Helmut Schmidt, der Ewige Kanzler.



Es muss wohl ein Mittwochabend im September 1976 gewesen sein, als gegen 19.00 Uhr ein, von Statur her, kleiner Mann, im Gefolge eines Trosses weiterer Männer und flankiert von großen und sehr großen Männern, in ein noch größeres Zelt auf dem Rathausplatz der niedersächsischen Stadt Wilhelmshaven unter lauten Bravo - Rufen, heftigem Applaus und vereinzelnden Pfiffen und Buh - Rufen den Eingang des Zelts durch querte. Es war der damals 57jährige Bundeskanzler Helmut Schmidt.

Helmut Heinrich Waldemar Schmidt, geboren am 23. Dezember 1918 in Hamburg war vom 1. April 1972 bis zum 6. Juli 1972 als Bundesminister der Verteidigung mit dem Sitz auf der Bonner Hardthöhe, mein mittelbarer Vorgesetzter, als ich zur Bundeswehr einberufen wurde und ich mich - des Geldes wegen - auf 2 Jahre verpflichtet hatte.Er trat das Amt am 22. Oktober 1969 als Nachfolger des CDU - Mitglieds Gerhard Schröder an. Die sozial - liberale Koalition hatte ihn als geeigneten Kandidaten in das Kabinett des Bundeskanzlers Willy Brandt und des Vizekanzlers und Bundesaußenministers Walter Scheel berufen.
Ab dem 7. Juli 1972 übernahm der Sozialdemokrat das Ressort des Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen, das zuvor Karl Schiller inne hatte.

In seine Zeit als Bundesverteidigungsminister fiel auch der so genannte Haarerlass, den sein Ministerium 1971 als Zentral Dienstvorschrift erließ und der das Tragen eines oliv - grünen Haarnetzes vorschrieb, sofern die Haartracht den Uniformkragen berührte. Diese Verwaltungsvorschrift wurde dann im Mai 1972 wieder abgeschafft und statt ihrer eine Dienstvorschrift erlassen, die bestimmte, dass die Haare den Hemdkragen und die Uniform nicht berühren dürfen ( https://de.wikipedia.org/wiki/Haarerlass ).

Die von Helmut Schmidt einst verfolgte Politik des " mündigen Bürgers in Uniform " war auch damit gescheitert. Aus den angestrebten Reformen und Veränderungen im Bereich der Inneren Führung des mehr als eine halbe Millionen Soldaten und mit mehreren Hunderttausend Zivilangestellten zählenden Molochs, blieben nur Fragmente übrig. Die Alltagsrealität sah in der Truppe anders aus. Reaktionäre und faschistoid denkende Offiziere hatten dort das Sagen. Von der geforderten Mündigkeit des uniformierten, westdeutschen Staatsbürgers während der Barras - Zeit und dessen Umsetzung  klafften riesige Schwarze Löcher.

Nun, Helmut Schmidt ging und Georg Leber, eine gewerkschaftlich geprägter Sozialdemokrat kam als Nachfolger. Als er im August 1972 seinen Antrittsbesuch in der Kampftruppenschule ( KTS ) II / III in Munster an der Örtze ( bekannt als Munster - Lager ) durch führte, erhielt ich den Befehl, den Kleinen Dienstanzug gewaschen, gebügelt und mit Akkuratesse getragen vorzuzeigen. Der vormalige Spieß Dieter " Ente " Schmeichel kontrollierte dieses in seiner höchst eigenwillig Form und sah sich sogar die geputzten schwarzen Halbschuhe an.

Danach erhielt ich den Befehl, vor dem Eingangsbereich des Stabsgebäudes zu kehren. Hierfür erhielt ich vom S 1 ( Abteilung für Innere Sicherheit ) Besen, Kehrschaufel und Handbesen sowie einen Müllsack ausgehändigt. Ich fegte und fegte und fegte - umsonst. Nach getaner Arbeit, wartete der gesamte Stab nebst General auf den obersten Dienstherren. Er kam nicht. Der " Leberfleck ", wie ihn die CDU - Meute in Uniform despektierlich titulierte, er erschient nicht, sondern fuhr samt Dienstwagen - Tross in Richtung Panzerbrigade, um dort den Marder, Leopard und anderes Spielzeug zu besichtigen.
Pech gehabt. umsonst gefegt. Aber: Nie war der Eingangsbereich danach so sauber, wie an jenem Vormittag.

Helmut Schmidt habe ich natürlich auch nicht zu Gesicht bekommen. Er wechselte für einige Wochen in das Wirtschafts - und Finanzministerium und wurde " Superminister ". Nur an sein Konterfei an den weißen getünchten Wänden des Stabsgebäudes der KTS II / III konnte ich mich vage erinnern. Dort prangte später dann, jenes seines Nachfolgers Georg Leber. Weil die schwarz - braune Brut in Munster stramm CDU wählte, hoffte sie, das der sozial - liberale Spuk am 22. Oktober 1972 sein Ende finden würde.

Doch es kam - bekanntlich - anders.

Die Wahl gewann - sensationell - die SPD mit 45,8 %; die FDP erhielt 8,4 %. Somit konnte die sozial - liberale Koalition fort gesetzt werden. Dieses Mal mit einer ausreichenden Mandatsmehrheit im Deutschen Bundestag in Bonn.
Vor allem die Sozialdemokraten profitierten von den Jung - und Erstwählern. Und dieses, obwohl sich Helmut Schmidt noch einige Jahre danach gegen die Herabsetzung der Volljährigkeit von 18 auf 21 Jahren aussprach.

So konnte die Reformpolitik der Regierung Brandt / Scheel weiter geführt werden. Später, nämlich 1974 übernahm Helmut Schmidt das Amt von Willy Brandt, der aufgrund der so genannten Guillaume - Affäre zurück trat.

Da stand er nun, auf einer Holzbühne, hinter einem Holzpult und vor einem leicht übersteuerten Mikrophon und hielt seine Wahlkampfrede. An Einzelheiten kann ich mit nicht mehr erinnern; nur, dass es eher um pragmatische Themen ging, wie Öl - und Wirtschaftskrise, Atompolitik und innere Sicherheit. Die Massen - zumeist Genossen aus der SPD und Gewerkschaftler - applaudierten heftig.
Ein Grüppchen Protestler, die ihren Unmut zu diesen Themen bekundeten, kanzelte er souverän ab. Sinngemäß mit den Worten: " Was ihr wollt, wird es mit mir nicht geben. Wenn es euch hier nicht passt, geht doch nach drüben ."

Tja, so war er. Schmidt - Schnauze eben.

Zuvor kam Willy Brandt nach Wilhelmshaven. Er hielt eine Rede auf den Marktplatz. Im Freien also. Seine Worte waren andere. Er sprach von Fortführung des Reformprozesses, Weiterführung der Ostpolitik durch Annäherung und der Gefahr durch Politiker, wie Strauß und Verblendete aus der RAF. Andere Inhalte, mildere Worte, mehr Menschlichkeit.


" Onkel " Herbert Wehner, den Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bonner Bundestag, habe ich nie auf Wahlkampfveranstaltungen reden gehört. Wohl aber im Bundestag, wenn er mit verschachtelten Sätzen, scharfzüngig gegen die Schwarzen wetterte. Sich regelmäßig Ordnungsrufe einheimst und deshalb bei vielen Kolleginnen und Kollegen in Bonn gefürchtet war.

Nun, das ist alles sehr lange her. Willy Brandt verstarb nach " Onkel " Herbert Wehner ( 19. Januar 1990 in Bonn ), am 08. Oktober 1992 in Unkel. Der letzte der viel zitierten Troika war Helmut Schmidt.Er überlebte seine Mitstreiter um mehr als ein Jahrzehnt, Brandt wurde 79, Wehner, der gebürtige Dresdner 83, Schmidt 96. Nicht nur hier unterschieden sich die drei Berufspolitiker voneinander.

Wenn jetzt die Medien - Meute sich in lobhudelnden Nachrufen zu einem eindrucksvollen Menschen ergießt, dann schwingt hier und dort sicherlich auch ein Quantum Wehmut mit. Viele, die den Ex - Bundeskanzler persönlich erleben durften, konnten sich von ihm auch einen eigenen, einen speziellen Eindruck verschaffen. Viele, die seine Politik von 1974 bis 1982 erlebt haben, haben aber zu ihm - zumindest als damals amtierenden Bundeskanzler - ein ambivalentes Verhältnis.

Die von ihm verfochtene Atom - Politik als Konsequenz der 1972er " Öl - Krise " mit samt den Auswüchsen, wie Sonntagsfahrverbot, Wirtschaftskrise und außenpolitischen Wirrnissen, war - wie sich nicht nur seit Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima, heraus gestellt hat, eine falsche. Der so genannte " NATO - Doppelbeschluss  vom Dezember 1979 ( die Stationierung von Pershing II - Raketen mit Atomsprengköpfen und Marschflugkörpern ( Cruise - Missile ) , mit der er Hunderttausende gegen sich aufbrachte, war wie sich danach heraus stellte, die Initialzündung zu Abrüstungsgesprächen zwischen der UdSSR und den USA. Seine Innenpolitik, mit der er die RAF später in die Knie zwang, war konsequent. Sie führte jedoch auch zu einem Klima der Angst und Verunsicherung.

Kritiker und Gegner strafte er durch Missachtung oder harschen Worten ab ( " Während die Welt sich in einer großen Wirtschaftskrise befindet, beschäftigen Sie sich mit der Krise Ihres Hirns. " ). Politischen Gegnern, wie Kohl trat er arrogant gegenüber. Die ökologischen Bewegungen, Ende 1970er Jahre, hielt er allesamt für Spinner und Utopisten. Gleiches galt für SPD - Parteiflügel, wie die " StamoKap " - Fraktion und Friedensaktivisten sowie Atomkraft - Gegner.

Der kühle Hanseat, der auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik, sich mit Meinungen, Bewertungen und Publikationen nie zurück hielt, verstarb am 10. November 2015 in seinem Haus in Hamburg - Langenhorn,das er auch viele Jahrzehnte mit seiner 2010 verstorbenen Ehefrau Liselotte " Loki " Schmidt bewohnte. " Der Lotse geht für immer von Bord ", titelte eine Zeitung.
Dem ist nichts hinzuzufügen.



Kommentare

Octapolis hat gesagt…
Ein Mann mit Format. Ist selten geworden in der deutschen Politik...

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