Oskar allein zu Haus?


Seit geraumer Zeit besucht uns ein hell - rot - cinnamon - farbener Kater aus der Nachbarschaft. Er macht sich durch lautes Mauzen bemerkbar, setzt seine unangenehm riechenden Duftmarken und verlässt das Haus - Grundstück ebenso schnell, wie er es betreten hat. Da Katzen nicht nur perfekte Jäger sind, sondern vor allem über ein überdurchschnittlich hohes Mass an Sozialer Intelligenz verfügen, hat der Gast bereits längst registriert, dass unser schmusig - dynamisches Trio, über ein wahres Katzen - Paradies auf Erden verfügt. Nicht nur, dass es eine reiche Palette an Futter - Köstlichkeiten gibt, nein, auch die absolut erforderliche Aufmerksamkeit wird hier voll umfänglich erfüllt.

So liegt der Katzen - Wohlfühlfaktor beinahe bei 100 %.

Das hat auch der Gast - Kater natürlich in seinem Gedächtnis. Obwohl dieses nicht der Grund für seine jetzt vermehrten Besuche ist. Laut mauzend betritt er das Grundstück, um auf sich aufmerksam zu machen. Vermutlich ist sein Halter und damit sein Zuhause nicht mehr vorhanden. Ein Super - Gau für eine Katze. Denn die ist das Regelmäßige gewohnt. Es kann sein, dass der Halter weg gezogen, schlimmstenfalls verstorben ist. Es kann auch sein, dass sich ein neuer Partner in seinem Zuhause breit gemacht hat, der dem gastierenden Kater  nicht liegt oder auch umgekehrt.

Veränderungen im heimischen Umfeld sind für die Vierbeiner nicht immer zu verkraften. Fällt dann auch noch die einstige Bezugsperson weg, trauert die Katze, so, wie es unserer Gast zurzeit zeigt. Sein eher klägliches Mauzen, das jammernde Miauen zeugt von Verzweiflung.

Wer Katzen kennt, der weiß, dass ein solches Verhalten nur durch den Menschen selbst geändert werden kann. Mit einer sehr vorsichtigen Annäherung. Der Kater zeigte sie uns gegenüber, indem er nur sporadisch zu Besuch kam und sich sehr schnell wieder verabschiedete. Nicht aber, ohne sich zuvor aus den Fressnäpfen der drei weiteren Mitbewohner bedient zu haben. Schlichtweg gesagt: Unser mauzender Freund hatte mächtig Knast.

Vor einigen Monaten las ich in einem " SPIEGEL " einen wunderbaren Artikel von Alexander Osang. der sich mit dem Verlust seines geliebten Katers " Willy " befasste. " Willy " lag eines Morgens tot auf seinem Bürostuhl. Er hatte auf natürlicher Weise sein Leben ausgehaucht. " Willy " wurde 20 Jahre alt. Er lebte zunächst in Berlin. Dann in New York, genauer gesagt, in Brooklyn und nachdem Alexander Osang und seine Familie zurück nach Deutschland flog, hatte " Willy " zum vierten Mal den Großen Teich überquert. Sein Zuhause war dann Berlin - Prenzlauer Berg, wo Alexander Osang bis heute mit seiner Familie lebt.

In der sehr einfühlsamen, ja, exzellent geschriebenen Geschichte über " Willy ", bringt Alexander Osang noch einmal jene 20 Jahre und einige Ereignisse zurück, die auch sein Kater durchlaufen hat. Ein wirklich mitfühlende Beschreibung eines geliebten Tieres.

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-142878975.html

Nun, Katzen können alt werden; sehr alt sogar. 20 Jahre, was in etwa 100 Menschenjahren entspricht, sind da nicht die Ausnahmen.
Einst, in den frühen 1980er Jahre, als ich mein Jura - Studium begann, lebte mein Studien - und späterer Berufskollege, mit seiner Lebensgefährtin und einer Katze bei den späteren Schwiegereltern. Die Katze hatte einen sehr seltsamen Namen. Sie hieß " Butzewacke ". Als ich " Butzewacke " zum ersten Mal sah, lag sie schlafend auf einem Stuhl unter einem Esstisch. " Butzewacke " rührte sich auf nicht vom Fleck, als wir laut über Fußball, vornehmlich den SV Werder und später über Politik diskutierten, ehe mein Kollege und ich dann dem eigentlich Zweck unseres Zusammentreffens angingen. Wir mussten ein Referat über die rechtliche Zulässigkeit von Eignungstest in Betrieben fertigen.
Ein damals durchaus brisantes Thema, welches auch heute noch eine große praktische Relevanz im Berufsleben besitzt; nur kritisiert es kaum ein Fachkundiger noch. Ganz im Gegenteil. Die Anwendungsbereich werden heutzutage mittels moderner Kommunikationsmittel noch vielfältiger gestaltet.

Wir saßen also am Esstisch und formulierten, diskutierten und schrieben per Hand das Rohskript. Werder spielte seit dem Wiederauftsieg sensationell, immer in der Bundesligaspitzengruppe mit und war bis zum Ende unseres Jura - Studiums, im Dezember  1986, sogar zwei Mal Vizemeister.

Während wir über einige Stunden an unserem Referat herum feilten, gab es so gegen 16.00 Uhr Kaffee und sogar ein Stück Kuchen. Dazu mussten wir den Tisch von unseren Unterlagen befreien. Wir legten also die Utensilien auf eine kleine Anrichte und warteten auf die süße Verpflegung, die die Mutter, genauer, die Schwiegermutter in spe, uns kredenzte. Kaum standen die Tassen und Teller auf dem Tisch, rumorte es unter dem Selbigen. " Butzewacke " räkelte sich, ließ den kleinen Kopf knapp vor der Tischkante hervor lugen und katapultierte sich mit einem kühnen Sprung auf die Tischplatte. " Butzewacke " hatte die dort stehende Milchkanne ins Visier genommen. Doch soweit kam sie nicht. In einem leicht scharfen Ton komplimentierte mein Kollege die Katze herunter.
" Butzewacke " schlich aus dem Zimmer und drehte sich nicht ein einziges Mal mehr um. Mein Kollege hatte sie zutiefst beleidigt.

Irgendwann traf ich meinen Kollegen zu einem Gerichtstermin wieder. Er war längst verheiratet und lebte wieder in Bremen. In dem anderen Haus der Schwiegereltern. Während des kurzen small talk erfuhr ich, dass " Butzewacke " im Alter von 23 Menschenjahren verstorben war. Eine neue Katze hatte sich mein Kollege nicht mehr angeschafft. Seine Frau, die er übrigens kurz nach dem Examen in Las Vegas heiratete, trauerte immer noch. Es blieb bis zu meinem Wegzug aus Bremen dabei: Keine Katze, kein Kind!

Ich selbst bin - als Landei - wie selbst verständlich mit Tieren groß geworden. In dem elterlichen Haus gab es Kaninchen ( die wurden deshalb gehalten, um sie fett zu füttern und zu schlachten ), Schweine ( dito ), Hühner ( dito und wegen der Eier ), Mäuse, Ratten, Wiesel ( die ab und zu ein Kaninchen killten ), Spatzen, Amseln, Drosseln und weitere Zugvögel. Eines Tages brachte unser Vater in seiner Ledertasche, in die er seine Frühstücksbrote, das Mittagessen in einem Henkelmann und seine Thermoskanne legte, eine junge Katze mit. Sie war offensichtlich ausgesetzt worden. Wir nannten sie " Miezi ". Die Katze " Miezi " war zweifarbig, nämlich überwiegend weiß und hatte dunkelgraue Flecken auf dem Fell. " Miezi " wurde von uns verwöhnt. Wir gaben ihr täglich Milch, manchmal ein Stück Leberwurst oder ein Rest Fleisch. Wenn ein Kaninchen geschlachtet wurde oder unser Vater Salzheringe eingelegt hatte, bekam " Miezi " etwas mehr Fleisch sowie die Fischinnereien.  " Miezi " fraß sich dann richtig satt.

Eines Tages " wurde " Miezi " immer dicker. Das heißt, sie bekam einen richtig dicken Bauch. " Miezi " sollte demnächst Junge bekommen. Es war im Mai, als " Miezi " die Katzenjungen warf. Sie gebar die Kätzchen im Lederhut unseres Vaters, weil der innen mit Filz gepolstert war und somit warm blieb, " Miezi " warf vier Junge. Ich entdeckte " Miezi "´s Nest und sah vier völlig nackte und noch blinde Katzenbabys. Wir erzählten unserem Vater und Großvater davon. Ein paar Tage danach waren die Katzenbabys verschwunden. " Miezi " hatte aber immer noch ein dickes Gesäuge. Wenige Wochen später war " Miezi " wieder so schlank, wie zuvor.

Im November bekam " Miezi " erneut Junge. Es waren nur zwei Kätzchen. Eines davon war bereits bei der Geburt tot. Das andere Junge verschenkte unser Vater später in die Nachbarschaft. So ging es einige Jahre weiter. " Miezi " wurde rollig, wurde trächtig und warf Junge, die allesamt verschwanden.
Dann fuhren die ersten Autos in den Nachbarorten und auch.durch Bad Eilsen. Auf der Bückeburger Straße lagen dann und wann überfahrene Katzen. Ebenso fanden wir andere Tiere beim Überqueren dieser Durchgangsstraße.
An einem Spätsommertag lag " Miezi " dort mit gebrochen Genick. Wir trugen sie weinend nach Hause und begruben sie im Garten. Ein selbst gebautes Holzkreuz zierte eine Wochen den Ort. Dann war es plötzlich weg. Ich vergaß " Miezi " bald, weil unser Vater wieder eine Katze nach Hause brachte.

Viele Jahre, ja Jahrzehnte, später, erhielt ich über eine Bekannte aus Wilhelmshaven die Information, dass dort mehrere Katzen kostenlos abzugeben seien. Das Paar, welches selbst drei Katzen hielt, aber wohl keine Ahnung von der Haltung hatte, wohne in der Nähe der neu gebauten Fachhochschule. Ich fuhr an einem Wochenende dorthin und angelte aus einer, penetrant nach Katzenurin stinkenden, mit Glas überdachten Veranda, einem winzigen Anbau, aus den drei Körben mit Jungkatzen, einen Kater. Genauer, einen schwarzen Kater. Weil er pech - schwarz war, nannten ihn meine türkischen Freunde " Kara " ( frei ins Deutsche übersetzte: Schwarzer - auch Siyah ). " Kara " wuchs in einigen Monaten in meiner 19,8 m² - Studentenbude im Wohnheim an der Leobener Straße 3 in Bremen auf, zu einem stattlichen Kater heran. " Kara " wurde dann für viel Geld, nämlich 60 DM, bei einem jungen Tierarzt in der Elsasser Straße in Bremen - Schwachhausen kastriert. Als ich ihn im Katzen - Transportkorb mit meinem R 4 dorthin verfrachtete, dampfte " Kara " erst einmal vom OP - Tisch ab. Der junge, noch unerfahrene und etwas nervöse Tierarzt und ich hatten alle Mühe, " Kara " aus dem Praxiszimmer wieder einzufangen. " Kara " erhielt eine Narkose und verlor seine Männlichkeit, was er mir sehr verübelte und mich für einige Tage nicht mehr beachtete. " Kara " war einfach sauer.

Später bekam " Kara " bei meinen Eltern, die ja eher ländlich wohnen, ein neues Zuhause. " Kara " wurde dort alt. Bis er eines Tages eingeschläfert werden musste. Ein Nachbar, der wohl keine Katzen mochte, hatte ihn - vermutlich - mit einem Spaten am Kopf getroffen. Die Wunde entzündete sich und wurde zu einem riesigen Geschwür, dass nach innen wuchs. Meine Schwester erlöste ihn dann bei einem örtlichen Tierarzt.

Nach " Kara " zog ich ein Kätzchen mit der Flasche groß. " Jule " hatte keine Katzenmutter mehr, weil diese von einem Jagdhund auf dem Hof zerfetzt wurde. " Jule " war eine Drei - Farben - Katze. Deshalb eher schwierig. Wenn ich sie nicht genügend beachtete, strullte " Jule " mitten in meine großen Pflanzentöpfe und sah mich dabei noch frech an. Ab und an flogen auch Blumentöpfe von dem Fensterbrett, weil " Jule " sich vernachlässigt fühlte. " Jule " starb in dem Jahr, als mein SV Werder zum letzten Mal für sehr lange Zeit ( leider! ) Deutscher Fußballmeister wurde, im Alter von nur 12 Jahren, an einer Harnwegkrankheit.

Danach kam " Willy ". Der Kater war auch auf einem Hof allein gelassen worden, denn die Katzenmutter hatte ein Mistvieh von Rauhhaardackel gekillt. Meine Tochter brachte " Willy " in einem kleinen Korb zu mir nach Hause. Ich wollte eigentlich keine Tiere mehr. Doch " Willy " wuchs bei mir auf. Irgendwann blieb er bei meinen Eltern und später wohnte " Willy " einige Zeit noch hier in Dresden. Als wir einen zweiten Kater, ein Jungtier, hinzu nahmen, funktionierte dieses nicht. " Willy " suchte sich ein neues Zuhause. Er war es gewöhnt, als Einzelkater gehalten zu werden. Mit dem zweiten Kater, " Tobias " verstand er sich zwar, aber nur solange, bis " Tobias " keine Jungkatze mehr war.  " Willy " zog aus. Ihn verschlug es zu Nachbarn. Dort wurde " Willy " nach allen Regeln der Kunst verwöhnt. Das ist meistens so und sollte von Katzenhaltern beachtet werden.

Eine Katze ist zwar von Natur aus ein Rudeltier, doch wenn sie von Menschen allein gehalten wird, möchte sie später diesen Zustand behalten. Katzen mögen keine gravierenden Veränderungen in ihrem Umfeld. Doch Katzen haben ein ausgeprägtes Sozialverhalten.

Seit einigen Wochen ruft - vor allem nachts - der rötliche Kater an unserem Schlafzimmerfenster. Das ist ständig offen, damit unser Katzen - Trio auch hierdurch in die Küche zu den Futternäpfen gelangen kann. Der fremde Kater hat dieses längst bemerkt und springt auch vom Fensterbrett herunter und schleicht zu dem Futterplatz. Er frisst seit ein paar Tagen regelmäßig bei uns. Unser Katzen - Trio hat dieses akzeptiert. Deshalb, weil es dem fremden Kater sehr schlecht ging.  Für uns heißt er nunmehr " Oskar ". Und weil " Oskar " wohl kein Zuhause mehr hat, hält er sich bei uns auf. Katzen spüren die menschliche Aura sofort. Wenn ein falscher Fuffziger sich nähert, nehmen sie meistens Reißaus. " Oskar " bleibt nun hier - für immer. " Oskar " heißt deshalb " Oskar ", weil er ein rötliches Fell hat. Und Rot ist eine schöne Farbe - insbesondere bei Katzen.

Nun ist " Oskar " nicht mehr allein zu Haus.

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