Unter Nackten



Seit dem vor vorletzten Jahr, genauer, seit dem Sommer 2022, der uns knackig heiße Tage mit Temperaturen um 38 ° C brachte, besuchen wir in unregelmäßigen Abständen den inoffiziellen FKK - Abschnitt des Hollener See. Inoffiziell deshalb, weil es zur Frage, ob das Nacktbadens an diesen Baggersee erlaubt ist, keine expliziten Regelungen gibt. Vor vielen Jahren, also zu Beginn der 90er - Dekade, entdeckte eine Münchnerin jenes Kiesloch, dass damals noch wesentlich kleiner war, denn der aufgelassene Kiestagebau war noch in Betrieb. So dauerte es eine gewisse Zeit, ehe sich die gute " Siggi " aus München das Recht erstreiten konnte, dort am Kiesloch zu baden und sich zu sonnen.

Viele Jahre danach hatte eine kleine Gruppe aus der Landeshauptstadt den Platz am See als FKK - Bereich erklärt und trifft sich seitdem in schöner Regelmäßigkeit jeden Sommer wieder. Es ist der harte Kern einer Form von Freizeitgestaltung, die hier in der Provinz nicht so sehr geläufig ist. Provinz bleibt eben Provinz und in der Provinz geht es eben prüder zu.

Als wir uns zum ersten Mal im Juli des vorletzten Jahres an jenen Platz begaben, um der FKK - Kultur zu frönen, die wir einige Tage zuvor an der Ostsee am Strand von Prerow weiter gepflegt hatten, war nicht so ganz klar, wer sich dort irgendwann mit einfindet. 

Nun, wir haben bislang interessante Menschen kennengelernt. Es gibt auch hier jene Vielfalt, jene Unterschiede ( nicht nur zwischen Weiblein und Männlein ), die einem Nicht - FKKler auch sonst irgendwo und nirgends begegnen. Sie werden dabei eher nicht durch die Badehose, den Bikini, den Badeanzug, verdeckt. Der wahre Charakter zeigt sich erst, wenn das, was im Verborgenen gehalten wird, nach außen tritt.

Dass der dortige Altersdurchschnitt bei mindestens 60 Jahren und darüber liegen dürfte, ist - so unsere Einschätzung - dürfte wohl daran liegen, dass die Jugend ( Genration Z aufwärts ) in einer Form der Prüderie verfallen ist. die einem " Rollback " in die 1950er Jahre zu gleichen scheint. Und dieses, obwohl Nacktheit nahezu überall zu sehen ist. Ob nun in handlungsgleichen Szenen innerhalb der Unzahl von Filmen, die den Menschen, gleich welcher Altersgruppen tagtäglich auf die Glüsen gepappt werden oder im hierfür allzeit bereiten und abrufbaren Pornos im Internet. Selbst in dem Auslaufmodell des Gedruckten bis hin zu den Romanen, Krimis oder Sachbüchern kommt sie vor.

Egal, die Gesellschaft ist eben so, wie wir sie alle zu gestalten versuchen. Und wenn die 100 Kilo - Brummer ihre Bäuche, Brüste, Bauchnabel eben nicht ohne Textilien verdecken möchten, bitte schön. Vielleicht kommt nach dem ein oder anderen Abnehmversuch die späte Erkenntnis, dass die ersten Sekunden und Minuten nach der Geburt unbedeckt gelebt werden.

Wie dem auch immer sei, ich bin ja spät, nicht zu spät, aus dem Dunstkreis des proletarisch, prüde geprägten Elternhaus entschlüpft und wurde - weder von der Schule, natürlich auch den Eltern nicht ) unaufgeklärt in das wahre Leben entlassen. Das hat zunächst dazu geführt, dass meine Einstellung zu dem anderen, dem zweiten, dem weiblichen Geschlecht stets ambivalent blieb. Einerseits interessierte ich mich zu Beginn der Pubertät ( das muss wohl so ab dem 13 / 14 Geburtstag gewesen sein ) dafür, was an diesem eigentlich unterschiedlich ist; andererseits hatte ich Bammel davor, dass ein ins Visier genommenes Mädchen bereits beim Küssen schwanger werden könnte.

Von diesen - nur zu oft - zusammen gelklaubten Fehlinformationen wurde mein Gesamtbild über das weibliche Wesen irgendwie zusammengepuzzelt. Dazu kam solches Halbwissen, das ich mir als dem Organ für die angeblich modisch - trendige Jugend, die " BRAVO ", in deren Aufklärungskolumne des " Dr. Sommer " ableitete. Ab dem Ende der 60er Dekade druckte das, sich mit den sich ändernden Lebensverhältnissen in vielen (west)deutschen Regionen einhergehende Wochenblatt, auch durchaus berechtigte Fragen aus dem breiten Sektor " Liebe, Triebe, Hiebe ".

Ein gebürtiger Jude mit dem Namen Martin Goldstein erklärte hier unter anderen, was eine Menstruation ist,  warum Masturbieren nicht gesundheitsschädlich ist oder  was ein Coitus Interruptus ist.

   https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Goldstein_(Mediziner)

Längst haben sich die Zeiten geändert, die Fragen blieben indes auf einem ähnlichen Niveau:

https://www.nw.de/nachrichten/panorama/23934295_Liebe-und-Sex-So-skurril-sind-die-Fragen-an-Dr.-Sommer-in-der-Bravo.html

 Das liegt unter anderen auch daran, dass die Eltern der Kinder und Jugendlichen heutzutage genauso unwissend und prüde daherkommen, wie es einst der Fall war. Häufiger werde ich bei Erlebten mit der Frage konfrontiert, ob die Prüderie trotz der nahezu uneingeschränkten Möglichkeiten, nackte Tatsachen zu konsumieren, seit vielen Jahren zugenommen hat und beinahe dem Stand der 1950ern entspricht.

Meine Entwicklung verlief aber eher gegenläufig. Aus der mitgegebenen, verklemmten Einstellung zu dem eigenen Körper und dem anderer Menschen, hat sich längst ein lockeres, unvoreingenommenes Verhältnis entwickelt. Was auch damit zu tun haben dürfte, dass ich dank des Einflusses meiner besseren Hälfte, die ja DDR sozialisiert ist, mich der FKK - Anhängerschaft angehörig fühle.

So begaben wir uns denn nach unserem vierwöchigen Aufenthalt in Prerow auf dem Darß und hier - je nach Wetterlage - an dem dort FKK - Abschnitt, der längst von Textilern, Strandgängern und solchen mit Hunden durchmischt wird, beinahe nahtlos an den Hollener See zu jenem kleinen Bereich des Kiesufers, der - nur geduldet - den Nudisten vorbehalten bleibt.

Der Juli hatte tatsächlich einige warme, sogar regenfreie Tage. Im August 2024 sah es hierfür weniger einladend aus. So fuhren wir an jenen späten Vormittagsstunden in Richtung des einstigen Baggerlochs, das dank einiger Verschönerungsmaßnahmen zu einem veritablen Freizeitgelände verändert werden konnte.  Allerdings mit großen Einschränkungen. Der Landschafts - und Naturschutz hat hier Priorität. Die diversen Beschränkungen werden mehr oder weniger von den Besuchern des Sees akzeptiert. Klar, bei so mancher nächtlichen Feier an einem lauen Sommerabend, werden dann und wann diverse Gegenstände der Wohlstandsjugend einfach liegen gelassen. Neben Pizza - Kartonagen, Chipstüten, Einweg - Bechern, Plastebesteck, Bierflaschen, Pet - Tüten oder Einweg - Grills, lagen auch Slips, Badehosen, Haarbänder, Socken oder auch ein Paar Badeschuhe auf dem satten Grün der Uferflächen.

Das gilt allerdings nicht für den inoffiziellen FKK - Bereich.

Hier, wo - wie oben schon angedeutet - vorwiegend ältere Semester sich unverhüllt zeigen, herrscht Sauberkeit. Kein Plastemüll, keine leeren Bierflaschen, keine Pizza - Pappkarton. Einschränkend muss ich dennoch schreiben, dass ich dort - sobald die FKKler den attraktiven Platz geräumt hatten - Vandalen ihren Konsummüll in das Gebüsch entsorgen. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, die regelmäßigen Besucher des FKK - Abschnitts sind es nicht. Dafür lege ich - notfalls - meine Hand ins Feuer.

Nach mehr als vier Jahren hat sich die einst von einer Münchnerin gegründete, sehr überschaubare Nudisten - Gruppe, auch für uns als Zugereiste geöffnet. Wenngleich es eine gewisse Zeit gedauert hat, ehe sich die Anwesenden - überwiegend reiferen Damen - in vielen Gesprächen öffneten. Sie kannten uns zunächst nicht und wir sie nicht. Das änderte nichts daran, dass wir alle am Kies Ufer so lagen, wie wir auf die Welt gekommen sind. Wir befanden uns unter Nackten.  

Allerdings nie unter uns, denn es gab neben den Spannern, die oberhalb des Kiesstreifens ihre Runden drehten, ebenso viel bekleidete Badegäste. Warum auch nicht?



 

TROYA  -  She  -  Point Of Eruption  -  1976:



  



    

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