Warszawa sterben sehen?



                                                                                        Bild "Warschau-Polen-Wolkenkratzer-Skyline" von bilder.n3po.com

Wer als wahrer Kosmopolit in den Kontinenten, den Staaten und Städten dieser Welt sich eher zuhause fühlt, als in  Kleinkleckersdorf, kommt nicht drumherum, bei der Nennung der wichtigsten Metropolen in Europa die polnische Hauptstadt Warschau (Warszawa) zu nennen, auch wenn diese sich bei der Auflistung der - meist geschätzten - Einwohnerzahlen sich nur auf Platz 194 wieder findet. Warschau zählt dennoch zu den so genannten Weltstädten. Nicht zu Unrecht ist die 1,7 Millionen Bewohner zählende Hauptstadt darauf ein wenig stolz. Das könnte sie auch eigentlich sein. Schließlich haben sich dort im Verlaufe ihrer Geschichte namhafte Persönlichkeiten aufgehalten. Die Historie von Warschau liest sich so:

http://de.wikipedia.org/wiki/Warschau#Das_nicht_wiederaufgebaute_Warschau

Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staats - und Gesellschaftsordnung, der de facto mit der von Lech Walesa ins Leben gerufenen Gewerkschaft Solidarnosc begann, versuchte sich Polens Hauptstadt in der Freien Marktwirtschaft und dem Entfachen des Turbokapitalismus östlicher Prägung. Die viel gefürchtete " Polnische (Miß)Wirtschaft" sollte beiseite gelegt werden. Deshalb entstanden überall in der Metropole diverse Vorzeige - und Prunkbauten, die von Profit orientierten und Rendite geilen Investoren aus dem Warschauer Boden gestampft wurden. Diese Präsentationsgebäude bestimmen inzwischen das Stadtbild. Sie prägen die ungezählten, wunderbar anzusehenden Fotos, Bilder in Hochglanzbroschüren und Cover der Bücher über Polens Hauptstadt. Wer als Tourist die Innenstadt von Warschau besichtigen möchte, bekommt - wie woanders auch - natürlich nur die Rosinen der Nachwende-Ära in Warschau zu Gesicht.

Die bittere Realität wird hier ausgeblendet. Von Bruchbuden mit schiefen Fenstern, morschen Holzfußböden und undichten Dächern bekommt der Besucher offiziell nichts zu sehen. warum auch? Schließlich schaden solche Anblicke dem Image, dass - etwas weniger als ein Jahr vor der Eröffnung der Fußball-Europameisterschaft - natürlich aufpoliert werden muss. Deshalb putzt sich Warschau immer noch heraus. Der Grundsatz heißt auch hier: " Business as usual "!

Jenseits der vielen Hotels und modernen Vorzeigebauten bietet sich dem Gast ein trostloses Bild. Herunter gekommene Gebäude aus den Genre der sozialistischen Architektur so weit das Auge des Touristen sehen kann, finden sich in vielen Straßenzügen abseits der Magistralen. Schlimmste Nachkriegsarchitektur und zerlumpt herum laufende Bewohner, deren ärmliche Bekleidung sofort Aufschluss auf deren Herkunft und Sozialisation geben. Da tränen dem Gast förmlich die Augen, wenn er die kapitalistische Realität im Jahre22 nach der Proklamation der III. Republik qua Verfassungsänderung, 16 nach Beitritt zur NATO und 7 nach Eintritt in die EU.

Der überall sichtbare Notstand zeigt sich insbesondere bei den Wohnungen und alten Gebäuden. In einem Artikel steht deshalb geschrieben:

" In Warschau sind nur rund 14 Prozent der Wohnungen in kommunalem Besitz.

In Praga gehören aber noch fast 30 Prozent des Bestands der Stadt. Alle kommunalen Grundstücke könnten jedoch von einem Restitutionsanspruch betroffen werden. »Mit der Europameisterschaft wird die Reprivatisierung in Praga sicher schneller gehen«, glaubt Gawlikowski. »Da wir hier nah am neuen Stadion sind, wollen viele Privatbesitzer die Häuser in Hotels umwandeln.«
Nach dem Ende des Sozialismus fing die Stadt Warschau an, das nach 1945 verstaatlichte Gelände seinen ehemaligen Besitzern oder deren Nachkommen zurückzugeben. Der Prozess wird aber von keinem allgemeingültigen Gesetz geregelt.
»Es handelt sich um eine wilde Reprivatisierung«, sagt der Stadtsoziologe Bohdan Jałowiecki vom Forschungsinstitut Euroreg. »Mit guten Beziehungen zu den Leuten, die die Entscheidungen treffen, bekommt man leicht das Eigentum zurück. Sonst ist es schwierig. Der Zweite Weltkrieg hat die sozialen Strukturen in Warschau gründlich verändert, die Anspruchsberechtigten sind oft nicht die direkten Nachfahren der ehemaligen Besitzer«, fügt der Architekt und Kulturaktivist Grzegorz Piatek hinzu. »Warschau hat durch den Krieg rund die Hälfte seiner Bevölkerung verloren. Hier werden also viele Ansprüche mit dem Ziel eines Verkaufs gestellt. Sie wollen nicht in die Häuser zurückkommen, wie es in Krakow zum Beispiel oft der Fall ist.« Besitzurkunden und Erbscheine werden manchmal gekauft. »Ein Mann kam zum Beispiel zu uns, weil er einen Erbschein für 50 Zlotys verkauft hatte«, erzählt Gawlikowski. »Er wusste wohl nicht, wie viel er wert war.« Die neuen Eigentümer wollten oft so schnell wie möglich das Haus weiterverkaufen und versuchten, die Mieter loszuwerden. »Sie stellen zum Beispiel das Wasser ab«, berichtet er. Manche Mieter wehren sich, sie bezahlen die höhere Miete nicht und gehen vor Gericht.
Sind das Gelände und das Haus erst einmal privatisiert, steigen die Mieten. Für eine Kommunalwohnung beläuft sich die Miete auf rund 1,50 Euro pro Quadratmeter. »Nach der Privatisierung kann sie auf 4,25 Euro pro Quadratmeter steigen«, sagt Gawlikowski. »Dann hat der Vermieter das Recht, die Miete alle sechs Monate zu erhöhen.«
»In Warschau mangelt es immer an Wohnungen. Auf der anderen Seite stehen viele Wohnungen leer, weil sie zu teuer sind«, sagt Jałowiecki. 2010 wurden zwar mehr als 10 000 neue Wohnungen gebaut. 90 Prozent davon wurden aber von privaten Baufirmen errichtet. Weniger als 30 Prozent der Warschauer können sich solche Wohnungen leisten. Die Anzahl der Genossenschaftswohnungen geht immer stärker zurück. Die Zahl der neuen Kommunalwohnungen erreicht in ganz Polen nicht einmal 2000. Zwischen 1995 und 2007 hat die Stadt Warschau insgesamt nur 1150 neue Kommunalwohnungen errichtet.
In einem Hof in der Nähe des großen Einkaufszentrums Pragas weist ein Gebäude einen so schlechten baulichen Zustand auf, dass viele Fenster verrammelt sind. Direkt daneben sind aber andere Fenster mit Blumen dekoriert. Ein paar Schritte weiter, auf der Inzynierska-Straße, steht ein neues Haus neben einem verfallenen Gebäude. In Praga stößt man oft auf solche Kontraste. Vor sechs Jahren haben die Stadt Warschau und das Bezirksamt ein »Revitalisierungsprogramm« entworfen. Die Zabkowska-Straße steht im Mittelpunkt des Projekts. Hier haben schon einige Cafés und neue kleine Boutiquen eröffnet. An der Nummer 27/31 taucht ein kleiner Turm aus roten Steinen auf.
Dahinter erstreckt sich ein fast 48 000 Quadratmeter großes Gelände. Bis vor drei Jahren wurde hier noch Wodka produziert. Jetzt stehen die meisten Gebäude in dem riesigen Komplex leer. In einem kleinen Haus hat Janucz Owsiany sein Büro. Er wurde vor zehn Jahren von dem staatlichen Fabrikbetreiber Koneser als Designer eingestellt. Ursprünglich sollte er neue Luxusflaschen für polnische Wodkamarken wie »Belvedere« und »Chopin« entwerfen. Danach bekam er aber den Auftrag, ein »Nachnutzungsprogramm« für das schon zu 80 Prozent leerstehende Gelände der ehemaligen Wodkafabrik zu planen. »Der Betreiber wollte ursprünglich so etwas wie ein Wodka-Museum auf dem Gelände errichten«, erzählt Owsiany. »Nach einem Besuch in Berlin hatte ich die Vorstellung, dass hier auch eine Art Kulturbrauerei wie in Prenzlauer Berg entstehen könnte.« Die ersten Galerien wurden eröffnet, als die Wodkaproduktion noch nicht eingestellt worden war. Als die Geschäfte aber zu schlecht liefen, wurde kein Wodka mehr hergestellt. Owsiany blieb da, »wie ein Stück Geschichte«, wie er lächelnd sagt. Heute leitet der Designer den Kulturverein Monopol, der sich für die »Aufwertung« Pragas einsetzt.
Von dem Projekt einer Kulturbrauerei nach dem Berliner Vorbild ist nicht viel übrig geblieben. Die Investoren Juvenes und BBI Development kauften im Jahr 2006 das Gelände und planen dort den Bau eines multifunktionalen Komplexes mit Wohnungen, Hotels, Büros, Geschäften, Restaurants und Kultureinrichtungen. Ein Raum, der über die Geschichte der Wodkafabrik informieren soll, ist auch geplant. Der von Owsiany geleitete Kulturverein darf auf dem Gelände bleiben. »Die Investoren erlaubten uns, hier auch ein Theater zu errichten.« Dieses Jahr hat sich Owsiany dazu entschlossen, aus finanziellen Gründen sein Projekt auf dem Gelände aufzugeben. Die Galerien, die bereits dort eröffnet haben, dürfen auch bleiben, weil sie in den historischen Gebäuden des Geländes untergebraucht sind und keine so hohe Miete zahlen müssen. Der Designer Stefan Kornatowski zahlt für seine Galerie zum Beispiel rund 150 Euro pro Monat. »Aber ohne Heizung wird es im Winter schwierig«, sagt Owsiany.
Mit seinem Team versucht er auch, ein touristisches Programm für Praga vorzubereiten. »Das Wodka-Museum wäre nur ein kleiner Teil davon«, sagt er. »Vor dem Krieg wohnten in Praga viele Juden. Es blieben hier noch viele Spuren von dieser Vergangenheit und von ihrem früheren alltäglichen Leben. Nach 1945 ließen sich hier die Ärmsten nieder. Alles ist zu Bruch gegangen, weil sich niemand, weder die Einwohner noch der Staat, um die Gebäude kümmerte.« Ein Museum über Praga ist schon in Bau in der Tagowa-Straße, genau vor der Tramhaltestelle. 2012 soll es fertig sein, bislang sind jedoch nur vier Mauern zu sehen. »Es wird das erste Museum auf dieser Seite der Weichsel sein«, sagt Owsiany. Er weiß aber, dass Touristen, Künstler und Galeriebesucher die soziale Lage der Einwohner Pragas allein nicht verbessern können. Sein Verein führt auch Ausbildungsprogramme durch, mit der Europameisterschaft als Perspektive: zum Beispiel einen Workshop für Frauen, um »Bed and Breakfast« für die Besucher anzubieten, oder um traditionelles Handwerk wie Keramik zu produzieren.
»Diese EM stellt wirklich eine Chance für den Bezirk dar«, meint Owsiany. »Wenn der Staat hier Millionen abpumpt, wird er sich danach mehr um Praga kümmern, einfach weil er die Kosten rentabel machen muss. Die EM wird zwar schnell vorüber sein. Aber danach müssen der Staat und die Stadtverwaltung etwas für die Zukunft des Bezirks machen, sonst wird das Stadion selbst auch bald zu einer Ruine werden.« "

- Zitatende -  aus: 
http://jungle-world.com/artikel/2011/19/43173.html

Weil seit vielen Jahren die Wohnungspolitik der polnischen regierung Lichtjahre an den realen Gegebenheiten vorbei geht, hat die Landesmetropole einen zweifelhaften Ruf als " Hauptstadt der Obdachlosigkeit " erhalten hat. Wer sich jenseits der Vorzeigegebäude die sonstigen Wohnbedingungen sieht, der kann sich selbst eine eigene Meinung hierzu bilden:

http://gentrificationblog.wordpress.com/2009/06/24/warschau-proteste-gegen-die-hauptstadt-der-obdachlosigkeit/

Neben dem Verfall der Wohnhäuser steht für den Besucher auch ein von Kratern übersäter Gehsteig, der nahtlos in die ebenso aussehenden Straßen übergeht zur Verfügung. Hier muss der Nutzer höllisch darauf achten, dass er sich nicht die Knochen bricht. Da wäre es sinnvoller, eines der relativ billigen Taxis zu nehmen, die an sämtlichen Straßenzügen und Ecken auf Fahrgäste warten und deren Fahrer - oft längst über die Verrentungsgrenze - ihre kärglichen Einkünfte durch Schichtarbeit aufbessern müssen.

Warschau gibt sich in der Eigenwerbung selbst den Titel einer jungen, einer modernen Hauptstadt, die aufstrebend, den Anschluss an die europäischen Standards sucht.
Zumindest bei der Kreativität der Hotelpreise für Touristen und andere Besucher, gibt sich die Übernachtungswirtschaft alle ersichtliche Mühe, die europäische Spitze schnell zu erreichen, denn anders kann die Tatsache, dass während einer EEN-Tagung in der letzten Septemberwoche, die Übernachtungspreise flugs verdoppelt wurden, um ordentlich Euro-Umsätze zu fahren.  

Kommentare

Octapolis hat gesagt…
Warschau hab ich noch nie gesehen, da muss ich auch noch nicht sterben, hehe...

Waren aber vor einiger Zeit in Krakau, das war wirklich sehr schön, sehenswert, kulturbeladen und rundrum empfehlenswert!

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