" Erzähl´n Se´keine Sahne, Herr Verteidiger!" oder: Warum Nötigung nicht immer Nötigung sein muss.



Auch Richter sind nur Menschen. Nicht nur deshalb, weil sie wie solche aussehen, nein, auch deshalb, weil es von ihnen eben auch so viele gibt.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es ( Stand 2015 ) 1.109 Gerichte. Davon entfallen allein auf Niedersachsen 129, während Sachsen es auf 47 und die Freie Hansestadt Bremen nur auf 13 Gerichte der gesamten Gerichtsbarkeit bringt.
Insgesamt waren im September 2013 20.383 Berufsrichter an diesen Gerichten tätig.
Nach dem Arbeitsanfall und der Ausstattung der Justiz, eigentlich viel zu wenig.

Dennoch: Es gab auch Zeiten, in denen es eine wahre Freude war, als Richter arbeiten zu dürfen. So auch in den späten 1980er Jahre, also kurz vor der Wende. Einst waren in Westdeutschland strenge Regeln innerhalb der Justiz zu beachten. So konnte ein Richter sich getrost darauf einstellen, dass er während seiner Dienstzeit, in seinen Verhandlungen nur eine bestimmte Anzahl von Rechtsanwälten zu Gesicht bekam, nämlich diejenigen, die in dem Landgerichtsbezirk zugelassen waren. Bei den Oberlandesgerichten war es noch reglementierter: Hier bedurfte es einer 5 Jahre dauernden Zulassungszeit innerhalb des Landgerichtsbezirks, um eine OLG - Zulassung zu erhalten.

Diese Einschränkungen galten auch für andere Gerichtsbarkeiten. Nicht aber, für die vielen Amtsgerichte.

So war es deshalb möglich, dass ich eines Tages als Verteidiger in einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Rinteln, einem kleinen Städtchen im Schaumburger Land, an der Weser belegen, erscheinen durfte.

Es war ein eher simpler Fall. Eine Lappalie, die beispielsweise in Bremen nicht angeklagt worden wäre, weil die dortige Staatsanwaltschaft schon zu jener Zeit, heillos überlastet war. Derartige Verfahren, wie Nötigung im Straßenverkehr, wurden über eine Einstellung mit Geldauflage zugunsten irgendeines gemeinnützigen Vereins nach $ 153a der Strafprozessordnung eingestellt. Nur Bußgeldverfahren mussten bis zu einer Entscheidung weiter geführt werden. Deshalb gab es mehrere Abteilungen des Amtsgerichts Bremen, die sich nur mit Verkehrsordnungswidrigkeiten sowie Straftaten im Zusammenhang mit dem Führen eines Fahrzeugs zu befassen hatten.

Da stand der Mandant mit mir vor der Eingangstür zu dem Sitzungssaal des Amtsgerichts in Rinteln. Ich hatte ihn gebeten, sich etwa 10 Minuten vorher mit mir zu treffen, um noch einige Absprachen zu vereinbaren. Nach ein paar Minuten wurde die Tür geöffnet und zwei junge Männer verließen laut diskutierend den Raum. Ich vernahm nur einige Wortfetzen, die mit Vokabeln aus der Fäkalsprache zusammen hingen. Schnell gab ich dem Mandanten den Rat, auf keinen Fall etwas zu dem Vorfall zu sagen, der eben zu der Anklage führte, die nun verhandelt werden sollte.

An einem frühen Sonntagmorgen im März des Jahres 1987 fuhr der Mandant mit seinem Honda CRX von Bückeburg aus kommend in Richtung Todenmann, einem Dorf, dass am Rande des Wesergebirges, kurz vor Rinteln liegt. Die L 441 beschreibt auf dieser Strecke eine Vielzahl von Kurven. Kurz vor dem Kleinenbremer Bergwerksmuseum zuckelte ein weiterer PKW auf der Landstraße, der Rintelner Straße, entlang. Die beiden, in diesem PKW sitzenden Personen, schienen eine Ausflugsfahrt zu machen, weshalb der PKW eher bedächtig fuhr.
Nun, der Mandant hatte keine große Geduld. Er überholte den anderen PKW rasant vor einer Kurve und setzte sich vor das andere Fahrzeug. Über das dreiste Überholmanöver verärgert, betätigte der Fahrer des anderen PKW mehrfach die Lichthupe. Das veranlasste nun den Mandanten, die Geschwindigkeit zu reduzieren und abzubremsen. Die Situation eskalierte schließlich, weil der Mandant das hinter ihm fahrende Fahrzeug fast ausbremste, um dann wieder Gas zu geben. Dieser Ablauf soll sich vielleicht eine Minute lang wiederholt haben.

Als der Mandant dann schließlich am Ziel angekommen war, folgte ihn der erboste Fahrer des anderen PKW und wollte ihn zur Rede stellen. es gab ein Wortgefecht. Der zweite PKW verließ daraufhin das Grundstück und fuhr schnurstracks zur Polizei, wo er einen Strafanzeige wegen Nötigung stellte.

Die Polizei ermittelte, die Staatsanwaltschaft erhob später Anklage.

Da saßen wir nun und beobachteten den Richter am Amtsgericht Rost, wie er nur kurz in seiner Akte herum blätterte. Der Richter, so in unserem Alter, blickte dann missmutig hoch und stellte sofort einige Fragen nach den Personalien des Mandanten. Dann bat er den Vertreter der Staatsanwaltschaft, einem Rechtsreferendar, die Anklage zu verlesen. Der junge Mann stotterte dabei etwas herum, hielt aber tapfer durch.

" Möchte Sie etwas zu dem Vorwurf sagen? ", wollte Richter Rost von dem Mandanten wissen.
" Nein!", lautete die zuvor eingeimpfte Antwort des Angeklagten.
" Na, schön. Dann wollen wir mal die Zeugen hören. ", stellte der Richter fest.

Er rief zunächst den Fahrer, einen über 70 Jahre alten Rentner herein. Rost befragte ihn. Er wollte dabei auch wissen, ob es sich um den Fahrer von damals handele. Der Zeuge war sich nicht mehr ganz sicher.
Dann befragte der Richter ihn zu dem Ablauf des Geschehens auf der L 441. Der Zeuge widersprach sich dabei teilweise und konnte sich nicht mehr erinnern.

Richter Rost gab das Fragerecht an die Staatsanwaltschaft weiter. Der junge Referendar hatte keine Fragen. Während meiner Fragen nach dem Erkennen des Fahrers, platzte Richter Rost der Kragen. " Herr Verteidiger, der Zeuge hat ihnen jetzt schon zwei Mal die Frage beantwortet. Haben Sie noch andere Fragen? ".
Später blaffte er mich bei einer anderen Frage mit den Worten an: " Herr Verteidiger, erzähl´n Se´ keine Sahne!"
Rost schien ungehalten, weil das Ergebnis der Zeugenbefragung bereits zu diesem Zeitpunkt, nur Freispruch zur Folge haben konnte.

Und so kam es denn auch. Die Ehefrau des Zeugen konnte zu dem Ablauf der Fahrt von Kleinenbremen bis nach Todenmann noch weniger sagen.
Die Staatsanwaltschaft beantrage Freispruch, derer ich mich anschloss.

Richter Rost musste den Mandanten von dem Vorwurf der Nötigung also freisprechen.

Ein Erfolg auf ganzer Linie; zumal die Wahlverteidigerkosten auch noch von der Staatskasse zu erstatten waren. Nur bei den Fahrtkosten kürzte der Rechtspfleger und später, aufgrund einer eingereichten Kostenbeschwerde, der Bezirksrevisor, die Fahrtkosten.

Damit konnte ich leben. Ein Erfolg bei einem unangenehmen Vertreter der rechtsprechenden Zunft war mir alle Male lieber, als ein paar Mark später von dem Mandanten zu erhalten. Wenn Nötigung, eben keine Nötigung ist, dann muss folgerichtig freigesprochen werden.

Doch der Ausspruch mit dem " Sahne erzählen " und die Feststellung, dass der Mandant zwar keine Nötigung im Straßenverkehr begangen habe, jedoch mehrere Ordnungswidrigkeiten, die jedoch verjährt waren, weil es die Staatsanwaltschaft nicht fertig gebracht habe, diese in die Anklage mit aufzunehmen, empfand ich als oberlehrerhaft. Wenngleich Richter Rost ja recht hatte.
So hatte ich den guten Richter am Amtsgericht eher in weniger guter Erinnerung.

So, wie auch den Richter am Amtsgericht Bremen mit dem Namen Be..., dessen Verhandlungen ständig im Kasernenhofton abliefen, bei dem ich aber dennoch einst eine Klientin von einer 3monatigen Fahrsperre erretten konnte.
Oder auch den einstigen Richter am Amtsgericht Held aus Syke, dessen Urteile samt und sonders von der Berufungsinstanz, dem Landgericht Verden, kassiert wurden und der unter Kollegen einen schlechten Ruf besaß.
Dass bei einer seiner Verhandlung ein Rechtsanwalt im Schlafanzug und mit Hausschuhen auftrat, sei hier mal am Rande als lustige Anekdote erwähnt.

https://books.google.de/books?id=jxkZV6yycCEC&pg=PA29&lpg=PA29&dq=Amtsgericht+Syke+Richter&source=bl&ots=d3W5airi5n&sig=duMeO9pcEIvvoXv1AmINGvntxoQ&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwj20Iu0vp_JAhVqnHIKHVCLBgs4FBDoAQg7MAc#v=onepage&q=Amtsgericht%20Syke%20Richter&f=false

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