Thin Lizzy in Bremen. " Tin, was? "




Wir schreiben das Jahr 1980. Noch ein paar Wochen ,dann wäre das 1. Semester meines Jura - Studiums abgehakt. Von den 16 Wochen reiner Vorlesungszeit hatte ich bereits 6 Wochen verpasst, weil ich Geld benötigte, zog ich es vor, bei Kellogg´s jobben zu gehen. Es war bereits Ende November, als ich dann die ersten Veranstaltungen an der Uni besuchte.
Weil mein Postscheckkonto nun mehr als 3.500 DM aufwies, zog es mich häufiger zu " ear ", dem Plattengeschäft im Bremer Steintor. Bei einem meiner Besuch, noch kurz vor Weihnachten, erkannte ich bei der Fahrt dort hin, an irgendeiner Litfaß - Säule ein Plakat, auf dem der Auftritt einer Band angekündigt wurde, die mir seit vielen Jahren ein Begriff war: " Thin Lizzy ".

Im Vorbeifahren las ich noch,: 30. Januar, Stadthalle Bremen, 20.00 Uhr. 

Bis zum 30. Januar war ja noch ein wenig Zeit, weshalb ich diese Veranstaltung als solche im Gedächtnis behielt. Einst, also zu Beginn der 1980er Jahre, war es eben noch beschaulich, wenn es um so genannte " Events " ging. Da wurde zwar plakatiert, aber viel lief eher über die Mund - zu - Mund - Propaganda. 

Deshalb erzählte ich zu Weihnachten meinem Bekannten aus Wuppertal, dass " Thin Lizzy " in Bremen auftreten würde. Der, war sofort hell auf begeistert. Natürlich war ihm die Truppe um den irischen Bassisten Phil Lynott, der ja eigentlich eine englische Mutter und einen guyanischen Vater aufwies, um die Gitarristen Gary Moore, Scott Gorham und den Schlagzeuger  Brian Downey ein Begriff; oder - etwas anders formuliert - der Musikfreund kannte ihre Hits, wie " Whiskey in the Jar  ", Rosalie " oder auch " The Boys are Back in Town " oder weitere Titel.

So entschlossen wir uns, an jenem offerierten 30. Januar 1981 an dem Auftritt der wilden Iren - Rocker teilzunehmen. Mein Bekannter wollte eigens dazu einen Tag Urlaub nehmen und  bereits am frühen Freitagmorgen von Wuppertal aus los fahren, um rechtzeitig bei mir einzutreffen.

 Voller Vorfreude fuhr ich mit diesen Erkenntnissen nach Weihnachten des Jahres 1980 wieder in Richtung Bremen. Dort wollte ich in den folgenden Tagen zwei Eintrittskarten für " Thin Lizzy " besorgen. Gedacht, getan. 

An einem Tag vor Silvester fuhr ich in Richtung Bürgerweide, parkte meinen R4 dort  und suchte den Verkaufspavillon vor dem Bremer Hauptbahnhof auf, um dort die Tickets zu erwerben. In dem Kabuff saß eine ältere, wohl genährte und mit einer typischen 1950er - Jahre - Frisur ausgestattete Dame. Eine, von der Physiognomie her, waschechte Bremerin. Voller Vorfreude fragte ich diese höflich, ob ich bei ihr die Karten für das " Thin Lizzy " - Konzert kaufen könne. Kaum hatte ich mein Anliegen ausgesprochen, schaute sie mich mit weit aufgerissenen Augen und einem Gesichtsaussdruck an, als hätte ich ihr ein anzügliches Angebot gemacht. " Tin, Tin,? Tin, was? ", wollte sie von mir wissen.
Immer noch hatte sie dabei ihren Mund halb geöffnet und die Augen extrem geweitet. " Na, Thin Lizzy. Das Konzert am Freitag, den 30. Januar. ", antwortete ich ihr.

" Tin, wer? ", fragte sie erneut und sprach dieses Mal in einem verächtlichen Ton, als sei ich vom anderen Stern. Das erforderliche " th " ( ti ätsch ) konnte sie als in Bremen geborene Frau, ohne Englischkenntnisse, natürlich nicht über ihre Lippen bringen. Sie quälte sich wieder das " Tin " ab und ließ den Rest einfach weg.
" Nein, die Karten haben wir nicht. Nein, die verkaufen wir nicht. Nein, da müssen Sie direkt an die Vorverkaufsstellen an der Stadthalle gehen und fragen. ", gab sie mir wieder in einem entgeisterten Gesichtsausdruck eine nun doch umfassende Antwort und schüttelte dabei leicht ihr Haupt. Die hell gefärbte 50er - Jahre - Dauerwellen - Frisur bewegte sich dabei auffällig.
Als wolle sie damit zum Ausdruck bringen: " Sachen gibt´s! "

Ich zog grußlos von dannen und dachte mir im Stillen: " So ´ne Bremer Schnepfe. Zu blöd Englisch zu sprechen. "
Ich durch querte den Eisenbahn - Fußgängertunnel vom Bahnhofsplatz zur Bürgerweide und stapfte durch die Pfützen. Regen statt Schnee. Bremisches Schmuddelwetter, eben. Und dann diese dämliche alte Kuh in dem Pavillon. Zu dumm, um " Thin Lizzy " auszusprechen. Sie stellte damals den Prototyp einer schon leicht angegrauten, sich in den letzten Berufsjahren befindlichen Bremerin dar, die wahrscheinlich die fehlenden Rentenansprüche, als Witwe vom Leben gezeichnet, nun ergänzen musste und, um überhaupt über die Runden zu kommen, ihre Jahre als Mitarbeiterin der Hansestadt - Stadtgemeinde  - Bremen dort in den Kabuff vor dem Hauptbahnhof fristen. Immerhin gab es im bremischen Öffentlichen Dienst damals noch Weihnachts - und Urlaubsgratifikationen.

Ich erreichte die Stadthalle. Dort betrat ich den Eingangsbereich und sah sofort die Plakate meiner Lieblinge von " Thin Lizzy ". Ja, na, endlich! Am Verkaufsschalter herrschte gähnende Leere. Wer erwirbt am frühen Vormittag schon Eintrittskarten für die Stadthalle in Bremen? Niemand! Außer mir, natürlich! Ich stellte mich vor die mit einer dicken Glasscheibe bewehrte Verkaufsstelle. Die jüngere Frau dahinter quasselte angeregt mit ihrer Kollegin. Dann sah sie mich und beendete ihren Small Talk. " Ja? ", schnarrte es fragend aus einem, irgendwo über meinem langhaarigen Haupt platzierten Lautsprecher." Zwei Karten für das Thin Lizzy - Konzert. "
" Sie fingerte in einer aufgezogenen Schublade herum und schob die Eintrittskarten auf den Tresen vor ihr. " 40 D - Mark, bitte!", verlangte sie dabei von mir.
Ich kramte mein schwarzes Portemonnaie hervor und zog zwei 20 DM - Scheine heraus, legte sie in die Metallschale vor der Panzerglasscheibe und wartete.

Die Dame wusste also Bescheid. Sie musste zumindest wissen, wer am 30. Januar auftritt. 
Mit erleichtertem Gewissen gegenüber meinem Bekannten aus dem nordrhein - westfälischem Wuppertal begab ich mich eilenden Schrittes aus dem Vorraum der Bremer Stadthalle und trat die Rückfahrt zum Mensa - Wohnheim an der Universität an.

Die Tage vergingen, das Jahr 1980 neigte sich dem Ende zu und ich wartete am Freitag, dem 30., nach den Vorlesungen meinen Bekannten aus Wuppertal. Der erschien gegen 15.00 Uhr an meiner Zimmertür und trank noch einen Tee mit Kluntje und Weißer Wolke, ehe wir uns dann ab 19.00 Uhr auf den Weg zur Stadthalle machten. Über die Universitätsallee, die Parkallee und den Stern fuhren zur Hollerallee und von dort zur Bürgerweide. Nach 10 Minuten hatten wir die Bremer Stadthalle erreicht. Vor dem Eingangsbereich der Halle parkten bereits eine Unzahl von Bussen. Wir warteten noch eine halbe Stunde und beobachteten aus dem Fenster des PKW, wie die Besucher zum Eingangsbereich strömten. Bus auf Bus fuhr vor und entfernte sich wieder. Im benachbarten PKW rauchten einige Gleichgesinnte eine Tüte und stiegen dann aus.

Mein Wuppertaler Bekannter und ich folgten der Gruppe, die am Eingangsbereich zur Halle IV ihre Eintrittskarten zückten, diese vorzeigen mussten und anschließend gefilzt wurden. " Schwachsinn ", dachte ich bei mir. Dann waren wir an der Reihe. Karten vorzeigen, abreißen lassen, filzen. Meinen Bekannten ließ der Berber vor der Eingangstür unkontrolliert durch. Er sah, nachdem er seine Langhaar - Mähne um gut 30 cm gekürzt hatte, sich dafür einen Kraut - und Rübenbart wachsen ließ, eher bieder aus. So, wie die anderen jüngeren Männern neben uns, die mit lautem Hallo in das Halleninnere eingelassen wurden. Mich hingegen filzte der Arsch. Ich musste sogar meine Außentaschen des Parka umstülpen, ehe er mich einließ. Blödmann, grummelte ich noch, dann waren wir in der Halle IV.

Rauchschwaden waberten durch die Halle. Überall soffen die Besucher Alkohol und kifften. Die Masse war dennoch eher kurzhaarig. Was waren das nur für Gestalten, dachte ich noch, dann wurde das Licht gedämmt und eine Vorgruppe, deren Namen ich natürlich heute nicht mehr in Erinnerung habe, dröhnte ohrenbetäubenden Hardrock von der Bühne. 

Nach etwa einer Dreiviertelstunde war der Spuk vorbei. Warten. Neben uns standen Hunderte, gleich aussehender junger Männer und klatschen rhythmisch, während sie immer wieder " Thin Lizzy " riefen. 
Es dauerte noch einige Minuten dann erschien ein Ansager auf der Bühne und bat den Sicherheitsdienst, noch einige Meter zurückzugehen, damit die Fans die Show sehen könnten. Was für Fans?
Plötzlich ein Klang - Orkan, grelles, beißendes Licht und da sprangen sie auf die Bühne, die Männer um Phil Lynott.

" Jailbreak " wurde intoniert und Lynott röhrte los:


Tonight there's gonna be a jailbreak
Somewhere in this town
See me and the boys we don't like it
So we're getting up and going down

Hiding low looking right to left
If you see us coming I think it's best
To move away do you hear what I say
From under my breath

Tonight there's gonna be a jailbreak
Somewhere in the town
Tonight there's gonna be a jailbreak
So don't you be around
Don't you be around

Tonight there's gonna be trouble
Some of us won't survive
See the boys and me mean business
Bustin' out dead or alive

I can hear the hound dogs on my trail
All hell breaks loose, alarm and sirens wail
Like the game if you lose
Go to jail

Tonight there's gonna be a jailbreak
Somewhere in the town
Tonight there's gonna be a jailbreak
So don't you be around

Tonight there's gonna trouble
I'm gonna find myself in
Tonight there's gonna be a jailbreak
So woman stay with a friend
You know it's safer

Breakout

Tonight there's gonna be a breakout
Into the city zones
Don't you dare to try and stop us
No one could for long

Searchlight on my trail
Tonight's the night all systems fail
Hey you good lookin' female
Come here

Tonight there's gonna be a jailbreak
Somewhere in the town
Tonight there's gonna be a jailbreak
So don't you be around

Tonight there's gonna be trouble
I'm gonna find myself in
Tonight there's gonna be trouble
So woman stay with a friend

Es folgten einige Titel aus den LPs " Black Rose a Rock Legend " aus dem Jahr 1979, " China Town " aus dem Jahr 1980 und eben jene Stücke, die ich aus der Doppel - LP  " Live And Dangerous " zur Genüge kannte: " Rosalie ", " Dancing in the Moonlight " oder " Still in Love With You ".

Lynott sang göttlich. Er schnaubte, ächzte, stöhnte dazu. Ließ seinen Bass vor seiner Lederhose, die so eng war, dass sein bestes Stück deutlich sichtbar wurde, hin und her baumeln. Eine Penisverlängerung eben.
Scott Gorham und Snowy White sprangen wie junge Rehe auf die schräg gestellten Podeste und zogen ihre Soli durch.
Dazu ständig wechselnde, grelle Spotlights und Stroboskope - Kaskaden. 

Die Akustik war zwar saumäßig, aber die Masse tobte, brüllte, schrie. " The Boys Are Back in Town ",  " Johnny the Fox Meets Jimmy the Wheed ", " Suicide " und auch " Genocide "  . Lynott und seine Mannen gaben alles.
Der Mob aus mehreren Tausend US - Soldaten brodelte und tobte wie bekloppt.

Wenn wir nach gezählt hätten, wären auf 10 GIs an jenem Abend in der Bremer Stadthalle IV nur ein Germane gekommen. Und dieser stammte nicht mal aus Bremen. Die PKW - Kennzeichen vor der Stadthalle ließen es erkennen, dass das Bremer Umland vertreten war. OL, DEL und WST, WHV, LER, EMD, WTM, FRI, DH und NI. ( Nachzutragen wäre da noch: BRA ). Nur HB fehlte beinahe.

Nein, die Bremer Musikfans standen nicht auf " Thin Lizzy ". Zu der Zeit waren Punk, New Wave und der NDW - Müll, rund um die Gruppe " Trio " aus dem niedersächsischen Großenkneten, "  Fehlfarben ", " Extrabreit ", " DAF ", Schilling und Nena angesagt. Musikminimalisten, Garagen-Musiker und Brüllaffen hatten die Szene aufgemischt. Nichts für die Fans des gepflegten Hardrocks.

Somit wurde erklärlich, warum mehrere Tausend GIs aus Garlstedt und Bremerhaven den Auftritt der irischen Gruppe " Thin Lizzy " verfolgten. Der US - Soldatensender AFN hatte wohl zuvor ordentlich die Werbetrommel gerührt.

Das Konzert war nach einigen Zugaben gegen 22.30 Uhr vorbei. Nun, viele Jahre danach steht für mich immerhin fest, dass der gute Phil Lynott sein Bestes an diesem Abend gegeben hatte, jedoch die miese Akustik ihm dabei einen dicken Strich durch die Rechnung machte.

Immerhin kann ich sagen, dass ich Lynott noch lebend singen und spielen sah.   
Der Bassist und Songwriter starb am 4. Januar 1986 in Salisbury, Wilshire, England an den Folgen seines jahrelangen Alkohol - und Drogenkonsums.


Auch der einstige " Thin Lizzy " - Gitarrist Gary Moore segnete 2011 das Zeitliche.
Die Gruppe erfuhr seit ihrer Gründung 1969 eine Reihe von personellen Umbesetzungen, löste sich 1983 dann auf und wurde 1999 neu gegründet. Seit dem tourte " Thin Lizzy " wieder. Ob sie nach 1981 je wieder in Bremen aufgetreten sind, kann ich nicht sagen.



So, wie 1981 auch:





Phil Lynott und " Thin Lizzy " mit " I´m Still in Love with You " - Live:



Und in Erinnerung an zwei große Musiker - die Gary Moore - Version:









Kommentare

Ulfenator hat gesagt…
Schön zu lesen. Danke Dir!
Ich war seinerzeit auch dabei. Zu viert waren wir da 13/14 Jahre und der kleinste war 11 (sic). Muttern musste uns bringen, und hatte prompt einen Unfall, so dass wir einen Vater von der Couch holen mussten. 4 kleine Hard Rocker aus Elsfleth, fahren in die große Stadt. Es fehlt also in deiner Auflistung der Kennzeichen somit noch BRA.(-:
Ich kann mich nicht mehr an die einzelnen Songs erinnern. Aber ich war schwer beeindruckt!
Bis heute erzähle ich bei jeder Gelegenheit, dass ich Thin Lizzy und Phil Lynott Live gesehen habe! RIP Phil and Gary!
Lobster53 hat gesagt…

Moin,

tja, die Welt ist klein? Nach mehr als 40 Jahren fällt es mir zwar schwer, die Erinnerungen an das Bremer " Tin Lizzy " - Konzert wieder abzurufen, aber dafür steht die DLP " Live And Dangerous " noch immer in meinem Archiv; wenngleich ich sie seit Jahren nich mehr auf den Plattenteller gelegt hatte. Und so musste ich meinen Blog noch mal komplett durchlesen, ehe mir einige Abläufe rund um die damalige Veranstaltung wieder geläufig werden. Es war schon eine besondere Zeit: Ohne viel Kohle,aber dafür voller Tatendrang, wenn es um Rockmusik ging. Dieses auch noch im bereits gereifteren Alter.
Inzwischen, längst zu den Eisgrauen gehörend,ruhe ich mich davon im schönen, wenn auch nicht geliebten Freistaat Bayern aus, höre dabei " Krautrock World.com " aus Berlin und blogge beinahe täglich für die Nachwelt.
Auf deine Anregung hin, habe ich in dem Posting die Kfz - Kennzeichen - Litanei um " BRA " ergänzt und gleich mal die Flüchtigkeitsfehler getilgt.
War danach auf deiner Seite. Bist ja leider nicht mehr aktiv. Schade!

Grüße aus dem sonnigen Eching b. München

Jügen

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