Der Harald, der Jazz - Club, die " Globe Unity ".
Es ist nun mehr über 39 Jahre her, als ich an einem Freitagabend im November 1974 eine Glatteis - Rutschpartie zum Jazz - Club nach Hannover unternahm.
Wer da an jenem Freitag aufgetreten ist, kann ich natürlich nicht mehr genau sagen. Fakt ist allerdings: Es gibt den Jazz Club in Hannover immer noch.
http://de.wikipedia.o5g/wiki/Jazz_Club_Hannover
Damals saßen in dem VW Käfer 1200 meines Schulkollegen Harald I. aus Bückeburg, neben diesem noch zwei weitere Bekannte. Auch diese beiden waren so um die Anfang Zwanzig und Musikfans. Wenngleich sich deren Musikgeschmack nicht mit meinem deckte. Denn Harald und einer der Mitfahrer hörte seit längere Zeit Free - Jazz. Zuvor interessierten sich beide für Jazz - Rock, weshalb sie einst hitzig darüber diskutierten, ob nun " Blood, Sweat and Tears " oder " Chicago Transit Authority " die bessere Musik machten. Auch " Soft Maschine " zählte einst zu ihren Favoriten.
Dann stiegen beide auf Jazz um. Hörten Volker Kriegel, Albert Mangelsdorff oder Wolfgang Dauner.
Reine Jazz - Musiker eben, die mit sehr unterschiedlichen Kollegen Musik machten und veröffentlichten.
Dann drifteten beide zum Free - Jazz ab. Interpreten, wie Peter Brötzmann, Gunther Hampel, Alexander von Schlippenbach lagen nun auf den Plattentellern. Musik, mit der sich eine Minorität identifizierte. Musik, deren tieferer Sinn sich eigentlich nur einem eingefleischten Musikfreund erschloss, der sich nicht sklavisch an den normierten, von der kapitalistischen Verwertungsseite und den Werbe - und Industrievorgaben orientierte und für experimentelle Wege offen war. Musik, die von dem Jazz - Guru Michael Naura, der schon in jener Zeit eigene Sendungen im NDR moderieren durfte, dort vorgestellt und präferiert wurde; als phonetisches Korrelat zu dem damaligen Mainstream aus Schlager, Pop und Rock.
Wenn die Masse der Michel vormals die Beat -, die Pop - oder Rock - Musik als Gejaule, Gekreische, als Krach eben, abqualifizierte, was war dann Free Jazz für diese Kleingeister?
Nun, danach habe ich einst nie gefragt. Weil der Free Jazz für mich eben nur eine Randfunktion in meinem eigenen Musikgeschmack einnahm.
Dennoch hörte ich in jenen Jahren die Sendungen von Michael Naura, wie den " Jazzworkshop " und sah ihn zusammen mit dem unvergessenen Lyriker Peter Rühmkorff im Fernsehen.
Michael Naura war eben Mister Jazz.
Nun, aber zurück zur Fahrt nach Hannover. Es war längst dunkel, als wir von Bückeburg nach Hannover fuhren. Hannover, die Großstadt mit ihren mehr als 550.000 Einwohnern, der Altstadt, den Festivals und vielen Plattenläden, war immer eine Reise wert.
Es war kalt. Ein Spätherbsttag, eigentlich ein Wintertag. Die Straßen waren glatt. Harald fuhr deshalb langsam und vorsichtig. Sein VW Käfer schnurrte über die B 65 in Richtung Nienstädt, Stadthagen, Bad Nenndorf. Hier, wo vormals der Wind die vielen, noch unbebauten Flächen entlang der Bundesstraße richtig stark belegen konnte, war es glatt. " Sauglatt ", wie es in unserem Sprachjargon zu dieser Zeit hieß. Harald fuhr ohne Probleme an den im Straßengraben liegenden Fahrzeugen vorbei, deren Warnblinkanlagen schon Kilometer weit vorbei sichtbar wurden.
Wir diskutierten über die gesehenen Unfälle. Unserem Chauffeur Harald focht das aber Alles nicht an, er fuhr profimäßig, auch wenn er zuvor mit seinem Jazz - Kumpel ausgiebig eine Tüte geraucht hatte. Der VW Käfer schnurrte in den Ort Ronnenberg ein. Bis Hannover - Mitte waren es dann noch 15 -, bis zum Jazz Club, der im Stadtteil Linden liegt, vielleicht noch 8 Kilometer.
Harald parkte seinen Käfer irgendwo neben dem Gebäude, in dem sich der Club befindet. Wir stiegen aus und einige Treppenstufen hoch gingen zum Eingang und zahlten dort Eintritt. Einen Betrag von vielleicht 6 bis 8 DM. Der Veranstaltungsraum war eher spärlich beleuchtet. Auf einem Holzpodest stand ein Klavier, ein Schlagzeug und weitere Utensilien herum. Nachdem wir uns ein wenig aufgewärmt hatten, holten wir uns Getränke. Bier, was sonst?
Kurz nach 20.00 Uhr legte eine Musikerformation los. Ich meine mich erinnern zu können, dass es ein Tro war. Könnte aber auch ein Quartett gewesen sein. So hießen sie in der Szene von damals, aber heute auch noch, ja fast alle.
Die Stücke, besser gesagt: Das vorgetragene Stücke hörte sich eher rhythmisch an. Sanft wippten Harald und ich mit dem Kopf mit. Unsere Langhaarfrisur bewegte sich dabei, wie bei einer leichten Brise.
Die gespielte Musik war nicht das, was ein gemeinsamer Bekannter aus unseren " Minchen " - Kneipenabenden mir noch vor dem Besuch im Hannoveraner Jazz Club erzählte. Er hatte sich einige Monate vorher zusammen mit Harald und seinem Jazz - Freund einen Auftritt der Jazz - Formation " Globe Unity Orchestra " angesehen. Es war wohl in Minden oder zumindest in der näheren Umgebung von Bückeburg.
Was mir Lothar, der gemeinsame Bekannte, damals in seiner unnachahmlichen Art von diesem Konzert der " Globe Unity " erzählte, treibt mir heute noch die Lachtränen ins Auge. " Globe Unity Orchestra ", das ist eine lose Formation von vielen, vormals bekannten Free Jazzern rund um den Saxophonisten Peter Brötzmmann, Peter Kowald ( Tuba, Kontrabass ), dem Schlagzeuger Sven - Ake Johansson, Manfred Schoof ( Flügelhorn, Kornett ), Gerd Dudek ( Tenorsaxophon ), Alexander von Schlippenbach ( Posaune ), Johannes " Buschi " Niebergall ( Kontrabass ) und Jaki Liebezeit ( Ex - Schlagzeuger bei der Rockgruppe " Can " ).
Später gesellten sich weitere Musiker hinzu oder traten für andere in die Formation ein. So auch der einstige Mitbegründer der " Krautrock "!- Gruppe " Guru Guru " Manni Neumeier. Die " Globe Unity " existiert inzwischen 48 Jahre.
Sie also traten irgendwann 1975 in der Provinz auf. Warum auch nicht? Harald, sein Jazz - Freund und auch Lothar waren dabei. Letzterer als Anhänger von seichter Folklore aus den Vereinigten Staaten, in denen die dortigen Protagonisten, wie Woody Guthrie, Pete Seeger oder Joan Baez sowie Bob Dylan ihre Kompositionen kredenzten und durchaus erfolgreich waren.
Und so gab der folkloristisch angehauchte Lothar über das " Globe Unity " - Konzert zum Besten: Da stand eine ganze Horde, ja eine Kompanie von Bläsern und sonstigen Krachmachern auf der Bühne. Das Dollste war, dass unter ihnen so´n Berber war. So einer mit Vollbart, einer Manchester - Hose und dicken Hosenträgern dazu sowie mit kariertem Hemd. Der stand da und blies in so´n Alpenhorn rein. Immer nur einen einzigen Ton. Und die anderen Blasmusiker auch nur. Das ging mindestens eine halbe Stunde lang so. Und als das Ganze dann zu Ende war, applaudierten die neben mir auch noch.
Nee, nie wieder!"
Ich wieherte als Lothar dieses mit einem gewissen Pathos erzählte. Dann fragte er mich ernsthaft: " Was denn? Da willsté jetzt ernsthaft hin? Na, ja, ich weiß nicht? "
Da saßen wir unmittelbar vor der Bühne und schauten den Musikern zu. Mein Eindruck war durchaus positiv. Nix da, mit Einton - oder Zwölfttonmusik. Das hörte sich nicht nur nach einem klaren musikalischen Konzept an; das war auch Können, was auf der Bühne im Jazz Club von Hannover an jenem Freitagabend im November 1975 herüber kam. Wir applaudierten deshalb kräftig.
Dann war Pause.
Ab und an schwirrten Leute vom Fernsehen herum. Auch Michael Gehrke war zu sehen, der langjährige Vereinsvorsitzende des Klubs. Er brachte das Kunststück fertig, so ziemlich alles an Jazzern, was seit 1966 Rang und Namen hatte, in den Klub zu holen.
Die TV - Fritzen vom NDR kamen an unseren Tisch. Einer bat mich die Flasche Bier noch mal an den Mund zu führen. Etikett nach außen, aber. Bitte! " Klar, doch! Mache ich! " Ob die überschaubare Zahl an Gästen auch im Fernsehen zu sehen waren, kann ich nicht sagen. Ich habe den Bericht nie gesehen.
Harald fragte dann: " Und, wie gefällt ´s dir? " " Gut! Gute Musiker. Können was!", waren meine Wort. Harald huschte ein Lächeln über das mit einem Kraut - und Rübenbart bedeckte Gesicht. Er sah eigentlich wie ein Teddybär aus. Nicht so groß wie ich, aber er strahlte irgendwie Gemütlichkeit aus. Ein wirklich uriger Kerl. Schon damals etwas zu dick. Mit Schmerbauch und ein wenig pausbäckig.
So stand er mit uns beinahe jeden Abend am Kicker. Wo wir heiße Gefechte austrugen.
Harald trank gerne und sehr viel Altbier. Tja, und eines Abends standen wir wieder am Kicker - Automaten. Es war immer die gleiche Truppe. An jenem lauen Sommerabend kamen zwei Schulkolleginnen aus Minden und eine Freundin hinzu. Das hieß eben auch: Jeder strengte sich noch zusätzlich an, um zu gewinnen. So gab es dabei manche Verrenkung, um das Spiel erfolgreich zu beenden. Und bei einem dieser Kraftakte entfleuchte dem guten Harald ein Furz. Nicht laut, aber dafür stinkend. So dermaßen stinkend, dass es in dem engen, von Zigarettenqualm, Bier und anderen körperlichen Ausdünstungen ohnehin schon entstanden Dunst, plötzlich nach Jauche roch. Einer der neben dem Kicker - Automaten stehenden Zuschauer riss sofort das Fenster auf. Ein anderer hatte den Absender der Duftmarke sofort identifiziert und giftete Harald an: " Mensch, Harald, du hast da aber Einen stehen lassen!"
Die weiblichen Zuschauer flüchteten mit mir aus dem Raum. Eine rief dazu: " Ihr seit Schweine! ".
" Wieso ihr? Harald war das! ", antworte ich ihr. Sie schaute mich fassungslos an. " Der hat zuviel Altbier gesoffen. ", gab ich noch die Erklärung dazu ab. Dann verzog sich der Mief und wir gingen zum Kickern zurück.
Harald war das sichtlich peinlich. Er entschuldigte sein Vergehen mit: " Ich habe mich selbst erschrocken! " Alles lachte schallend. So war er, der gute Harald aus Bückeburg.
Nun saßen wir aber im Jazz Club zu Hannover und lauschten nach der Pause den Free Jazzern.
Harald war in seinem Element. Er wippte mit dem Kopf und dem Oberkörper. Auch mich konnte die Gruppe überzeugen.
Später erwarb ich deshalb die ein oder andere Jazz - Platte. Keinen Free Jazz zwar, aber dennoch solche Alben, wie jenes von Wolfgang Dauner mit dem viel sagenden Titel " Knirsch ". Von Keith Jarrett das " Köln Konzert " oder auch John Abercrombie.
An den avantgardistischen Free Jazz wagte ich mich nicht ganz heran.
Wir fuhren nach 22.30 Uhr zurück. Einen unterhaltsamen Abend im Gepäck. Die Straßen waren längst abgestreut, aber dafür menschenleer. Einst gab es nicht einmal die Hälfte der heutigen Kraftfahrzeuge auf den Straßen. Deshalb konnten wir in aller Ruhe die Heimfahrt antreten. Harald fuhr wieder profi -mäßig. Gegen 23. 30 Uhr lud er mich wieder vor der Haustür ab.
Am nächsten Morgen ging es ab 6.30 Uhr wieder hoch und zur Fachoberschule nach Stadthagen.
Ich hörte unterwegs die, vor knapp 2 Monaten veröffentlichte, LP von Pink Floyd " Wish You Were Here ".
Harald hielt dieses für Tanzmusik. Auch jenes vorherigen Alben. Ob nun " Ummagumma ", " Atom Heart Mother " oder " Meddle ", " Obscured by Clouds " oder " The Darkside of the Moon ".
Alle Alben standen bei mir im Archiv.Tja, Musik ist eben keine Glaubens - sondern eher eine Geschmacksfrage. Darüber lässt sich allerdings trefflich streiten. Aber, wenn " Pink Floyd "´s Titel Tanzmusik wären, dann dürfte Free Jazz, was sein?
Und erst die Schlager - Scheiße?
" Globe Unity Orchestra " und " Drunken in the Morning " aus dem Jahr 1970:
http://de.wikipedia.org/wiki/Globe_Unity_Orchestra
Kommentare