Peter Rühmkorf: Ein Poet, Pamphletist und kritischer Essayist.




Transferred from de.wikipedia
(Original text : selbst fotografiert)



In einigen Tagen jährt sich der Todestag von Peter Rühmkorf zum 3. Mal.
Seine Werke indes sind nur einer intellektuellen Minderheit bekannt gewesen.
Seine Gedichte lesen sich so:


Hochseilakt

Wir turnen in höchsten Höhen herum...
Wir turnen in höchsten Höhen herum,
selbstredend und selbstreimend,
von einem I n d i v i d u u m
aus nichts als Worten träumend.

Was uns bewegt - warum? wozu? -
den Teppich zu verlassen?
Ein nie erforschtes Who-is-who
im Sturzflug zu erfassen.
Wer von so hoch zu Boden blickt,
der sieht nur Verarmtes / Verirrtes.

Ich sage: wer Lyrik schreibt, ist verrückt,
wer sie für wahr nimmt, wird es.
Ich spiel mit meinem Astralleib Klavier,
v i e r f ü ß i g - vierzigzehig -
Ganz unten am Boden gelten wir
für nicht mehr ganz zurechnungsfähig.

Die Loreley entblößt ihr Haar
am umgekippten Rheine ...
Ich schwebe graziös in Lebensgefahr
grad zwischen Freund Hein und Freund Heine.


Aber gerade, weil Peter Rühmkorf  eher einer intellektuellen Minderheit bekannt war; wenngleich deshalb hier nicht unumstritten, konnte er jenen künstlerischen Freiraum nutzen, um zu experimentieren:


http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_R%C3%BChmkorf


Als er vor 25 Jahren seine Schallplatte mit dem Titel " Kein Apolloprogramm für Lyrik " veröffentlichte, standen ihm einst Michael Naura (Klavier), Wolfgang Schlüter (Vibraphon) und Eberhard Weber(Bass) zur Seite. Drei Jazz-Größen,  die in der nochbewegten Zeit der 70er Jahre sich einen Namen in der - ansich elitären - Randszene gemacht hatten. Jazz, das war für mich musikalisch betrachtet, eher ein Nebenprodukt. Zu sehr verwoben sich damals die experimentellen Elemente dieser Musikrichtung mit (hörbarer) Jazzmusik im klassischen Sinne. Nicht Dixie, nicht Swing, sondern Jazz-Rock war eher mein Geschmack.
Nun, gut, darüber lässt sich bekanntlich streiten.

Als ich eines Abends von einem Kneipenbesuch gelangweilt nach Hause kam, den Schlaf nicht finden konnte, stahl ich mich leise in das Wohnzimmer meiner Eltern und machte dort die "Telefunken"-Glotze an. Wie so oft war das Abendprogramm öde. Ein Blick in die Fernsehzeitung sagte mir, dass nach 23.00 Uhr auf NDR III eine Aufzeichnung aus dem dortigen Jazz-Studio mit dem nichts sagenden Titel " Ich spiel mit meinen Astralleib Klavier " kommen sollte. Eine Jazz & Lyrik - Fusion eben mit Peter Rühmkorf und jenen drei Musikern.

Naura war längst zum Jazz-Guru im Norden aufgestiegen. Er hatte sich gegen die gesamte verkrustete und verspießte Programmfunktionärswelt durch gesetzt und im Rundfunk sowie im Fernsehen einige Sendungen durch gedrückt, in denen eben Jazz-Koryhäen, wie Albert Mangelsdorff, Keith Jarrett oder Klaus Doldinger, aber auch junge, unbekannte Musiker auftraten. Jazz war zwar damit immer noch der Musikgeschmack einer Minorität innerhalb einer Minorität von Nicht-Schlager- und Anti-Volksmusikanhängern, dennoch behielt die verschwindend kleine Gemeinde den Kopf über viele Jahre oben - dank Michael Naura!

Da saßen und standen sie nun, zur - für den Durchschnittsmichel von einst - Nacht schlafender Zeit und spulten ihre Titel herunter. Das Programm enthielt eben auch jenes Stück, dass ich nun nach 25 Jahren im Netz wieder gefunden habe: " Hochseilakt ".

Und auch das vertonte Gedicht von Peter Rühmkorf mit dem Titel " Elegie ".


Elegie

Gruß aus Köln - die bleiche Trauerkarte,
die am Rand noch grad die Fassung wahrt,
würde- und bedeutungsvoll:
ah-was-soll
all das dämliche Getanke und Gestarte
für das bißchen Fahrt?

Staub zu Staub und Schaum zu Schaum:
Diese Knöchel oft umschlossen,
dieser Hintern tief geliebt,
haltlos durch ein Totenhemd gesiebt,
ausgeflossen
in den sterneleeren Kofferraum.

Efeu schleppt sich lautlos durch die Jahre;
immergrün und unbegrenzt
deckt er diesen früh entschlafnen Schoß;
knochenlos
trete ich vor deine Abendbahre,
zart wie ein Gespenst.

Hark ich dir die Erde vom Gesicht,
laß die Blumen von den Ketten
- himmelstrebend, hochgehanft -
Dich in mein entfliehendes Gedicht
u m z u b e t t e n
(Ruhe sanft!)
Da ist Silber - da ist Gold - ist Licht.

Hallo Oktoberwind,



Weiterhin finden sich auf der LP:



A1Tagebuch (Music: "Sad Queen")
Composed By – M. Naura*
7:25
A2Undine / Jetzt Mittem Im Klaren (Music: "Undine")
Composed By – E. Weber*, M. Naura*, W. Schlüter*
5:40
A3Einen Zweiten Weg Ums Gehirn Rum 2:20
A4Hochseil
Composed By – M. Naura*, W. Schlüter*
1:13
A5Zirkus
Composed By – E. Weber*, M. Naura*
2:58
B1
Ständchen Für Marsyas

         Composed By – M. Naura*
1:57
B2

Kein Apolloprogramm Für Lyrik
5:30
B3
Mein Stelle Am Himmel (Music: "Pour Catherine")

         Composed By – M. Naura*
6:09
B4Von Mir Zu Euch Für Uns
Composed By – M. Naura*
1:24
B5Cicerone
Composed By – M. Naura*
2:01
B6Elegie
Composed By – M. Naura*
2:10
B7Komm Raus!
Composed By – E. Weber*, M. Naura*, W. Schlüter*


Peter Rühmkorf hat aber viele weitere Gedichte geschrieben, Hierzu gehört auch:


Bleib erschütterbar und widerstehn


Bleib erschütterbar und widersteh
"Also heut: zum Ersten, Zweiten, Letzten:
Allen Durchgedrehten, Umgehetzten,
was ich, kaum erhoben, wanken seh,
gestern an und morgen abgeschaltet:
Eh dein Kopf zum Totenkopf erkaltet:
Bleib erschütterbar - doch widersteh!

Die uns Erde, Wasser, Luft versauen
- Fortschritt marsch! Mit Gas und Gottvertrauen -
Ehe sie dich eingemeinden, eh
du im Strudel bist und schon im Solde,
wartend, dass die Kotze sich vergolde:
Bleib erschütterbar - doch widersteh!

Schön, wie sich die Sterblichen berühren -
Knüppel zielen schon auf Hirn und Nieren,
dass der Liebe gleich der Mut vergeh . . .
Wer geduckt steht, will auch andre biegen.
(Sorgen brauchst du dir nicht selber zuzufügen;
alles, was befürchtet wird, wird wahr!)
Bleib erschütterbar.
Bleib erschütterbar - doch widersteh!

Widersteht! Im Siegen Ungeübte,
zwischen Scylla hier und dort Charybde
schwankt der Wechselkurs der Odyssee . . .
Finsternis kommt reichlich nachgeflossen;
Aber du mit - such sie dir! - Genossen!
teilst das Dunkel, und es teilt sich die Gefahr,
leicht und jäh - - -


Bleib erschütterbar!
Bleib erschütterbar - doch widersteh!"
 

Peter Rühmkorf war sich aber auch nicht zu schade, einige Klassiker der deutschen Dichtkunst vorzutragen. So nahm er sich einige Jahre danach  des "Abendlieds " von Matthias Claudius an und nannte sein Stück nun  Variationen auf " Abendlied " von Matthias Claudius:


Der Mond ist aufgegangen.  
Ich, zwischen Hoff- und Hangen
rühr an den Himmel nicht.
Was Jagen oder Yoga?
Ich zieh die Tintentoga
des Abends vor mein Angesicht.

Die Sterne rücken dichter, nachtschaffenes Gelichter.
wie's um die Wette äfft -
So will ich sing- und gleißen
und Narr vor allen heißen,
eh mir der Herr die Zunge refft.

Laßt mir den Mond dort stehen.
Was lüstet es Antäen
und regt das Flügelklein?
Ich habe gute Weile,
der Platz auf meinem Seile
wird immer uneinnehmbar sein.

Herr, laß mich dein Reich scheuen!
Wer salzt mir dort den Maien?
Wer sämt die Freuden an?
Wer rückt mein Luderbette
an vorgewärmte Stätte,
da ich in Frieden scheitern kann?

Oh Himmel, unberufen,
wenn Mond auf goldenem Hufe
über die Erde springt -
Was Hunde hochgegtrieben?
So legt euch denn, ihr Lieben
und schürt, was euch ein Feuer dünkt.

Wollt endlich, sonder Sträuben,
still linkskant liegen bleiben
wo euch kein Scherz mehr trifft.
Müde des oft Gesehenen,
gönnt euch ein reines Gähnen
und nehmt getrost vom Abendgift."
Frommer Wunsch

"Wünsch mir im Himmel einen Platz
(auch wenn die Balken brächen)
bei Bellmann, Benn und Ringelnatz
und wünschte, dass sie e i n e n Satz
in e i n e m Atem sprächen:
nimm Platz!"


Nie war Peter Rühmkorf mit der Analyse der gesellschaftlichen Zwänge von damals so aktuell, wie heute:


http://gototango.de/Joomla/index.php?option=com_content&view=article&id=223&Itemid=81


Wutbürger! Beschnüffelte Bundesbürger! Geknechtete Weltbürger!
Wie Peter Rühmkorf  bereits in " Bleib erschütterbar und widerstehn " seine Sicht der politischen Dinge erdichtet, hat er mit "Tagelied" eine Momentaufnahme bundesdeutsche Gesellschaftswirklichkeit zusammen gefasst:

Tagelied


An springt der Sommer –: mitten durch den Reifen,
– noch einmal trägt mein Glück –
Verweile doch und laß dich auch begreifen,
mein Pfauen-Augen-Blick –
Es ist das Stundenglas nicht umzukehren
und was die Parze spinnt . . .
Das Leben, das wir beide so verehren,
e s  r a s t  –  e s   r i n n t .

Es traut kein Bürger, segnet uns kein Paster,
kein Sozi stimmt mit ein.
Es muß, mein Kind, nicht immer gleich das Laster,
es kann auch Liebe sein.
Denn was sich liebt, das spottet der Erfahrung,
und was sich fesselt, gibt sich aus der Hand.
Dein Arsch hängt über mir wie eine Offenbarung:
gesammelt – und entspannt.

Verdammter Morgen, bleiche Abschiedsstunde,
wenn uns der Schweiß gefriert.
Dein Finger paßt so schön in meine Wunde,
faß rein, daß sie sich spürt.
Und Biß um Biß sich aneinanderreibend
machen der Seele die Gestalt bewußt.
Scharf wie Makrelen, Plankton seihend,
schlürfen wir uns die Seufzer aus der Brust.

Die Nacht ist hin, die Dinge sind so sausend
(Ein Kuß noch draufgepappt)
Eh uns der schwarze Müllmann 1 : 100 000
im Acheron verklappt . . .
Ein Blutsturz, gut, so steigt er, so verstrullt er;
Schmerzböen, Tränenschauer, immer hinterher!
Das nimmt das Wasser alles auf die leichte Schulter;
das trägt die Flut ins Meer –

© Rowohlt Verlag

Am 8. Juni 2008 verstarb Peter Rühmkorf in seiner Wahlheimat Schleswig-Holstein, in Roseburg, Kreis Herzogtum Lauenburg. Er wäre dieses Jahr 82 geworden. Der Krebs hat Peter Rümkorf zuvor besiegt. Sein Nachlass in Form von kritischer Lyrik und weiteren künstlerischen Schriftwerken bleibt jedoch für immer - unbesiegt - der Nachwelt erhalten.

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