Warum es am 24. Dezember keine Gerichtstermine gibt. Eine Vorweihnachtsgeschichte von Advocatus Diaboli. Niedergeschrieben von selbst.
Es war einmal, vor 25 Jahren, ein nicht mehr ganz so junger, doch noch jung an Erfahrungen,in einer westdeutschen Großstadt praktizierender Anwalt. Ein Anwalt, wie jeder andere auch, aber auch wiederum nicht. Er hatte nicht viel, außer den unbändigen Drang, anderen Mitmenschen helfen zu wollen, aber dabei immer noch Mensch zu bleiben. Ein großartiges Unterfangen, in den Endachzigern, bei über 100.000 zugelassenen Rechtsanwälten in Westdeutschland und mehr als 1.000 in jener Großstadt. Da heißt es, um jeden Klienten kämpfen, auch wenn er nur Mist am Hacken hat und am Ende die Gebührenrechnung nicht bezahlt oder noch schlimmer: sie nicht bezahlen kann. Das gesamte konkurrierende Berufsumfeld war zudem feindlich gesinnt. Jeder haute Jeden bei der Rechtsanwaltskammer ( einem Kontrollorgan mit einer nahezu göttlichen Symbolkraft, bestehend aus alten Tattergreisen jenseits der 70 und einer dauerfrustrierten Geschäftsführerin mit dem emanzipierten Namen S. - G. ) in die Pfanne. Sie unterstellten diesem ein berufliches Fehlverhalten, wenn der eigene A.. in einem Verfahren zu sehr geröstet werden könnte. Keine guten Startvoraussetzungen, um für Recht und Gerechtigkeit zu kämpfen.
Zu diesem Schlachtfeld kam ein weiteres - weil die eigene Herkunft eher bescheiden war - das wichtigste, nämlich das um die Gebühren, die Knete, den Zaster, die Patte - einst in Deutsche Mark gezahlt. Der Herr Advocatus Diaboli ( Kurzform jetzt immer AD ) bezog deswegen in den ersten 1,5 Jahren Arbeitslosenhilfe ( die es damals noch gab, wo jene Transferleistungen durch die Solidargemeinschaft noch nach dem AFG geregelt waren ) und " Schwarzgeld " ( das es immer noch gibt, wenngleich auch dieses nicht vor einer Pleite schützt, wenn es falsch angelegt wird und andere Parasiten dem Staat die Steuer vorenthaltend, dieses durch noch größere, parasitär agierende Berater wieder verbrennen statt in Vermögen anzulegen ). Das eine Finanzierungsmittel war legal und betrug in etwa 700 DM monatlich, die anderen Einnahmequellen waren illegal und zudem stark schwankend und machten zirka 300 DM monatlich aus. So versuchte der AD sich über Wasser zu halten. Die Miete für eine 2 Raum - Wohnung mit Duschklo und kleiner Küche zu einer extrem lauten Hochstraße zeigend, betrug um die 450 DM. AD konnte deshalb die weiteren Verpflichtungen, wie Berufshaftplichtversicherung, Beiträge zur Rechtsanwaltskammer, Kfz - Versicherung usw. bestreiten, weil er während der Zeit des 2. Staatsexamens gespart und zudem einen Bankkredit aufgenommen hatte.
AD war also kein wohl habender Fernsehanwalt mit Villa, Pool und Sportwagen. Die mit einem Kollegen gemeinsam geführte Kanzlei lag zudem in einem schmuddeligen Stadtteil der Großstadt. Dort, wo das Elend und die Not ein Gesicht trug, dort, wo es hunderte Junkies, Kleinkriminelle und Arbeitslose gab, dort lebten aber auch andere gesellschaftliche Randgruppen, wie Schüler, Studenten, Professoren. Ein durchmischtes Bevölkerungsgefüge also. AD mochte dieses Ambiente, obwohl er dort selbst nicht wohnen wollte. Die Gefahr, als Einbruchsgeschädigter registriert zu werden war zu groß, als Frauenfeind stigmatisiert zu werden, weil ein freigesprochener " Vergewaltiger " das Büro einige Male aufgesucht hatte, war noch größer und jene, von den eigenen Mandaten angepumpt und beschissen zu werden, am größten.
Als das Büro, die Kanzlei von AD und seinem Sozius so langsam zu Laufen begann, flatterten dann die Terminsladungen herein. Nach einigen Monaten sollte darüber verhandelt werden, ob eine Klage zu Recht oder zu Unrecht erhoben worden war, ob über einen Antrag entschieden werden kann, ein Angeklagter verurteilt oder freigesprochen ,ob das Verfahren eingestellt wird, usw. usf. Da lagen die mausgrauen Umschläge in verschiedenen Größen und Stärke, mehr oder weniger dick, auf dem Schreibtisch der Azubine, der Aushilfe oder auf dem eigenen und warteten darauf geöffnet zu werden. Dann folgte das typisch, ratschende Geräusch, wenn der Brieföffner, bei " Hellweg " oder der " Hans Soldan - Stiftung " gekauft,in die Umschlagsenden gesteckt und schnell zum anderen Briefende geführt wurde. Mit diesen Ladungen lagen manchmal auch gerichtliche Verfügungen oder Beschlüsse bei. Da hieß es unter anderem, dass ein benannter Zeuge geladen werden soll, dass dieser Zeuge - sofern von der eigenen Partei benannt - nur dann geladen werden kann, wenn ein Zeugengebührenvorschuss eingezahlt wird ( es galt auch hier der Grundsatz: " Ohne Schuuuuß kein Juuus! " ) oder es wurde - welch erfreuliche, für das sich permanent im Keller befundene Bankkonto, leicht aufhellende Nachricht - der eigenen Mandantschaft ( ob nun Kläger - oder Beklagtenpartei ) Prozesskostenhilfe bewilligt. Dieser Begriff ( fachinternes Kürzel: PKH ) wirkte sich motivierend auf das gesamte Arbeitsumfeld des AD auf, denn nun gab es Kohle vom Papa Staat.
Der Brieföffner ratschte auch an jenen Tagen im Oktober 1987 die eingegangene Post. Sie war - wie in den vielen Monaten davor und danach - von dem Zusteller mit dem schönen Vornamen Hubert übergeben. Hubert war ein gebürtiger Franzose mit einem deutschen Vater und lebte zuvor im Umland der Großstadt. Und weil er eben auch französisches Blut in seinen Ader fließen hatte, sprach er sich auch französisch aus, nämlich ( phonetisch ) " Über ". Über bekam ein Jahr später Ärger mit der Staatsanwaltschaft, trennte sich von seiner Lebensgefährtin und flog bei der Bundespost raus. Schade, eigentlich war er ein netter Mensch.
Da lag sie nun, die geöffnete Post. Einige Schreiben waren auch von anderen Rechtsanwaltskanzleien, weitere von Behörden aus der Stadt oder noch andere von Versicherungen. Summa summarum brachte uns " Über " etwa zwei Dutzend Poststücke. Die blauen Umschläge waren dabei die gefürchtetsten, denn da stand meistens etwas unangenehmes im Schreiben drin. Entweder eine Anklage, ein Mahnbescheid, eine Ladung. Lag so ein Ding auf dem Schreibtisch, musste es genauer gelesen werden, denn es galt dann, eine Frist oder einen Termin in ein eigens dafür geführten Kalender einzutragen.
Ja, und so´n blauer Brief mit Ladung vom Amtsgericht und einen umseitigen richterlichen Hinweis, war auch dieses Mal dabei. Da prangte auf der ersten Seite unter dem Briefkopf " Amtsgericht...." das Wort " Ladung ", dann war dort der Wochentag, " Mittwoch " und das Datum " 23. Dezember " und das Jahr " 1987 " zu lesen. Huch, einen Tag vor Heilig Abend also. AD notierte den Termin in seinem Büroraum - und in seinem eigenen Kalender. Danach las er die übrige Post und sortierte sie zu den dazu gehörigen Akten. Ordnung muss eben sein!
Die Wochen vergingen und weil der Termin näher rückte, ließ sich AD die Akte einige Tage vorher wieder vorlegen. Die Wiedervorlage ist wichtig, weil es sein kann, dass der Rechtsfall nicht immer einfach war, weil riesige Schriftsätze mit noch größeren Kovoluten eingereicht wurden, um eigentlich zu schreiben, dass die Partei nichts zu sagen hat. Um sich aufzumänneln vor dem eigenen Brötchengeber mit Namen Mandat A bis Z oder dem Gericht zu erklären, dass frau/man, entweder keine, nur wenig oder doch Ahnung von jener Rechtsmaterie hat.
Dieser Fall war indes überschaubar. Es wurde eine Forderung aus einem Vertrag gerichtlich geltend gemacht. Den zunächst beantragten Mahnbescheid hatte der Mandant, ein " Sportsudio " mit Namen " A " selbst angefertigt und bei Gericht eingereicht. Das funktionierte eher unkompliziert: Es musste ein Mahnbescheidsvordruck gekauft werden ( Kosten einst 2 DM ), dieser wurde dann ausgefüllt, mit Gerichtskostenmarken versehen und dann bei der dortigen Poststelle abgegeben. Möglich war auch, die Gerichtskosten nachdem eine Rechnung durch die Landeshauptkasse zugesendet wurde, den Betrag mit der Angabe des Aktenzeichens zu überweisen. Diese Variante dauerte jedoch etwas länger. Also, die Mandantschaft des AD hatte den Mahnbescheid selbst auf den Weg gebracht, weil ein Mitglied des Fitness - Studios seine Monatsbeiträge nicht bezahlen wollte.
Das Klientel dieses Fitness - Studios war höchst eigenartig. Dort trafen sich einst viele Anhänger der Muskelkultur a´la´Arnold Schwarzenegger, Dolph Lundgren oder Sylvester Stallone. Manche hatten allerdings den Körperbau eines Zwerg Nase und die Hirnmasse eines Spatzen, was sich in den schriftlichen Ergüssen an das Gericht wider spiegelte. Oft versuchten diese Freizeit - Rambos mittels Anabolika, Stereoiden oder Eiweißgetränken, die dann literweise an dem Ausschanktresen des Fitness - Studios herunter gegurgelt wurden, ihren Körper zu malträtieren. An den einfachen Trainingsgeräten fanden diese sich eher selten ein. Einige sagten sich doch: sowohl als auch und schwitzten vor der Einnahme der Dopingmittelchen mindestens ein Handtuch durch. Eine seltsame Truppe, diese Kerle im Sportstudio " A ", dass dachte sich auch AD, als er eines Tages wegen einer Vollmacht zu diesem Rechtsfall sich dort vorstellte.
Diese bekam er dann mit den Unterlagen zu dieser Rechtssache. Der Vertrag war ein so genannter, aber vormals durchaus üblicher, Knebelvertrag, der eine Laufzeit von 2 Jahren beinhaltete und sich jeweils automatisch um ein weiteres Jahr verlängerte, wenn er nicht 3 Monate vor dem Vertragsablauf von 2 Jahren schriftlich, per Einschreibebrief gekündigt wird. Und hieran scheiterten auch viele Mitglieder eines Fitness - Studios. Sie waren oft unwissend, einfach zu unerfahren oder meist nur dumm, um sich die benannten Allgemeine Geschäftsbedingungen ( Jura-Kürzel: AGB (s) ) durchzulesen. Jene Verträge mit denen eine Fitnesswütiger dann geknebelt wurde, waren längst Anlass für ungezählte Streitigkeiten, bis hin zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe, der dann die Klausel als nicht mit dem AGBG vereinbar erklärte und sie schlankweg kassierte. Zwischenzeitlich aber tobten die Schlachten vor den Gerichten um rückständige Entgelte, Mitgliedsbeiträge oder einfach nur Gelder, um Kündigungen, Kündigungen aus wichtigem Grund, weil der nicht mehr Zahlungswillige ein ärztliches Attest vorlegen konnte, dass ihm irgendein Wehwehchen am Rücken oder sonstwo ( Hirn eingeschlossen ) bescheinigte, woraufhin er nicht mehr trainieren könne, ohne seine Gesundheit zu ruinieren.
So einen Fall hatte auch AD an Land gezogen. Ein türkisch-stämmiger Klient des Fitness-Studios " A " hatte einen solchen " Persilschein " ( solche Atteste waren üblich, denn neben der Juristenschwemme gab es damals schon die Ärzteschwemme und viele Weißkittel, die mit ihren Praxen am Hungertuch nagten, weshalb eben diese Dirnendienste für Patienten getätigt wurden ) nach der Kündigung eingereicht und nochmals gekündigt. Die Beiträge davor wollte er aber nicht zahlen, weil er - so seine von einem Halbgaren, wohl Rechtsreferendar, schriftlich eingereichten Behauptungen als Klageerwiderung - eben von Beginn an krank gewesen sei und hätte nicht trainieren dürfen. Es ging um 8 Monatsbeiträge a´35 DM, also 280 DM. Das war zwar damals auch nicht gerade sehr viel Geld, für einen Arbeitslosen aber sehr wohl, denn das war der ehemalige Beklagte auch noch. Nichts zu holen, so schwante es dem AD. Viel Papier für wenig Gebühren, geisterte ihm zudem noch im Hinterkopf herum. Und das Ganze auch noch einen Tag vor Heilig Abend. Bei dem nass-kalten Schmuddelwetter auch noch zum Gericht laufen. Es gab schönere Dinge.
Dann nahte der 23. Dezember 1987. AD setzte sich an seinen Frühstückstisch und trank seinen Ostfriesentee mit Kluntje, schob eine Scheibe " Aldi " - Toastbrot mit besserer " Schwartau " - Erdbeermarmelade hinein und legte eine weitere Scheibe des weißen Industriebrots in den Toaster. Er aß jetzt ein Käsetoast mit billigen " Aldi " - Scheibenkäse ( Geschmacksrichtung Emmentaler ), trank seinen Teebecher aus und räumte die Utensilien in den Kühlschrank, der neben der " IKEA " Anrichte, der " IKEA " - Spüle ( nur mit einem Becken ) und dem " IKEA " - Besenschrank stand. Dann zog er seine Allwetterjacke, ohne Innenfutter an, schnürte seine Schuhe von " Deichmann ", Marke " Ecco ", die er bereits zu Studentenzeiten gekauft hatte, zu und verließ gegen 8.10 Uhr das Haus in der W. - Straße 81 in jener Großstadt, um in sein Büro zu fahren. Der PKW Marke Mazda 323 Hatchback mit 86 PS rollte über die vollen Straßen und brachte ihn in den nahe gelegenen anderen Stadtteil zu seinem Büro.
Die Parkplatzsuche war wie seit Jahren, wie immer, ein Lotteriespiel. Er parkte irgendwo in einer der schmalen Nebenstraßen am Gehsteigrand ein. Hier, wo alte, vor sich hin gammelnde Backsteinbauten im typischen Stil dieser Stadt standen, wo das akademische Prekariat ( diesen Ausdruck gab es zwar damals noch nicht, er traf dennoch zu ), die verbeamteten Lehrer und Hochschullehrer, wo Studenten, Schüler, Aussteiger wohnten, stieg er aus dem PKW aus und ging einige hundert Meter zu Fuß.
AD schloss das Büro in einem solchen Wohnhaus auf und knipste die Neon - Deckenbeleuchtung an. Er zog seine Jacke aus und stellte die mitgebrachte Tasche, in der er die Akten und Unterlagen transportierte zur Seite. Er hörte den Anrufbeantworter ab, auf dem sich mehrere Nachrichten befanden. Auch die, dass sein Kollege heute nicht käme, weil er einen Termin im Knast hatte. Einen Tag vor Heilig Abend? Na, egal! Er begab sich zu der Kaffeemaschine, bereitete für sich das Dauergebräu zu, dessen Zutaten regelmäßig im " Eduscho " - Shop mit Stehcafe´an der Ecke zu der engen Straße, in dem das Büro lag, gekauft wurden. Hier, wo sich arbeitslose Ausländer mit Hehlern und Dieben aus dem Drogenmilieu trafen, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Hier, wo eines Tasse Kaff´nur 0,50 DM kostete und auch so schmeckte. Hier, wo die anderen Advokaten auch aufkreuzten, wenn sie vom Gericht kamen und sich die Nutten aus der H. - Straße trafen, bevor sie zum Fitnesstraining in jenes Studio gingen, für das AD sich in einigen Stunden ins Zeug legen sollte.
Die Kaffeemaschine brodelte unaufhörlich. Endlich war das Gesöff fertig. AD nahm dieses Mal die haltbare Milch aus der kleinen Flasche, denn das Verfalldatum rückte näher. Der Kühlschrank, der sich im hinteren Teil des schlauchartigen Raumes befand, dessen Ende eine Toilette mit winzigem Handwaschbecken und einer antiquierten Spülung beschrieb, würde spätestens am Abend für einige Tage ausgestellt werden, um Stromkosten zu vermeiden. Die Milch, die AD zuvor bei der " Minimal " - Filiale in der Straße gegenüber gekauft hatte, war noch gut. AD rührte sie in die schwarze Brühe ein und verließ den Platz, um sich hinter seinen Schreibtisch zu setzen. Er trank seinen Kaffee und holte das Diktiergerät aus der Schreibtischschublade. Der kleinere Aktenstapel, den er am Tag zuvor dort aufgebaut hatte, sollte - musste aber nicht - noch vor Weihnachten abgearbeitet werden. Gegen 8.30 Uhr wurde die schrottige Eingangstür aufgerissen und die Auszubildende Jannine S. kam herein. Wie immer war sie dezent geschminkt und gab ein leicht lächelndes " Guten Morgen! " von sich. " Morjen, Jannine! ", entgegnete AD ihr. Dann informierte AD sie darüber, dass der Kollege C. heute nicht mehr käme, weil er Knastbesuche abstatten würde. Die Auszubildende quittierte dieses mit einem: " Ja, ist gut!" und setzte sich hinter ihren Schreibtisch und vor die monströse " Olympia " - Schreibmaschine mit Kugelkopf, die AD noch aus Studienzeiten mitgebracht hatte.
Während die Auszubildende auf dem Pedal des Kassettenabspielgeräts herum trampelte, diktierte AD seine Schreiben und Schriftsätze zu den aufeinander liegenden Akten. Ödes Zeugs, irgendwelche Anschreiben an Versicherungen, Behörden und weitere Klagen und Klageerwiderungen. Jannine unterbrach ihre Tretorgie und rief: " Du hast nachher Termin!" " Joh, Akte liegt schon hier. Danke!" rief AD zurück. Das kollegiale " Du " war in der Szene üblich, in der sich linksorientierte Advokaten gegen die Scheiß - Spießer aus den großen Spießer - Büros abgrenzen wollten und den Büroablauf und damit auch ihr spärliches Personal sozialisierten. Ergo: " Du " war nichts persönliches im Umgang mit den Mitarbeiterinnen, sondern eine floskelhafte Anrede. " Kannst Du mir diese Sachen noch tippen? ", fragte AD die weiter auf dem " Olympia " - Monstrum herum hämmernde Azubine. " Ja, mache ich!", rief sie zurück, ohne dass das Gekloppe dabei aufhörte.
Es vergingen fast 3 Stunden, dann waren auch die frischen Diktate abgetippt, korrigiert ( das musste in jedem Fall sein ) und unterschrieben ( auch das war absolut erforderlich ). Jannine war fleißig und motiviert. AD und sein Sozius hatten sie von einem anderen Büro übernommen, das ihr Vater als Rechtsbeistand ( das war einst ein Zwitter zwischen Jurist und Volljurist ) unterhielt, weil sie sich mit diesem überworfen hatte. Nun sollte sie die Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin ( heute - fachangestellten ) beenden. Sie zwar psychisch ein wenig labil und heulte einige Male wie ein Schlosshund, wenn wieder ein übler Schriftsatz in dem Unterhaltsprozess, den AD für sie gegen ihren Vater führte, eintraf, aber sie war eben auch zuverlässig.
Die Uhr zeigte 12.00 Uhr an und AD verließ seinen Büroraum. Nun musste er noch zirka 1,3 Kilometer Fußweg zum Gericht zurücklegen. Dafür würde er vielleicht 15 Minuten benötigen. Genug Zeit also, um die übrige Post noch abzugeben, Briefmarken zu kaufen und zurück zum Gerichtsgebäude zu gehen, denn der Termin war für 12.30 Uhr anberaumt. AD zog seine Jacke an, verabschiedete sich von der Azubine und verließ das Büro. Er bog links in den Straßenzug, an dem sich die " Eduscho " - Filiale befand, passierte einige Geschäfte und diverse Kneipen, die Puffstraße, die Straßenkreuzung an der es in einigen Tagen wieder die sattsam bekannte Silvesterrandale geben würde, ein Theater und ein Szene - Cafe´, in dem ein sehr bekannter Bundesligafußballtrainer seine Zeitungen las und das Frühstück einnahm, ehe er über eine stark befahrene Kreuzung an einem Fluss zum Gerichtsgebäude gelangte. Er begab sich aber zunächst zur Hauptpost und erwarb einen Bogen Briefmarken zu 50 Pfennig sowie einige weitere zu 30 Pfennig. Dann kehrte zu seinem Zielort, dem Amtsgericht zurück.
Es war einige Minuten vor halb eins. Der Termin stand im Sitzungssaal 124 kurz bevor. AD ging die Treppen in den ersten Stock des Gebäudes hoch und öffnete eine Zwischentür, durch die er in den Flur gelangte. Hier saßen einige Personen auf den Stühlen, andere standen herum und unterhielten sich. Kurz vor Weihnachten war nicht mehr so viel los in den Gerichten. Einige Richter machten längst Urlaub, andere von ihnen hatten keine Lust, sich durch Streitereien die Weihnachtsfeiertage vermiesen zu lassen; sie terminierten ab der 3. Dezemberwoche einfach nicht mehr. Der Richter, mit dem es AD und die Gegenseite zu tun hatte, jedoch nicht. Er wollte auch einen Tag vor Heilig Abend seinen Aktenstapel abarbeiten und hatte seit 09.00 Uhr bis 12.30 Uhr gut ein Dutzend Rechtssachen abgewickelt. Die Tür öffnete sich und ein Pulk Menschen verließ laut quatschend den Gerichtssaal. AD vernahm einige Gesprächsfetzen, wie " Ist ja ganz gut gelaufen! " oder " Na, denn Frohes Fest " und " Ja, danke gleichfalls! ".
Jetzt rief die Protokollführerin, die gewöhnlich rechts neben dem Richter(n) saß, die Streitsache von AD auf. Der Lautsprecher quäkte also: " In der Sache " Fitness - Studio " A " gegen U., die Beteiligten bitte in Saal 124 eintreten! ". AD ging schnurstracks auf die Tür zu. Hinter ihm folgte die Gegenpartei, der Beklagte, der Nichtzahler.
Der Richter C. war schon 10 Jahre im Geschäft. Er hatte bereits eine Halbglatze, war von eher sportlicher Statur, vielleicht 1,75 m groß und durchaus schlank. Richter C. war zu diesem Zeitpunkt 43 Jahre alt. Nicht mehr ganz jung, aber auch kein alter Knochen, wie einige seiner Kollegen, die in den kommenden Jahren in Pension gehen würden. Da saß er nun, rechts neben ihm die Protokollführerin, links neben ihm ein Rechtspraktikant, und fragte gleich den anwesenden Beklagten, ob er auch dieser sein: " Herr U.? " Antwort: " Ja " " Nehmen Sie doch bitte da Platz . " Richter C. zeigte auf den Stuhl links neben seinem Podest, dass nur durch eine weitere Eingangstür in dem Sitzungssaal zu erreichen war. AD indes wusste, dass er auf der gegenüber liegenden, damit auf der rechten Seite vom Richterstuhl aus gesehen, Platz nehmen sollte. Richter C. begann, in wenigen Worten den Streitstoff zusammen zu fassen. " Der Kläger, also Herr Ut. als Inhaber des Fitness - Studios macht 280 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem... " Richter C. stockte und fragte dann nochmals den AD: " Herr AD, seit wann werden Verzugszinsen geltend gemacht? " " Na, ja, seit Zustellung des Mahnbescheids. ", antwortete der etwas nervös. " Aja, also seit Zustellung des Mahnbescheids geltend. "
" Sie haben da ja einen Vertrag unterschrieben, Herr U. Nicht wahr?" U. versuchte irritiert zu tun: " Vertrag? Ach so, ja, das ist meine Unterschrift. ", antwortete U., nachdem Richter C. das Original in Höhe hielt und genau zu erkennen war, dass dieses Schriftstück unterschrieben war; nämlich von U.
Richter C. stellte noch einige Fragen an U. Dann kam er auf das Gefälligkeitsattest zu sprechen. " Herr U. sie haben ja nachgewiesen, dass sie ab dem ( es folgte ein Datum ) aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr bei dem Kläger trainieren konnten. ". U. antwortete ihm brav: " Ja. " AD intervenierte sofort: " Das haben wir bestritten! " " Ja, Herr AD, das mag schon sein, aber das Gericht ist kein Arzt und muss sich auf das verlassen, was in dem Attest steht. Und hier steht etwas wegen eines Rückenleidens und dass kein belastender Sport mehr betrieben werden darf. " " Das ist doch eine Allerweltsformulierung!", entgegnete AB. " Mag ebenfalls so sein. ", sagte Richter C. " Ja, also, Sie haben das Attest dann am ( es folgte ein weiteres Datum ) dem Kläger vorgelegt und dann noch einmal gekündigt." U. wiederum kleinlaut antwortend: " Ja. "
" Nun, " fuhr Richter C. fort " damit besteht ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. "
Dann kam Richter C. auf den Punkt: " Also, wenn Sie am ( es folgte ein Datum ) den Vertrag unterschrieben haben, denn Sie am ( es folgte ein Datum ) gekündigt haben, jedoch ohne triftigen Grund, denn der Vertrag endet ja erst am ( es folgte ein Datum ), danach am ( Datum ) erneut aus wichtigem Grund die Kündigung ausgesprochen haben, weil Sie jetzt ein ärztliches Attest dem Kläger vorgelegt haben, dann hat dieser einen Anspruch auf monatliche Mitgliedsbeiträge von 5 mal 35,-- DM, demnach 175,-- DM.
" Herr AD Sie machen für den Kläger ja zunächst bis Dezember 1987 rückständige Beiträge geltend und gehen davon aus, dass der Vertrag auch weiterhin, dann bis zum ( Datum ) hin fort besteht. Nicht, wahr? "
AD antwortete mit " Ja, richtig! "
" Wie wäre es mit folgendem Vergleich? Der Beklagte zahlt 175,-- DM und der Vertrag ist damit aus der Welt? ", wollte Richter C., ein wenig selbst sicher und von seinem Rechtspraktikanten nickend unterstützt, wissen.
U., also der Beklagte schaute ein wenig irritiert und fragte zaghaft nach: " Also ich soll dann 175 Mark bezahlen und dann nichts mehr? "
Richter C. etwas süffisant: " Ja, so ist es!"
" Na gut. Ich bin arbeitslos, aber dann bezahle ich das trotzdem. ", stellte U. fest.
" Dann darf ich den Vergleich so protokollieren, Herr AD? ", fragte Richter C. und sah mit ernstem Blick zu AD herüber.
" Na, gut, weil bald Weihnachten ist. Wir machen das.! ", entgegnete AD ihm.
" Widerrufsvorbehalt benötigen Sie aber hier nicht. Oder? ", wollte Richter C. noch wissen und setzte eine bedenkliche Miene auf und füge dann mit einem hörbar ironischen Unterton hinzu: " Ja, ja, der Herr Ut ( es folgte der vollständige Name ), der Harry! Ich kenne Herrn Ut. ( Name folgte ganz ) sehr gut. Ähmmh, ich meine natürlich privat!"
" Nein, nicht nötig!", schnarrte AD sofort zurück.
Richter C. sah zu der Protokollführerin herüber, die schon übereifrig mit dem Stift auf dem gelben Formblatt herum gestrichen hatte: " Frau Mustermann, dann protokollieren wir folgenden Vergleich:
1. Der Beklagte zahlt zur Abgeltung sämtlicher Forderungen aus dem Vertrag der Parteien vom ( Datum ) bis zum ( Datum ) einen Betrag von 175 DM.
2. Damit sind sämtliche Forderungen aus dem Vertrag vom ( Datum ) erledigt.
3. Die Parteien verzichten wechselseitig auf die Geltendmachung weiterer Forderung aus dem Vertrag vom ( Datum ) und nehmen den Verzicht wechselseitig an.
4. Die Kosten des Rechtsstreits und dieses Vergleichs werden gegeneinander aufgehoben. "
" Bitte lesen Sie noch einmal vor, Frau Mustermann! ", forderte Richter C. die Protokollführerin höflich auf.
Diese legte dann mit schneidiger Stimme los.
" Ist das so richtig wieder gegebn? ", wollte Richter C. von beiden Anwesenden noch wissen.
Nach einem hinter einander folgenden " Ja ", verkündete Richt C. noch:
" Beschlossen und genehmigt."
" Damit ist die Sitzung in dieser Sache beendet. ", gab Richter C. noch zu Protokoll.
Dann stand er auf und zog seine Robe aus. " Ja, das war´s denn für heute und dieses Jahr. ", seufzte er.
" Na, morgen ist ja Heilig Abend oder gibt es da auch Termine? ", stellte AD die etwas naive Frage.
" Nein, das dürfen wir nicht! Keine Termine an Heilig Abend! Da ist hier sowieso zu. " sagte Richter C.
" Vielleicht auch gut so, denn sonst würden so einige Prozesse wegen Weihnachten in der Sache beeinflusst werden. ", fügte AD hinzu.
" Ja, so kann man das schon sehen. ", antwortete ihm Richter C. Sein Rechtspratikant stand dabei neben ihm und lächelte mild.
" Na, denn: Ihnen ein Frohes Fest!", beendete Richter C. das Gespräch und wehte, die Robe unter dem Arm tragend nebst Praktikanten davon.
" Ja, danke gleichfalls! ", konnte AD noch gerade hinterher rufen. ehe die Zwischentür wieder zuklappte.
AD verließ das Gebäude und überlegte auf dem Rückweg zum Büro, woher Richter C. denn nun den Mandanten,der auf dem Gelände vor der Kanzlei das Fitness - Studio betrieb eigentlich kennt. Wenn der Richter ihn gut kennt, aber nur privat, dann muss es eine Verbindung zwischen den Beiden geben. Nur welche? Also Fußball? Nee, der Mandant war kein Fan des BL-Vereins. Was dann?
Im Büro angekommen, rief AD wenig später in dem Fitness - Studio an.
Die Mitarbeiterin meldete sich am Telefon. AD berichtete über den Ausgang des Prozesses. Er erwähnte auch noch, dass sich der Richter C. und der Mandant Harry privat kennen würden.
Der Mandant war selbst nicht anwesend. Er führte noch einen Klempnerbetrieb und musste eine Baustelle aufsuchen.
AD wollte gerade von einem Bäcker in der Nähe Kuchen holen, als das Telefon klingelte.
Die Mitarbeiterin des Fitness - Studios war erneut am Apparat und erzählte von einem Gespräch mit ihrem Chef. Demnach kannte der Mandant Harry den Richter C. sehr wohl privat. Von den illustren Besuchen in einem stadtbekannten Pärchenklub, und der Mandant Harry brüstete sich damit, dass er auch dessen Frau sehr gut kenne.
" Wie jetzt? ", wollte AD weiter genauer wissen.
Die Antwort war eher unspektakulär, wie auch simpel. Richter C. besuchte dieses Etablissement öfters, genau wie Mandant C. Richter C. mit Ehefrau, weil die umsonst hinein kam und Richter C. nur 150 DM statt 300 DM zahlen musste, während Mandant Harry den vollen Preis zahlen musste. Aber das war natürlich nicht der Grund des Sichkennenlernens. Der Mandant hatte dabei das Vergnügen, während C. jenes woanders suchte.
So legte AD den Hörer seines Telefons ein wenig desillusioniert auf, glaubte danach weder an die beeinflussende Wirkung eines Gerichtstermins einen Tag vor Heilig Abend, noch an Recht und Gerechtigkeit und schon gar nicht an die Unabhängigkeit der Justiz jenseits der fleischlichen Genüsse und sonstiger damit verbundener Laster. Immerhin aber daran, dass an Heilig Abend nie Verhandlungstermine vor Gericht in diesem Land statt finden.
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