um Kopf und Kragen. Ein Rumpelstilzchen im fragilen Geflecht der deutsch-deutschen Beziehungen, ein Elefant im Porzellanladen, ein zorniger 40er, der sich aufschwingt, Klartext zu übermitteln.Das Kölner Konzert wird wenige Wochen danach zum Renner. Es ist bei den - meist - linken Studenten in aller Munde. Gegen den Musiker wird gehetzt, gekeift und polemisiert, was das Zeug hält. Biermann wird aber auch zum Helden hoch stilisiert, der es gewagt hat,als einstiger DDR-Bürger gegen die Nomenklatura in jenem Staat zu Felde zu ziehen, ohne allerdings das System, den Sozialismus, mit Bausch und Bogen zu verdammen. Er propagiert eine Runderneuerung der real existierenden Staatsform, der gegebenen Gesellschafts - und der maroden Wirtschaftsordnung im Sinne der ME-Lehre.
Schön, dachte ich so bei mir. Wie soll dieser Wunsch tatsächlich umgesetzt werden? Nun Wolf Biermann hat hierfür ein Lied geschrieben, dass sich mit dem damaligen Jetztzustand der beiden Systeme auseinandersetzt und gleichzeitig Lösungen enthält:
So soll es sein- so wird es sein
1 So oder so, die Erde wird rot:
Entweder lebenrot oder todrot
Wir mischen uns da bißchen ein
- so soll es sein
so soll es sein
so wird es sein
2 Und Frieden ist nicht mehr nur ein Wort
aus Lügnerschnauzen für Massenmord
Kein Volk muß mehr nach Frieden schrein
- so soll es sein ...
3 Ja, Wohlstand wollen wir gern, anstatt
daß uns am Ende der Wohlstand hat
Der Mensch lebt nicht von Brot allein
- so soll es sein ...
4 Die Freiheit ist ein schönes Weib
sie hat ein' Unter- und Oberleib
sie ist kein fettes Bürgerschwein
- so soll es sein ...
5 Freiheit... Freiheit von Freiheitsdemagogie
Nehmt euch die Freiheit, sonst kommt sie nie!
Auch Liberale wer'n wir befrein
- so soll es sein ...
6 Dem Bourgeois auf die Finger schaun
- das genügt nicht! Auf die Pfoten haun
wolln wir das fette Bürgerschwein
- so soll es sein...
7 Kein Liebespaar wird uns mehr geschaßt
zu lebenslänglichem Eheknast
Die Untertanen-Fabrik geht ein
- so soll es sein ...
8 Kein Spitzel findet da Arbeit mehr
Das gibt ein Arbeitslosenheer
Mensch, ist das schön zu prophezein!
- so soll es sein ...
9 Sie selbst - na endlich ! - die Revolution
sie re-vo-lu-ti-o-niert sich schon
Sie wirft auf sich den ersten Stein
- so soll es sein ...
10 So oder so, die Erde wird rot:
Entweder lebenrot oder todrot
Wir mischen uns da bißchen ein
- so soll es sein
so soll es sein
so wird es sein
In seinem Kölner Konzert hat er den Text modifiziert und singt deshalb auch:
" Die BRD braucht eine KP.
(Biermann undbricht den Gesang und lacht höhnisch " Hah!" )
Wie ich sie wachsen und reifen seh'.
Unter Italiens Sonnenschein. "
Nach einem längeren Sprechteil, in dem er u.a. auch das damals in der DDR wieder veröffentlichte Schrifttum von Rosa Luxemburg anspricht, formuliert er dann:
" Die DDR braucht endlich, aber wie.
Rosaś rote Demokratie.
Stimm ihr mir zu,dann stimmt mit ein.
So, soll es sein, so wird es sein. "
Es folgt:
" Trotz aller Meinungsverschiedenheit.
Sind wir zur breiten Volksfront bereit.
Schluss mit den blöden Sektiererein.
So soll es sein.. "
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,445880,00.html
Nun, fast 33 Jahre später ist aus dem einstigen, dem frommen Wunsch des ehemaligen Polit-Barden Biermann nichts übrig geblieben, außer Tristesse an den Unis, Fachhochschulen und Gymnasien. Wo damals noch - im Zuge der 68er Nachwehen - heftig diskutiert wurde, wo in jener Zeit unzählige Stände mit politischem Propagandamaterial den Campus zierten und der Weg zur Uni-Mensa von wild plakatierten Parolen, Veranstaltunghinweisen sowie Buchtipps geschmückt war, herrscht heute Ödnis aus grauem Beton.
Was waren es noch in den 70er und 80er für Gruppierungen, die sich als Führungskader der Weltrevolution erkannten:
- Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML) – 1968 bis 1986
- Kommunistische Partei Deutschlands (Aufbauorganisation) (KPD/AO), später KPD – 1970 bis 1980
- Kommunistischer Bund (KB) – 1971 bis Juni 1991, vor allem in Norddeutschland aktiv
- Kommunistischer Arbeiterbund Deutschlands (KABD) – 1972 bis 1982, danach in der MLPD aufgegangen
- Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) – seit 1973
- Kommunistischer Bund Westdeutschland (KBW) – Juni 1973 bis Anfang 1985 (Selbstauflösung)
- Marxisten-Leninisten Deutschland (MLD) – 1976 bis 1981, fiel vor allem durch nationalistische Parolen und Wahlaufrufe für die CSU auf
- Volksfront gegen Reaktion, Faschismus und Krieg (VOLKSFRONT) – 1979 bis Anfang 1990er Jahre: Aus der KPD/ML hervorgegangene Partei, die im Bundestagswahlkampf 1980 v. a. eine Bundeskanzlerschaft von Franz-Josef Strauß (CSU) verhindern wollte
- Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK) – September 1980 aus einer Abspaltung vom KBW hervorgegangen, im März 1995 Selbstauflösung als Partei
- Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) – seit 1982, aus dem KABD hervorgegangen, anfangs mehr, in der Gegenwart eher verhalten maoistisch geprägte Partei
- Vereinigte Sozialistische Partei (VSP) – 1986 bis Mitte 1990er Jahre, ging aus der Vereinigung von KPD/ML mit der trotzkistischen Gruppe Internationaler Marxisten (GIM) hervor.
So sind sie denn alle - über kurz oder lang - im Nirvana verschwunden. Mit ihrer Auflösung verblasste auch die Bereitschaft der Studenten, sich überhaupt politisch zu betätigen. Make up statt Marx; Light food statt Lenin oder Eifersüchtelein statt Engels. Aber auch: Karriere statt Klassenkampf. Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen die Einstellung der angeblichen Intelligenz in diesem, unserem Lande. Eine völlige Entpolitisierung grasiert seit vielen Jahren. Die 68er sind müde und alt oder sitzen auf ihren pensionsberechtigten Posten in der Karriereleiter und warten auf das Dienstende. Die 70er-Generation mutierte von ehemaligen Latzhosenträger mit Kraut - und Rübenbart sowie langen Haaren zum versnobten Durchschnittsmichel mit eigenem Haus, einem Kind, einer Zweitfrau nebst Zweitwagen im Grünen. Dort, wo sie einst hingegangen sind, um gegen die AKWs, die Nachrüstung und den Polizeistaat zu demonstrieren.
Braucht die BRD tatsächlich eine KP? Hat dieser Staat eigentlich je eine benötigt? Oder waren die Bundesdeutschen überhaupt für eine kommunistische Partei offen? Wenn ich mir die laufende Entwicklung dieses Wirtschafts-und Gesellschaftssystems betrachte,das seit vielen Jahren ein Auseinanderdriften von Reich und Arm zu verantworten hat, so beantwortet sich eine derartige Frage fast von selbst: Die BRD braucht mehr denn je, eine starke KP.
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