Der entreicherte Witwer.
Zu den Erfordernissen eines Vertreters der Advokaten - Zunft gehört, das Bürgerliche Gesetzbuch ( BGB ) - zumindest in seinen Grundzügen - auf der Pfanne zu haben. Ein Rechtsanwalt, der eine zivilrechtliche Richtung anstrebt, um dort sein täglich Brot zu verdienen, sollte - noch im Koma - die Struktur jener, am 1. Januar 1900 in Kraft getretenen Schwarte hersagen können. Die fünf Bücher der Bibel des Zivilunken sind nämlich dazu da, um aus der Wirrnis von Gesetzen, die eben eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen im Privatbereich regeln, heraus zu finden.
Hierzu benötigt er sein Handwerkszeug, das ihm während des - nur zu oft - sehr langen Studiums beigelegt wird.
In dem 2. Buch des BGB, das " Recht der Schuldverhältnisse " bezeichnet wird, finden sich ab Paragraf 812 ist hier nachzulesen, dass eine Person, die ohne rechtliche Grundlage eine Leistung erhalten hat, verpflichtet wird, diese wieder herauszugeben. Was wäre jedoch die Juristerei, wenn es von einer Regel nicht die Ausnahme(n) gäbe? Nichts! Weil es aber eben sehr häufig zu viele Ausnahmeregelungen gibt, muss ein Jurist so lange studieren, um der übrigen Welt mitzuteilen, dass ein Gesetz nicht immer gesetzmäßige Regeln hat.
So auch im bundesdeutschen Bereicherungsrecht. Dort gilt nämlich, dass ein gutgläubiger Erwerb / Empfang einer ungerechtfertigten Leistung, eben nicht immer zur Herausgabe derselben verpflichtet.
Das gilt insbesondere dann, wenn jemand in unberechtigter Weise eine Geldsumme erhält, diese flugs verbrät und dann als " entreichert " gilt. Wahrlich, keine gelungene Wortschöpfung. So, wie " Verböserung " oder " Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ".
https://de.wikipedia.org/wiki/Bereicherungsrecht_(Deutschland)
Da schloss in den belebten 1970er Jahren ein einstiger Mandant bei der all gegenwärtigen " Allianz " ( Hoffentlich nicht dort versichert ! ) einen Lebensversicherungsvertrag ab. Begünstigte waren seine Ehefrau und er selbst. Die Versicherungssumme war mit 10.000 Deutsche Mark eher überschaubar. Doch für die einstigen Lebensverhältnisse des Klienten, bedeuteten 10.000 Märker, eine ordentliche Stange Geld.
Fleissig zahlte der Mandant seine Prämien an die " Allianz " und erhielt dafür zunächst seine Wertmarken, die er akkurat auf die Rückseite seiner Police pappte. Die Jahre verflogen, der Mandant ging in den verdienten Ruhestand und wartete auf die Auszahlung der Versicherungssumme im Jahr 1995.
Doch vier Jahre zuvor verstarb seine Ehefrau an Krebs. Die " Allianz " - Versicherung tat das, wofür sie den Vertrag angeboten hatte: sie zahlte die Versicherungssumme aus. Damit bestritt der Mandant die teuren Bestattungskosten und die Bestattungsfeier. Mit dem Restbetrag schaffte er sich eine neue Wohnzimmer - Garnitur an. Dann war das Geld futsch!
Es vergingen weitere 4 Jahre, als der verrentete Mandant erneut Nachricht von der " Allianz Lebensversicherungs AG " erhielt. Sie offerierte in dem Schreiben erneut 10.000 Deutsche mark zur Auszahlung auf das Konto des Mandanten, weil der Versicherungsvertrag nunmehr abgelaufen sei und die Versicherungssumme nun fällig wäre. Eine schöne Überraschung, für den in bescheidenden Verhältnissen lebenden Mandanten.
Das Geld floss auf das Konto und strahlte dort den Mandanten an, der seit Jahren von einer eher bescheidenen Renten plus Witwenrente existieren musste. Ein schönes Zubrot also. Und so dachte, der einstige Straßenbauarbeiter und jetzige Rentner, so, wie Menschen es in seiner Situation auch machen: Er dachte, dass Geld aus dem Versicherungsvertrag würde ihm zwei Mal zustehen. Nun, er irrte. Aber auch die große " Allianz " irrte. Ein Irrtum, so wie beim " Monopoly " - Spiel, wo es auf einem Feld heißt: " Bankirrtum zu deinen Gunsten - Ziehe 2.000 ein ".
Gut, ja gut, ich sach´ma´: Irren ist menschlich, auch wenn Banken, Versicherungen und sonstige Berufsbetrüger sich eher nicht zum Vorteil des Kunden irren möchten. Aber, die " Allianz " irrte sich eben.
Dann legte der Mandant los. Er kaufte sich eine neue Schrankwand für das Wohnzimmer, einen neuen Schlafzimmerschrank und - natürlich - einen neuen Fernsehapparat mit grßerem Bildschirm und moderner Technik. Die Versicherungssumme schmolz, wie der Schnee im Frühling, als der Mandant sich noch neu einkleidete und in seiner Küche ein neuer Toaster, eine Kaffeemaschine sowie eine besserer Elektroherd standen, war das Geld beinahe verbraucht.
Dann kam das böse Erwachen. Die " Allianz " hatte ihren Irrtum bemerkt und schrieb dem Mandanten einen freundlichen, aber bestimmenden Brief, in dem es hieß, dass er - der Mandant - die Summe von 10.000 Deutsche Mark zu Unrecht erhalten habe, weil es einen weiteren Versicherungsnehmer gäbe, der just das gleiche Geburtsdatum vorweise und auch so hieße, wie der Mandant, nämlich Johann T. Und hier lag der Hase im Pfeffer.
Die " Allianz " forderte nun den Mandanten auf, die erneut erhaltene Versicherungssumme zurück zu zahlen.
Doch, das Geld war fast futsch. Ausgegeben, verbraten, verkloppt. Was also tun? Da kann manchmal guter Rat teuer sein. Und so rief mich der Mandant an und bat mich, die Sache mal zu prüfen. Ich erinnerte mich sofort an ein Zivilrechtskurs, in dem eben das Recht der " Ungerechtfertigten Bereicherung " von dem Dozenten, einem damaligen Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht Bremen behandelt wurde. Ich fand die Konstruktion des " Entreichern " so interessant, dass ich nicht nur mit schrieb, sondern mir die Chose gleich nach Ende des Seminars auf den verteilten Arbeitsmaterialien erneut ansah.
Da stand es - schwarz auf weißen Kopierpapier - § 812 Absatz. 1 Satz 1 BGB - § 816 Absatz. 1 Satz 1 BGB - § 818 Absatz. 3 BGB. Bei gutgläubigem Erwerb entfällt die Rückgabepflicht aus dem Rechtskonstititut der ungerechtfertigten Bereicherung, sofern die Sache inzwischen nicht mehr im Besitz des Bereicherten, also hier des Mandanten ist.
Tja, Deutsche Mark sind nicht nur Deutsche Mark, sondern sie wandert - warum auch immer - von einer Tasche in die andere, von einem Konto auf das andere und kann sich - so ist nun einmal der Kapitalismus gestrickt - beinahe metamorphosisch - in eine andere Sache verwandeln. Dieses geschah auch im Fall meines verrenteten Arbeiters, des Witwers aus dem Dorf R. bei Cuxhaven.
Doch die große " Allianz ", die sich einst noch eine gewisse Kundenpflege übtem sie wollte die Verwandlung ihres - zu Unrecht - ausgezahlten Geldes nicht so ohne weiteres hinnehmen. Es flatterte ein zweiter Brief bei dem Mandaten in die kleine, vormalige Hausmeisterwohnung über der Grundschule des Dorfes R. bei Cuxhaven. Nun kam ich auf den Plan und zeigte mit einer handelsüblichen Vollmacht an, dass ich Herrn Johann T. aus R., dem kleinen Ort zwischen Bremerhaven und Cuxhaven, anwaltlich vertreten würde.
In meinem geschliffen formulierten Brief gab ich an, dass der Mandant T. die von der " Allianz " gezahlte Summe inzwischen für den Kauf von Wohnungseinrichtungsgegenständen verbraucht habe und er damit " entreichert " sei. Mein Fazit am Ende des Briefs lautete demnach: " Es gibt nichts mehr zurück! "
Es folgte ein reger Schriftwechsel. Ein Argument wurde durch ein andres entkräftet. Das juristische " Hase und Igel " - Szenario breitete sich aus; bis es schließlich einen Kompromiss gab. Dieser sah vor, dass der Mandant - nachdem er über mich durch Rechnungskopien zu den erworbenen Artikeln - die " de - facto - Entreicherung " nachgewiesen hatte - eine Summe von 2.500 Deutsche Mark an den Versicherungskonzern aus München zurückzahlt und die Angelegenheit damit ihr Ende fand. Der verwitwete Rentner aus T. aus R. hatte zwar Gegenstände gekauft, die zum so genannten Bedarf zählten, jedoch war streitig, ob hierzu ein Farbfernseher mit sehr guter Ausstattung zählt. Ein Wohnzimmerschrank, eine Kaffeemaschine oder ein Elektroherd gehören zweifelsohne dazu. Außerdem konnte Herr T. auch nur Rechnungen in Höhe von 8.000 DM vorlegen.
So kam die in der Juristerei als " Saldentheorie " bekannte Verfahrensweise zur Anwendung. Danach ist ein Erwerber " entreichert ", wenn der zu Unrecht, jedoch gutgläubig erworbene Gegenstand nicht mehr heraus gegeben werden kann. Da T. sich just für 8.000 Deutsche Mark Waren gekauft hatte, ist das Geld futsch. Die Versicherung hat jedoch kein Interesse daran. jene erworbenen Hausratsgegenstände heraus zu verlangen, weil sie mit diesen nichts anfangen kann und diese bereits nach dem Kauf vielleicht nur noch die Hälfte wert waren. Die Ausnahme davon bildetet der Farbfernseher. Den hätte die " Allianz " durchaus - unter den damaligen Bedingungen - weiter verkloppen können und daraus noch einen Erlös erzielt. So rechnete sie uns - großzügig, wie die Münchner schon damals waren - statt 1.500 DM für den TV - Kasten nur 500 DM an.
Hätte T. sich für 10.000 Deutsche Mark eine " Rolex " oder eine Goldkette gekauft, wäre die Sache anders verlaufen.
Die Gebühren für meine Beauftragung zahlte der Versicherer anteilig mit 80 %; die Differenz ließ ich fallen. Einen armen Rentner greift ein Rechtsanwalt nicht noch in die Tasche; es sei denn, er ist - das kommt auch heute noch häufiger vor - selbst notleidend.
Später hörte ich, dass dieser kuriose Fall in dem Dorf des Mandanten seine Runde machte. Ich hatte - mit Hinweis auf meine anwaltliche Schweigepflicht - natürlich nichts davon preisgegeben. Es war wohl der einstige Versicherungsvertreter der " Allianz " selbst, die - selbstverständlich - dem anderen Johann T. die ihm zustehenden 10.000 Deutsche Mark aus dessen Lebensversicherungsvertrag auskehren musste, der hierüber an der Theke plauderte.
Sei´s drum. Der entreicherte Witwer blieb auch ein solcher und verstarb einige Jahre danach in R. im Alter von 73 Jahren. Solange durfte er noch TV glotzen und sich den Kaffee in der Maschine brühen.
Recht so - hate the rich!
" Fiddler On The Roof " und " If I where a rich man ":
Kommentare