Was macht eine Schnecke im Nussbaum?




Während die Nachrichtenindustrie sich mit dem Tod des "Apple"-Mitbegründers Steve Jobs ausgiebig befasst und dabei - so wie das ZDF-Mittagsmagazin durch die USA- Anhängerin und Berufsjublerin Conrad - dessen Ableben mit dem eines Königs gleich stellt, musste ich mich derweilen den profaneren Dingen des Lebens widmen. Der Nussbaum im Garten bereitete mir wieder einmal Sorgen. Er hatte sich nach einem Beschnitt im letzten Jahr durch den regenreichen Juli und August derartig vergrößert, dass er nunmehr an der Hauswand, dem dortigen Goldregen und der Regenrinne seine Äste, Zweige und Blätter zeigte.
Also: Ab damit!

So erklomm ich die 6m-Aluleiter und schob mich in die Krone des Baumes, um hier mittels Astschere, Baum - und Handsäge zu wüten. Ritsche-ratsche mit Gekratze fielen Äste, Zweige und auch Blätter, denn ich warte nicht auf das Schlechtwetter.
Rein poetisch betrachtet, ist ein arbeitsintensiver Garten, dennoch die reine Quell´ bei der Umsetzung des menschlichen Bestrebens, eine Balance zwischen Umwelt, Natur und Freizeit herzustellen. Sei´s drum. Bei milden Temperaturen um 23 Grad floss zwar auch der Schweiß, dennoch durfte ich den Erfolg meiner Bemühungen, dem hauseigenen Nussbaum die Grenzen des Wachstums auszuzeichnen, in Form eines enormen Haufens an Laub und Zweigen selbst bewundern.

Und da ich gerade beim Erklimmen luftiger Baumhöhen war, durchforstete ich die Baumkrone gleich nach trockenen und/oder abgestorbenen Ästen und Zeigen. Bei dieser Zusatzaktion erspähte mein Adlerauge einen Baumgast, der - so meine Bewertung - in jener Region über dem Boden, eigentlich nichts zu suchen hat. Da klebte doch tatsächlich eine Schnecke an einem Zweig und mimte, nachdem sie die Erschütterungen, ausgelöst von meinen Gewaltaten, verspürt hatte, die Untote. Beim näheren Betrachten erkannte ich jedoch, dass deren Schauspielkunst begrenzt sein muss, denn sie hinterließ zuvor eine typische Schleimspur. So, wie es Personen des öffentlichen Lebens gerne tun, wenn sie geehrt werden oder in sonstiger Weise die erhoffte, mediale Aufmerksamkeit erhalten wollen. Selbstdarstellerisch gab sich der Baumbewohner allerdings nicht. Sein Verkriechen in dem mit geführten Haus, dass farbig leuchtend in der Herbstsonne glänzte, ließ eher auf die gegenteile Absicht hindeuten.

Die Gastropoda ließ sich auch nicht von meinen Arbeiten stören, sondern verharrte die gesamte Zeit über in ihrer vorbefundenen Position. Hierbei fragte ich mich, wie der seltsame Gast wohl in die luftige Höhe des Nussbaumes gelangt war? So, ohne Hilfsmittel und ohne dabei wieder abzustürzen.Nun, meine kompetenteren Kollegen bei WIKIPEDIA stellen hierzu fest:

http://de.wikipedia.org/wiki/Schnecken#Fortbewegung_und_Orientierung

Nachdem diese existenzielle Frage beantwortet ist, folgt eine weitere. Nämlich die, welche Zeit die Gastropoda dafür benötigt haben könnte, um auf fast 6 Meter Höhe zu gelangen? Wissenschaftliche Erhebungen hierzu lassen sich wie folgt nachlesen :

"So schaffen Landschnecken wie die Bernsteinschnecke, die bei uns auf feuchten Wiesen oder in Mooren lebt, gerade mal zwei Zentimeter pro Minute. Die bekannte Weinbergschnecke dagegen legt nach Angaben von Forschern im gleichen Zeitraum immerhin 7,2 Zentimeter zurück. Und bei manchen Nacktschneckenarten wurden schon bis zu elf Zentimeter pro Minute registriert."

- Zitatende aus: 
http://www.rp-online.de/wissen/umwelt/abenteuer/Wie-schnell-ist-das-Schneckentempo_aid_1025267.html
Zugunsten des Eindringlings bin ich von einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 5 cm / min. ausgegangen, was dann bedeutet, dass die Schneck für die Höhe von 600 cm eben 120 min., also ganze 2 Stunden benötigt haben könnte. Ganz schön lange, wenn ich mich selbst damit vergleiche und dabei berücksichtige, dass ich nicht im Schneckentempo die Aluleiter hinauf gestiegen bin.


Kaum hatte ich die ausgeschnittenen Baumteile auf den großen Haufen entsorgt, kam mir der Gedanke, dass es doch einen Grund geben müsse, weshalb diese Schnecke nun im Baum herum kroch. Die Antwort hierauf ist auch eher simpel: Die Baumschnecke hat dort die einst saftig grünen Nussbaumblätter als Nahrung gesucht.

Auch dieses Mal geht es um das ganz Profane, das Fressen. Dafür ist so manchem Lebewesen kein Weg zu weit, kein Wasser zu tief und kein Baum zu hoch. Der Mensch hat es dort etwas einfacher, denn er kann sich mit Nahrungsmittel aus dem Supermarkt eindecken, sofern er in den reichen Regionen dieser Erde lebt und dafür das notwendige Geld besitzt. Dieses verdient er überwiegend durch Arbeit; oft auch durch Beschiss. Für viele Mitmenschen ist dieser Weg - heute mehr denn je - sehr mühsam.

Als ich vor knapp einem Vierteljahrhundert meine Zulassung als Rechtsanwalt in den Händen hielt, war der Weg bis dahin ebenfalls mühevoll. Die Jahre danach noch mühsamer, denn mit der Berufsbezeichnung und Berufsausübung lässt sich ein Einkaufswagen im Supermarkt nicht füllen. Bei dem Versuch, eben die erforderliche klingende Münze durch die Bearbeitung von Rechtsfällen zu erhalten, geriet ich an einen Beamten einer bremischen Behörde, deren einstiger sozialer Besitzstand durch radikale Haushaltskürzungen und Sparmaßnahmen beschnitten werden sollte. Nun, der Griff in das vormalige Paradies des Öffentlichen Dienst war schon damals einer Kriegserklärung gegen die Besitzstandswahrer gleich und wurde von massiven Protesten begleitet. So klagte auch jener Mandant, in der Hoffnung seine Privilegien erhalten zu können und unterlag in der I. Instanz. Aufgebracht erschien dieser nun in dem spartanisch eingerichteten Büro des Kollegen Rosse und mir, um nun ordentlich Dampf abzulassen.
Was das für eine Sauerei wäre. Was das für eine Richterschaft wäre. Was das für eine Flachpfeife von Kollege wäre. Er erhoffte sich nun den Heilsbringer in unserer Dienstleistung und prahlte gleich mit einer vorhandenen Rechtsschutzversicherung. Die jedoch - und diesen Zahn zog ich ihm gleich - nicht eingetreten wäre, weil es sich um eine nicht versicherte und einst auch nicht versicherbare Streitigkeit in einem öffentlich rechtlichen Dienstverhältnis handelte.

So diskutierte ich mich dem unwirsch reagierenden Klienten über den Sinn und Zweck einer solchen Rechtsschutzversicherung, ehe ich dem Frustrierten dann doch eine Anwaltsvollmacht unter die Nase reiben konnte, die er dann schimpfend unterschrieb. Damit aber nicht genug. Der Rechtsuchende hatte nixaltbremischen Gebäude Am Altenwall thronte, die allseits begehrte und bei meiner Klientel äußerst beliebte Prozesskostenhilfe zu beantragen. Nun musste ein so genanntes Prozesskostenhilfeformular fein säuberlich ausgefüllt werden, die dortigen Angaben belegte und zusammen mit der Berufungsschrift fristgerecht bei dem Oberverwaltungsgericht eingereicht werden.

Gesagt, getan. Ich hämmerte auf der Olympia Kugelkopfschreibmaschine den Schriftsatz aufs Papier, nahm einen Aktendeckel und ließ das Werk nebenan kopieren. Dann unterschrieb ich den ganzen Sermon, tackerte die Seiten zusammen und machte mich auf den Weg zur Geschäftsstelle, wo ich die Schriftstücke abgab. So weit, so gut.

Der motzende Mandant tauchte - natürlich - zu einem weiteren Besprechungstermin nicht mehr auf. Ich schrieb ihn deshalb an. Keine Reaktion! Ich erinnerte ihn nochmals an den Fristablauf und bat um einen Rückruf. Keine Reaktion! Die Tage vergingen, die notierte Vorfrist rückte näher. Von dem Beamten nix zu sehen. Es kam, wie es in solchen Fällen häufiger kommen musste, die Frist lief an einem Dienstag, dem ersten Werktag nach Ostern ab. Wild prügelte ich eine Berufungsbegründung in die Schreibmaschine.Kopierte den gesamten Quark und tütete ihn in einen handelsüblichen DIN A5-Umschlag ein. Ausreichend frankiert warf ich den Brief in einen Briefkasten, der damals an der Ecke Brunnenstraße/ Ostertorsteinweg, vor einem KD-Drogeriemarkt stand, ein.
Die Ostertage vergingen, das folgende Wochenende auch, als am nachfolgenden Dienstag ein Schreiben des Oberverwaltungsgerichts Bremen herein flatterte. Darin stand, dass die Berufungsbegründungsschrift erst 3 Tage nach Fristablauf dem Gericht zugegangen sei und dieses beabsichtige, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen. Hoho! Verspätet! 

Nun, des Rechtskundigen Zaubermittel nennt sich in einem solchen Fall " Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ".Ein gern und auch sehr oft genutzter Antrag mit dem sich so manche Fristversäumnis aus dem mit Irrtümern, Schlampereien und sonstigem zwischenmenschlichen Fehlverhalten gespickten ungeraden Weg der Jurisprudenz, aus dem täglichen Problemfeld räumen lässt. So stellte ich eben diesen Antrag und begründete ihn mit der kühnen und dazu noch unsicheren Behauptung, dass ich die Berufungsbegründungsschrift an jenem Donnerstag, eben dem Gründonnerstag vor Ostern, ordnungsgemäß in den gelben Blechkasten des gelben Dienstleisters mit Namen Deutsche Bundespost eingeworfen habe und ich mich - das hatte ich zuvor aus der schlauen Kommentierung zur Verwaltungsgerichtsordnung schön heraus gelesen - dabei nach den dort angebenen Leerzeiten gehalten habe. Die Deutsche Post, einst von dienstbeflissenen und zuverlässigen Beamten durchsetzt - war eine Institution, die einst auch als solche etwas galt. Postbeamte waren - neben dem Arzt, dem Pfaffen und dem Bürgermeister - etwas besonderes, deren Wort Gewicht hatte.

So prüfte denn der Berichterstatter des 2. Senats des Oberverwaltungsgerichts Bremen meine aufgemotzten Argumente, sah wohl dabei sinnbildlich meine pure Verzweiflung und gab dem Wiedereinsetzungsantrag statt.
Dieses geschah natürlich schriftlich und durch Beschluss. Und hierin war zu lesen:
" Der Antragsteller hat angegeben, dass er die Berufungsbegründungsschrift rechtzeitig, also vor Fristablauf durch Einwurf in einen Briefkasten der Deutsche Bundespost, auf den Postweg gebracht hat. Diese Angaben hat der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten An Eides statt versichern lassen. Bei einem regulären Postlauf hätte das Schriftstück innerhalb des Stadtgebietes nicht mehr als 1 Werktag im Umlauf sein dürfen. Tatsächlich hat es jedoch 6 Werktage ( den Samstag einberechnet ) benötigt. Die Strecke zwischen dem benannten Briefkosten und dem Gerichtsgebäude beträgt 1,1 Kilometer. Die Beförderungszeit also von Donnerstag 17.00 Uhr bis zum übernächstn Freitagmorgen 09.00 Uhr 160 Stunden. Dieses entspricht einer durchschnittlichen Beförderungsgeschwindigkeit von 6,875 m je Stunde. Mit einem solchen Schneckentempo musste der Antragsteller nicht rechnen, da üblicher Weise die Beförderungszeit im innerstädtischen Bereich nicht mehr als 1 Tag beträgt. Dem Antragsteller ist deshalb Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu bewähren."

Als wir diesen Beschluss lasen, konnten wir uns vor Lachen kaum halten. Endlich einmal etwas witzig von der Dritten Gewalt. Tja, und während der Mandant auch in der zweiten Instanz mit seiner Klage erfolglos bliebt, erinnerte ich mich einige Male an jene lustige Begründung in jenem Beschluss. So auch zu dem Zeitpunkt, an dem ich die Baumschnecke mit der Digi aufnahm. Schnecke - Schneckentempo - Schneckenpost, irgendwie passte das damals alles auf den Gelben Riesen und seine unendlich umständlichen Dienstwege und Arbeitsmethoden.

Längst ist dieses Vergangenheit. Aus der Deutsche Bundespost wurde dank Schwarz-Schilling und weiteren Ministern, ein moderner Dienstleistungsbetrieb, dessen Zuverlässigkeit allerdings zu wünschen übrig lässt. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass ein solchen Missgeschick, wie es vor mehr als 2 Dekaden zu der unbezahlten Mehrarbeit geführt hat, unter den heutigen Bedingungen kaum noch denkbar ist. Die jetzigen Kommunikationsmittel haben das Abfassen von individuellen Schriftstücken und deren Versand auf dem Postwege beinahe in den Hintergrund gedrängt. Längst werden Schreiben auf dem elektronischen Wege versandt. Daran hat auch der jetzt verstorbene Steve Jobs einen großen Anteil gehabt, als er vor vielen Jahren seine Firma "Apple" mit begründete. So schloss sich am gestrigen Tag der Gedankenkreis wieder.

Kommentare

til_o. hat gesagt…
Die haben alle Zeit diese Welt und schleimen sich vorsichtig nach oben. Bei meiner Schwester im Garten habe ich neben Kirschen und später Äpfel auch Schnecken gepflückt.

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