Marienkäfer,Maikäfer,Kartoffelkäfer - Wenn aus possierlichen Tierchen ein Schmäh - und Schimpfwort wird.
In der eigenen Welt der Kinder gibt es unzählige Figuren,Gestalten und Tiere, die ihre Funktion je nach der an sie gestellten Aufgabe erfüllen sollen. In vielen Märchen haben aber auch Tiere - oft mit menschlichem Antlitz - jene gestalterischen Fähigkeiten entwickelt, um Gut und Böse von einander zu trennen. Eine weitere Sonderbarkeit besteht dann darin, dass sich jene Tier in Menschen oder umgekehrt verwandeln können.
Nun, das reale Leben kennt allerdings auch eine Menge Begriffe in unserem Wortschatz, mit denen Tiere zum synonym für menschliche Schwächen, Verhaltensweisen oder Charaktereigenschaften herhalten müssen. So mutiert denn das Haustier sehr oft zum Titel für derartige, dann unbeliebte Mitmenschen. Ob nun au, Schwein oder Ferkel, Esel, Kamel oder Affe, Ziege, Schlange oder Hund, sie alle werden - zwecks Steigerung des eigenen Abscheus oder Bekundung der Verachtung - mittels Adjektiv zur Begrifflichkeit umfunktioniert.
Eine milde Form von Abscheu, Hass oder Verachtung lieferten kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs bestimmte Käferarten. Jene durchaus possierlichen Tierchen, die dem ästhetischen Normen der damaligen Gesellschaft zwar entsprachen, jedoch im Zusammenhang mit einer Entwicklung aus den ersten Nachkriegsjahren, dann als Schimpfwort umfunktioniert wurden. Da kam dem Marienkäfer die Aufgabe zu ein an Pocken erkranktes Kind zu stigmatisieren, wenn es hieß: " Der/Die sieht aus, wie ein Pünktchenkäfer. ". Der Maikäfer wiederum gilt als Schädling und wurde in großen Teilen Europas fast ausgerottet. In einem Lied aus dem 30 jährigen Krieg wird wohl auch deshalb gesungen:
Im damaligen Niedersachsen lautete der Text:
Maikäfer flieg!
Der Vater ist im Krieg,
Die Mutter ist im Pommerland,
Und Pommerland ist abgebrannt.
Maikäfer flieg!
Im damaligen Hessen lautete der Text:
Maikäfer flieg,
Der Vater ist im Krieg,
Die Mutter ist im Pulverland,
Und Pulverland ist abgebrannt.
Maikäfer flieg!
Im Dritten Reich gab es eine weitere Version, in der der Maikäfer, durch "Mariechenkäfer" ersetzt wurde. Hier lautete der Text:
Dein Vater ist im Krieg,
Deine Mutter ist im Pommernland,
Und Pommernland ist abgebrannt.
Ein besonders gehasster Käfer war allerdings der Kartoffelkäfer. Dieser, einst über die USA, eingeschleppter Schädling vernichtete vor, während und auch nach den beiden Weltkriegen in einigen Regionen Europas große Teile der Kartoffelbestände, was dann zu Hungersnöten, Mangelversorgung und auch Unruhen führen konnte. Der Kartoffelkäfer war deshalb als Symbol für Vernichtung, Hunger und Tod zu sehen. Erst nach den Endevierziger und Fünfziger Jahren gelang es durch chemische Gifte die wieder kehrenden Kartoffelkäferplagen in den Griff zu bekommen. Dieser Schädling spielt deshalb in der heutigen industrielle geprägten Landwirtschaft keine Rolle mehr.
Wer in den unmittelbaren Nachkriegsjahren, den Hungerzeiten und der riesigen Flüchtlingstrecks als " Kartoffelkäfer tituliert wurde, der war somit ein Schädling, eine unerwünschte Person, die im eigenen Umfeld nur Schaden anrichtet. Jenes Vorurteil mussten sich die Millionen Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten, vom Sudetenland, Pommern über Schlesien anhören, wenn sie in den Elendszügen in Richtung der west-alliierten Besatzungszonen flohen, dort entweder in Notaufnahmelagern Zwischenstopp einlegen durften oder gleich zwangseinquartiert worden sind.
Aus jener Zeit spielt der Fernsehfilm " Ein Dorf schweigt " aus dem Jahr 2009. Unter der Regie von Martin Enlen spielt Katharina Böhm eine heimatvertrieben Mutter mit drei Kindern aus Schlesien, Uwe Kockisch einen einen Pfarrer, dessen Sohn noch kurz vor der Kapitulation wegen Desertation erschossen wird und Inka Friedrich eine Frau, die als Schwester des Bürgermeisters eines Kaffs in Hessen, es ertragen muss, dass die Flüchtlingsfamilie bei ihr einquartiert wird.
Gleich die ersten Szenen jener Tage, Wochen und Monate des Sommers 1945 sind dramatisch. Eine Kinderschar aus dem hessischen Dorf läuft einen Hang herunter, um den klapperigen LKW auf dem sich die Flüchtlinge befinden mit Steinen und Erdklumpen zu bewerfen, wobei sie pöbelnd skandieren: " Kartoffelkäfer, Kartoffelkäfer haut ab!"
Erst als der Fahrer den Wagen anhält und zusammen mit dem älteren Sohn der Flüchtlingsmutter Johanna die Kinder vertreibt, können sie die Weiterfahrt starten. Kurz darauf explodiert ein Blindgänger auf dem Feld, dass die Kindergruppe laufend überqueren wollte. Sechs Kinder werden dabei in Stücke zerissen. Unmittelbar nach der Explosion fragt der jüngste Sohn von Johanna: Mama, ist noch Krieg? ". Diese antwortet beruhigend. " Nein, mein Junge, der Krieg ist jetzt vorbei. "
Die Fahrt wird fort gesetzt und endet in einem armseligen, einem trostlosen, herunter gekommenen Dorf irgendwo in einem hessischen Dorf. Die Flüchtlinge sind hier nicht willkommen. Schon bei ihrem Eintreffen wird ihnen der offene Hass der Einheimischen zuteil. Der Pfarrer weigert sich, die Familie von Johanna auf zu nehmen. Der Bürgermeister ordnet darauf hin an, dass sie bei dessen Schwester in einem Haus unter kommen sollen. Auch die ist feindselig gegenüber den Flüchtlingen eingestimmt. Johanna aber ist eine starke Frau, die auch gegen die Vorurteile, den Hass und die Intoleranz kämpft.
Im Verlaufe der Handlung kommen dann jene authentischen Begebenheiten zum Tragen, wie sie sich in sämtlichen Besatzungszone tagtäglich abspielten. Hunger, Elend, Einzelschicksale, Kriegswirren, Hass, Raffgier, Eifersucht, Ohnmacht, Wut.
Schon bald freundet sich Johanna mit dem inzwischen aus der Kriegsgefangenschaft zurück gekommenen Mann ihrer Wirtin an. Der nimmt kein Blatt vom Mund und redet Klartext über den Krieg. Über jene, die das Mörderegime unterstützt haben. Jene, die kurz vor Kriegsende ihre Uniformen, ihre Parteibücher, ihre verräterischen Dokumente verbrannten, um sich als Widerstandskämpfer bei den Besatzungsmächten anzubiedern, obwohl sie ihre braune Gesinnung noch weiter mit sich herum trugen. Es sind jene miesen Charakter, die ihre Fahne in den Wind hingen, um sich selbst zu retten, ihre Vorteile danach zu ziehen und später wieder - längst in Amt und Würden - der faschistischen Grundeinstellung weiter frönen zu können.
Der Film ist ein Abbild aus jener Zeit, die dann noch ein Vierteljahrhundert fort geführt wurde. Der Nationalsozialismus mit samt seinen Menschen verachteten Grundfesten, er lebte auch nach 1945, nach 1949 und nach 1966 fort. Wenn beispielsweise auf der Grünen Woche in Berlin der ehemalige Landwirtschaftsminister des Adenauer-Kabinetts von " Gauen, treusorgenden Mädels und den deutschen Mann und seiner Familie in deutschen Tugenden bekochenden Hausfrauen " phrasierte, dann war das immer noch Faschismus. Dieses Gedankengut ist bei Millionen in den Nachkriegsjahren wie Gift im Hirn eingetrichtert geblieben.
Dieser Film will aber nicht belehrend wirken, er will auch nicht mit dem Finger auf die Mütter und Väter der Kriegs - und Nachkriegsgenerationen zeigen, die ebenfalls in einem faschistischen Land erzogen, ausgebildet und zur Ordnung gerufen wurden. Er zeigt viel mehr, dass die Kartoffelkäfer von einst, eben jene Deutschen waren, die in den Nachkriegsjahren mit geholfen haben, aus dem durch eigenes Verschulden zerstörte Land, einen anderen Staat zu formen.
Eine schauspielerische Leistung der Extraklasse liefern Katharina Böhm und Uwe Kokisch ab. Die weiteren Rollen werden ebenso stark, ja charaktervoll gespielt. Kein Sensationsgeplärre, wie es von der Ferres in ihren angeblich dramaturgisch hoch wertigen Filmen abgeliefert wird. Hier spielen oft die leisen Töne die entscheidende Rolle.
Ein starkes Stück Vergangenheitsaufarbeitung eben!
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