" Wiese hält!"





Ich drehe das Rad meiner Lebensbiographie um 24 Jahre zurück. Wir schreiben 1985, ein Jahr nach dem Orwellśchen 1984. Die Welt befindet sich zwar immer noch im stetigen Wandel, dennoch gibt es klare Strukturen. Ost gegen West, Böse gegen Gut, Staat gegen Bürger und: HSV gegen Werder Bremen.

Es ist ein naß-kalter Apriltag des Jahres 1985, genauer gesagt, ein Mittwoch im April, Mittwoch, der 02. 04. Um 20.00 Uhr steht das Bundesligameisterschaftsspiel zwischen dem Hambuger Sportverein und dem SV Werder Bremen an. Im Volksparkstadion, das anlässlich der WM 1974 in Deutschland umgebaut und erweitert wurde, befinden sich mehr als 50.000 Zuschauer; davon bestimmt 8 - bis 10.000 Bremer Fans.
Der HSV wird von dem unvergessenen, dem Übertrainer Ernst Happel trainiert; der SVW von dem,um viele Jahre jüngeren Otto Rehhagel.

Zwei Jahre vorher, in der Saison 1982/1983 wäre der SVW beinnahe als Wiederaufsteiger zum ernsthaften Konkurrenten im Norden geworden und landete auf Platz 5 der Tabelle; nur 6 Punkte hinter dem HSV. In der Saison 1983/1984 wurde der SVW Vizemeister, punktgleich mit dem HSV. In der Spielzeit 1984/1985 hatten sich die Vorzeichen umgedreht: Der SVW wird Vizemeister, der HSV nur Fünfter. Trotz Happel und den vorherigen drei Meisterschaften mit Branko Zebec ( 1978/1979 ) und ihm.
Der SVW mutiert zum Bayern-Jäger Nummer 1; der HSV läuft jetzt nur noch hinterher.

Das Hinspiel hatte Hamburg im Bremer Weserstadion 2:5 verloren. Eine Bremer Gala gegen einen indisponierten norddeutschen Rivalen. Nach 90 Minuten schleiche ich mich, zusammen mit einigen tausend anderen enttäuschten SVW-Fans, und meinem damaligen Studienkollegen frustriert aus dem Stadion. Wir verlieren 2:0! Wir waren eigentlich die spielbestimmende Mannschaft! Wir waren jedoch nicht clever genug beim Ausnutzen der unzähligen Torchancen. Wir scheiterten an einem überragenden Torwart des HSV namens Uwe Hain. Hain holte eigentlich unhaltbare Schüsse von Uwe Reinders, Norbert Meier und Benno Möhlmann aus dem Tor. Hain war der Held des Abends.
Ein Tor erzielte Felix Magath mittels eines unhaltbaren Distanzschusses, der oben links im Winkel von Burdenskis Kasten einschlug. Magath, der Held gegen Juve, als der HSV den Europapokal der Landesmeister holte. Gegen Weltklassespieler, wie Platini,Boniek und weitere Stars.

Finale

Paarung Hamburger SV - Juventus Turin
Ergebnis 1:0 ( 1:0 )
Datum Mittwoch 25. Mai 1983
Stadion Athen ( Olympiastadion )
Zuschauer 73.500 ( ausverkauft )
Schiedsrichter Nicolae Rainea ( Rumänien )
Tore 1:0 Felix Magath ( 8. )
Hamburger SV Uli Stein - Holger Hieronymus - Manfred Kaltz, Ditmar Jakobs, Bernd Wehmeyer - Wolfgang Rolff, Jürgen Groh, Felix Magath, Jürgen Milewski - Horst Hrubesch (C), Lars Bastrup ( 56. Thomas von Heesen )

Trainer: Ernst Happel

Juventus Turin Dino Zoff (C) - Claudio Gentile, Gaetano Scirea, Sergio Brio, Antonio Cabrini - Massimo Bonini, Marco Tardelli, Michel Platini, Zbigniew Boniek - Roberto Bettega, Paolo Rossi ( 56. Domenico Marocchino )

Trainer: Giovanni Trapattoni

Gelbe Karten Wolfgang Rolff, Jürgen Groh - Massimo Bonini, Antonio Cabrini



Ich sehe das 1:0 von Felix Magath in der 8. Minute immer noch vor mir auf dem TV-Schirm. Er lief durch das Mittelfeld, wurde dabei nicht angegriffen und schoß aus ca. 25 Metern den Ball in das obere, linke Toreck, Der Ball hatte einen derartigen Effet, dass er für Zoff unhaltbar wurde. Klasse!

So ein klasse Tor machte er auch gegen uns, an jenem BL-Pflichtspiel vom 02. 04. 1985.

Auf der Rückfahrt von Hamburg nach Bremen, nachdem wir in einem persischen Restaurant in der hamburger Innenstadt noch gegessen hatten, merkte ich, dass meine zuvor noch nicht auskurierte Erkältung wieder durchschlug. Heiserkeit, Husten, Schnupfen. Die Nacht nach dem Spiel war eine Tortur, die Tage darauf waren es auch, denn es ging mir schlecht. Ich trank viel heiße Zitrone und legte mich früh schlafen. Der 02. April 1985 war aber in anderer Hinsicht für mich ein denkwürdiger Tag, denn ich wurde zum Nichtraucher!
Einige Tage, nachdem es mir etwas besser ging, verschenkte ich die Reste meines Tabaks sowie die Blättchen zum Selberdrehen von Zigaretten an eine im Wohnheim lebende Kommilitonin.

Die Niederlage meines SVW hatte somit eine gute Seite: Ich bekomme keine Raucherlunge, kein Karzinom und lebe wohl - statistisch betrachtet - länger als aktive Raucher.

Nun, die Jahre verflogen. Meine Leidenschaft Fußball erbrachte weitere, heute ungezählte Ereignisse, vorallem glanzvolle Siege des SVW. Die bitteren Niederlagen klammere ich einfach aus.

Fast ein Vierteljahrhundert nach dem 0:2 im Hamburger Volksparkstadion, dass irgendwann für viel Geld umgebaut und saniert wurde, zwischenzeitlich AOl-Arena und aktuell HSH-Arena heisst, standen sich der HSV und Werder Bremen zum DFB-Pokalhalbfinale am 22. April 2009 gegenüber.
Die Rollen in der laufenden Meisterschaft sind klar verteilt: Der HSV spielt oben mit, er kann sogar noch Deutscher Fußballmeister 2008/2009 werden, mein SVW liegt im grauen Niemandsland der Tabelle auf Platz 10.
Das BL-Hinspiel vor einigen Monaten ging auch verloren, mit 1:2. Das Siegtor schoß Ivica Olic, ein Sonntagsschuss, ein Tor der Woche, des Monats sogar!

Es ist 20.30 Uhr, als ich mich auf dem Weg mache, die Fernsehübertragung des Spiels vom ZDF zu verfolgen. Das verbale Vorspiel, geführt von den "Experten " Kerner/Kahn, das habe ich mir geschenkt, denn ausser " dumm Tüch " kommt nix dabei herüber. Es kommentiert Bela'Rethy, den ich längst als verkappten Bayern-Fan - wie so viele unter seinen Kollegen - geoutet habe. Zumindestens gehört er einer Kommentatorenfraktion an, die - wie einst Rolf Kramer ( Eijeijei!) oder Marcel Reif(der silbergraue,leicht verschnupfte Nervtöter) - im ZDF einst nur Hausmannskost kredenzten,wenn es um Fachvokabular bei der Berichterstattung oder bei Live-Reportagen ging.

So quälte sich der Bela'denn eher verhalten über die ersten Minuten. Das ZDF - mit dem man mit Sicherheit nie besser gesehen hat - ist unisono bei seiner Personaldecke im Bereich Sport/Fußball nicht gerade auf Rosen gebettet. Warum Rethy dennoch immer wieder kommentiert, wenn es um andere Vereine, als den favorisierten FCB geht, ist von daher nur verständlich.
Rethy lässt denn auch alsbald einige Informationen zu dem Bayern heraus: "Olic, der ja in der nächsten Saison zu den Bayern geht." Marcel Jansen, der Ex-Bayer " oder " Das Werder auswärts stark ist, haben sie ja beim 5:2 gegen die Bayern gezeigt!". Gähn! Gähn!Gähn!

Es fällt das 1:0 durch Per Mertesacker, der eine wunderbar geschossenen Freistoß von Diego, den Torwart Frank Rost nach Rückprall von dem Gebälk nur abklatscht, im Nachsetzen einnetzt. 1:0 für uns! Schade nur, dass in der Folgezeit die Feldüberlegenheit nicht in weitere Tore umgemünzt wird.

In der zweiten Halbzeit wird der HSV spielerisch stärker und bekommt einige Torchancen. Dann fällt das 1:1 durch eben jenen Ivica Olic, der seinen Torschuß,den Tim Wiese im Werder Tor nur abwehren kann, dann zurück erhält und verlängert. Die längst stillen 45.000 HSV-Fans toben. Alles ist wieder offen. Das Spiel beginnt von vorn.Kurz vor Schluß erhält der HSV noch eine gute Torchance,dann pfeift Schiedsrichter Weiner ab. Verlängerung.

In den beiden Spielzeiten der Verlängerung sieht es eher so aus, als würden keine der Mannschaften die Entscheidung durch eine absolute Offensive suchen. Das Spielgeschehen wogt hin und her. Es gibt noch eine Torchancen. Die Mehrzahl auf Seiten des HSV. Dann erfolgt der weitere Abpfiff des Spiels. Elfmeterschießen!
Ich habe längst den ZDF-Kommentar abgeschaltet und höre die Live-Reportage von Radio Bremen Eins. Die Reporter Henry Vogt und Heiko Neugebauer bringen mehr Emotionen herüber. Der Verlauf des Elfmeterschießen, der sich nüchtern so darstellt:

Mathijsen verwandelt für den HSV flach unten rechts. Pizarro gleicht aus - linker Innenpfosten, rein - 2:2. Boateng scheitert halbhoch links an Wiese, Özil trifft halbhoch links - 2:3. Olic versucht es halbhoch rechts, Wiese hält. Frings trifft: Unterkante Latte, der Ball geht rein - 2:4. Jansen peilt flach unten links an. Wiese ist am Ball, Werder im Finale.

wird von dem kongenialen Kommentatorenduo so geschildert:

http://www.radiobremen.de/mediathek/audio9682-popup.html

Wiese hält! Wiese hält! Wiese hält!

Werder-Herz, was gibtś noch schöneres an Fußballereignissen? Vielleicht nur jene, die dann auch noch so vom - vermeintlich - totgesagten Radio übertragen werden. Henry Vogt und Heiko Neugebauer, das war ein weiteres Glanzstück im Jahr 2009! " Wiese hält! ", er hält drei von vier geschossenen Elfmetern gegen den Erzrivalen HSV. Der 22. April 2009 war ein Freudentag, ein weiteres High-light in der Werder-Historie und ein Abend, an dem ich drei Mal die " Säge " machen durfte - vor Freude, fast 25 Jahre später eine Genugtuung, nach dem 0:2 im Volksparkstadion, dass mir so oder so in guter Erinnerung bleibt.

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