Die Schellackplatte, die Musiktruhe und das Wohnzimmer der 1960er.




Sie zählten zu den hohen Zeiten des westdeutschen Wirtschaftswunders als Statussymbol der aufstrebenden, bürgerlichen Mittelschicht: die Tonmöbel; insbesondere die Musikschränke oder auch Musiktruhen.

Das monströse Möbel sieht - für den heutigen Betrachter - so aus, als habe ein technisch beschlagener Einrichtungsexperte bei der Planung derselben, nie so richtig die Kurve bekommen. Klobige, eckige, auf Stelzenfüßen stehende Kästen zierten ab Mitte der 1950er Jahre die zu Wohnzimmer erkorenen Räume der westdeutschen Haushalte, deren Eigentümer bereits den braunen Spuk aus ihren damit durchtränkten Hirnen verbannt hatten.

Die Wunderkisten ( zumeist mit kombinierten sowie integrierten Radio - Schallplattenwechsel - Mono ( Stereo ) - Lautsprecher(n) ), wogen oft 100 Kilogramm und mehr.
Deshaln wuchteten gleich zwei Möbelauslieferungsfahrer die bestellten Ungetüme in die Häuser und Wohnungen. Für in der Parterre, Souterrain oder ersten Geschoss wohnenden Kunden, bedeutete dieses keinen großartig, schweißtreibenden Aufwand. Doch, wehe, wenn die bestellten Truhen in Dachgeschossunterkünfte von drei - und mehrgeschossigen Häusern gehievt werden mussten.

Stand sie nun erst im trauten, gleichförmig ausgestatteten Wohnzimmer ( Tütenlampe, Cocktailsessel und  ein Kachel belegter Nierentisch mit goldfarbig verziertem Rand zählten unter anderem dazu ), erforderte es weiteres, handwerkliches Geschick, die Wundertruhe zu bedienen. Wer sich die, auf beige - farbigen Hochglanzpapier im handlichen DIN5 - Format im verschließbaren Unterschrank zum Röhrenradio liegende Bedienungsanleitung nicht genau durch gelesenen hatte, der bekam ein nicht unerhebliches Probleme mit den technischen Teilen des Tonmöbel.

Hierin waren nämlichen eine Vielzahl von Erläuterungen zu den Funktionsweisen des Radios sowie des Plattenspielers enthalten. Anhand der betexteten Abbildungen konnte sich jeder Käufer einer Musiktruhe daran versuchen, die Geräte in Gang zu setzen. Über die Rückwand des riesigen Kastens gelangte der Nutzer zu den Antennenanschlüssen für das eingebaute Radio. Werkseitig war nur eine Wurfantenne mitgeliefert. Der Empfang von Sendern wurde dadurch allerdings sehr eingeschränkt; ebenso die Empfangsqualität.

Später konnten dank der UHF - und VHF - Antennentechnik, der Empfang einer Vielzahl von Radiosendern ermöglicht werden.

Sehr interessant war aber auch die technische Beschaffenheit des integrierten Plattenwechsels. Der konnte auf drei Umlaufgeschwindigkeiten eingestellt werden. Neben den heute noch üblichen 33 1/3 Umdrehungen für das Abspielen von LPs, der 45er Geschwindigkeit für Single - Platten, gab es noch die Einstellung von 16 2/3 - und die von 78 Umdrehung pro Minute. Letztere galt als Abspielgeschwindigkeit bei Schellackplatten.

Als meine Eltern sich zu Beginn den 1960er Jahre ein Musikentruhen - Monstrum des Herstellers " Kuba  " zulegten, waren sie natürlich stolz; zumal ein solches Wunderding eine Vielzahl von Monatslöhnen kostete und - wie einst üblich - in bar bezahlt werden musste.


https://de.wikipedia.org/wiki/Kuba-Imperial


Die " Kuba " - Musiktruhe lieferte ein Händler mit dem Namen Göbel aus Stadthagen. Er erschien bei der Lieferung des Möbel persönlich und führte die dort eingebauten Geräte sogar vor. Dazu gab es - gratis - drei Schellackplatten:

- " Florentinische Nächte " von Rudi Schuricke und Orchster

- Der Südwind der weht " von Maria Mucke, Lonny Kellner, Lucie Schulz und Klaus    
  Gross

- " Der alte Seemann, kann nachts nicht schlafen " von Liselotte Malkowsky

Irgendwann im Verlaufe der folgenden Jahre durften auch wir als Jugendliche die Musiktruhe bedienen. Und wir machten uns ab und an einen Spass daraus, die 78er - Schellackplatten mit einer 45er - Geschwindigkeit oder 33 1/3 - Umdrehungen abzududeln. Es hörte sich natürlich grausam an. Der Gesang von Schuricke klang so, als hätte er einen Bremsklotz verschluckt. Und wenn unsere Beat - Musik - Single auf dem Plattenteller lagen, jodelten wir " Help ", " Sha La La La Lee " oder " I can´t get no Satisfaction " mit 78er - Highspeed ab. Micky Maus, war dagegen gar nichts.

Tja,, die Jahre verflogen, die Zeiten änderten sich und das Musiktruhen - Monster wich einer modernen Stereo - Anlage von " Nordmende " mit " Braun " - Boxen. Einen Plattenspieler legten sich meine Eltern allerdings nicht mehr zu; dafür besaß ich deren zwei.
Und auch diese Geräte ließen sich mit drei Geschwindigkeiten bedienen. So kam es vor, dass eben die drei Schellackplatten unserer Eltern auch aufgelegt wurden. Wenn der Alkoholpegel hoch genug, die Stimmung es auch war und die Jungs und Mädels aus der Nachbarschaft unbedingt Tango tanzen wollten.
Dann konnte ich mal kurz einige Jahre Musikhistorie mittels simplen Dreh am Geschwindigkeitsregler überbrücken. Auf den " Beatles ", den " Small Faces " und der als härteste Rockgruppe der Welt benannten " Rolling Stones " folgte "Rudolf " Rudi " Schuricke und seine herzerweichende Schmalzstimme im Tango - Rhythmus bei " Florentinische Nächte ".

Schöööööööööööööööööön!



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