Die drei unverzeihlichen Fehler eines Normalbürgers

I. Episode:


Wer je mit den Strafverfolgungsbehörden in Konflikt gerät, sollte einen ehernen Grundsatz beherzigen: " Nichts sagen, nichts hören, nichts wissen. "

Das Prinzip der berühmten Drei Affen hilft oft dann, wenn ein Normalo es mit den so genannten Gesetzeshütern zu tun bekommt. Hierunter zählt, die Polizei, die Staatsanwaltschaft und als eine Art besonderes Staatsorgan, die Kriminalpolizei. Von diesen Damen und Herren zeichnen die TV - Anstalten in ihren Krimis zumeist ein völlig verzerrtes Bild. Was in den üblichen Standardangeboten vom Dino aller Krimi - Serien, dem " Tatort " über die sinnfreie Palette des Rentnerkanals und selbst ernannten " Krimisender ", dem ZDF, bis hin zu den kriminalistischen Klamauk - "Produkten, wie " Mord in Aussicht " oder  " Mord in bester Gesellschaft " sowie " Mordshunger - Verbrechen und andere Delikatessen " dem TV - Glotzer kredenzt wird, hat häufig mit der Realität rein gar nichts zu tun.

Die Kripo als Herr (in ) über die gesamtgesellschaftliche Pflege und Überwachung des zivilisierten Miteinanderumgehens sowie mit angedichteten Befugnissen und Rechten, wie einst dem Verbrechenskiller aus den nächsten Zenturien " Judge Dredd ".
Dem unbeleckten Glotzer wird´s immer gefallen, dem Ahnungslosen das Staunen begünstigen und dem rechtschaffenden CDU - Wähler den erforderlichen Respekt abverlangen, wenn jene jung - dynamischen Menschen mit guter Ausbildung dem Mörder auf der Spur sind. Wenn sie dem Totschläger den Garaus machen. Oder, jenen nimmersatten kriminellen Elementen unter uns, die Gier, die Habgier sowie andere - ebenfalls niedere Beweggründe - mittels Berufserfahrung, kriminalistischen Scharfsinn sowie dem handelsüblichen High - Tech - Brimborium austreiben.

Bei der Masse der anderen Delikte - fein säuberlich nach Straftatenarten innerhalb der jährlich erscheinenden Polizeilichen Kriminalitätsstatistik ( PKS ) aufgeschlüsselt - werden indes - anders als in jenen,, von den Zwangsgebührenzahler finanzierten Krimi - Luftnummern,  die Taten mit den Gesetzesnummern 211 fort folgende lediglich als Marginale geführt. Und deshalb steht fest, dass die ungezählten Mordkommissionen nur ein Wurmfortsatz der Kripo sein können.

Die Kriminalpolizei als Vollzugsorgan der 117 Staatsanwaltschaften auf dem Bundesgebiet ist denn eher der realen Begriff. So öffnet sich für diese Beamte ein völlig anderes Tätigkeitsfeld als es uns von den normierten Krimis übermittelt wird. Die Kripobeamtin, der Kripobeamte schlägt sich zunächst mit viel Formalismus herum. Dieses waren einst die vielen DIN - A4 - Blätter, die manuelle in eine völlig veraltete Schreibmaschine eingezogen werden mussten und auf denen in Form des " Adler - Such - Prinzips - einzelne Buchstaben via Zeigefinger ( im Idealfall links sowie rechts ) eingehackt werden mussten. Zudem waren häufig über Blaupapiereinlagen Dupblikate zu erstellen.
Dank der neuen Arbeitsmittel ist diese archaische Arbeitsweise inzwischen völlig ausgestorben.

Ein weiteres Aufgabenfeld der Kripo ergibt sich aus den Zusammentragen von Fakten und Daten im Rahmen der Ermittlungsarbeit. Dieses wird natürlich ebenfalls dank der elektronischen Hilfsmittel erheblich erleichtert. Doch auch so mancher, einen aktuellen Fall bearbeitender Beamter, kommt oft nicht darum herum, seine Dientstelle verlassen zu müssen, um außerhalb die erforderlichen Ermittlungsschritte zu tätigen.

Und hierbei sind auch Gespräche mit Zeugen, Geschädigten und Beschuldigten enthalten. Ebenso haben Kripo - Leute von den Staatsanwaltschaften erwirkte Sicherstellungs - Durchsuchungs - und Beschlagnahmebeschlüsse zu vollstrecken.

Statt " Mord in bester Gesellschaft, in Aussicht oder bei Anruf oder als ihr Hobby " quälen sich diese Damen und Herren von der Kripo mit Laptops, PCs und Tablets sowie Datenträgern aller Art, Geschäftsunterlagen und andere Aufzeichnungsunterlagen, die dann  Kisten weise abzutransportieren sind, ständig herum. Dann und wann muss auch Vermessen, Inaugenschein genommen oder Fotografiert werden.

So verbringt demnach ein verbeamteter Kriminaler mehr Zeit mit Routinetätigkeiten als mit hoch innovativen Verhörmethoden oder aussagepsychologen Taktiken.

So gibt es nichts interessanteres für einen Strafverteidiger, jene Ermittlungsergebnisse zu analysieren und kritisch unter die Lupe zu nehmen, um eventuelle Fehler zu erkennen. Nun, da Fachmann und Laie auch hier den Unterschied ausmachen, ist es eher ratsam mit den eigenen, zufällig aufgeschnappten Rechtskenntnissen sparsam umzugehen.

Tatsächlich sollte sich nämlich jeder, in einem Ermittlungsverfahren Involvierte selbst davor hüten, seine zu lose Zunge zu gebrauchen, wenn er von der Kripo Besuch oder eine Vorladung erhält.

Als vor vielen Jahren ein ehemaliger Kommilitone und Mitbewohner im Mensa - Wohnheim mich zufällig in der Bibliothek wieder traf, war ich seit eher kurzer Zeit als Rechtsanwalt zugelassen und betrieb eine kleine Feld - Wald - und Wiesen - Kanzlei in Bremen - Hastedt. Der inzwischen zum Wirtschaftswissenschaftler und Diplom - Wirtschaftsingenieur ausgebildete Bekannte schilderte mir nebenbei, dass er wegen eines angeblichen Zusammenstoßes, seines schon hoch betagten VW - Polo mit einem anderen, auf dem Uni - Parkplatz abgestellten PKW, mächtigen Ärger mit der Polizei habe, die dann eines Abends bei ihm vor der Wohnungstür stand und mit einem  Durchsuchungsbeschluss vor seinen Augen herum wedelten.
So begehrten die Kripo - Beamte den Zugang zu seiner Garage auf dem Grundstück, um Spuren an seinem Fahrzeug zu sichern.

Der eher überraschende Besuch entschwand sodann so zügig, wie er gekommen war. Nicht ohne zuvor eine Vielzahl von Fotos von den Heckseiten des PKW zu machen und an diesem Messungen vorzunehmen. Ich erklärte ihm die rechtlichen Grundlagen für diesen Besuch und gab ihm meine Visitenkarte. Es dauerte noch einige Wochen, ehe der einstige Mitstudent bei mir im Büro anrief. Er hatte eine Postzustellungsurkunde von dem Amtsgericht Bremen erhalten, die er mir vorlas. Es handelte sich um einen Strafbefehl. Hiernach sollte er eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu 30 DM, also 600 DM sowie die weiteren Kosten des Verfahrens zahlen. Hartmut G., so hieß der einstige Studienkollege und Mandant, war empört. Er zeterte am Telefon herum. Ich konnte ihn zunächst beruhigen, indem ich ihm die Zusage gab, in einem privaten Treffen in seiner Wohnung, die Rechtssache prüfen zu wollen.

Einige Tage später trafen wir uns in Delmenhorst. Während des Gesprächs unterschrieb er mir eine Strafprozessvollmacht. Am nächsten Tag legte ich in seinem Namen und durch diese Vollmacht gegen den Strafbefehl Einspruch ein und besorgte mir die Akte. Diese konnte ich kurz darauf in der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Bremen abholen. Ich kopierte die wichtigen Seiten und gab die Akte zurück. Nach dem Lesen der Kopien rief ich Hartmut G. in Delmenhorst an. Wir vereinbarten einen erneuten Termin. Dieses Mal in meinem Büro. Hartmut G. empörte sich über die Vorgehensweise der Justiz. Wieder beschwichtigte ich ihn. Ich stellte ihm dabei auch die Frage, ob er ein Radio oder sogar eine Stereo - Anlage in seinem VW Polo eingebaut hätte. Tatsächlich besaß die Mähre ein ebenso altes Autoradio. Nun, gut, immerhin ein Anknüpfungspunkt für eine Verteidigungsstrategie.

Der Strafrichter setzte einige Wochen später einen Hauptverhandlungstermin an. Es wurden dafür auch zwei Zeugen geladen. Einer von diesen beiden Männern, beides Studenten, hatte dem Halter des angeblich beschädigten Fahrzeugs, von dem Zusammenstoß der beiden PKW erzählt. Beide kannten sich vom Studium. Der weitere Zeuge war ebenfalls ein Student, der eher zufällig am Unfallort war.
Sie würden beide von dem Ablauf so berichten, wie sie es in der polizeilichen Vernehmung bereits getan hatten. Der Halter des beschädigten PKW war ebenfalls als Zeuge geladen. Er sollte zur Höhe des Schadens aussagen.

Es sah also sehr schlecht für meinen Mandaten Hartmut G. aus. Er würde einer Verurteilung nicht entgehen können. Allenfalls die Höhe der Geldstrafe wäre anzweifelbar. Hartmut war in einem Wirtschaftsberatungsbüro als Freier Mitarbeiter tätig. Der Verdienst schwankte. Einige Monate lang hatte er nicht einmal 500 DM Honorar erhalten. Ich schlug ihm deshalb vor, zunächst die Höhe der Geldstrafe verändern zu wollen. Von 600 DM auf 300 DM. Er war damit einverstanden.

Als ich am Morgen des Verhandlungstags die Straßenbahnlinie 2 von der Malerstraße zur Domsheide bestieg, hatte ich neben der Handakte, der Robe, auch einen Kommentar zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozessordnung in meinen schwarzen Pilotenkoffer hinein gelegt. Ich nutzte die viertelstündige Fahrt, um in dem Strafgesetzbuchkommentar über die Vorschrift des § 142 ( Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort ) nachzulesen.
Neben allerlei Bla-Bla zu der Gesetzessystematik und der dogmatischen Seite der Vorschrift, waren in dem so genannten Kurzkommentar verschiedene Ausnahmen, in denen Gerichte keinen Gesetzesverstoß angenommen hatten. Hier standen zum Teil kuriose Fälle. Eine Ausnahme allerdings interessierte mich besonders. Einige Gerichte hatten einen Fahrer und Unfallbeteiligten von dem Vorwurf eines vorsätzlichen Entfernens vom Unfallort frei gesprochen, weil dieser jeweils einen Unfall oder eine Kollision nicht bemerkt hatte. So zum Beispiel, wenn er kein Anprall vernehmen konnte, weil sehr laute Außengeräusch, wie beispielsweise ein vorbeifahrender Zug,dieses objektiv verhindert hatten.
Auch das Abspielen von lauter Musik im eigenen PKW stellte eine solche Ausnahme dar.

Aha! Na, bitte, da haben wir´s doch! Ich steckte einen gelben Post- It  - Zettel auf die Kommentarseite und  klappte die dicke Schwarte genüsslich zu.

Hartmut stand bereits auf dem schmalen Gang vor dem Verhandlungsraum. Er war nervös. So nervös, dass er herum stotterte. Ich beruhigte ihn. Ich gab ihm nun Instruktionen, wie er sich gleich zu verhalten hätte.  Ich gab ihm den Rat zunächst nichts weiter zur Sache zu sagen. Wer nicht redet, kann nichts Falsches von sich geben.

Die Protokollführerin rief über die Lautsprecheranlage die Strafsache auf. Wir betraten den Verhandlungssaal und setzen uns auf die linke Seite. Der Staatsanwalt war ein schon leicht ergrauter Mittfünfziger, so wie der Richter. Ein eher Harter Hund, der für seine rigorose Verhandlungsführung bekannt war. Nach dem der Richter die Personalien des Mandaten abgefragt hatte, wollte er von dem aufgeregten Hartmut wissen, ob er sich zur Sache äußern möchte. Antwortete der mit  " Nein ". " Na, schön. Herr Verteidiger, was soll mit dem Einspruch erreicht werden? "
" Herr G. ist Freiberufler ohne festes Einkommen. Die Geldstrafe wäre sowieso zu hoch. ", antwortete ich.

" Dann nehmen Sie den Einspruch im Weiteren zurück. Ich beantrage einen Tagessatz von 15 DM. ", blaffte der Staatsanwalt zu uns herüber. " Alles Andere hat doch sowieso keinen Zweck. Nach der Aktenlage hier. ", behauptete er noch.
" Na, die Zeugen waren sich nicht so sicher. ", gab ich ihm zurück.
" Gut, hören wir die Zeugen. ", unterbrach mich der Richter. " Können Sie bitte den Zeugen X herein rufen? ", bat er dann die Protokollführerin.
Diese schnarrte in das Mikrophon: " Der Zeuge A, bitte in den Saal 351 eintreten. "
Die Tür öffnete sich. Ein etwas verunsicherter, jüngerer Mann ging ehrfurchtsvoll auf den Richter, der in seinem Sessel hockte und auf einem Blatt herum kritzelte, zu. Der Richter belehrte A. zu seiner Wahrheitspflicht und dem möglichen Aussageverweigerungsrecht. Nachdem er ihn fragte: " Herr A., Sie haben das jetzt so verstanden? " und ein knappes " Ja! " zur Antwort bekam, sagte der Richter:
" Herr A., nehmen Sie bitte hier vorne Platz!
Danach befragte er diesen nach seinen Personalien.

Zeuge A. schilderte den Ablauf auf den Uni - Parkplatz. Er gab dieses so wieder, wie es auch in der Akte stand. Das Übliche, eben. Gelangweilt hört sich der sich nach außen als garstig gebärdende Staatsanwalt an. Der Richter stellte dem Zeugen noch einige Fragen, die dieser sichtlich nervös beantwortete. Dann gab er das Fragerecht, wie es die Strafprozessordnung vorschreibt an den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft ab. " Noch Fragen an den Zeugen? ", leierte der Richter seinen Standardsatz herunter. " Nein!", antwortet ihm der Staatsanwalt mit einem leichten Kopfschütteln.
" Ja! Ich hätte da noch eine Frage. ", war meine Antwort. Der in seinen Unterlagen herum kritzelnde Richter blickte plötzlich etwas irritiert auf. " Ja, bitte!", antwortete er eilfertig. Als hätte ich ihm jetzt gerade ein unzüchtiges Angebot gemacht, so sah er mich an. Wobei in seinem Tonfall bereits eine Spur von einer bereits vorweg genommenen Bewertung zu der Antwort des Zeugen heraus zu hören war. Gepaart mit einem leichten Schuss berufsüblichen Zynismus; nach dem Motto: " Nun mach´schon. Ich will die Sache hier beenden. Ich weiß sowieso schon, was hier am Ende für eine Entscheidung steht. "

Ich formulierte meine Frage höflich und in exakt gewählter Form: " Herr Zeuge, können Sie sich noch daran erinnern, wie viele Meter Sie zirka von den beiden Fahrzeugen entfernt gestanden haben, als Sie die Kollision sahen? "
Die beiden anderen Juristen in dem Raum sahen mich völlig verständnislos an. Ihre Mienen verrieten mir, was beide dachten: " Was ist das für eine dumme Frage? Was hat diese mit der Sache zu tun? "
Der Zeuge sah mich auch ein wenig verständnislos an, ehe er eine Antwort darauf gab: " Ja! So etwa 30 bis 35 Meter können das gewesen sein. "
" Also 30 bis 35 Meter? ",  wiederholte ich seine Antwortet in einem anzweifelnden, fragenden Tonfall.
" Ja, so in etwa. ", bestätigte der Zeuge es.
" Können Sie sich noch erinnern, ob Sie bei dem von Ihnen bemerkten Zusammenstoß des Fahrzeuges von Herrn G. mit dem parkenden PKW, etwas hören konnten? ", wollte ich dann von dem Zeugen wissen.
" Nein, gehört habe ich dabei nichts. ", antwortete der Zeuge.
" Konnten Sie denn dabei etwas sehen? Vielleicht ob das parkende Fahrzeug wackelte oder sich bewegt hat? ", fragte ich ihn zum Schluss.
" Nein. Zu sehen war da nichts. ", gab der Zeuge zur Antwort.
Dann ergänzte er diese mit: " Wir haben dann später, als der andere Wagen einfach so weg fuhr,an dem parkenden Auto hinten nach geschaut und eine leichte Beule und ein paar Kratzer gesehen. "

" Ja, danke. Keine weiteren Fragen mehr.", erklärte ich, mit Blick zum höher sitzenden Richter, mein Fragerecht für beendet.
Es folgte die übliche Verfahrensfloskel: " Auf Vereidigung wird verzichtet? "
" Ja! ", knurrte der Staatsanwalt in den Raum. Er schien genervt, weil er sich aus meinen gestellten Fragen keinen Reim machen konnte.
" Ja. Wir verzichten. ", antwortete ich dem Vorsitzenden.
" Dann wird der Zeuge im allseitigen Einverständnis um....", der Richter sah auf seine Armbanduhr und die rechts von ihm angebrachte elektrische Wanduhr, " ... um 11,... Uhr unvereidigt entlassen. "

" Soll der Zeuge, Herr B. auch noch gehört werden? ", wollte der Richter nun von uns wissen.
" Also, ich sehe dazu keine Veranlassung. ", formulierte der ungehalten wirkende Staatsanwalt.
" Wir hätten den Zeugen doch gerne gehört. ", gab ich an.
" Ich weiß nicht, Herr Verteidiger was Sie von dem noch wissen wollen? Der hat doch das Gleiche gesehen, wie der Zeuge A. ", rumpelte es aus dem Mund des Staatsanwalts heraus.
" Na, schön. Dann rufen wir mal den Zeugen B. herein", unterbrach der Richter die Ausführungen des Staatsanwalts. Dabei sah er zu der auf der rechten Bankseite sitzenden Protokollführerin und bat diese dann, den zweiten Zeugen aufzurufen.
Es folgte der Standardsatz: " In der Strafsache G., bitte der Zeuge B. in den Sitzungssaal 351 eintreten. ", sagte die Dame in schwarzer Robe in das Mikrophon.

Wenig später wurde die Tür geöffnet. Ein junger Mann, vielleicht so Mitte 20, mit eher legerer Kleidung kam durch die Tür. Etwas verunsichert blieb er einen Meter vor dem Zeugentisch stehen. " Herr B. Sie sind hier heute als Zeuge geladen. Ich möchte Sie darüber belehren, dass Sie als Zeuge zur Aussage verpflichtet sind und Sie die Wahrheit sagen müssen. Es sei denn, Sie würden sich selbst belasten. Sie haben dieses verstanden?", beendete der Richter die Ausführungen.
" Ja. ", druckste B. heraus.
" Gut. Dann können Sie hier vorne bitte Platz nehmen. ".
Es folgte die übliche Befragung nach den Personalien.

Der Richter stellte dann Fragen nach dem Vorfall auf dem Universitätsparkplatz. Dabei griff er - für mich erwartungsgemäß - meine beiden Fragen nach der Entfernung des Zeugen B. zu dem Unfallort und einer möglichen Wahrnehmung beim Zusammenstoß auf. Der Zeuge B. beantwortete diese ähnlich.
" Noch Fragen an den Zeugen? ", wollte er auch dieses Mal von dem Staatsanwalt und mir wissen.
" Nein, ich habe keine weiteren Fragen. ", antwortete der Kollege und sah mich fast triumphierend dabei an. Ich konnte seine Gedanken förmlich lesen: " Hahaha, was willst Du jetzt noch fragen? Die Sache ist erledigt. Dein Mandant wird verurteilt.! Das hätte ich Dir vorher sagen können. Wir sind eben schlauer und erfahrener, als Du, der kleine Feld - Wald - und Wiesenanwalt. "

" Ja, ich habe da nur noch eine Frage. ", antwortete ich dem Richter, der bereits in seinen Formblättern herum schrieb, um gleich das Urteil verkünden zu können.
" Bitte!", sagte er nur kurz, ohne seine Schreiborgie zu unterbrechen und aufzusehen.
" Herr Zeuge, haben Sie aus oder von dem PKW des Herrn G., der an den parkenden Wagen heran fuhr, vielleicht laute Musik vernommen? "
Der Staatsanwalt sah mich wie ein US - Amerikaner, der soeben einem Außerirdischen begegnet war, an.
Auch der Richter zuckte sofort hoch.

" Also Musik. Nein, habe ich nicht gehört. Aber, es war drum herum etwas laut, weil da fuhren ja auch ständig andere Fahrzeuge und die Busse.", antwortete er mir.
" Also, ganz ausschließen, dass in dem Auto von Herrn G. laute Musik spielte, können Sie nicht? ", ergänzte ich meine Frage.
" Nein!", lautete die klare Antwort.
" Danke, keine weiteren Fragen mehr an den Zeugen. ", stellte ich fest.
" Dann kann der Zeuge unvereidigt entlassen werden? ", orgelte der Richter seinen Part herunter.
" Ja!", gab der Staatsanwalt immer noch sichtlich erstaunt zurück.
" Wir verzichten auf Vereidigung. ", ließ ich meine Antwort folgen.
Nach dem üblichen Ablauf und dem Hinweis, dass es Zeugengeld im 7. Stock, in Zimmer 752 gäbe, entließ der Richter den Zeugen aus seiner Pflicht.

Dann sah der Richter mit ernster Miene zu uns herüber. " Herr Verteidiger, möchte Ihr Mandant etwas dazu sagen? ", wollte er von mir wissen. Noch ehe der Angeklagte neben mir antworten konnte, stellte ich ihm eine Frage: " Sie hatten mir doch im Vorfeld geschildert, dass Sie nach dem Einsteigen in Ihr Fahrzeug, die Musikanlage laut aufgedreht hatten, ehe Sie ausparkten? Das ist so richtig? "
G. schien neben mir etwas verunsichert zu sein und antwortete nur mit einem knappen " Ja ".
" Danach haben Sie dann von einem Anprall an dem auf der gegenüber liegenden Seite geparkten PKW nichts gehört oder bemerkt?", wollte ich noch schnell wissen.
" Nein! ", lautete die Antwort von G.

Der Richter sah uns prüfend an, der Staatsanwalt schüttelte nur leicht den Kopf und murmelte vor sich hin. "Er ahnte bereits, was jetzt kommen würde. 
" Herr Staatsanwalt, die Sachlage hat sich ja nun leicht verändert. Stimmen Sie einer  Einstellung des Verfahrens nach § 153 a ( StPO ) zu? ", wollte er von dem leicht ergrauten Herren, links neben ihm, versetzt, sitzend, wissen.
" Ja, da bleibt denn wohl nichts anderes übrig. ", erklärte er mit einem resignierenden Unterton.
" Herr Verteidiger. Eine Einstellung mit 150 DM Geldauflage, damit können Sie leben? Ein Freispruch ist wohl eher nicht drin. Zumindest hat ihr Mandant fahrlässig gehandelt und die Anlage im Auto zu laut gestellt. Und dann war ja noch der Zeuge A., der versuchte ihn am Weiterfahren zu hindern. Den hat er einfach umkurvt. Da hätte er erkennen können, dass der etwas von ihm will. ", führte der Richter aus.
" Ja, aber Sie wissen ja. Ein Unbekannter will das Auto anhalten. Da passiert mal immer was, wenn man dann anhält."
" Gut. Aber für einen Freispruch reicht das nicht. ", sagte der Richter energisch.

Ich bat um eine kurze Unterbrechung, um die Konsequenzen für den Ex - Studienkollegen G. vor dem Gerichtssaal besprechen zu können. Mit wehender Robe ging ich aus dem Raum; G. vor mir her, dem ich höflich die Tür öffnete.
Draußen erläuterte ich G. das Prozetere.
" Also, die Geldstrafe von 600 DM und die Verfahrenskosten ist vom Tisch, wenn Du der Einstellung jetzt zustimmst. Die Verteidigerkosten muss Du aber selbst tragen.Wollen wir das so machen? Wenn ja, dann wird die Sache nicht in das Strafregister in Berlin eingetragen und in Flensburg gibt es keine 7 Punkte. Zudem zahlt deine Haftpflichtversicherung den entstandenen Schaden, ohne das sie sich auf eine Obliegenheitspflichtverletzung berufen kann. Dass sind immerhin auch über 500 DM. "
" Gut, machen wir. Aber, was kommen da an Verteidigerkosten auf mich zu? ", wollte er noch wissen.
" Kann ich Dir nicht genau sagen.", antwortete ich ihm und öffnete die Tür zum Gerichtssaal.

Der Richter und der Staatsanwalt unterbrachen ihre Unterhaltung, als wir in den Raum hinein gingen. Sie diskutierten sicherlich über den Fall.
" Wir sind mit einer Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage von 150 DM einverstanden. ", sagte ich dem Richter.
" Gut. Dann ergeht folgender Beschluss: Das Verfahren wird gemäß § 153 a StPO vorläufig eingestellt. Dem Angeklagten wird auferlegt, an die Staatskasse einen Betrag von 150 DM bis zum 01. 10. 1989 zu zahlen."
" Bitte wiederholen Sie das noch mal. ", sagte der Richter zu der Protokollführerin.
" Ach, ja, dann haben wir noch den geschädigten Fahrzeughalter und Zeugen draußen stehen. Rufen Sie den doch bitte herein, Frau D,,,", bat der Richter, die Protokollführerin.
Diese schnarrte ihren bekannten Satz herunter. Nachdem der dritte Zeuge den Saal betreten hatte, erklärte ihm der Richter, dass er nicht mehr benötigt würde und bedankte sich für sein Erscheinen. 

" Die weiteren Formalitäten wegen der Geldauflage erklärt Ihnen Ihr Verteidiger. ", fügte der Richter noch an und   lies danach noch  " Damit ist die Sitzung geschlossen. " folgen. Wir standen auf. Ich verstaute meine Kommentare und die Robe in meinen Pilotenkoffer und verabschiedete mich mit einem überzogen freundlichen " Auf Wiedersehen! " von den beiden Herren Kollegen. Es kam - erwartungsgemäß - keine Antwort darauf.

Nach einem kurzen Gespräch vor dem Amtsgerichtsgebäude trennten sich die Wege von G. und mir. G. fuhr mit seinem Auto zurück nach Delmenhorst, wo er zusammen mit einer ehemaligen Mitbewohnerin des Mensa - Wohnheims und Lehramtsstudentin, die inzwischen ihr Referendariat absolvierte, eine kleine Mietwohnung in einem Block einer gemeinnützigen Baugesellschaft lebte. Es dauerte einige Tage, dann rief  G. in meinem Büro an und lud mich zu einem Essen an einem Freitagabend zu sich ein.

Ich fuhr gleich, nachdem ich das Büro zu geschlossen hatte, von Hastedt in Richtung Autobahn  und dort auf die B 75 nach Delmenhorst. Nach etwas mehr als einer halben Stunde stand ich vor dem Wohnblock des ehemaligen Studienkollegen. Seine damalige Lebensgefährtin öffnete mir die Tür. Wir begrüßten uns kurz. Dann bat mich Hartmut in das Wohnzimmer. Dort saß schon ein Freund und Studienkollege auf dem Sofa. Er stellte uns vor. Es entwickelte sich ein eher zähes Gespräch.  Irgendwann beim Essen plusterte sich der Bekannte des G. mächtig auf, als er mich nach meiner beruflichen und wirtschaftlichen Lage befragen wollte. Er selbst vertrieb Versicherungen für irgendeinen Konzern, weil er damals keine Stelle als Wirtschaftsingenieur bekam.
" So, Du bist also auch Anwalt? ", wollte er von mir wissen.
" Ja, wieso? ", fragte ich zurück.
" Na, lebst Du noch von der Arbeitslosenhilfe? ", stellte er mir in einem deutlich ironischen Unterton eine weitere Frage.
" Nee, wieso? ", gab ich ihm die Frage zurück.
" Na, da sind doch viele von euch, die kommen auf keinen Grünen Zweig. ", fuhr er fort.
" Ich habe eigene Mandanten. ", beendete ich das Gespräch und dachte dabei Irgendetwas, in dem das berühmte " A..." vorkam.

Die Zeit verging. Nach knapp 2 Stunden verabschiedete ich mich von meinen Gastgebern und dem arroganten Freund. Über dessen blöde Bemerkungen ärgerte ich mich schon ein wenig; obwohl er ja die berufliche Seite vollkommen richtig eingeschätzt hatte.

Zu Beginn der folgenden Woche erhielt ich die Abschrift des Beschlusses in dem Strafverfahren gegen Hartmut G. Ich kopierte diesen und fertigte dazu meine Gebührenrechnung. Die belief sich auf 1.155 DM ( einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer ).
Ich schickte dem Mandanten die Rechnung. Es dauerte nur einen Tag, dann erhielt ich von Hartmut G. einen Anruf. Er zeterte am Telefon sofort los. Was das denn mit der Rechnung solle. Wir seinen schließlich befreundet. Die Rechnung sei zudem doppelt so hoch wie die Geldstrafe, die er hätte zahlen müssen.
Ich ließ mich auf keine Diskussionen ein. Hartmut brüllte in das Telefon, dass er die Rechnung nicht bezahlen werde. Er legte danach auf.

Es vergingen etwa 14 Tage. Hartmut´s Rechnung war noch nicht bezahlt. Ich fertigte eine Mahnung und setzte ihm eine Frist von 10 Tagen. Es war bereits Oktober. Hartmut´s Rechnung war immer noch offen. Wir schrieben November 1989. Ich ließ ihm noch weitere zwei Wochen Zeit, dann schrieb ich eine weitere Mahnung und drohte ihm mit gerichtlichen Schritten.
Es erfolgte keine Reaktion.
Ich wartete noch weitere zwei Wochen ab. Dann ließ ich über meine Auszubildende einen Mahnbescheid fertigen. Es war bereits der 2. Advent vorbei. Weihnachten stand vor der Tür.
Die Rechnung von G. wurde aber immer noch nicht bezahlt.
Ich kaufte beim Amtsgericht die erforderlichen Gerichtskostenmarken, klebte diese auf den Mahnbescheidsvordruck und gab diesen in der Poststelle des Amtsgerichts Bremen ab.

Es verging knapp eine Woche, dann erhielt ich eine Mitteilung des Amtsgerichts, dass der Mahnbescheid zugestellt worden sei. Gleichzeitig wurde der Vordruck für einen Vollstreckungsbescheid zugesandt. Das Verfahren war mir längst bekannt. Würde G. nicht binnen 2 Wochen nach Zustellung Widerspruch gegen den Mahnbescheid erheben, könnte ich einen Vollstreckungsbescheid beantragen und diesen per Gerichtsvollzieher zustellen lassen. Der würde dann die gesamte Summe für mich beitreiben können.

Hätte es soweit kommen müssen?

Wenige Tage vor Weihnachten erhielt ich vom Postgiroamt in Hamburg die Kontoauszüge in dem einst üblichen, blauen Umschlag. Zu meiner Überraschung hatte Hartmut G. die gesamte Rechnung sowie die Mahnbescheidskosten, also insgesamt 1.263 DM bezahlt. Als überweisendes Konto stand aber das der Lebensgefährtin Hiltburg M. auf dem Kontoausdruck. Mir war klar, dass diese keinen weiteren Streit mehr wollte.

Ich habe beide danach nie wieder gesehen.

Merke also:

1. Verhalte dich immer  gesetzestreu.

2. Sage nie etwas gegenüber den Ermittlungsbehörden, wenn du selbst beschuldigt wirst.

3. Lege dich nie mit einem Rechtsanwalt an.


Gut´s Nächtle mit einem Jackson Brown - Triple: " Running On Empty " - " Lawyers In Love " und " The Pretender ":











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